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Storch bringt Probleme – Zoo sucht Lösungen | Gesundheitsstudie: Verzerren Gebildete das Bild? | Dieks Wurstbrathalle
Guten Tag,
wenn man ein Problem lösen möchte, dann geht man am besten nach einem einfachen Schema vor: Man identifiziert das Problem, sucht nach einer geeigneten Lösung und setzt sie im Idealfall um.
Das klingt wunderbar simpel. Aber leider ist es das nicht immer. Im Zoo zum Beispiel ist vor einem Monat ein Storch gestorben, der sich auf dem Geiergehege in den Maschen verfangen hatte. Das ist jetzt erneut passiert. Und es kann sein, dass man so etwas bald wieder hören wird.
In einer Stellungnahme, die der Zoo gestern auf seine Facebookseite gestellt hat, weil in den vergangenen Tagen auch noch ein Faultier in der neuen Tropenhalle verendet ist, wahrscheinlich an der Hitze, schreibt der Zoo, man suche „händeringend nach einer Lösung“ für die Störche. Aber wie die aussehen könnte, steht dort nicht. Und wenn man im Zoo anruft, sagt Sprecher Jan Ruch: „Das ist ja das Problem. Es gibt bis jetzt noch keine denkbaren Lösungen.“
Die Störche auf dem Geiergehege hat der Zoo dort nicht selbst angesiedelt. Sie haben sich den Platz selbst ausgesucht. Als das Gehege im Jahr 1974 gebaut wurde, gab es das Problem noch nicht. Damals habe man im gesamten Münsterland von einem einzigen brütenden Storchenpaar gewusst, schreibt der Zoo in seiner Erklärung. Zuletzt wuchs die Population sehr schnell. Im vergangenen Jahr habe man im Zoo 39 Horste gezählt, in diesem Jahr 51.
Gleichzeitig werde es in den Nestern immer enger. Im Schnitt säßen dort normalerweise zwei oder drei Störche, nun aber seien es teilweise vier oder fünf. Und wenn der Platz in den Nestern oder das Futter knapp werde, könne es laut Fachleuten passieren, dass die Eltern schwache Jungtiere einfach rauswerfen, bevor sie flügge werden, oder der Nachwuchs sich gegenseitig aus dem Nest drängt. Dann stürzen die Tiere herunter, verletzen sich, oder sie bleiben, wie in diesem Fall, irgendwo in den Maschen hängen.
Viele Vorschläge, keiner möglich
So entsteht ein kompliziertes Problem, denn auch eine Etage tiefer, im Gänsegeiergehege, sitzt in den Nestern der Nachwuchs. Und wenn der in Panik gerate, zum Beispiel, weil irgendwer versucht, die Störche zu retten, könne es passieren, dass die jungen Geier panisch in die Tiefe springen. Das habe man im vergangenen Jahr in einem Fall genau so erlebt. Der Zoo steht vor einem Dilemma. Und für die seltenen Geier aus dem eigenen Bestand, die in Bulgarien ausgewildert werden sollen, fühlt er sich etwas mehr verantwortlich als für die wild lebenden Störche. Im Statement heißt es: „Die Population brütender Geier in ganz Bulgarien ist kleiner als allein die Anzahl der brütenden Störche nur im Allwetterzoo.“
Wie könnte man das lösen? Man könnte ein Netz mit engeren Maschen über das Gehege legen. Aber das würde die Statik nicht mitmachen, sagt Jan Ruch. Wenn es schneit, könnte die Voliere unter der Schneelast zusammenbrechen. Und Netze, die verhindern, dass die Geier in die Tiefe springen? Auch nicht möglich, sagt Ruch.
Aber was wäre möglich? Man könnte die Nester abräumen und sogenannte Abweiser auf das Gehege setzen. Sie würden verhindern, dass Störche sich oben auf der Voliere ansiedeln. Doch auch diese Lösung wäre laut Zoo nicht von Dauer. „Das geht ein Jahr lang gut, dann überlegen die Tiere sich etwas Neues“, sagt Ruch. Welche Möglichkeit gäbe es sonst noch? Ein neues Geiergehege. Aber das würde Jahre dauern, und irgendwer müsste es bezahlen.
Das ist das Problem mit den Störchen. Und dann ist da noch das mit dem Faultier. Hier ist die Ursache eine ganz andere. Es ist wichtig, das zu erwähnen, denn vor allem in der reflexhaften Netzdebatte ist die Atmosphäre noch etwas hitziger als vor zwei Wochen im neuen Tropenhaus.
