Post von Leser:innen

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von Fabian Schatz

Ingo Rath hat uns geschrieben, zur Kolumne von Carla Reemtsma am Wochenende:

Liebe Frau Reemtsma,

fast allem, was Sie in Ihrer Kolumne „Politik und Ehrlichkeit“ schreiben, kann ich zustimmen. Und doch treibt mich beim Lesen etwas zur Verzweiflung, was Sie nicht schreiben.

Dass die Politiker sich nicht trauen, ehrlich mit der Klimakatastrophe umzugehen, dass eine Art „Fukushima-Reaktion“ ausbleibt und keine Partei ein Maßnahmenpaket propagiert, dass ausreichend wäre, um den Klimawandel schnell und effektiv zu bekämpfen – mit diesen Aussagen bin ich absolut einverstanden.

Ebenso mit der Einschätzung, dass sich vor und nach der Wahl (und unabhängig von deren Ausgang) klimabewegte Menschen auch weiterhin durch Demonstrationen und ähnliche Aktionen dafür einsetzen müssen, den Unwillen der Politik, angemessen zu handeln, zu beenden.

Ich finde es gut und vollkommen richtig, das sich Klimabewegungen wie „Fridays for Furture“ ihre politische Unabhängigkeit bewahren und sich nicht vor den Wahlkampfkarren einer Partei spannen lassen.

Doch auch wenn ich Ihre Aussage, als Klimabewegte:r habe man bei der Bundestagswahl keine ernsthafte Wahl zwischen verschiedenen Wegen und Konzepten, als eine Form der Reaktion auf die mangelnde Einsicht der Politiker emotional nachvollziehen kann, muss ich mich doch ganz vehement gegen die Konsequenz äußern, die aus Ihren Worten spricht. Zwar rufen Sie nicht ausdrücklich zur Stimmenthaltung auf, doch wie soll man Ihre Worte anders verstehen?!

Auch wenn es prominente Menschen mit mir durchaus sympathischen Ansichten gibt, für die Stimmenthaltung ein legitimes und probates Mittel ist, ihre politische Meinung auszudrücken, ist und bleibt die Stimmenthaltung für mich der eine Kardinalfehler, den Menschen in einer Demokratie begehen können.

Dies trifft auch – und vielleicht sogar ganz besonders – für Menschen mit einem so absolut richtigen und wichtigen Ziel wie dem Kampf gegen den Klimawandel zu.

Glauben Sie bei aller verständlicher Frustration über die Reaktionen und Programme der Politiker und Parteien, diese seien alle in gleichem Ausmaß ungeeignet? Sehen Sie nicht, dass es Parteien gibt, die mit ihren Schwerpunkten dem Notwendigen zumindest näher kommen als andere Parteien?

Wenn klimabewegte Menschen nicht zur Wahl gehen, bleibt das nicht folgenlos.

Die Aussage: „meine Stimme (oder Enthaltung) macht eh keinen Unterschied“ ist ebenso falsch wie die Aussage „ich als Einzelner kann eh nichts gegen den Klimawandel tun“.

Wenn klimabewegte Menschen nicht zur Wahl gehen, stärkt das diejenigen Parteien mit den schlechtesten Antworten auf die Klimakrise. Denn das Potenzial, die Stimmen der klimabewegten Menschen einer Partei zukommen zu lassen, die für ihr Anliegen zumindest relativ betrachtet am ehesten offen ist, verpufft somit völlig ungenutzt. Der Einfluss von klimabewegtem Denken auf die Politik sinkt mit jeder nicht angegebenen Stimme eines klimabewegten Menschen – und zwar auf zwei Ebenen.


