Post von Leser:innen

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von Fabian Schatz

Friedrun Vollmer, die Direktorin der Westfälischen Schule für Musik, schreibt uns zur Debatte über den Musik-Campus. Es ist ein Porträt ihrer Schule, in dem sie erklärt, was die städtische Musikschule macht, was in Zukunft wichtig wird und welche Probleme ein Musik-Campus lösen würde. 

Die Westfälische Schule für Musik Münster – 1919 als eine der ersten öffentlichen Musikschulen des Landes gegründet – ist eine Kultur- und Bildungseinrichtung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Sie handelt im öffentlichen Auftrag, ist ein städtisches Amt – das Amt 44 – und arbeitet nicht gewinnorientiert.

Mit rund 7.000 Musikschüler:innen in circa 9.200 Unterrichtsbelegungen, 166 qualifizierten Fachlehrkräften, Unterricht in rund 30 vokalen und instrumentalen Fächern, der flächendeckend an 55 Einrichtungen im Stadtgebiet erteilt wird, gehört sie zu den größten und erfolgreichsten Musikschulen des Landes. Innerhalb der kommunalen Bildungslandschaft versteht sie sich als die Kompetenzzentrum für musikalische Bildung und kulturelle Vielfalt. Die Stadt Münster als Trägerin der städtischen Musikschule trifft im Verband deutscher Musikschulen auf ein starkes Netzwerk, das sich zur musikalisch-kulturellen und inklusiven Teilhabe aller Menschen bekennt.

Für etwa 1.000 Kinder ab zwei Jahren bietet die Musikschule in Kindergärten, Schulen und Gemeindezentren in allen Stadtbezirken von Münster Kurse in Elementarer Musikpraxis an.

Durch das Modell gebende Programm JEKISS („Jedem Kind seine Stimme“) an 24 Grundschulen von Münster mit ca. 2.000 Schüler:innen, die Teilnahme am Landesprogramm JeKits (Anm. der Redaktion: „Jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen“) an 5 Grundschulen mit circa 350 Schüler:innen und etlichen Bläser-, Band-, Streicher – und Gesangsklassen an weiteren 10 Grund- und weiterführenden Schulen werden niedrigschwellig circa 3.150 Kinder – also die Hälfte aller Nutzer:innen – aus allen sozialen Schichten und unterschiedlich kulturell sozialisierten Herkunftsfamilien erreicht und bei Bedarf durch Sozialstipendien unterstützt.

Über das gemeinschaftliche Musizieren und Singen erhalten alle Kinder der teilnehmenden Grundschulen eine elementare musikalische Grundausbildung, die durch eine nachfolgende Instrumental- oder Gesangsausbildung im Kernbereich in Kleingruppen oder im Einzelunterricht vertieft werden kann. Hervorzuheben ist das Programm JEKISS DAZ (Deutsch als Zweitsprache), in dem Kinder aus Migrationsfamilien über spielerisch-musikalische Mittel eine Unterstützung im Deutschlernen erfahren – und das nicht nur in Kinderhaus, Coerde oder Berg Fidel.

Breitenförderung und Spitzenförderung

Schülerinnen und Schüler, deren Begabung, Leistungsbereitschaft und Musizierfreude besonders hoch ist, werden über Förderstipendium auf ein Musikhochschulstudium oder andere aktive Rollen im Musikleben vorbereitet. Die Früchte der äußerst erfolgreichen Arbeit dokumentieren zahlreiche Preise und Auszeichnungen, zum Beispiel bei „Jugend musiziert“, „Jugend jazzt“ oder beim Deutschen Orchesterwettbewerb.

Die „Jugendakademie“, das Kooperationsprojekt von Musikhochschule Münster und WSfM, bietet alljährlich 30 hochbegabten jungen Musiker:innen die Chance für eine vertiefende Vorbereitung auf eine professionelle Laufbahn.

Sichtbar ist: Ebenso wie die Breitenförderung ist die Spitzenförderung wichtig für die uns anvertrauten jungen Menschen. Diese gegeneinander auszuspielen oder auf ihre finanzielle kommunale „Belastung“ zu reduzieren, ist eine Argumentation vergangener Zeiten. Es geht um individuelle, binnendifferenzierte Förderung je nach Wünschen der Kinder, Anspruch und Freude an Vertiefung, an Erfahrung von Selbstwirksamkeit und nonverbale Kommunikation mit Anderen.

Durch den Strukturplan und Rahmenlehrpläne des Verbands deutscher Musikschulen (VdM) ist die Basis für ein vollständiges, aufeinander abgestimmtes, vielfältiges und qualitativ hochwertiges Angebot der Musikschule gegeben.

Besonders nach den extrem herben Einschnitten an persönlicher Entfaltung und Freizeitgestaltung in den hinter uns liegenden Pandemiezeiten ist das Interesse an authentischen, analogen, kreativen und sinngebenden Beschäftigungen sehr hoch – und Musikunterricht ist allemal preiswerter als durch Isolation und seelische Erkrankungen notwendig werdende Psychotherapien oder gar der Jugendstrafvollzug.