Warum brauchte es das Video?
Der Zoo räumt in seinem Statement ein, den Zustand des Faultiers falsch eingeschätzt zu haben. Vor seinem Tod war es in der Tropenhalle dabei gefilmt worden, wie es seinen Kopf immer wieder in eine Schale mit Wasser tunkte. In einem Tiktok-Video der „Taubenfreunde Münster“, in dem diese Szene zu sehen ist, heißt es, Menschen hätten das Zoopersonal darauf aufmerksam gemacht. Aber den Leuten sei gesagt worden, man könne nichts machen, es sei Sonntag. Außerdem gehe es dem Tier gut.
Der Zoo schreibt, das Video habe dem Team zur Beurteilung der Situation nicht vorgelegen. Nur: Wäre das überhaupt nötig gewesen? Hätte man sich das Tier nicht auch vor Ort ansehen können? Hätte das bei der Hitze nicht ohnehin passieren müssen? In dem Video sieht es aus, als könnten auch Menschen ohne tiefes Fachwissen erkennen, dass es dem Faultier nicht gut geht.
Ganz offensichtlich ist hier etwas versäumt worden. Der Zoo schreibt, man habe die Klimaanlage erst später eingeschaltet, aus heutiger Sicht habe man die Temperaturentwicklung falsch eingeschätzt. In der Stellungnahme heißt es: „Wir geben alles, um solch einen Vorfall nie wieder erleben zu müssen.“
Beide Fälle wären nicht auf diese Weise öffentlich geworden, wenn Menschen nicht genau hingeschaut hätten – und wenn die „Taubenfreunde Münster“ das Material nicht verbreitet hätten. Aber der Fall macht auch deutlich, was hier in Zukunft noch besser laufen könnte. Die „Taubenfreunde Münster“ tun die Erklärung des Zoos als „Ausrede“ ab. Im Video ist zu lesen: „Erneut massive Tierquälerei im Allwetterzoo Münster“.
Und dazu muss man sagen: Pauschale Verurteilungen sind hilfreich, wenn es darum geht, etwas im Netz möglichst wirkungsvoll zu verbreiten. Das sieht man in den Kommentaren. Dort entladen sich die Emotionen. Eine Nutzerin schreibt: „Macht einen einfach nur wütend und sprachlos.“ Eine andere: „Ohne Worte“. So heizt das Video die Empörung an. Aber das ist auch schon alles.
Interessant wäre, zu erfahren, warum die Erklärung des Zoos nach Einschätzung der Gruppe nur eine Ausrede ist. Was daran ist falsch? Was könnte der Zoo besser machen? Wie könnte er das Problem mit dem Geiergehege lösen? Geht es hier wirklich um Tierschutz? Dann wäre es sinnvoll, wenn Menschen, die sich damit auskennen, konstruktive Vorschläge machen, um die Situation der Tiere zu verbessern. Andernfalls bleibt der Eindruck zurück, dass die toten Tiere nebenbei auch ganz nützlich sind, um den Zoo effektvoll zu verunglimpfen. (rhe)
+++ Alle Kreispolizeibehörden in Nordrhein-Westfalen bekommen ab 1. September Verstärkung. Das hat das Innenministerium mitgeteilt. Insgesamt 480 neue Stellen werden dann besetzt. Innenminister Herbert Reul setzt sich seit seinem Amtsantritt 2017 für mehr Personal bei der Polizei ein, seit einigen Jahren werden kontinuierlich mehr Stellen in NRW geschaffen. Wie viel Zuwachs das Polizeipräsidium Münster erhält und wo das neue Personal dann eingesetzt wird, konnte eine Sprecherin noch nicht mitteilen. (sst)
+++ Für Jugendverbände sieht es in Münster gerade nicht so gut aus, teilt der Stadtjugendring auf Instagram mit. Konkret fehlten ihnen Räume, viele sind auf die Gutmütigkeit von etwa Erwachsenenverbänden oder Kirchengemeinden angewiesen. Am Telefon nennt die Vorsitzende Saskia Tietz einige Beispiele: Bei der Arbeiter-Samariter-Jugend fallen Gruppenstunden ganz aus, sagt sie, weil es bisher keinen Ersatz gibt für den Raum, der während der Pandemie weggefallen ist. Die Falken kommen zurzeit am Gasometer unter, müssen dort jedoch raus, wenn das an einen Investor weitergegeben wird. Die Sportjugend darf zwar einen Konferenzraum des Stadtsportbundes für ihre