Ebene 1 ist offensichtlich. Je weniger Stimmen die Grünen aus demjenigen Teil der Bevölkerung bekommen, die „grüner als die Grünen“ denken, desto weniger Einfluss werden die Grünen in der kommenden Legislaturperiode haben. Und ich glaube, dass selbst jemandem, der so viel Politik-Frust mit sich trägt wie Sie, klar ist, dass von den Parteien, die irgendeine Chance haben, die nächste Legislaturperiode mitzugestalten, die Grünen dasjenige Programm haben, das bei aller Unzulänglichkeit noch am ehesten in die richtige Richtung geht.

Ebene 2 mag weniger offensichtlich sein, ist aber umso tragischer. Ja, egal wer nach der kommenden Wahl regiert: der Kampf von „Fridays for Future“ und Gleichgesinnten für einen gesellschaftlichen und damit auch politischen Wandel muss weiter gehen. Doch dieser Kampf hat ungleich schlechtere Chancen auf Erfolg bei einem Kanzler Laschet, der aufgrund eines schwachen Wahlergebnisses der Grünen weiter mit der quasi gottgegebenen Führungsrolle seiner eigenen Partei kokettierend seine bisherige katastrophale Klimapolitik fortsetzen kann, als bei einer Kanzlerin Baerbock, die, vielleicht überrascht von einem guten Wahlergebnis der Grünen, das Thema Klimawandel zumindest erstmal etwas höher auf die politische Agenda setzt.

Es macht einen Unterschied, welche Art von Politiker:in Sie zum Umdenken zwingen müssen. Und dieser Unterschied könnte unsere letzte Chance sein – auch Ihre – dass sich in der Politik noch etwas tut, bevor wir so viele Kipppunkte hinter uns gelassen haben, dass es danach dann wirklich völlig egal ist, wer unser Land regiert.

Liebe Frau Reemtsma: es macht also auch für Ihren eigenen klimabewegten Kampf einen Unterschied, wer in den kommenden Jahren unser Land regiert.

Werfen Sie die Chance bitte nicht achtlos weg, einen Einfluss auf die Zusammensetzung der nächsten Regierung zu nehmen.

Ich bitte Sie inständig: Gehen Sie wählen und ermutigen Sie alle Klimabewegten öffentlich – zum Beispiel in Ihrer nächsten Kolumne – zur Wahl zu gehen. Diese Wahl könnte die letzte sein, bei der eine Stimme noch einen Unterschied im Kampf gegen den Klimawandel macht.

Herzlichen Dank und freundliche Grüße

Ingo Rath

Das hier ist Carla Reemtsmas Antwort:

Guten Tag Herr Rath, 

vielen Dank für ihre Antwort und Perspektiven auf den Text. Menschen zum Nichtwählen aufzurufen, war definitiv nicht die Intention meines Texts. Wählen gehen ist ein unglaublich wichtiger demokratischer Akt in einer Demokratie, alleine schon um populistische Parteien nicht zu stärken. Auch wenn keine Partei ein 1,5-Grad-konformes Wahlprogramm vorlegt, ist natürlich klar, dass diese Wahl die Politik in der kommenden Legislaturperiode maßgeblich prägen wird.

Der am Montag veröffentlichte IPCC-Report macht dabei die Dringlichkeit sofortigen Handelns nochmal deutlich. Dass keine Partei dieser Dringlichkeit nachkommt, ist ein Skandal und macht die Wahlentscheidung für klimabewegte Menschen ungleich schwerer. Wählen gehen bleibt dabei ein fundamental wichtiger Akt in einer Demokratie. Das Problem stellen die Parteien dar, die sich mit ihren Parteien der Verantwortung entziehen, die Klimakrise gemäß des von ihnen unterzeichneten Pariser Klimaabkommens einzudämmen. Ich hoffe, ich konnte Ihre Bedenken etwas ausräumen. Das Thema der Bundestagswahl und der politischen Verantwortung und Partizipation der Bürger:innen in der Demokratie wird mich sicherlich noch häufiger in der Kolumne beschäftigen – ich werde dabei an Ihre Worte denken. 

Viele Grüße

Carla Reemtsma

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