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Das Dilemma der Pflege | Die Regeln des Ordnungsamts | Das zweischneidige Pferd
Guten Tag,
in der vergangenen Woche sah es für einen Moment so aus, als wäre das Problem in der Pflege endlich im Bewusstsein des Landes angekommen. Der Sender ProSieben zeigte am Mittwoch die komplette Schicht der Krankenpflegerin Meike Ista an der Uniklinik Münster. Sieben Stunden lang Krankenhausalltag aus der Brustkamera-Perspektive. Parallel erzählten in der Dokumentation Menschen, die in ganz Deutschland selbst in der Pflege arbeiten, von ihrem Alltag, den schwierigen Bedingungen und den Problemen, die im Verlauf des vergangenen Jahres immer mal wieder zur Sprache gekommen waren. Die Kritik sprach von einem „Stück TV Geschichte“.
Die Uniklinik freute sich über die Aufmerksamkeit. Bei Twitter verbreitete sie die begeisterten Reaktionen. Am Donnerstag schrieb das Social-Media-Team: „…immer noch ganz überwältigt und glücklich – vielen, vielen Dank für eure zahlreichen Nachrichten, Kommentare und Reaktionen zu #nichtselbstverstaendlich!“ #nichtselbstverständlich – das war der Titel der Aktion.
Wenn man in den Tagen darauf mit Menschen aus der Pflege der Uniklinik sprach, hörte man tatsächlich auch Zufriedenheit. Dass die Pflege wahrgenommen wurde, empfanden viele als wohltuend. Man habe sich über die Aufmerksamkeit gefreut. Die Dokumentation sei durchweg gut angekommen, das war der Tenor.
Gleichzeitig sagte mir eine Pflegekraft der Uniklinik am Telefon: „Ich möchte aus der Pflege raus.“ Und das ist die andere Seite, über die wir bei RUMS im November und zuletzt vor dreieinhalb Wochen berichtet haben. Um sie ging es am Mittwoch im Fernsehen nur in sehr allgemeiner Form. Keine Pflegekraft kritisierte die Bedingungen am eigenen Arbeitsplatz. In der Dokumentation entstand der Eindruck, als wäre das im Falle der Uniklinik auch überhaupt nicht nötig. Doch wenn man sich umhört, sagen Pflegekräfte Sätze wie: „Nach außen scheint es ruhig zu sein, aber hinter den Kulissen brodelt es.“ Viele Pflegende haben sich vernetzt. Innerhalb der Klinik gibt es WhatsApp-Gruppen. In ihnen nahm in der vergangenen Woche ein Thema sehr viel Raum ein.
„Wer den Mund aufmacht, wird gefeuert“
Ende Februar hatte der Pfleger J. Meyer in einem WDR-Beitrag gesagt: „Wir haben im Moment Arbeitsbedingungen, die uns krank machen und die unsere Patienten gefährden.“
Meyer war bis dahin so etwas wie das Gesicht der Pflege an der Uniklinik. Er hatte in der Kabel1-Serie „Die Klinik“ mitgespielt. Das Krankenhaus veröffentlichte Social-Media-Postings mit ihm. Unter den Pflegekräften war er beliebt, auch weil er sich für die gemeinsamen Belange einsetzte. Doch dann kündigte die Klinik ihm fristlos. Die Verdi-Zeitung Herzflimmern schrieb im März: „Diese Kündigung richtete sich nicht nur gegen ihn, sondern gegen alle, die sich am UKM für Verbesserungen für das Personal und in der Versorgung der Patient*innen einsetzen.“ Und so wurde es von vielen auch aufgefasst. Eine Pflegekraft sagte am Telefon, das Signal sei gewesen: „Wer den Mund aufmacht, wird gefeuert.“
Die Klinik wehrt sich gegen diese Darstellung. Bei Twitter schreibt das Social-Media-Team:
„Das UKM unterstützt Engagement von Mitarbeitenden für eine Verbesserung in der Pflege. Deshalb haben wir auch beim Format von Joko & Klaas mitgemacht. Anders verhält es sich, wenn arbeitsrechtlich unzulässige, rufschädigende und nicht wahrheitsgemäße Aussagen über den Arbeitgeber gegenüber der Öffentlichkeit getätigt werden.“
Auch Pflegedirektor Thomas van den Hooven möchte sich zu diesem speziellen Fall nicht äußern, doch er sagt: „Wir sind nicht dafür bekannt, Mitarbeiter:innen schnell zu feuern.“
Stimmt das?