Jugendarbeit nutzen. „Der sieht aber auch nach Konferenzraum aus“, sagt Thomas Lammers, ebenfalls im Stadtjugendring. Und außerdem gilt: Wenn die Erwachsenen den Raum brauchen, müssen die Jugendlichen weichen. Der Stadtjugendring selbst hat übrigens auch keine Räume. Spätestens, wenn die neue Geschäftsführung ihren Job antritt, bräuchte er die aber eigentlich. Die perfekte Lösung wäre für Saskia Tietz ein Haus, in dem viele Verbände ihr Programm anbieten. Inklusive der Geschäftsstelle des Stadtjugendrings, natürlich. Saskia Tietz hält hier kommunale Unterstützung für notwendig. „Die Jugendverbände haben einen gesellschaftlichen Nutzen und die Arbeit dort wird meistens ehrenamtlich geleistet.“ (sst)
+++ Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass rund um das Uniklinikum sehr viele Menschen Leih-E-Scooter benutzen? Zumindest der Geräuschkulisse nach zu urteilen, hat uns ein Anwohner geschrieben. Wenn man dann mal auf die Straße schaue, stelle man allerdings fest: Da stehen gar keine Roller rum. Stattdessen hocken Singvögel in der Nähe, die täuschend echt die Tonsignale der Roller nachahmen. Für Hans-Uwe Schütz aus der Biologischen Station sind das keine Neuigkeiten. Dort hätten sich auch schon Leute gemeldet, die vermehrt Rollergesänge wahrgenommen haben, und zwar in Rumphorst und am Hörster Friedhof. Er vermutet, dass Singdrosseln, Stare oder Nachtigallen hinter dem Vogelkonzert stecken. „Vögel wollen ihren Gesang besonders erklingen lassen“, sagt er und mutmaßt, dass das bei der Partnersuche hilfreich sein könnte. Jungvögel nähmen herausstechende Geräusche schon im Nest wahr und bauten sie dann später in die Strophen ihrer Gesänge ein. Dabei sind E-Scooter übrigens nicht das Ende der Fahnenstange. Falls Sie hören wollen, wie der Prachtleierschwanz eine Kettensäge samt umfallenden Baum imitiert, bitte hier entlang. (sst)
Grüße aus dem Urlaub
Thomas Lins schickt uns Grüße vom Schloss Tirol, von dem aus er ein tolles Panorama des gleichnamigen Dorfes fotografiert hat. Haben Sie auch ein paar Fotos, die ganz nach Fernweh aussehen? Dann schicken Sie die gerne an redaktion@rums.ms.
Die NAKO-Gesundheitsstudie: Wer wird in Münster eigentlich untersucht?
RUMS-Leser Friedhelm Gerhard hat sich bei uns gemeldet. Er nimmt an der NAKO-Gesundheitsstudie teil, einer langfristigen Bevölkerungsstudie zu häufigen Erkrankungen. Doch er hat Zweifel an der Zusammenstellung der Proband:innen. Gerhard glaubt: Untersucht wird nicht „die Bevölkerung“, sondern überproportional viele Menschen mit höherem Einkommen und höheren Bildungsabschlüssen.
Falls Sie mit dem Namen NAKO (kurz für „Nationale Kohorte“) gerade nichts anfangen können, sind Sie in guter Gesellschaft. Das Forschungsvorhaben fliegt in der öffentlichen Wahrnehmung sehr unter dem Radar. Dabei ist es eine große Sache: 200.000 Menschen an 18 Studienorten in ganz Deutschland werden alle paar Jahre umfassend untersucht und befragt, über einen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren. Allein bis 2028 wollen Bund, Länder und die Helmholtz-Gemeinschaft dafür bis zu 383 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Die Studie soll, grob vereinfacht, herausfinden, warum manche Menschen zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes bekommen und andere nicht.
Einer der Studienorte ist Münster. 10.000 Menschen nehmen hier an der Studie teil. Und einer von ihnen ist eben Friedhelm Gerhard. Was ist dran an seiner Vermutung? Kommen Menschen mit wenig Geld und niedrigerem Bildungsgrad tatsächlich zu wenig in der NAKO-Studie vor? Werden also die gesundheitlichen Folgen sozialer Faktoren zu wenig berücksichtigt? Constanze Busch hat Antworten gesucht.
