Wie alles begann | Wie es weitergeht | Warum RUMS ab September Geld kostet

Porträt von Ralf Heimann
Mit Ralf Heimann

Liebe Leser:innen,

Anfang März saßen wir an einem Nachmittag mit dem RUMS-Team zusammen in einem Wohnzimmer im Südviertel, auf dem Tisch in der Mitte lag ein Smartphone, das wir auf laut gestellt hatten, weil die Verbindung der Videokonferenz abgebrochen war. Aus dem Telefon hörten wir die Stimme von Christian Humborg, der aus Münster kommt, jetzt in Berlin lebt und sich von dort zu unseren Treffen zuschaltete. Er ist Finanzchef von Wikimedia, dem Verein, dessen bekanntestes Projekt die freie Enzyklopädie Wikipedia ist. Vorher hat er als Geschäftsführer die Investigativ-Redaktion Correctiv mit aufgebaut. Vor dem Telefon in der Mitte saßen Götz Grommek, unser Geschäftsführer, daneben Marc-Stefan Andres, der den Titel Projekt-Manager bekam, was einfach bedeutet: Er hält alle Fäden zusammen. Und dann waren da noch Katrin Jäger und ich. Wir sollten die Redaktion leiten. Aber die Redaktion wovon eigentlich?

Wir alle hatten zusammen etwas vor, von dem wir noch nicht genau wussten, was es werden würde. Etwas, das über Monate in langen Gesprächen, Diskussionen und E-Mail-Wechseln auf vier Wörter zusammengeschrumpft war: Neuer Journalismus für Münster.

Das war unsere vage Idee. Immerhin hatten wir uns schon darauf geeinigt, dass wir unsere Inhalte per E-Mail versenden würden. In etwa so wie der Tagesspiegel in Berlin, der seit sechs Jahren in seinem Checkpoint, einem täglichen Newsletter, einen kritischen, nicht ganz so ernsten, manchmal sogar sehr lustigen Überblick über das Tagesgeschehen gibt – und dem damit das unwahrscheinliche Kunststückgelungen war, E-Mails zu etwas zu machen, auf das Menschen sich freuen. Ungefähr so stellten wir uns das auch für Münster vor. Sebastian Turner, einer der Herausgeber des Tagesspiegels, fand das so interessant, dass er beschloss, uns als Gesellschafter zu unterstützen.

Im September sollte es losgehen

An diesem Nachmittag im März sollte es um den Zeitplan für die kommenden Monate gehen. Um das, was als Nächstes passieren würde. In dem Punkt hatten wir etwas genauere Vorstellungen. Ein paar Wochen vor der Kommunalwahl im September sollte es losgehen. Wir würden unser Produkt, wie auch immer es dann aussehen würde, mit viel Werbung in der Stadt bekannt machen und für ein paar Euro im Monat anbieten. Um uns Gedanken über die Details zu machen, blieb ja noch Zeit. Das war beruhigend.

Etwas beunruhigender war das, was zeitgleich in China passierte und kurz darauf auch in Italien. An diesem Nachmittag sprachen wir zum ersten Mal darüber, dass die Epidemie auch Folgen für unsere Pläne haben könnte. Wir fragten uns, ob wir dann vielleicht alles um ein paar Wochen verschieben müssten. Nur wäre dann die Kommunalwahl vorbei. Und kurz nach diesem großen Ereignis zu starten, bei dem es auf guten Journalismus ja gerade ankommt, das schien uns keine gute Lösung zu sein. Warten wir erst einmal ab, dachten wir. So schlimm wird es schon nicht werden.

Wenige Tage später stoppten wir unsere Pläne. Inzwischen war klar, dass die Menschen sich in den kommenden Wochen erst einmal für andere Dinge interessieren würden. Zum Beispiel für Klopapier.

Ein Virus, das Monate zuvor nur auf einem Markt in der chinesischen Provinz existiert hatte, legte auf der ganzen Welt das Leben lahm. Uns bewegte das auch dazu, darüber nachzudenken, wie dieser Ausnahmezustand unseren Blick auf die Welt veränderte, auf den Journalismus und damit auch auf den Lokaljournalismus.

Die Welt war kleiner geworden. Wir schauten nun stündlich auf China und auf Italien. Wir saßen täglich in Videokonferenzen, obwohl das auch vorher schon möglich gewesen wäre. Wir verglichen die Situation anderswo mit unserer eigenen, um daraus Rückschlüsse ziehen zu können. Welche Fehler haben sie in Bergamo gemacht? Warum hat das Virus in Seoul keine Chance? Können wir etwas von Stockholm lernen?