Doch nicht nur Kinder und Jugendliche nutzen das breite Angebot der Musikschule, verstärkt orientiert sich das Angebot auch an Studierenden, Berufstätigen und Senioren, die sich mit Musik auseinandersetzen möchten – derzeit etwa 900 Personen. Mit dem Projektbereich, in dem im Gegensatz zum sonstigen, auf Kontinuität ausgerichteten Musikunterricht zeitlich begrenzte Kurse und Workshops angeboten werden, öffnet sich die Musikschule neuen Zielgruppen und trägt einem veränderten Freizeitverhalten Rechnung.

68 Ensembles mit 1.500 Personen

Zugleich setzt die Westfälische Schule für Musik auf lebenslanges Lernen und kreative Selbsterfahrung bis ins hohe Alter, insbesondere durch Chöre und musikgeragogische Angebote.

Einen besonderen Schwerpunkt setzt die Westfälische Schule für Musik auf das Ensemblespiel: Rund 68 Ensembles mit einer Gesamtteilnehmerzahl von circa 1.500 Personen proben regelmäßig unter dem Dach der Musikschule, so zum Beispiel Jazzcombos und Nachwuchsbands, das Junge Streichorchester, diversen Kammermusik-Gruppen und Chöre ebenso wie die Spitzenensembles Westfälisches Jugendsinfonieorchester, das Salonorchester, das Barockorchester oder die Big Band.

Diese Ensembleangebote sind offen für alle Interessierten der Stadt, auch für Schüler:innen von Privat-Musikerzieher:innen oder kleinen Musikschulen, denen das gemeinsame und sinnstiftende Musizieren sonst nicht geboten werden kann. Wir verstehen unsere Ensemblearbeit als das herausragende und zentrale Element der städtischen Musikschule. Und dieses findet in kleiner Form in den Bezirken, hauptsächlich aber – und dies derzeit unter äußerst bedrängten Verhältnissen – in der Zentrale an der Himmelreichallee statt.

Mit Konzerten und Veranstaltungen wirkt die Westfälische Schule für Musik nicht nur künstlerisch in die Stadt hinein, sondern auch ins regionale Umfeld bis hin zu überregionalen Events und internationalen Konzerttourneen: Im Jubiläumsjahr 2019 konnten so über 60.000 Zuhörende und Konzertbesucher erreicht werden.

Die Westfälische Schule für Musik ist zudem Sitz der Regionalgeschäftsstelle „Jugend musiziert“ Münsterland mit der Stadt Münster, den Kreisen Steinfurt und Warendorf gemeinsam mit anderen NRW-Großstädten den Landeswettbewerb für NRW aus. Darüber hinaus organisiert und moderiert sie den renommierten „WDR3-Klassikpreis der Stadt Münster“, der als Sonderpreis von „Jugend musiziert“ jährlich vergeben wird. Als Kompetenzzentrum pflegt die Westfälische Schule für Musik eine regelmäßige Kooperation mit der Landesmusikakademie Heek.

Für eine sozial verträgliche Gebührenstaffelung gibt es mehrere Ermäßigungsoptionen, so zum Beispiel Familien- und Geschwisterermäßigungen, Sozial- und Begabtenstipendien. Diese wird derzeit von circa 1400 Schüler:innen in Anspruch genommen, 310 Schüler:innen nutzen zudem das Bildungs-und Teilhabepaket für ihren Musikschulunterricht.

Eigene Räume fehlen

Mit einem Gesamtetat von 4.935.000 Euro, bei Eigeneinnahmen von 1.986.000 Euro durch Gebühren und weiteren Landes- und Drittmittel in Höhe von 494.000 Euro und einem kommunalen Zuschuss von 2.455.000 Euro erwirtschaftet die städtische Musikschule einen Kostendeckungsgrad von 50,26 Prozent. Das ist für eine Musikschule von der Größe und Strahlkraft wie der Westfälischen Schule für Musik deutschlandweit ein äußerst respektables Ergebnis.

Der größte Ausgabenblock entsteht für das pädagogische (3.421.00 Euro) und Verwaltungspersonal (491.000 Euro) sowie Honorare der Freien Mitarbeitenden (709.000 Euro). Der Anteil gegebenen Unterrichtes liegt bei 80 Prozent durch festangestellte Kolleg:innen (89 Personen) zu 20 Prozent durch freie Mitarbeitende (77 Personen) – (Finanzzahlen des Jahres 2020).

Mit den e.V.-Musikschulen Münsters besteht eine konstruktive Zusammenarbeit in der so genannten „Steuerungsgruppe“ – hier wird über Programmatik, Qualitätssicherung und Nutzung von schulischen Räumlichkeiten beraten und seitens der Westfälischen Schule für Musik als Amt 44 Unterstützung in finanziellen oder prozessualen Anliegen gegeben.