Mehrere Stunden Untersuchungen, „die wissen nachher ziemlich viel“
Eine NAKO-Untersuchung dauert mehrere Stunden. Friedhelm Gerhard war dafür schon zweimal im Studienzentrum am Pottkamp. In einer E-Mail an RUMS beschreibt er die Untersuchungen als „nervig“, in einem Telefonat als teilweise unangenehm, vor allem die Gedächtnis- und Konzentrationstests. Dazu kommen körperliche Untersuchungen wie etwa ein Lungenfunktionstest, und die Proband:innen sollen am Computer Fragen zu ihrem seelischen Zustand, ihrem Einkommen und anderen Themen beantworten. „Die wissen nachher ziemlich viel“, sagt Friedhelm Gerhard uns am Telefon.
Seine Motivation, bei all dem mitzumachen, beschreibt er so: „Ich wollte die erklärte Absicht der Studie, die soziale Bedingtheit von Volkskrankheiten zu erforschen, unterstützen.“ Dass es einen Zusammenhang zwischen ökonomischer Lage und Gesundheit gebe, wisse man ja intuitiv. Aber es sei doch sinnvoll, das noch einmal wissenschaftlich zu untersuchen. Deshalb entschied er sich, NAKO-Proband zu werden. Ein altruistisches Vorhaben – Gerhard beschreibt sich selbst in seiner E-Mail als Teil „der ‚Mittelschichtsblase‘ von sozial engagierten Menschen mit Abitur“.
Aus denselben Gründen wie Friedhelm Gerhard nehmen auch einige seiner Freund:innen an der NAKO-Studie teil. Wie er haben sie höhere Bildungsabschlüsse, engagieren sich ehrenamtlich und interessieren sich für soziale Themen. Menschen aus seinem Umfeld, die in nicht-akademischen Berufen arbeiten oder eine Migrationsvorgeschichte haben, haben von der NAKO-Studie dagegen noch nie etwas gehört. Ist das ein Zufall?
Gerhard wendet sich an Klaus Berger, der das NAKO-Studienzentrum in Münster leitet. Der Professor und Direktor des Institutes für Epidemiologie und Sozialmedizin antwortet ausführlich. Friedhelm Gerhard fasst diese Antwort RUMS gegenüber so zusammen: Der Schriftverkehr habe seine Vermutung bestätigt, nicht „das Volk“ nehme an der Studie teil, „sondern Münsters akademische Mittelschicht“. Er kritisiert, dass das so nicht kommuniziert werde. Beschreibungen der Studie klängen so, „als sei das repräsentativ“. Und warum man sich denn bei einem so großen Vorhaben nicht mehr Mühe gegeben habe, um mehr Menschen aus weniger privilegierten Gruppen für die Studie zu gewinnen?
Das Wort „repräsentativ“ ist offenbar ein Problem
Wir haben für diese Recherche ebenfalls mit Klaus Berger gesprochen. In dem Telefonat wird klar: Das Wort „repräsentativ“ ist in dieser Geschichte ein großes Problem.
Sind Menschen mit wenig Geld und zum Beispiel ohne Abitur in Münster in der Studie unterrepräsentiert? Klaus Berger antwortet, das sei eine typische Frage von Leuten, die nicht viel Erfahrung mit solchen Studien hätten. Alle bevölkerungsbasierten Studien bräuchten Menschen, die zum Mitmachen bereit sind. Und das seien im Schnitt eher Menschen mit höherer Bildung. Mit dem Problem müsse die Epidemiologie seit Jahrzehnten arbeiten.
Allerdings würden der Schulabschluss und das ungefähre Haushaltsnettoeinkommen ja bei allen Proband:innen mit erhoben, ebenso wie eventuelle Belastungen durch Lärm, Staub oder Nachtschichten am Arbeitsplatz. Bei allen Analysen zu Erkrankungen würden also mögliche soziale Risikofaktoren einfließen.