Das Kriterium heißt Nähe

Lokaljournalismus funktioniert anders. Dort nimmt man das grundsätzliche Problem, bricht es lokal herunter, so nennen sie das in der Branche. Das bedeutet: Die Redaktion spricht mit Fachleuten vor Ort, Mediziner:innen aus der Stadt – auch dann, wenn die sich mit dem Thema gar nicht so gut auskennen. Hauptsache, sie wohnen in der Gegend. Journalist:innen suchen Menschen aus der Umgebung, die eine Verbindung zum Ort des Geschehens haben, vielleicht sogar Familie. Diese Menschen dürfen dann erzählen, dass sie regelmäßig mit ihren Verwandten skypen, diese Verwandten im Grunde jedoch auch nicht viel mehr wissen als sie. Das ist aber nicht so schlimm, denn das journalistische Kriterium heißt Nähe. Wir kennen das von Unfällen im Ausland, wenn die Meldung lautet: Es sind zwei Deutsche unter den Opfern.Das steht auf der Titelseite, während die Nachricht „2.000 Menschen bei Flutkatastrophe in Bangladesch gestorben“ nur auf der letzten Seite Platz findet.

Es ist möglich, diese Nähe auf eine andere Weise herzustellen. Auf eine Weise, die etwas mehr dem Blick entspricht, den viele Menschen heute auf die Welt haben. Dabei spielt der Informationsgehalt eine etwas größere Rolle. Man schaut nicht mehr nur auf die eigene Stadt. Man macht es umgekehrt: Man schaut auf die Welt, auf andere Städte, und versucht auf diese Weise, Schlüsse für die eigene Umgebung zu ziehen.

Wir wollten das ausprobieren. Die Frage war noch immer: Wann?

In unserer Whatsapp-Gruppe ging es inzwischen darum, ob unsere Annahme, auf deren Grundlage wir die Pläne auf Eis gelegt hatten, denn überhaupt stimmte. Interessierten die Menschen sich wirklich gerade für andere Dinge?Oder brauchten sie genau jetzt Journalismus?

Klaus Brinkbäumer war sich sicher, dass jeder weitere Tag, den wir warteten, ein verlorener Tag sein würde. Wir hatten ihn, den früheren Spiegel-Chefredakteur, schon zu unserem ersten Treffen eingeladen, im Mai 2019 in einem Atelier am Hafen. Wir wussten, dass Klaus Brinkbäumer noch immer eine enge Verbindung zu seiner Heimatstadt hat, dass seine Familie hier lebt, und dass er irgendwann einmal im Lokaljournalismus angefangen hatte. Wir rechneten nicht wirklich damit, dass er kommen würde. Aber dann war er auf einmal da, saß zusammen mit uns am Tisch, machte sich Gedanken und bot uns an, eine Kolumne aus New York zu schreiben, wo er inzwischen lebt.

Sebastian Turner, der Tagesspiegel-Herausgeber, riet uns ebenfalls, endlich anzufangen. Auch David Schraven, Verleger des Recherche-Netzwerks Correctiv, sah das so. Mit ihm hatten wir uns an der Wolbecker Straße zum Frühstück getroffen, um über das zu reden, was wir vorhatten. Am Ende beteiligten sich Brinkbäumer, Turner und Schraven sowie sieben andere und gründeten mit uns die RUMS-Medien GmbH. Damit stand nun auch der Name fest.

Seitdem müssen wir immer wieder die Frage beantworten: Wofür steht denn eigentlich RUMS?

Die Antwort ist: RUMS steht für verlässlichen Journalismus. Es ist aber keine Abkürzung.

Mitte März fiel einstimmig die Entscheidung: Wir fangen an, und zwar so schnell es geht. Anders als geplant, sollte erst einmal alles kostenlos bleiben. Das war möglich, weil wir Geld gesammelt hatten. Genug für ein paar Monate. Wie es danach weiterging, das würden wir sehen.

Ein anderes Selbstverständnis

Am 28. März erschien der erste RUMS-Brief. Nachdem wir monatelang versucht hatten, ein schlüssiges Gesamtkonzept zu entwerfen, sahen wir nun: Eine Woche reicht vollkommen aus, um so ein Projekt auf die Beine zu stellen. Wir ließen eine Website programmieren, entwarfen eine Struktur für unsere Briefe. Wir wollten anfangen und dann alles weiterentwickeln. Zusammen mit den Menschen, die uns lesen. Konnte ja sein, dass die ganz andere Vorstellungen hatten als wir.