Dagegen spricht der Eindruck, der sich unter Pflegenden verbreitet hat. Die Gewerkschaft Verdi hat Plakate mit dem Satz „Kündigung ist keine Lösung“ drucken lassen. Dazu einen Aufruf, der Mitarbeitende auffordert, sich mit dem Banner fotografieren zu lassen. Die Bilder sollen zusammengestellt und auf den Stationen verteilt werden.
Dafür spricht, dass andere Pflegende sich durchaus kritisch äußern und weiterhin in der Klinik arbeiten. Der Fachkrankenpfleger Holger Beuse etwa betreibt zusammen mit seinem ehemaligen UKM-Kollegen Hanno Endres das Fachportal Zwai.net, das sich mit der Situation in der Pflege beschäftigt. Holger Beuse möchte nichts zu den aktuellen Dingen sagen, aber er verweist auf zwei Artikel, die auf seiner Seite erschienen sind.
In einem Beitrag aus dem Februar geht es um den Brandbrief, den Pflegekräfte im vergangenen Jahr an den Vorstand geschrieben haben. Mitte März beschäftigte sich das Magazin mit Meyers Kündigung. Die Überschrift lautete: „UKM erforscht Streisand-Effekt.“
Der Streisand-Effekt beschreibt eine Situation, in der etwas erst dadurch bekannt wird, dass jemand versucht, es geheim zu halten. Der Name des Phänomens geht zurück auf die amerikanische Schauspielerin Barbra Streisand, die Fotos von ihrem Anwesen an der Küste verbieten lassen wollte, was im Netz aber so viele Menschen als Aufforderung verstanden, das Foto zu verbreiten, dass es heute weltbekannt ist. Unter anderem ist es Teil des Wikipedia-Eintrags zum Streisand-Effekt. Ein bisschen scheint es so nun auch an der Uniklinik zu sein, die mit der Kündigung ihres Mitarbeiters den Eindruck erweckt hat, sie wolle Kritik unterbinden.
Der erste Vermittlungsversuch scheiterte
Es war nicht das erste Mal, dass dieser Eindruck entstand. Als Pflegekräfte im November in ihrem Brandbrief die Arbeitsbedingungen kritisierten, moderierte die Klinik die öffentliche Debatte ab. Man werde sich zu der Sache nicht mehr äußern, hieß es damals.
Aus der Perspektive des Krankenhauses ist das zu verstehen. Für eine Klinik kann so eine öffentlich geführte Auseinandersetzung existenzbedrohend sein. Geht das Vertrauen in das Krankenhaus verloren, wird sich dort niemand mehr behandeln lassen wollen. Das kann die Klinik in große wirtschaftliche Probleme stürzen – und damit auch die übrigen Arbeitsplätze in Gefahr bringen.
Aus diesem Grund sollten eigentlich auch die Pflegekräfte selbst ein Interesse daran haben, die Dinge intern zu klären. Doch der erste Vermittlungsversuch scheiterte. Der Vorstand bot den Pflegekräften bei einem Treffen am 13. November einen gemeinsamen Workshop an, um über Lösungen nachzudenken. Drei Tage später lehnten die Pflegekräfte in einem Schreiben ab. Sie verwiesen auf einen Workshop, der vier Jahre zuvor stattgefunden hatte. Ihre Forderungen seien unverändert.
In diesen Forderungen steht unter anderem: In jeder Schicht soll sich eine Pflegeperson um maximal zwei Patient:innen kümmern. Und jede Pflegekraft soll acht Wochen lang eingearbeitet werden.
Klingt eigentlich nicht nach viel. Sind diese Forderungen denn wirklich so überzogen?