Dennoch: Hätte man gegen die statistische Verzerrung denn nichts tun können? Klaus Berger sagt, das sei nicht möglich. Das Auswahlverfahren laufe über das Einwohnermeldeamt, auch weil andere Zugangswege aus Datenschutzgründen schwierig seien. Die Kriterien seien Alter und Geschlecht gewesen: In Fünf-Jahres-Altersgruppen der 20- bis 69-Jährigen sollen Frauen und Männer jeweils gleich häufig vorkommen. Also würden im Einwohnermeldeamt zum Beispiel aus der Gruppe „Männer im Alter zwischen 40 und 44“ nach dem Zufallsprinzip mögliche Probanden aus der Kartei gezogen. Der Bildungsabschluss, der Wohnort und ähnliche soziale Faktoren seien einfach keine Auswahlkriterien – aber eben im Laufe der Studie Teil der Erhebung, sodass durchaus Rückschlüsse möglich seien.
Ist die Gruppe repräsentativ? Nein, sagt Klaus Berger. Ja, sagt die NAKO
Die Probandengruppe in Münster ist also nicht repräsentativ für die Stadtbevölkerung? Nein, sagt Klaus Berger. Und das Wort „repräsentativ“ solle am besten gleich weg, weil es Missverständnisse produziere. Die Kohorte sei bei einer solchen Studie „immer nur ein Teil der Zielbevölkerung“. Und „repräsentativ“ müsse man ja auch erst einmal definieren – repräsentativ in Bezug auf welche Merkmale? Wenn wirklich alle vertreten sein sollten, müssten alle mitmachen. Wie man in der Epidemiologie mit Verzerrungen umgehe, dazu gebe es ganze Bücher. Man könne zum Beispiel darauf achten, ob Teilnehmer:innen vor allem aus bestimmten Stadtteilen kommen, und diese dann unterschiedlich gewichten. Oder die Sterblichkeitsraten von Proband:innen und Menschen außerhalb der Studie vergleichen.
In seinem Brief an Friedhelm Gerhard schreibt Klaus Berger, der Begriff „repräsentativ“ werde in Medienberichten über solche großen Studien gerne verwendet. Das mag stimmen. Aber das liegt sicher auch daran, dass der NAKO-Verein, der die Studie leitet, das selbst so formuliert. In einer Broschüre für Teilnehmer:innen ist zum Beispiel von einer „repräsentativen Auswahl von Menschen“ die Rede. Die Pressestelle des NAKO-Vereins zitiert in einer Antwort auf eine RUMS-Anfrage den NAKO-Vorsitzenden Henry Völzke: „Aufgrund des Designs ist die NAKO Gesundheitsstudie zwar nicht repräsentativ für die gesamte deutsche Bevölkerung, wohl aber – nach Erstellung sogenannter statistischer Gewichtungen – für die 18 Studienregionen.“
Ärmere Menschen sterben früher
Das Ganze ist also auch ein Kommunikationsproblem.
Und deshalb kommen jetzt noch einmal möglichst klare Antworten auf unsere Ausgangsfragen. Ja, es gibt eine Verzerrung in der Zusammensetzung der Probandengruppe. Aber das bedeutet nicht, dass die gesundheitlichen Folgen von sozialen Faktoren in der NAKO-Studie keine Rolle spielen. Sie stehen nur eben nicht allein im Fokus, sondern sie sind – neben Geschlecht, Alter, Umweltbedingungen und Gewohnheiten wie Bewegung oder Rauchen – eines von mehreren Forschungsinteressen.
Weil wir bei RUMS sehr serviceorientiert arbeiten, haben wir versucht, gleich noch ein paar mehr Antworten zu finden. Zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Einkommen, Wohnumgebung und Beruf gibt es ja bereits Forschung. Sicher lohnt es sich, dazu noch mehr herauszufinden – aber was ist grundsätzlich schon über die Zusammenhänge bekannt?
Wir fragen das Robert-Koch-Institut (RKI). Die Pressesprecherin schreibt, sie könne aus Zeitgründen nicht den Forschungsstand für uns zusammentragen. Aber sie schickt einen Link zu einer Webseite des RKI. Unter der Überschrift „Sozialer Status“ steht dort gleich im ersten Satz: „Der Einfluss des sozialen Status auf die Gesundheit und Lebenserwartung wird durch epidemiologische Studien regelmäßig bestätigt.“
So steht es auch in diesem Papier, das das RKI schon im Jahr 2010 veröffentlicht hat. Die Autor:innen beschreiben, dass Menschen mit niedrigem Einkommen im Schnitt einige Jahre früher sterben, häufiger an Diabetes erkranken oder einen Herzinfarkt erleiden. Der letzte Punkt in der Zusammenfassung: „Der Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheit hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht verringert.“
Wer kann etwas gegen die gesundheitliche Ungleichheit tun?
