Das Ende des Lewe-Meters | Wir müssen reden – ein Rückblick | MS Günther

Porträt von Ralf Heimann
Mit Ralf Heimann

Guten Tag,

wer außerhalb des Promenadenrings mit dem Auto auf dem Gehweg parkte, musste dem Fußverkehr bislang nur einen Meter Platz lassen, um vom Ordnungsamt in Ruhe gelassen zu werden. Weil der Parkraum in der Stadt knapp ist, schaute die Stadt an diesen Stellen weg. Der Knöllchen-Verhinderungs-Abstand bekam den Namen „Lewe-Meter“. Aber das Wort wird wohl bald vergessen sein, denn diesen Meter gibt es nicht mehr.

Vor einem knappen Jahr hat der Rat die Stadtverwaltung dazu aufgefordert, diese Ausnahme abzuschaffen. Das ist mittlerweile passiert. Das Ordnungsamt hat seinem Personal ein neues Heftchen mit Vorschriften an die Hand gegeben, eine sogenannte Dienstanweisung. In diesem Dokument steht, unter welchen Umständen eine Verwarnung ausreicht, und wann eine Strafe fällig wird. Das Bündnis Verkehrswende Münster, eine Gruppe aus sechs Verkehrs- und Umweltverbänden, hat die alte und neue Version des Papiers nun verglichen und kommt zu dem Ergebnis, die Änderungen seien „lediglich der Versuch, den Begriff ‚Lewe-Meter‘ zu tilgen und an der bisherigen Duldung von Behinderungen des Fuß- und Radverkehrs durch Gehwegparken nichts zu ändern“. So steht es in einem offenen Brief des Bündnisses.

Die Stadt hat die Formulierung mit dem Meter einfach gestrichen. Und dadurch ist nach Einschätzung der Verbände das Gegenteil von dem passiert, was sie sich erhofft hatten. Bislang war immerhin klar: Die Stadt schreitet ein, wenn der Meter unterschritten wird. Aber nicht mal das ist jetzt noch sicher. Wenn ansonsten genügend Platz ist, kann jetzt auch eine 80 Zentimeter große Lücke groß genug sein, um mit einer Verwarnung davonzukommen.

Die Verbände schreiben: „Aus unserer Sicht wird diese (neue, Anm. RUMS) Formulierung die tatsächliche Lage auf den Gehwegen in Münster eher verschlechtern.“

Aber um einmal die Perspektive der Stadt einzunehmen: Was würde passieren, wenn das Ordnungsamt überall dort abschleppen und Knöllchen verteilen würde, wo Autos auf dem Gehweg stehen? Einerseits würde es dann einfach das durchsetzen, was in den Vorschriften steht. Andererseits ist der Grund für auf dem Gehweg stehende Autos nicht in allen Fällen ausschließlich Rücksichtslosigkeit, es hat auch mit einem strukturellen Problem zu tun: In vielen Vierteln gibt es zu wenige Parkplätze für die vorhandenen Autos – oder je nach Sichtweise eben zu viele Autos.

Und das wiederum ist Teil eines generellen Problems, um das es bei der Verkehrswende geht: Der Platz in der Stadt ist begrenzt. Wenn er anders aufgeteilt werden soll, muss irgendjemand den Platz abgeben.

Umparken im Kopf

Bislang gilt das Recht der Stärkeren. Die Autos nehmen sich wie selbstverständlich einen Großteil des Verkehrsraums – sogar den Teil, der eigentlich dem Fußverkehr zugedacht ist. Und das oft nicht mal mit einem schlechten Gewissen, weil sich im allgemeinen Bewusstsein ein Gedanke verankert hat, der eigentlich ziemlich absurd ist: Ich habe nun mal ein Auto. Und wenn der Staat nicht dafür sorgt, dass genügend Parkraum zur Verfügung steht, ist er selber schuld, wenn ich mein Auto auf den Gehweg stelle. Irgendwo muss es ja nun mal stehen.

Hier wird nun deutlich, warum Verkehrswende nicht nur bedeutet: Auf den Straßen muss sich etwas ändern. Sondern auch: In den Köpfen muss etwas passieren. Die Automarke Opel hat das in einer Werbekampagne „Umparken im Kopf“ genannt.

Wenn man sich die Situation ansieht, ergeben sich Fragen, die man sich in einer Welt, in der das Auto Teil des erweiterten Ichs war, nicht gestellt hat. Hier galt: Wenn ich Lust habe, mich drei Stunden lang in den öffentlichen Raum zu legen, dann kann ich das machen, ohne dafür eine Gebühr zu zahlen. Und das gilt dann wohl auch für mein Auto.

