Post von Leser:innen

Post von Leser:innen

von Fabian Schatz

Hans Gummersbach, früherer Leiter der Volkshochschule, des Schulamts und später des Handwerkskammer-Bildungszentrums, hat uns zur Debatte über den Musik-Campus geschrieben:

Jetzt steht wieder ein kulturpolitisches Thema auf der Agenda der Kommunalpolitik, das bereits in den vergangenen fünf (!) Jahren für erhebliche kontroverse Diskussionen in der Bürgerschaft unserer Stadt gesorgt hat.

Es geht um die wichtige Frage nach der zukünftigen Entwicklung von Kultur-Räumen und den kulturellen Infrastrukturen in unserer Stadt. Konkret geht es um die Frage, ob der Bau eines 300 Millionen Euro teuren sogenannten „Musik-Campus“ an der Hittorfstraße wirklich die richtige Entscheidung für die Zukunft Münsters ist.

Als Bürger dieser Stadt mit langjährigen, beruflichen und privaten Erfahrungen im kommunalen Kultur- und Bildungsbereich treibt mich die aktuelle Diskussion über den sogenannten „Musik-Campus“ in Münster weiter um. Ich begrüße sehr, dass die Fraktionen von SPD und Grünen kürzlich einen dezidierten Fragenkatalog in dieser Sache an den Oberbürgermeister geschickt haben, die nach über fünfjähriger Diskussion des Themas längst hätten beantwortet sein müssen. 

Neben diesen vor allem die finanzielle Seite der Projektidee „Musik-Campus“ betreffenden Fragen möchte ich einige aktuelle Anmerkungen, insbesondere zu den zentralen inhaltlichen Aspekten, machen.

Unter dem programmatischen Titel Kulturbauten der Zukunft fand in den zurückliegenden Wochen (Beginn: 11. November) eine mehrteilige, hochkarätig besetzte Digital-Lectures-Reihe statt. Initiiert hatten diese bemerkenswerte Veranstaltungsreihe einige bedeutende Kulturinstitutionen, die in ihrer aktuellen Debatte um Erweiterungen oder Neubauten ihrer Häuser neue inhaltliche Impulse suchen.

Zu den Initiatoren gehörten die Bayerische Staatsoper, die Deutsche Oper am Rhein, die Komische Oper Berlin, das Opernhaus Zürich, die Staatlichen Theater Stuttgart. Es referierten und diskutierten unter anderem namhafte Soziolog:innen, Stadtplaner:innen, Zukunftsforscher:innen, Kulturplaner:innen, Architekten:innen über zukünftige Bedarfe, über die Auswirkungen der vehementen Digitalisierung, über in den nächsten Jahrzehnten zu erwartende neue Rezeptionsformen von Musik und die damit verbundenen Änderungen der Programme.

Unausgereifte Idee eines Eldorados

Es ging in den Vorträgen um die Notwendigkeit neuartiger, kreativer Konzepte der Raumnutzung, um Standorte von öffentlichen Kulturbauten und insbesondere auch um neue Wege der Partizipation der Bürger:innen in unseren Städten.

Ich hatte Gelegenheit, an diesen Lectures teilzunehmen und komme zu der Erkenntnis, dass auch die hier vorgestellten Positionen international renommierter Fachleute aus den verschiedenen Fachdisziplinen mehr als deutlich machen, dass der in Münster seit über fünf Jahren ergebnislos geführte Diskurs über einen neuen Kulturort von Beginn an falsch eingestielt war.

Der Versuch, eine inhaltlich unausgereifte Idee eines Eldorados für Musikliebhaber:innen mit Hochglanz-Propaganda politisch durchzusetzen, darf heute nicht der Weg zu einer demokratischen Entscheidungsfindung sein.                      

Vor allem aber wurde durch die Fachreferent:innen der Vortagsreihe deutlich, dass das in Münster vorgelegte, monothematische „Musik-Campus“- Konzept, inhaltlich Schnee von gestern ist.

Dieses Konzept geht offensichtlich ohne die notwendige Weitsicht von der Fortführung des Status Quo heutiger Kulturbedarfe und Kulturrezeption aus. Dabei ist mehr als erkennbar, dass es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten erhebliche Veränderungen in unserer Gesellschaft und damit auch in der Kultur- und Bildungspolitik der Städte und Gemeinden geben wird.

Und das hat natürlich auch große Auswirkungen auf die Bedarfe an öffentlichen Kulturbauten. Schauen wir uns doch nur einmal die heutige Altersstruktur des Publikums in den klassischen Konzerten an. Ja, selbst beim renommierten Jazz-Festival, für die Liebhaber einer anderen Musiksparte, sind die 30- und 40-Jährigen kaum noch zu sehen. Was, wie und wo in den nächsten Jahrzehnten?