Soweit wir recherchieren konnten, stimmt dieser Satz leider heute noch. Der SWR hat sich noch im Mai in dieser sehenswerten Dokumentation mit dem Thema befasst. Der Film erklärt das Problem anhand persönlicher Geschichten, stellt aber auch mögliche Lösungen vor. Es wäre zum Beispiel die Politik gefragt: Ein Präventionsforscher fordert im Film, gesunde Lebensmittel wie Obst und Gemüse von der Mehrwertsteuer zu befreien. Auch Gesundheitszentren in den Stadtvierteln könnten hilfreich sein: Menschen können sich dort niedrigschwellig informieren und sich behandeln lassen. Und sie bekommen Unterstützung, wenn sie in einer belastenden Situation stecken, die schlecht für die Gesundheit ist oder auch verhindert, dass sie sich allein medizinische Hilfe suchen können.
Zum Schluss noch ein Ausblick: In Münster startet bald das Projekt „Community-Forschung für Berg Fidel“. Die Geografinnen Iris Dzudzek und Lisa Kamphaus und die Community-Forscherin Natividad Abaga Ayecaba wollen gemeinsam mit Menschen aus dem Stadtteil herausfinden: Welche gesundheitsrelevanten Probleme gibt es in Berg Fidel und welche Lösungen würden den Anwohner:innen wirklich helfen? Vielleicht gibt es also demnächst neue und ganz praktische Ideen direkt aus Münster. (cbu)
+++ Erlangen macht ab Januar als zweite deutsche Großstadt nach Augsburg Bus- und Bahnfahren kostenlos. Das Modellprojekt ist auf drei Jahre befristet und kostet die Stadt laut Sprecher im Jahr etwa 300.000 Euro. Die Stadt finanziert das aus Haushaltsmitteln, teilt er weiter mit. Gleichzeitig setzt sie ein Parkraumkonzept um. Das Ziel: Autos sollen verstärkt auf Parkplätzen und in Parkhäusern am Rand der Innenstadt stehen, die Parkplätze in der Innenstadt werden mehr kosten. Im fast dreimal so großen Münster wäre das etwas teurer. Doch es gibt auch Beispiele für größere Städte, in denen Menschen für den öffentlichen Personennahverkehr keine Tickets kaufen müssen. Vorreiter ist laut der Tageszeitung „taz“ die estnische Hauptstadt Tallinn, in der knapp 430.000 Menschen leben. Dort ist Bus- und Bahnfahren seit zehn Jahren für Menschen, die dort leben, kostenlos. In Luxemburg, Heimat von 640.000 Menschen, gibt es seit drei Jahren keine Bus- und Bahntickets mehr. (rhe/sst)
+++ Der fünfte Aktionsplan zur Europäischen Charta für Gleichstellung ist auf dem Weg, teilt das Amt für Gleichstellung in seinem Newsletter mit. Das Thema dieses Mal lautet „Klima- und Gendergerechtigkeit“. Der Ansatz: Die Pläne zur Klimaneutralität bis 2030 sollen auch aus der Geschlechterperspektive betrachtet werden. (sst)
+++ Im Aasee haben sich in den vergangenen Wochen viele Grün- und Blaualgen gebildet. Deswegen wird der See nun engmaschiger bewacht und belüftet. Grundsätzlich gehe es dem See aber ganz gut, teilt das Kommunikationsamt der Stadt mit, auch der Sauerstoffgehalt sei durchgängig ausreichend. Der Aasee reagiert besonders schnell auf Witterungseinflüsse, da er eine niedrige Tiefe und eine große Fläche hat. Deswegen gibt es seit vergangenem Frühjahr ein Handlungskonzept, das den See stabilisieren soll. Falls Sie sich dafür interessieren, melden Sie sich doch für eine Informationstour am 14. August an. Sie findet abends auf einem solarbetriebenen Schiff statt und dauert etwa eine Stunde. Dabei erzählt Daniel Berger vom Umweltamt etwas über die Maßnahmen. Anmelden können Sie sich bei ihm unter bergerd@stadt-muenster.de. (sst)
+++ Für rund 700 Haushalte in Mecklenbeck fallen Heizung und Warmwasser am Mittwoch zwischen 5 und 18 Uhr aus, weil Netzpumpen der Fernwärmeversorgung erneuert werden. (Stadtnetze Münster)