„Im Großen und Ganzen halten wir uns an diese Vorgaben“, sagt Pflegedirektor van den Hooven. Aber das sei eigentlich ein wunderbares Beispiel, denn die Situation an der Uniklinik sei hier im Vergleich zu anderen Krankenhäusern noch verhältnismäßig gut. Nur wenn der Protest sich gegen die Uniklinik richte, entstehe der Eindruck, dass es gerade dort besonders schlecht aussehe. Und das sei nicht der Fall.
„Ich halte die Kritik der Pflegenden prinzipiell für berechtigt“, sagt van den Hooven. Was er nicht verstehen könne, sei die Rebellion gegen das eigene Haus. „Wir können das Problem nicht am UKM lösen“, sagt er. Bewegungen wie das Netzwerk „Münster Cares“ halte er durchaus für begrüßenswert. In dieser Gruppe haben sich Pflegende aus Münster zusammengeschlossen, um sich für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen. Doch die Bereitschaft unter den Pflegenden, sich zu organisieren, um auf politischer Ebene etwas an dem großen Problem zu ändern, sei doch eher gering. „Wenn ich frage, wer denn Mitglied in einer Gewerkschaft oder einem Berufsverband ist, dann bleiben viele Hände unten“, sagt van den Hooven.
300 Pflegekräfte fehlen
Spricht man Pflegende darauf an, hört man durchaus selbstkritische Töne. „Viele schauen auf den Mitgliedsbeitrag, rechnen das knallhart durch, fragen sich: Was bekomme ich dafür? Das ist dann zum Beispiel die Mitgliederzeitschrift. Aber die Verbandsarbeit dahinter, die sehen sie nicht“, sagt eine Pflegekraft. Wenn es um politische Arbeit geht, seien viele doch eher träge.
Das Problem dagegen beschreiben beide Seiten sehr ähnlich. Es lässt sich im Prinzip auf einen Satz reduzieren: Es sind keine Pflegekräfte zu bekommen.
„Wir haben 300 examinierte Pflegekräfte eingestellt, aber wir brauchen noch mal 300“, sagt Thomas van den Hooven. Die Uniklinik halte die gesetzlichen Vorgaben zwar ein, aber ja, es gebe einen Personalmangel. „Das führt zu Unzufriedenheit. Da bin ich auch dabei“, sagt van den Hooven. Aber wie soll er es lösen?
Die Uniklinik versucht unter anderem im Ausland Pflegekräfte zu finden. Doch dass sich das Problem allein mit diesen Menschen lösen lassen wird, ist unwahrscheinlich.
Pflegende kritisieren, die Misere beginne schon bei der Ausbildung. Die Klinik stelle vor allem Abiturient:innen ein, für die sei die Pflege-Ausbildung aber nur eine Warteschleife oder eine Zwischenstation. Thomas van den Hooven räumt das ein. In Münster und dem Münsterland haben die meisten Bewerber:innen Abitur. Man bemühe sich inzwischen verstärkt, jungen Menschen mit anderen Bildungsabschlüssen einen Ausbildungsplatz anzubieten.
Zuletzt hat der öffentliche Streit um die Kündigung das Problem verschärft. Einige Pflegekräfte hätten ihre Bewerbung aus diesem Grund wieder zurückgezogen, sagt van den Hooven.
Dabei fällt eines auf: Die Loyalität der Beschäftigten ist groß. Auch Menschen, die ihren Namen nicht nennen möchten, sagen, die Uniklinik sei ja im Grunde eine gute Arbeitgeberin. Man wolle ihr auch gar nicht schaden. Man wolle nur einfach seine Arbeit vernünftig machen können. Und das sei unter den gegenwärtigen Bedingungen schwer möglich.
Auch die Pflegekräfte wissen, dass die Klinik kein Personal aus dem Hut zaubern kann. Sie wissen, dass dahinter größere Probleme stehen.
Die Krankenhausfinanzierung in Deutschland krankt unter anderem daran, dass es sehr viele Kliniken gibt. Das Institut der Deutschen Wirtschaft schreibt in einem Report zur Krankenhausinfrastruktur in Deutschland aus dem vergangenen Jahr: „Im internationalen Vergleich hat Deutschland eine hohe Krankenhausbettendichte, auch im Bereich der Intensivmedizin. Allerdings bewegt es sich bezüglich des medizinischen Personals in Krankenhäusern im Mittelfeld.“
Verständnis, Sensibilität und Gesten
Fachleute sagen: Deutschland hat zu viele Krankenhäuser. Um einige Kliniken besser ausstatten zu können, müsste man andere schließen. Aber wer in der Politik wiedergewählt werden möchte, trifft solche Entscheidungen besser nicht (ich hatte das im November hier erklärt).