Weitsicht und Fantasie sind gefragt

Eine so weitreichende Entscheidung braucht in der Vorbereitung die jungen, ideenreichen, fantasievollen Konzeptentwickler und Planer, die die zu erwartenden gesellschaftlichen, politischen und kulturpolitischen Entwicklungen der nächsten zwei bis drei Jahrzehnte fest im Blick haben und in der Lage sind, über den Tellerrand zu schauen.

Der sicher auf den ersten Blick verständliche Wunsch nach idealen Arbeits- und Lernbedingungen für Musiker:innen und geeigneten Räumen für ein heutiges Musikpublikum, darf nicht die alleinige Basis für eine solche kulturpolitische Entscheidung sein. Es müssen auch andere fachkundige Meinungen, andere Kultur- und Bildungsinteressen und andere Kulturbedarfe der verschiedenen Milieus unserer Stadt in der vorbereiteten Debatte zur Sprache kommen. Das ist bis heute leider nicht geschehen.

Blickt man zurück auf die politische Vorgehensweise der letzten fünf Jahre, die begleitet war durch eine völlig einseitige Berichterstattung in der Lokalpresse, kann man nur zu dem Schluss kommen, dass es sich um den Versuch einer Überrumpelungstaktik handelt, eine Mehrheit im Rat der Stadt zur Durchsetzung einer Idee weniger Protagonisten zu bewegen.

Mit dem Titel „Ein Campus für die Musik. Und ganz Münster packt mit an“ ist eine der mit viel Aufwand vom städtischen Presseamt produzierten Broschüren überschrieben. Begriffe wie „Jahrhundertchance“, „Herausragendes, einmaliges Konzept“, „Begeisterung in der Fachwelt und in der Öffentlichkeit“ tauchen in Pressepublikationen permanent auf.

Der Oberbürgermeister schreibt am 29. Juli 2020 auf Facebook: „Im Jahr 2019 sprach sich die Politik für das Konzept Musik-Campus aus (…). Im Jahr 2020 geht es an die Umsetzung, unter anderem wird es eine Aufgabe sein, so viele Fördergelder wie möglich für dieses bundesweit einmalige Leuchtturmprojekt zu gewinnen, mit dem Münster in die Champions League der Musikstandorte in Deutschland aufsteigt (…)“ 

Und dann holt die ehemalige Staatsministerin für Kultur, Monika Grütters, die Campus-Protagonisten vor wenigen Wochen auf den Boden der Tatsachen und auf die Ebene der Regionalliga zurück: Die Campus-Idee ist kein bundesweit bedeutendes Projekt und begründet deshalb auch keine Fördermittel vom Bund. Auch die derzeitige Landesregierung wird sich hüten, in der derzeitigen krisenbelasteten dramatischen Haushaltssituation der Länder, der Stadt Münster einen Zuschuss in dreistelliger Millionenhöhe für ein umstrittenes Kulturprojekt zu gewähren. Das wäre angesichts der aktuell angespannten Lage in vielen Städte und Gemeinden und anderen Investitionsbedarfen in Nordrhein-Westfalen eine Steilvorlage für die Oppositionsparteien.

Ein moderner Saal fehlt

Außer Frage steht, dass ein moderner Saal für Konzerte und andere Veranstaltungen inmitten unserer Stadt fehlt. Ein solcher Kulturort wäre ein wunderbarer neuer Anziehungspunkt in einem regionalen Oberzentrum. Zur Frage der herausragenden Bedeutung von Kulturorten in Innenstädten hat der Beitrag des Münsteraner  Kunsthistorikers Prof. Dr. Gerd Blum (in Münster Urban) eindrucksvoll Stellung bezogen.

Auch die Westfälische Schule für Musik braucht, trotz ihrer grundlegend dezentralen Angebotsstruktur, eine räumliche Ausstattung nach neuestem Standard an einem guten Standort. Der dafür meines Erachtens geeignetste Standort ist der bisherige an der Himmelreichallee. Hier wäre eine Sanierung und eine Erweiterung am alten Standort meines Erachtens die beste Lösung.

Die Musikhochschule, als Fachbereich 15 der Universität, hätte für seine wenige hundert Studierenden in den vergangenen fünf Jahren längst einen schönen Neubau mit den angekündigten Landesmitteln realisieren können. Wie schön wäre es, wenn alle kreativen Fächer in der Hochschullandschaft Münsters (die Kunstakademie Münster, die Münster School of Design, die Münster School of Architecture, die Musikpädagogik und die Musikhochschule Münster) einen gemeinsamen Standort auf dem Leonardo-Campus hätten.

Bei einem solchen hochschulplanerischen Modell wären die Synergien offensichtlich. Und bei einer solchen, separaten Lösung würde sich das traditionell harmonische Verhältnis zwischen Stadt und Universität um keinen Deut verändern.