Aber die Frage ist: Gehört zum Recht auf ein eigenes Auto auch das Recht auf einen kostenlosen Parkplatz im öffentlichen Raum? Und warum sollten der Fußverkehr und der Radverkehr es hinnehmen, wenn die Autos ihren großen Nachteil, ihre Sperrigkeit, zu einem Argument machen, um sich den Raum, den sie brauchen, einfach zu nehmen? Auf der anderen Seite kann man auch fragen: Ist es fair, den Menschen jahrelang zu signalisieren, dass sie ihr gesamtes Leben aufs Auto ausrichten können, aber dann plötzlich zu sagen: Parken im Viertel geht jetzt leider nicht mehr – keine Ahnung, was ihr mit euren Wagen macht, aber der muss jetzt weg hier?

Dieses Problem könnte das Ordnungsamt im Einzelfall auf Grundlage des geltenden Rechts sehr leicht lösen, indem es den Abschleppwagen ruft. Dann muss das Auto eben weg. Aber an dieser Stelle würden Stadtverwaltung und Politik das ungelöste Problem des knappen Verkehrsraums auf die Ordnungsamtsmitarbeiterin abwälzen, die am Donnerstagnachmittag an der Südstraße im Nieselregen steht, hier die politischen Versäumnisse der vergangenen Jahre ausbadet und mit einem Knöllchen die Verkehrswende durchsetzt.

So argumentiert nun auch die Stadt. In einem Begleitschreiben zur Dienstanweisung schreibt Oberbürgermeister Markus Lewe laut dem offenen Brief des Bündnisses sinngemäß, das Ordnungsamt könne zwar an einzelnen Stellen Gefahren abwenden, aber die Neuaufteilung des Verkehrsraums „allenfalls flankieren“.

Hier könnte man natürlich fragen, ob das überhaupt passiert. Eine Veränderung zu flankieren, würde ja bedeuten, noch etwas mehr auf die Umverteilung hinzuwirken als vorher. Die neue Dienstanweisung flankiert dem Eindruck nach allerdings vor allem die Verfestigung des gegenwärtigen Zustands. Und hier ist das Problem zurück auf der politischen Ebene.

Dieses Ringen ist in der Verkehrswende der Normalfall, denn immer müssen einzelne Gruppen etwas abgeben, das sie lieber behalten würden: Parkplätze, Geld oder Privilegien.

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Wir müssen reden

Am Sonntagabend haben wir in der siebten Folge unserer Reihe „Wir müssen reden“ darüber gesprochen. Zu Gast waren Jule Heinz-Fischer von den Grünen und Walter von Göwels von der CDU. Sie sind die Verkehrsfachleute ihrer Parteien. Walter von Göwels ist dazu auch noch Aufsichtsratschef der Stadtwerke Münster und Vorsitzender des Zweckverbands Mobilität Münsterland, kurz ZVM, der den Bus- und Bahnverkehr in der Region koordiniert. Hier noch einmal eine Rückschau auf das Gespräch in neun Punkten.

I. Wie bekommt man die ganzen Autos denn nun aus der Stadt?

Die Zahl der Autos in Münster ist in den vergangenen zehn Jahren um über 17 Prozent auf etwa 170.000 gestiegen. Wie kann es bei immer mehr Fahrzeugen gelingen, den Verkehr zu reduzieren? „Das geht nur zusammen mit der Region“, sagt Walter von Göwels, denn auch im Münsterland besitzen die Menschen in der Tendenz immer mehr Autos. Und eines der größten Probleme wird sein, den Menschen, die zur Arbeit pendeln, einen Anreiz zu geben, auf ihr Auto zu verzichten. Wie fängt man an? „Der Einstieg ist ganz klar. Das Angebot im öffentlichen Personennahverkehr muss besser werden“, sagt von Göwels. Und das sieht auch Jule Heinz-Fischer so, zum Beispiel, wenn es um die Schnellbusse geht. Nur gibt es hier wieder das Platzproblem. „Wenn wir eine Beschleunigungsspur für Busse haben wollen, dann müssen wir eine Autospur umgestalten“, sagt Heinz-Fischer. Daher könne man das zusätzliche Angebot auch nicht ganz unabhängig betrachten und sagen: Wir schaffen erst mal Alternativen. Beides hänge zusammen.