Das alles führt zu einer Situation, in der allen klar ist: Was wir auch machen, es ist im Grunde nur Kosmetik. Und in diesem Dilemma gelingt es der Klinikleitung offenbar nicht, der Belegschaft zu vermitteln, dass der Vorstand auf ihrer Seite steht.
Die Wertschätzung für Thomas van den Hooven scheint groß zu sein. Er sei ein guter Mann, aber ihm fehle im Vorstand der Einfluss, so heißt es. Er allein könne nicht viel ausrichten. Klinikchef Hugo Van Aken hat in der Vergangenheit den Eindruck hinterlassen, keine allzu hohe Meinung von den Fähigkeiten der Pflegenden zu haben. Als vor über zehn Jahren darüber diskutiert wurde, ob man Pflegekräfte auch im Operationssaal einsetzen sollte, sagte er, damals als Chef der Deutschen Anästhesie-Gesellschaft: „Das ist, als ob man einen Piloten durch den Steward ersetzt.“ Dieser Satz ist vielen in Erinnerung geblieben.
Nach dem Brandbrief im November machte Van Aken zudem deutlich, dass ihm für den Protest mitten in der Pandemie das Verständnis fehle. Und so haben es auch die Pflegekräfte wahrgenommen. Anfangs habe die Klinikleitung versucht, dem Protest mit einem Konfrontationskurs zu begegnen.
Es bleibt der Eindruck, dass es hier nicht nur um die Arbeitsbedingungen geht, sondern zu einem nicht unwesentlichen Anteil um Verständnis, Sensibilität, um Gesten. Dafür gibt es viele Beispiele.
Angefangen hatte der Ärger im vergangenen Jahr damit, dass die Uniklinik sich von Zeitarbeitskräften getrennt hatte, die bis dahin in vielen Schichten einen großen Teil der Arbeit erledigten.
Ein Grund dafür war, wie zu hören ist, dass die Stationen den Einsatz der Kräfte selbst planten und so der Überblick über die Kosten verloren ging. Und dann seien die Budgets irgendwann ausgeschöpft gewesen, so heißt es. Als keine Zeitarbeitskräfte mehr zur Verfügung standen, mussten fest angestellte Pflegende die Lücken schließen. Teilweise habe man sie im Urlaub oder an freien Tagen angerufen und in die Klinik bestellt.
Viele unglückliche Signale
Die Klinik ließ ihre ohnehin überlasteten Pflegekräfte das Versäumnis ausbaden. So wurde es jedenfalls wahrgenommen. Als die Pflegenden sich beschwerten, hieß es: Aber doch nicht jetzt, mitten in der Krise. Die Einladung zum Workshop fassten einige als Aufforderung auf, jetzt auch noch das erledigen zu müssen, was doch eigentlich Aufgabe der Klinik sein sollte. Dann versprach der Bundesgesundheitsminister eine Corona-Prämie – aber von dem Geld kam in der Klinik nichts an, weil man knapp unter der Mindestgrenze der behandelten Covid-Fälle blieb, die Voraussetzung für die Zahlung waren. Eine Pflegekraft sagt: „Und in dieser Situation diskutieren wir jetzt darüber, wie die neue Cafeteria auf dem Dach heißen soll.“ Es waren viele unglückliche Signale, die zusammenkamen.