Und auch die große städtische Weiterbildungseinrichtung (mit dem leider ziemlich altmodischen Namen „Volkshochschule“) braucht dringend Räume für die neuen Aufgaben einer „VHS 4.0“. Für neue Konzepte der politischen und kulturellen Weiterbildung, die dringend notwendige Medienbildung, die wichtige Integration von Menschen aus anderen Ländern, die Sprachenbildung, die Gesundheitsbildung.  

Welche Besucherzahlen sind realistisch?

Ein offener und neugieriger Blick über den Tellerrand hätte auch in Münster weitergeholfen: Die heute national und international aus sehr verschiedenen Blickwinkeln geführte Debatte über Kulturbauten der Zukunft macht nämlich schnell deutlich: Konzertsaal plus Orchester-Proberäume plus Räume für Musikunterricht? Solche monothematischen Konzeptionen sind viel zu kurz gesprungen und werden in den nächsten Jahrzehnten nicht mehr gebraucht. 

Man muss sich doch nur die Frage stellen, wie die alltäglichen Besucherfrequenzen in einem „Musik-Campus“ an der Hittorfstraße realistisch aussehen würden? Ein paar Dutzend Studierende des Fachbereichs 15 morgens und nachmittags, ein paar Dutzend Kinder und Jugendliche am Nachmittag (die meisten lernen ihre Instrumente ohnehin in den Stadtteilen), ein paar Konzerte pro Monat, sicher sehr wenige mit 1.200 verkauften Plätzen.

Da wird auch die mit Blick auf das Grünen-Klientel umworbene „Freie Szene“ nichts auf die Waagschale bringen. Das angebliche Interesse der „Freien Szene“ am „Musik-Campus“ befindet sich ohnehin lediglich im Land der Träume. Und dann sollen noch einige Fachtagungen der Uni pro Jahr stattfinden, die der kommunal finanzierten Halle Münsterland heftig Konkurrenz machen?

Das sind doch nicht die Besucherfrequenzen, die einen lebendigen Kultur- und Begegnungsort ausmachen. Hier muss von morgens früh bis zum späten Abend sieben Tage in der Woche urbanes Leben sichtbar sein.

Wir werden in Zukunft mehr denn je öffentliche Räume und Konzepte für kulturelle Teilhabe aller Altersgruppen und Milieus, für Bildung, Information, Debatten und Bürgerengagement brauchen, die sich die Revitalisierung der Demokratie zur zentralen Aufgabe gemacht haben.

Diese Aufgabe kann ein „Musik-Campus“-Konzept an der Hittorfstraße nicht ansatzweise erfüllen.

Die Vielfalt der Kultur- und Bildungsinteressen der Menschen in unseren Städten bedeutet eine Vielfalt der Angebote. Das führt, angesichts der sich immer wieder rasch verändernden Bedarfe, zu neuen Schlüsselworten bei der Planung kommunaler Kultur- und Bildungspolitik. Und diese neuen Schlüsselbegriffe gelten besonders auch für Kulturbauten der Zukunft: Niederschwelligkeit, offener Begegnungsorte für alle Altersgruppen und sozialen Milieus, hohe Aufenthaltsqualität, Multifunktionalität von Räumen, zentrale Standorte mit guter Erreichbarkeit.

Resümee und Prognose

Konzept und Standort eines „Musik-Campus“ sind der falsche Weg. Eine Realisierung würde Münster spätestens mittelfristig kulturpolitisch ins Abseits bringen. Weitere Synergien zwischen den beteiligten Institutionen würden sich im Alltag nicht einstellen, die komplizierte Träger- und Betreiberstruktur zwischen Land und Kommune wird sich als konfliktreich und unökonomisch herausstellen. Die angesichts eines neuen, großen Kulturbaus anfänglich sicher zu erwartende Euphorie der heutigen Musikfreunde würde in wenigen Jahren abebben.

Und bei all dieser inhaltlichen Kritik sind die für die Kommunalpolitik zentralen Fragen der Finanzierbarkeit, heute und vor allem in den Folgejahren, überhaupt noch nicht angesprochen. Vielleicht beantwortet die Stadtspitze ja die von SPD und Grünen diesbezüglich gestellten Fragen konkret und zufriedenstellend? Ich habe Zweifel.

Die Bürgerinnen und Bürger Münsters haben eine bessere und zukunftsweisendere Lösung verdient.

Mein Wunsch ist, dass das Kapitel „Musik-Campus an der Hittorfstraße“ schnell geschlossen wird. Und dass die Debatte über einen dringend notwendigen neuen Ort für Musik, Bildung, Begegnung und Kultur in unserer Stadt fair, offen, fachkompetent, von außen angeregt, auch von jungen Planer:innen begleitet, mit aktiver Beteiligung interessierter Bürger:innen, neu eröffnet wird.

Bitte melden Sie sich an, um zu kommentieren.
Anmelden oder registrieren