II. Und wie bringt man die Menschen dazu, auf andere Verkehrsmittel umzusteigen?

In der Bahn zu sitzen und aus dem Fenster zu schauen, ist angenehmer, als im Stau zu stehen. Aber die Bahn fährt nicht direkt zum Ziel. Das Problem sind die Schnittstellen, die Übergänge. Hier muss man ansetzen, findet Jule Heinz-Fischer. „Die Leute wollen ja nicht nur zum Hauptbahnhof, sondern auch in die Innenstadt oder Gewerbegebiete“, sagt sie. Sogenannte Mobilitätsstationen sollen den Umstieg auf ein anderes Verkehrsmittel erleichtern. Die Stadt will so eine Station hinter dem Bahnhof einrichten. Von dort muss es leicht möglich sein, mit dem Bus, dem Rad oder anderen Verkehrsmitteln zum Ziel zu kommen. „Eine ganz wichtige Rolle spielen dabei die Stadtwerke“, sagt Walter von Göwels. Und zwar nicht nur über die Busse, sondern auch mit den sogenannten Loop-Kleinbussen, die die Vorteile von Taxi und Bus verbinden sollen: Man kann sie dorthin bestellen, wo man sich befindet (Taxi). Aber sie transportieren nicht nur eine Person, sondern gleich mehrere Menschen (Bus). Die Stadtwerke sind inzwischen auch am Car-Sharing-Anbieter Stadtteilauto beteiligt. Und irgendwann werden vielleicht auch autonom fahrende Transportmittel zum Angebot gehören. Aber das wird noch dauern.

III. Warum dauert das denn alles so lange?

Vieles könnte schneller gehen, aber einiges steht im Weg. Bei den Schnellbussen zum Beispiel die Frage, wer für ein besseres Angebot zahlt. Die Stadt Münster hat ein Interesse daran, dass Menschen mit dem Bus kommen. Aber den Großteil der Schnellbuslinien finanzieren die Kommunen im Umland. „Wir profitieren in der Tat sehr stark. Ich bin der Meinung, dass auch die Gemeinden im Umland von weniger Autoverkehr profitieren, aber es geht um eine faire Aufteilung der Kosten“, sagt Jule Heinz-Fischer. Das Problem ist allerdings nicht neu, sondern seit Jahren ungelöst. Eine Schwierigkeit sei dabei auch, dass schon in Auftrag gegebene Busspuren nicht fertig würden. „Es geht irgendwie nicht voran, es kommt nichts Neues“, sagt Heinz-Fischer. Walter von Göwels sieht das Problem vor allem darin, dass hier die Interessen von vielen unterschiedlichen Kommunen unter einen Hut zu bekommen seien. Da gehe es um Aufgaben auf unterschiedlichen Ebenen in der Region, um Tarifsysteme, Zuständigkeiten, Interessen. „Da können wir nicht einfach als Münsteraner hinkommen und sagen: Wir möchten das jetzt für Münster haben“, sagt von Göwels. Man müsse unglaublich viel abstimmen und „einen Ausgleich für alle“ hinkriegen. Münsters Einfluss sei hier in der Vergangenheit auch nicht sehr groß gewesen. Die Stadt sei im Mobilitätsverband Teil zwar des Ganzen gewesen, habe dort aber lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Das habe sich erst in den letzten Jahren verändert.

IV. Lassen sich die Probleme denn in diesen Strukturen überhaupt lösen?

Dass so viele Beteiligte sich einigen müssen, macht eine Lösung schwer. Aber Jule Heinz-Fischer sieht nicht nur in den Strukturen das Problem. „Dass die Bahn das Schienennetz im vergangenen Jahr im gesamten Bund um vier Kilometer ausgebaut hat, das würde ich jetzt nicht nur auf die Strukturen schieben“, sagt sie. Das alles könnte nach ihrem Eindruck mit mehr gutem Willen schon besser funktionieren. „Auf der Strecke Münster-Lünen passiert seit Jahren nichts, und stattdessen stecken Bund und Land ihre Kapazitäten in die Auto-Infrastruktur“, sagt sie. Es gebe Personalknappheit. „Und da verstehe ich nicht, warum Bund und Land die Kraft immer noch in neue Auto-Infrastruktur stecken“. Der Landesbetrieb Straßen NRW sei auch für den Ausbau der Velorouten zuständig, zu etwa einem Viertel. „Die haben uns zurückgemailt: Bis 2030 schaffen sie es, statt 26 Prozent leider nur 15 Prozent auszubauen, weil sie keine Kapazitäten haben.“ Gleichzeitig scheine das Land aber Kapazitäten zu haben, die Bundesstraße 51 auszubauen. Walter von Göwels sieht das größte Problem im Ausbau der Bahnstrecke Münster-Lünen. Da sage man in Münster zwar: Das muss kommen. Aber das Argument dagegen sei, dass diese Strecke nicht wirtschaftlich zu betreiben sei. „Das kriegen Sie nicht gebacken“, sagt er. Jule Heinz-Fischer dagegen ist der Meinung, man müsse auch Strecken ausbauen oder reaktivieren, wenn sie nicht wirtschaftlich sind. „Es geht hier ja um Daseinsvorsorge“, sagt sie. Das Geld für solche Projekte sei nur eben nicht da, weil man den Autoverkehr so massiv subventioniere.

V. Um den Autoverkehr geht es beim Projekt autofreie Innenstadt – oder weitgehend autofreie Innenstadt, wie es inzwischen heißt. War es richtig, so früh über die Parkhäuser zu sprechen, die nicht mehr öffentlich zugänglich sein sollen?