Wenn man fragt, was die Pflege sich denn kurzfristig wünschen würde, für die nächsten Wochen, dann sagt niemand: mehr Geld. Eine Pflegekraft fasst es so zusammen: „Ich würde mir wünschen, dass wir gut besetzt arbeiten können, dass die Zahl der Operationen an die Möglichkeiten angepasst wird, dass hier nicht jeder kleine Freiraum ausgenutzt wird, dass wir uns etwas besser um die Patienten kümmern können.“
Fachleute hätten für das Problem eine einfache Lösung. Personaluntergrenzen, die zwingend eingehalten werden müssen. Ist das nicht möglich, müssten Stationen schließen. Im vergangenen Jahr gab es diese Grenzen bereits. Wegen der Pandemie wurden sie aufgehoben. Thomas van den Hooven formulierte damals im Interview mit der Welt die Botschaft, die damit an die Krankenhäuser ging: „Egal, wie wenige ihr seid, ihr müsst das bewältigen.“
Wie das gelingen soll, das wollen die Pflegekräfte nun doch zusammen mit der Klinikleitung erarbeiten. Sie haben das Angebot angenommen, sich zusammen um Lösungen zu bemühen. Inzwischen ist man immerhin schon ein kleines Stück weiter. Mittlerweile gibt es Arbeitsgruppen.
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Schreiben Sie uns dazu gerne an diese Adresse. Wie sich unsere Aktion entwickelt, teilen wir Ihnen ab jetzt regelmäßig in unserem Brief mit. Sobald wir die ersten Workshops umsetzen können, werden wir diese außerdem dokumentieren.
Ordnungsamt muss Dienstverordnung rausrücken
Wer von Behörden etwas erfahren möchte, braucht juristisches Grundwissen, einen langen Atem und viel Geduld. Konstantin Kubina von der Interessengemeinschaft Fahrradstadt.ms wollte von der Stadt wissen, nach welchen Regeln das Ordnungsamt abschleppt und Knöllchen verteilt. Bis er eine Antwort bekam, vergingen einige Monate.
Im vergangenen Jahr erreichte er, dass die Stadt ihm einen Auszug aus der Dienstanweisung geben musste, in der steht, was die Ordnungsamtskräfte unternehmen, wenn Autos außerhalb des Innenstadtrings auf dem Gehweg parken. Kubina hatte gehört, dass sie in dem Fall nicht so genau hinschauen. Und so war es auch. Um sich ein besseres Bild machen zu können, hätte er gern das gesamte Dokument gesehen. Doch das wollte die Stadt ihm nicht geben. Und so probierte Kubina es am 26. September 2020 mit einer zweiten Anfrage, in der er sich auf das Informationsfreiheitsgesetz berief. Dieses Gesetz gibt allen Menschen die Möglichkeit, öffentliche Informationen einzusehen. Behörden wehren sich dagegen gern, so gut es geht, in diesem Fall mit der Begründung, dass die Herausgabe der Dienstanweisung „die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Stadt sowie die Tätigkeit der Ordnungsbehörden beeinträchtigen würde“. Das trifft zwar nicht auf alle Informationen in der Dienstanweisung zu. Doch solche Begründungen sind ein beliebter Vorwand, um Dinge unter Verschluss halten zu können.
Bis Kubina die Datei schließlich bekam, verging ein halbes Jahr. Wer sich ein Bild davon machen möchte, wie Behörden versuchen, sich gegen solche Anfragen zu wehren, kann sich hier den Briefwechsel ansehen.
Erst als die Landesdatenschutzbeauftragte sich einschaltete, gab die Stadt nach und rückte drei an einigen Stellen geschwärzte Dateien heraus. Ich habe Konstantin Kubina angerufen und mit ihm darüber gesprochen.
“Die Stadt gibt den Leuten an vielen Stellen einen Freibrief”
Herr Kubina, was erfährt man denn, wenn man sich die Dienstanweisung ansieht?
„Es ist ganz spannend, wie detailliert die Dinge geregelt sind. Da geht es um Straßen und sogar teilweise um einzelne Laternen.“
Hat Sie das überrascht?
„Mich hat überrascht, wie hoch die Hürden sind, bis etwas passiert.“
Inwiefern?
„Wenn es ums Parken auf den Radwegen geht, gibt die Stadt den Leuten an vielen Stellen praktisch einen Freibrief. Da gibt es höchstens ein Knöllchen. Das beseitigt allerdings nicht die Gefahr, die von einem Fahrzeug ausgeht, das auf dem Geh- oder Radweg steht.“
Geben Sie doch mal ein Beispiel.