Das war ein wichtiges Element unserer Idee. Die Menschen sollten nicht nur Teil eines Publikums sein, das hin und wieder Leserbriefe schickt, die dann entweder in einer separaten Rubrik veröffentlicht werden oder im Mülleimer landen. Wir wollten uns nicht als die verstehen, die alles wissen und alles erklären können, sondern als Teil einer Gemeinschaft, in der Einzelne von den Dingen oft viel mehr Ahnung haben als wir selbst. Das muss aber kein Nachteil sein, denn wenn dieses Wissen dann zugänglich gemacht wird, profitiert ja die ganze Gemeinschaft.

Im Netz ist es möglich, in die große Runde zu fragen, ob jemand etwas weiß oder jemanden kennt, der es wissen könnte. Journalist:innen müssen nicht verborgen in ihrem Zimmerchen alles zusammensuchen und dann das Ergebnis stolz der Öffentlichkeit präsentieren. Das öffentliche Lernen kann Teil der Recherche sein.

Das ist ein anderes Selbstverständnis als jenes, das ich im Lokaljournalismus gelernt habe. Dort besteht die Gemeinschaft, mit der Journalist:innen sich unterhalten, vor allem aus offiziellen Fachleuten, im Speziellen Betroffenen oder Menschen aus Pressestellen. Die Diskussion mit dem Publikum gilt eher als lästig. Viele Redaktionen nutzen ihre Social-Media-Auftritte ausschließlich, um Inhalte abzukippen. Wenn jemand fragt, antwortet niemand. Wir wollten das anders machen.

Der größte Mangel ist die Zeit

Das war eine schöne Vorstellung, die wir da hatten. Wir merkten sehr schnell, dass wir an unsere Grenzen stoßen. Es fing damit an, dass die Menschen uns in den ersten Tagen so viele Nachrichten schickten, dass wir kaum nachkamen mit den Antworten. Einige warteten tagelang. Auch die Diskussionen im Netz waren mühsam. Das wussten wir vorher. Aber es gab so viel zu tun, dass wir uns für die wichtigsten Dinge entscheiden mussten. Und wenn die Zeit knapp ist, kümmert man sich eher um die Dinge, die dringend sind und zu einem Ergebnis führen.

Im Lokaljournalismus ist das eine Standardsituation. Der größte Mangel ist Zeit.Und ungefähr dort liegt der Kern des Problems.

Der Lokaljournalismus ist krank. Der Niedergang hat vor knapp 40 Jahren begonnen, ungefähr zeitgleich mit dem Start des Privatfernsehens. Später kam das Internet hinzu und verschärfte die Probleme. Die Verlage verstanden zu spät, dass ihr Leiden nicht einfach wieder verschwindet. In den vergangenen 30 Jahren verloren die deutschen Tageszeitungen etwa die Hälfte ihrer Gesamtauflage.

Die Redaktionen sind kleiner geworden. Immer weniger Journalist:innen müssen immer mehr Arbeit machen. Das bedeutet: Sie verzichten auf den Teil der Arbeit, der unsichtbar bleibt. Sie geben das wieder, was ihnen auf Pressekonferenzen gesagt wird, statt noch wen anders zu fragen, ob das alles wirklich so stimmt. Sie checken Fakten nicht gegen, denn das dauert manchmal genauso lange wie die Arbeit an einem Beitrag. Oft erscheinen einfach Pressemitteilungen. Den Journalist:innen kann man das kaum vorwerfen. Sie müssen sich mit den Umständen arrangieren.

Nicht nur die Redaktionen dünnen aus, auch die Medienlandschaft verändert sich. In Städten, die noch vor ein paar Jahren zwei, drei oder vier Zeitungen hatten, gibt es heute oft nur noch eine. Münster ist so eine Stadt. Bis vor sechs Jahren hatten die Menschen die Wahl zwischen zwei Zeitungen mit jeweils eigenen Lokalteilen. Es gab die Westfälischen Nachrichten und die Münstersche Zeitung. Die Titel existieren weiter. Doch es gibt nur noch eine Redaktion. Die Inhalte im Lokalteil sind nahezu identisch.