+++ Das Oberverwaltungsgericht hat einen Baustopp für den Hafenmarkt abgelehnt. (Westfälische Nachrichten)
+++ Die Stadt erneuert während der Sommerferien Fenster und den Außenanstrich an Grundschulen. (Stadt Münster)
+++ Die Stadtverwaltung ist ganz entspannt, obwohl Autofahrer:innen am Alten Fischmarkt widerrechtlich fahren und parken. (Westfälische Nachrichten)
+++ Die Stadt vermarktet neben dem Stadtteilzentrum Kinderhaus am Idenbrockplatz drei Grundstücke für den Bau von Mehrfamilienhäusern. (Stadt Münster)
+++ Der Hotel- und Gaststättenverband Münster schlägt vor, Jugendliche ab 14 Jahren als Aushilfen einzustellen, um dem Personalmangel entgegenzuwirken. (Antenne Münster)
+++ Im Münsterland und der Emscher-Lippe-Region haben laut einer IHK-Umfrage sieben Kommunen die Gewerbesteuerhebesätze erhöht, drei haben sie gesenkt und in Münster hat sich nichts geändert. (Pressemitteilung IHK Nord Westfalen, eine Tabelle der „Realsteuerhebesätze 2007 bis 2023“ ist hier zu finden)
+++ Eine mehr als 100 Jahre verschollene Gedenkplatte der Lambertikirche ist in einem Privathaus wieder aufgetaucht und wird jetzt versteigert. (Westfälische Nachrichten)
+++ Ab dem 31. Juli wird der Aussichtsturm in den Rieselfeldern für einige Zeit wegen Sanierungsarbeiten gesperrt. (Pressemitteilung der Biologischen Station; nicht online)
+++ Die Polizei sucht nach Zeug:innen, die am Samstagvormittag gegen halb elf etwas von einem Unfall auf der Görlitzer Straße mitbekommen haben, bei der eine Radfahrerin verletzt wurde. (Polizei Münster)
Anonymer Briefkasten
Haben Sie eine Information für uns, von der Sie denken, sie sollte öffentlich werden? Und möchten Sie, dass sich nicht zurückverfolgen lässt, woher die Information stammt? Dann nutzen Sie unseren anonymen Briefkasten. Sie können uns über diesen Weg auch anonym Fotos oder Dokumente schicken.
Seit ich eine Zeit lang in Maastricht gegenüber einer Frittenbude gewohnt habe, esse ich für mein Leben gerne Pommes. In Münster habe ich lange nach einem Imbiss gesucht, der ans niederländische Frittenideal herankommt. Den habe ich jetzt ganz in der Nähe des Doms mit Dieks Wurstbrathalle gefunden. Der Laden am Geisbergweg frittiert die Kartoffelstäbchen in Erdnussöl, was das kartoffelige Aroma der Pommes besser herauskitzelt als anderes Fett. Dazu reicht Dieks Wurstbrathalle Ketchup, Mayonnaise, Joppie-Sauce und natürlich Curry- und Bratwurst, die auch als vegane Variante auf den Grill kommen. Für ausgefallenere Wurst-Pommes-Kreationen schauen Sie doch mal hier nach.
Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!
Elija Winter hat geschaut, womit Sie sich in den kommenden Tagen die Zeit vertreiben können:
+++ „Alles gut“, heißt es gerade in der Kneipe F24 an der Frauenstraße. Dort stellt Tina Brackmann ihre schwarz-weißen Silhouettenbilder aus. Die Kombination aus Fotografie und Malerei erinnert an Werke des Künstlers Banksy. Das F24 ist außer sonntags täglich von 12 bis 1 Uhr nachts geöffnet.
+++ Von Mittwoch bis zum 13. August, können Sie es sich im Sommernachtskino am Schlossplatz gemütlich machen. Das Filmprogramm besteht aus Aktuellem und Altbekanntem. Beginn ist nach Einbruch der Dunkelheit, Einlass ab circa 20 Uhr. Der erste Film ist die französische Tragikomödie „Im Taxi mit Madeleine“ über eine Dame, die auf ihre alten Tage noch einmal ihre liebsten Orte in Paris abklappern möchte. Tickets kosten 12 Euro, ermäßigt 9,50 Euro.
Korrekturhinweis: Wir hatten geschrieben, Einlass sei ab 22 Uhr. Das war falsch. Wir haben das korrigiert.