„Wenn ich an der Hammer Straße entlangfahre, habe ich immer Angst, dass da eine Tür vor mir aufgeht. Und da gibt es ganz konkrete Vorschriften. In Höhe der Hausnummern 155 und 157 zum Beispiel ist geregelt, dass es nur eine Verwarnung gibt, wenn da ein Auto im Weg steht.“
Sie finden, das Ordnungsamt müsste konsequenter abschleppen lassen?
„Es mag an vielen Stellen gerechtfertigt sein, die Leute erst mal zu verwarnen. Aber wenn man sich ansieht, wie hoch die Hürden sind, dann bekommt man eine Vorstellung davon, wieso in der Stadt geparkt wird, wie dort geparkt wird.“
Das Ordnungsamt hat Kubina die Dienstanweisung, wie es sich für eine Behörde gehört, per Post zugeschickt. Er hat die Datei mit einer Software bearbeitet, damit man sie durchsuchen kann. An welcher Straße welche Regeln gelten, können Sie hier nachschlagen.
Es stehen aber nicht nur zum Parken einige interessante Dinge in den Dokumenten, zum Beispiel zu den Strafen, sondern auch zu all den anderen Dingen, die das Ordnungsamt im Auge behält.
Straßenmusiker:innen dürfen zum Beispiel zwischen 10 und 21:30 Uhr eine halbe Stunde spielen, danach muss eine halbe Stunde Ruhe sein. Und sie müssen mindestens 200 Meter weiterziehen.
Und Grillen darf man in allen Grünanlagen der Stadt. In der Anweisung steht: „Hinsichtlich des Grillens im Freien ist Münster grundsätzlich tolerant. Es gibt daher in Münster für den öffentlichen Raum grundsätzlich keine Verbotsflächen für das Grillen.“ Was sich aber offenbar noch nicht herumgesprochen hat: „Die in Anspruch genommenen Flächen müssen vollständig gesäubert hinterlassen werden.“
Eine eigene Passage bekommen auch die Poller in der Stadt. Aber die ist leider geschwärzt. Ebenso wie das, was über die Reichsbürger:innen in der Dienstanweisung steht. Für die Dienstwagen gilt: „Die Mitnahme von Privatpersonen hat grundsätzlich zu unterbleiben.“
Und hier noch ein paar Details aus dem Bußgeldkatalog:
- Zigarettenkippen, Zigarettenschachteln, Papiertaschentücher oder Kaugummis wegzuwerfen, kostet 50 Euro.
- Fürs Zurücklassen von Flaschen und Dosen berechnet das Ordnungsamt ebenfalls 50 Euro.
- Wer Plakate oder Werbung an Papierkörbe oder Verteilerkästen klebt, zahlt 150 Euro. An Wartehäuschen, Telefonzellen (Sie wissen nicht, was das ist, dann klicken Sie hier), Toren oder Wänden kostet’s noch etwas mehr, nämlich 200 Euro.
- Hunde oder Katzen mit auf Kinderspielplätze nehmen: 200 Euro.
- Parken auf Grünstreifen: 50 Euro.
- Hausnummer fehlt oder ist nicht zu erkennen: 50 Euro.
- Hundehaufen liegen lassen: 50 Euro (einmalig), 150 Euro (für Serientäter:innen).
- Füttern von Wildtauben: 50 Euro.
- Fahrrad mitführen auf dem Markt: 50 Euro.
- Störung der Nachtruhe. Bis 23 Uhr: 75 Euro. Bis 24 Uhr: 100 Euro. Danach geht’s in kleinen Schritten weiter. Wer zwischen 5 und 6 Uhr immer noch wach und dabei laut ist, zahlt 250 Euro.
Und wer auf der Suche nach einer kreativen Möglichkeit ist, seine gesamten Ersparnisse zu versenken, kann zum Beispiel ein Bad im Aasee wagen. Den See widerrechtlich zu nutzen, so steht es in dem Dokument, kostet bis zu 50.000 Euro. Wer im Aasee tauchen geht, muss sich darüber aber vielleicht gar keine Gedanken mehr machen, doch auch dieses Delikt ist dort aufgeführt. Sie müssen sich selbst aber gar nicht in Gefahr bringen. Sie können den Aasee schon widerrechtlich nutzen, indem Sie ein ferngesteuertes Motorboot am Ufer ins Wasser setzen.