Durch den – wie in vielen anderen Vereinen auch – bei den e.V.-Musikschulen anstehenden Generationenwechsel wird es über kurz oder lang zu größeren Veränderungen kommen, die dann auch von der Stadtpolitik verhandelt werden müssen – die Frage, Teil der städtischen Musikschule zu werden, wurde inzwischen nicht nur von einer der e.V.-Schulen an die Schulleitung herangetragen.

Gerade die hier drängenden Fragen nach fehlenden eigenen Räumlichkeiten, verlässlicher Raumnutzung in allgemeinbildenden Schulen auch an Wochenenden, in Ferien oder an variablen Ferientagen, die drohende leeren Vereinskassen besonders in Zeiten von Mitgliederschwund oder fehlenden Gebühreneinahmen wie zum Beispiel während der Corona-Zeit oder eine hohe Fluktuation bei den Honorarlehrkräften sorgen für strukturelle Probleme. Ausgabenseitig ist es bereits jetzt schon so, dass auch in der Verwaltung und für Raummieten Kosten anfallen – jede der e.V.-Musikschulen bezahlt ihre Geschäftsführer:innen.

Zukunftsprozess kurz vor dem Abschluss

Seit Herbst 2020 hat sich das Kollegium der Westfälischen Schule für Musik in einen umfangreichen Zukunftsprozess begeben. Dieser Prozess hat in verschiedenen Beteiligungsformaten stattgefunden und steht kurz vor dem Abschluss und der Ergebnisveröffentlichung.

Innerhalb des Kollegiums wurden 8 verschieden Arbeitsgruppen zu Themen wie Neue Unterrichtsformen, Digitalisierung, Inklusion und Teilhabe, Musikschule als sicherer Ort, kollegiale Zusammenarbeit, Verbesserung der Schulkooperationen und Kundenfreundlichkeit gebildet.

Flankiert wurde dieser innerschulische Prozess durch Kund:innen und Nicht-Kund:innen-Befragungen sowie einen Stakeholder-Workshop mit externen Expert:innen.

Im Ergebnis wurden besondere Handlungsbedarfe für die Zukunft der städtischen Musikschule herausgearbeitet:

  • Einführung inklusiver, binnendifferenzierter Unterrichtsansätze und neuer, team- und peergroup-orientierter Unterrichtsformen und -formate
  • Verbesserung der Sichtbarkeit der Westfälischen Schule für Musik als Marke „Haus der Musik“, Entwicklung einer „Corporate Identity“ für die Westfälische Schule für Musik, Verbesserung der Kommunikation nach innen und außen
  • Neuausrichtung der Schulkooperationen, auch hinsichtlich von Angeboten im Offenen Ganztag
  • Aufgrund der stark angestiegenen Schüler:innen-Zahlen Verbesserung der räumlichen, technischen und digitalen Ausstattung in der Zentrale (Musik-Campus) und in allen Unterrichtsorten in den Bezirken (besonders in Coerde – neues Bürgerzentrum am Hamannplatz, in der Oxford-Kaserne in Gievenbeck oder der York-Kaserne in Gremmendorf)
  • Schutzkonzept-Erarbeitung: Musikschule als sicherer Ort
  • Verstärkte Netzwerkarbeit
  • Fortbildung und Personalentwicklung im Wissen um unser Personal als unsere wichtigste „Ressource“

Kurze Beine, kurze Wege

Mit dem Musik-Campus Münster erhofft sich die Westfälische Schule für Musik neben den schon oft – und absolut auf Augenhöhe diskutierten – inhaltlichen Synergieeffekten mit den anderen Playern folgende Effekte:

Die dezentrale Verortung im gesamten Stadtgebiet nach dem Motto „kurze Beine, kurze Wege“ wird weiterbestehen.

Für das Zentralgebäude sollen mit dem Umzug auf einen Musik-Campus die für einen modernen Lehr- und Veranstaltungsbetrieb gravierenden Mängel behoben werden:

  • nicht barrierefrei (Konzertfoyers, Verwaltungs-, Lager- und Unterrichtsräume in den Etagen nicht mit Personen- oder Lastenaufzug ausgestattet)
  • unzureichende sanitäre Ausstattung (zu wenige Toiletten, nur im Keller eine Behindertentoilette, keine Wickelmöglichkeiten)
  • kleinkindgerechte Rückzugsorte fehlen
  • Unterrichtsräume und Foyers nicht getrennt voneinander nutzbar – akustische und räumliche Nutzungsbeeinträchtigungen
  • Fehlen eines Tonstudios, Orchesterprobensaals, Bandprobenraumes, Chorsaales, dadurch immer wieder Zeitverluste durch Transporte und Lagerschwierigkeiten von Equipment, Instrumenten, technischen Gerätschaften
  • kein Raum für digitale Tonproduktion und -bearbeitung geeignet
  • unzureichende Parkmöglichkeiten
  • Auflagen des Brandschutzes sind nicht erfüllt (Fluchtwegesituation bei Veranstaltungen, Aufenthaltsqualität in Fluren und Pausenbereichen)

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