Ohne Lokalmedien sinkt die Wahlbeteiligung

Der Niedergang setzt sich fort. Im ersten Quartal des Jahres haben fast alle regionalen Zeitungen in Deutschland an Auflage verloren. Es ist gut möglich, dass sich in wenigen Jahren auch hier Nachrichtenwüsten ausbreiten, also Gegenden, in denen niemand mehr über das lokale Geschehen berichtet. Aber wäre das wirklich so schlimm?

Die Antwort ist einfach: Ja.

In den USA gibt es schon heute etwa 200 Verwaltungsbezirke ohne ein lokales Medium. Die Zahl steigt, und die Folgen sind messbar. Wissenschaftler haben zum Beispiel nachgewiesen, dass in Nachrichtenwüsten die Wahlbeteiligung zurückgeht. Es gibt Hinweise darauf, dass die politische Polarisierung dort zunimmt, wo Lokalmedien fehlen. Das zivilgesellschaftliche Engagement scheint dort größer zu sein, wo es lokale Medien gibt. Dafür gibt es ebenfalls wissenschaftliche Belege. Es ließ sich zeigen, dass Kommunen mehr Geld ausgeben, wenn Lokalmedien fehlen, weil Lokalpolitiker Ausgaben eher durchwinken, wenn ihnen niemand auf die Finger schaut. Auch das haben Forscher untersucht. Sie haben sogar einen Zusammenhang zwischen der Umweltverschmutzung und der lokalen Berichterstattung belegt.

Auf die Finger schauen lassen müssen sich jedoch nicht nur Politik, Unternehmen und Behörden, sondern auch die Medien selbst. Bei vielen Journalist:innen ist das verpönt, weil es als Nestbeschmutzung gilt. Lokale Medien erwähnen sich gegenseitig oft nicht einmal. Sie tun so, als gäbe es nur sie in der Stadt. Oft sind lokale Medien seit Generationen tief in der Stadtgesellschaft verwurzelt. Sie gehören dazu. Und wenn alle mitspielen, spricht über diese Dinge niemand. Unsere Überzeugung ist: Wenn Medien die Cliquenwirtschaft in anderen Branchen bekämpfen, dann müssen sie das auch in der eigenen machen.

Dazu braucht es natürlich keine Medien. Im Internet haben alle dazu die Möglichkeit. Aberes braucht Zeit.

Zeit, um sich mit einem Problem zu beschäftigen.

Zeit, um Gespräche zu führen.

Zeit, um Dokumente zu lesen.

Zeit, um Informationen zu prüfen.

Zeit, um journalistische Beiträge zu erstellen.

Zeit, um diese Beiträge zu überarbeiten.

Zeit, um auf die Reaktionen zu antworten.

Zeit, die einfach so vergeht, weil Menschen sich nicht melden, man etwas sucht, aber gerade nicht finden kann, oder eine gute Idee fehlt.

Diese Zeit ist Arbeitszeit. Und die muss jemand bezahlen.

Wir möchten zeigen, dass es möglich ist, digitalen Journalismus im Lokalen zu finanzieren. Daher wird RUMS ab September Geld kosten.

– Der Preis für das Standard-Abonnement ist monatlich 8 Euro (4 Euro für alle, die studieren, zur Schule gehen, in der Ausbildung sind oder Arbeitslosengeld II beziehen).

Das Idealistisch-Abo liegt bei 15 Euro im Monat.

– Falls Sie RUMS so sehr schätzen, dass Sie uns noch etwas mehr unterstützen möchten, bieten wir für 40 Euro im Monat ein Förderabo an.

Für Ihr Geld bekommen Sie mehr als unsere Briefe. Mittlerweile arbeiten sieben Frauen und acht Männer daran, RUMS weiterzuentwickeln. Auf unserer neuen Website rums.ms werden wir Recherchen veröffentlichen. Unsere Beiträge werden Sie bald auch hören können. Wir werden Podcasts anbieten und Veranstaltungen, bei denen es um die Themen geht, über die wir berichten. Exklusiv für unsere Abonnent:innen.

Und wenn Sie RUMS nicht mehr lesen möchten, ist auch das kein Problem. Unsere Abonnements können Sie jeweils zum Monatsende kündigen. In dem Fall hoffen wir einfach, dass Sie später wiederkommen.

Erst einmal würden wir uns aber freuen, wenn Sie dabei sind.Unterstützen Sie Journalismus in Münster.

Herzliche Grüße

Ralf Heimann

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