+++ Vom Anne-Frank-Berufskolleg an der Manfred-von-Richthofen-Straße schaut man schräg rüber auf den Platz, wo die Mathilde-Anneke-Gesamtschule zurzeit ein neues Gebäude bekommt. Und das ist aus Sicht des Berufskollegs ärgerlich, denn die Schule wartet schon seit Jahren darauf, dass die Stadt eine Zusage einlöst, die sie vor Jahren gegeben hat. Das Anne-Frank-Berufskolleg sollte mehr Erzieher:innen ausbilden, die Stadt wollte sich im Gegenzug um das Raumproblem kümmern. Doch das ist noch nicht passiert. Die Westfälischen Nachrichten berichten heute darüber. Zwischen den Klassenräumen der Schule liegen mittlerweile ganze Stadtviertel. Ein Teil befindet sich im Kreuzviertel an der Coerdestraße, dem ehemaligen Standort des Espa-Berufskollegs, das heute Teil des Anne-Frank-Kollegs ist. Dorthin müssen die Lehrkräfte pendeln. Auf dem Hof an der Manfred-von-Richthofen-Straße stehen seit Kurzem Container, die laut dem Bericht ebenfalls niemanden so richtig glücklich machen. Hinzu kommt das Problem mit der digitalen Ausstattung. „Die Mängel sind so gravierend, dass die Ausbildungsqualität erheblich leidet“, sagt Schulleiter Thomas Terhaer. In der vergangenen Woche haben die Schulpolitiker:innen der Ratsparteien sich das alles mal angesehen. In der nächsten Schulausschuss-Sitzung wollen sie sich mit dem Problem beschäftigen.
Geburtstage fallen ja für uns alle im Moment anders aus als geplant. Die Pizzeria Zum Zweischneidigen Pferd an der Wolbecker Straße musste die wilde Party zu ihrem dreijährigen Bestehen auch auf unbestimmte Zeit verschieben. Ein bisschen gefeiert wird aber trotzdem. Ab heute gibt es Sekt und Beck’s to go für einen Euro (solange der Vorrat reicht). Und wenn Sie nicht nur Durst, sondern auch Hunger haben: Meine Kollegin Eva Strehlke empfiehlt besonders die Pizza „annabelle & annelise“ mit Kartoffelscheiben, Mozzarella und Kresse.
Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!
Über Ostern ist in Münster zum ersten Mal die sogenannte südafrikanische Corona-Mutation nachgewiesen worden, kurz: B.1.351. Das meldet die Stadt. Festgestellt wurde die Variante bei einem Mann, der nach einer Asien-Reise mit Symptomen einen Test hatte machen lassen. Die im August 2020 in Südafrika entdeckte Mutante verdrängte dort die übrigen Varianten immer mehr. Sie gilt als ansteckender als das bislang verbreitete Coronavirus. Und sie steht in Verdacht, sich trotz Impfung verbreiten zu können, berichtete unter anderem die Nachrichtenagentur dpa. Der Impfstoff von Biontech/Pfizer hilft voraussichtlich auch gegen diese Variante, wie der Hersteller mitgeteilt hatte.
In Münster meldete die Stadt über die Ostertage zwei neue Todesfälle. Zwei Männer im Alter von 65 und 70 Jahren seien auf Intensivstationen in Krankenhäusern in Münster an Covid-19 gestorben. Damit sind in Münster seit Beginn der Pandemie 105 Menschen an oder infolge einer Covid-Erkrankung gestorben. Die Zahl der stationär behandelten Covid-Patient:innen stieg über die Ostertage deutlich – von 30 am Samstag auf 38 am Dienstag. 17 von ihnen liegen laut Stadt auf der Intensivstation, beatmet werden müssen zehn.