+++ In der Stadthausgalerie, am Platz des Westfälischen Friedens, ist zurzeit die Ausstellung „Off the Pedestals“ (Weg von den Sockeln) zu sehen, die sich mit kolonialem Erbe und kolonialen Denkmälern beschäftigt, also mit Fragen, die sich auch in Münster stellen (RUMS-Brief). Die Ausstellung ist mit dem Kunstwerk „Toleranz durch Dialog” von Eduardo Chillida gegenüber im Rathausinnenhof verbunden, das sich mit den Verhandlungen des Westfälischen Friedens beschäftigt, und mit den Bänken im Schlosspark von Jenny Holzer, einem Skulptur-Projekt, das als Kommentar zur Grausamkeit des Kriegs zu verstehen ist. Und falls bei Ihnen gerade alles etwas knapp ist: Bis zum 27. August haben Sie noch Zeit.
+++ Die „Wonk Unit“ aus London spielt am Donnerstagabend in der Heilen Welt. Um 20 Uhr geht’s los. Und weil es Punk ist, ist natürlich alles selbst gemacht. Probehören kann man hier. Der Eintritt ist frei.
Am Freitag schreibt Ihnen Sebastian Fobbe. Ich wünsche Ihnen eine gute Woche.
Herzliche Grüße
Ralf Heimann
Mitarbeit: Sebastian Fobbe (sfo), Jan Große Nobis (jgn), Svenja Stühmeier (sst), Elija Winter (ewi)
Lektorat: Antonia Strotmann
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PS
Wenn man gezwungen ist, etwas aufzuschreiben, aber nicht möchte, dass es eindeutig zu verstehen ist, dann schreibt man es am besten in einer anderen Sprache. Wenn nun aber leider die Sprache festgelegt ist, muss man sich etwas überlegen. In unserer Sprache bietet sich zum Beispiel Amtsdeutsch an. Formulieren Sie alles im Passiv, dann bleibt immer unklar, wer etwas gemacht hat, machen muss oder am Ende verantwortlich ist („Maßnahmen wurden ergriffen“). Verwenden Sie viele Substantive (Nominalstil), dann klingt alles hochoffiziell, aber niemand versteht, was Sie meinen. Ein Beispiel: „Die Vornahme der Überprüfung der Einhaltung der Vorschriften ist obligatorisch.“ Das bedeutet schlicht: Sie müssen die Vorschriften einhalten. Amtsdeutsch ist ein nützliches Werkzeug, um Macht auszuüben und Verantwortung von sich zu schieben, aber was oft vergessen wird: Amtsdeutsch ist auch unglaublich witzig. Mein Freund Lorenz Meyer hat darüber ein kleines Büchlein geschrieben, das heute erscheint. Es heißt: „Sprechen Sie Beamtendeutsch?: Eine Übersetzungshilfe zum Mitraten“. Und wenn sie erst mal vorsichtig reinhören wollen, worum es da geht, heute Abend ab 20:10 Uhr ist Lorenz Meyer zu Gast bei Radioeins. (rhe)
PPS
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte in der Hitze Italiens eine zündende Idee: „Die Kirchen sollten in Hitzewellen als Kälteräume tagsüber offen sein und Schutz bieten“, dachte er laut oder, anders gesagt, twitterte er, wie unter anderem das Kirchenblatt „Kirche und Leben“ schreibt. Würden die unter der Hitze leidenden Menschen sich dorthin zurückziehen, täte das einerseits ihrem Kreislauf gut, andererseits aber möglicherweise auch den Kirchen, die sich in letzter Zeit ja vor allem damit beschäftigen müssen, dass viele Menschen in die andere Richtung wollen, nämlich aus den Kirchen heraus. An den Türen scheitert das im Münsterland jedenfalls weder in die eine noch in die andere Richtung. Münsters Dompropst Hans-Bernd Köppen sagt laut der Zeitung: „Unsere Kirchen im Bistum Münster sind eigentlich tagsüber immer geöffnet.“ Die Frage, für welches Haus in der Stadt man sich bei Hitze am besten entscheidet, hat die „Kirche und Leben“ vor einigen Jahren schon selbst beantwortet. Sie hat in Münster die „coolste Kirche“ gesucht und auch gefunden. Bei Temperaturen um die 30 Grad draußen war das St. Servatii. Dort maß das Thermometer drinnen christliche 20 Grad. (rhe)
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