+++ Der Titel unseres ersten Tipps klingt etwas verstörend, aber das ist wohl auch so gedacht: „Frauen. Brand. Rede. Nein. Schrei!“ heißt eine Soundperformance der Künstlerin Anja Kreysing, die Brandreden von Michelle Obama, Greta Thunberg und anderen Frauen zu einem akustischen Erlebnis verwoben hat. Sie können sich das am Samstagabend von 19 bis 19:45 Uhr im Hörsaal H1 am Schlossplatz (coronakonform) anhören, müssen sich aber vorher per E-Mail anmelden. Das Hörstück und weitere Infos zur Audioinstallation im H1 gibt es auf der Website der Veranstalter:innen.
+++ Menschen kennenzulernen und neue Freundschaften zu schließen, ist zurzeit ja etwas schwierig. Das Studierendenwerk lädt deshalb für morgen Abend wieder zum Friendship-Speeddating ein. Um 19 Uhr geht es los, hier gibt es Infos und den Link zur Zoom-Veranstaltung.
+++ Diese Woche sind noch Osterferien, aber die Freizeitangebote bleiben überschaubar. Wenn Sie sechs- bis zehnjährige Kinder und keine Angst um Ihre Einrichtung haben, ist vielleicht die digitale ScienceLab-Veranstaltung „Vulkane, Erdbeben und Tornados“ am Freitag das Richtige. Junge Forscher:innen sollen in dem Kurs Alltagsphänomene untersuchen und verstehen. Unter anderem, indem sie Vulkane bauen und Erdbeben auslösen. Das Ganze kostet 15 Euro (ohne Renovierung). Sie müssen Ihr Kind per E-Mail anmelden, dann bekommen Sie den Link zum Zoom-Meeting zugeschickt. Hier finden Sie noch mehr Informationen.
+++ Wenn Sie dem Corona-Blues mit Bewegung begegnen wollen, melden Sie sich doch zum virtuellen Teekottenlauf in Emsdetten an, an dem schon im letzten Jahr viele Menschen und Gruppen aus Münster teilgenommen haben. Es geht so: Sie bekommen eine Startnummer und laufen zwischen dem 23. April und dem 9. Mai auf dem Laufband oder im Wald, Park oder Stadtviertel Ihrer Wahl Ihre Strecke. Dann tragen Sie online Ihre Zeit ein und bekommen eine Urkunde. Die Anmeldegebühren (zwischen 3 und 5 Euro) werden für einen guten Zweck gespendet. Hier geht es zur Anmeldung.
Am Freitag schreibt Ihnen wieder Constanze Busch. Haben Sie eine gute Woche und bleiben Sie gesund.
Herzliche Grüße
Ralf Heimann
Mitarbeit: Eva Strehlke
PS
Die Facebook-Seite „Notes of Berlin“ sammelt schon seit Jahren Zettel und Aushänge in der Stadt, die oft kurios sind, teilweise witzig, und die manchmal einfach Geschichten erzählen. So einen Zettel habe ich am Wochenende an der Promenade gefunden. Eine Frau sucht eine andere Frau, die ihr am 2. März um 12 Uhr auf der Promenade gegenüber vom Biergarten der Gaststätte Johann-Conrad Hilfe angeboten hat. Die Frau hatte braunes, schulterlanges Haar. Sie habe unglaublich lieb gefragt, ob sie etwas für sie tun könne, und sie habe ihr sogar angeboten, aus ihrer Flasche zu trinken. Nun würde die Frau, die den Zettel aufgehängt hat, gern wissen, wer diese Frau war. Unglücklicherweise habe ich den Zettel so fotografiert, dass die E-Mail-Adresse nicht vollständig zu erkennen ist. Es könnte becausenope@yahoo.com sein oder becausenop@yahoo.de. Ich suche nun jemanden, der den Zettel ebenfalls gesehen und die Adresse notiert hat. Und wenn Sie die Frau mit den schulterlangen Haaren kennen, oder wenn Sie selbst diese Frau sind, melden Sie sich unter der Adresse oder auch bei uns. Vielleicht geht diese schöne Geschichte ja noch weiter.
Korrektur:
Die Verdi-Betriebszeitung hatten wir im Text ursprünglich “Betriebsflimmern” genannt. Tatsächlich heißt sie “Herzflimmern”. Wir haben das korrigiert.
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