Es sei sicher ein Problem in der Kommunikation gewesen, dass es nicht gut gelungen sei, „zu erklären, dass das ein Prozess ist, der schrittweise stattfinden soll“, sagt Jule Heinz-Fischer. Und das sei auch auch weiterhin wichtig. Man werde Schritt für Schritt vorgehen. „Münster ist keine Insel“, sagt sie. Es gehe hier um die Erreichbarkeit. „Wir sind fest davon überzeugt, dass eine autofreiere Innenstadt dem Einzelhandel helfen kann.“ Was dem Handel helfe, sei eine attraktivere Innenstadt. „Das ist der Konkurrenzvorteil gegenüber dem Online-Handel – das Erlebnis und die Aufenthaltsqualität“, sagt sie. Es habe aber in der Kommunikation nicht funktioniert, herauszustellen, dass es um Vorteile geht. Die Umwandlung der Parkhäuser, das sei ja nicht das Erste, was gemacht werde.

VI. Weniger Autos in der Innenstadt wollen im Grunde alle Parteien. Warum dann die Konfrontation? Warum kein Name, der die Gemeinsamkeiten betont?

Man hätte das Projekt auch „lebenswerte Innenstadt“ nennen können, sagt Jule Heinz-Fischer. Aber es sei eben Wahlkampf gewesen. Da gehe es auch darum, die Unterschiede zwischen den Parteien deutlich zu machen. Die Formulierung „lebenswerte Innenstadt“ hätte ja im Programm so ziemlich jeder Partei stehen können. „Und wir haben uns den Begriff ja nicht ausgedacht, den gibt es ja auch in anderen Städten“, sagt Heinz-Fischer. Es gebe hier eben schon unterschiedliche Vorstellungen. Die wolle man auch herausstellen.

VII. Ist es denn nicht kontraproduktiv, der anderen Partei Ideologie vorzuwerfen, wie die CDU es in ihrem Wahlprogramm macht, wenn es darum geht, eine sachliche Lösung zu finden?

Das sei schon richtig, sagt Walter von Göwels, aber „es gibt da ja auch eine andere Partei, die uns Autofahrerpartei nennt“. Man haue sich so etwas eben gelegentlich um die Ohren. „Aber ich bin auch der Meinung: Das muss man aushalten können in der Politik.“ Inhaltlich sei man in vielen Punkten gar nicht so weit voneinander entfernt. „Uns ist es nur wichtig, dass nicht ein bestimmtes Verkehrsmittel diskriminiert wird“, sagt von Göwels. Es gebe ältere Menschen, die zum Gottesdienst in den Dom wollten, das Parkhaus sei weit entfernt. „Diese Menschen müssen wir auch berücksichtigen“, sagt er. Wobei die Gegenposition hier wäre, um das zu vervollständigen, dass der Autoverkehr nicht diskriminiert werden soll, sondern man die Diskriminierung der übrigen Verkehrsarten aufheben möchte. Wenn man in andere Ländern schaue, zum Beispiel nach Dänemark, sagt Walter von Göwels, dann sei der Bahnhof dort ein großer Knotenpunkt. Der Umstieg auf andere Verkehrsmittel sei einfacher. „Da muss man meiner Meinung nach in Münster noch hinkommen“, sagt er.

VIII. Wo liegt denn eigentlich das große Problem mit der autofreien Innenstadt?

„Wir müssen auch auf die Randgebiete schauen“, sagt Walter von Göwels. Wenn es in der Innenstadt keine Parkplätze mehr gebe, dann parkten die Menschen eben in den umliegenden Vierteln. Und das sieht generell auch Jule Heinz-Fischer so, man brauche eine bessere Lösung für das Parkproblem, sagt sie. Aber die gebe es möglicherweise auch schon. Man wolle in zwei Stadtteilen ein Projekt aus Karlsruhe ausprobieren, das sogenannte Fair-Parken-Modell. Dort habe die Stadt das wilde Parken verhindert, indem sie klar gekennzeichnet hat, wo Autos abgestellt werden können. „Das hat in Karlsruhe super geklappt“. Aber einfach auf dem Gehweg parken, wie man möchte, „das geht halt nicht mehr“, sagt Heinz-Fischer. „Das schränkt das Mobilitätsbedürfnis vieler anderer Personen total ein.“

IX. Geht Mobilitätswende denn ganz ohne Konflikte?

„Konflikt sollte meiner Meinung nach möglichst vermieden werden“, sagt Walter von Göwels. Er findet: „Man sollte das durch Kommunikation lösen.“ Und dass das möglich sei, habe man zum Beispiel in der Diskussion um die Fahrradstraßen gesehen, da sei es sehr emotional geworden. Da müsse man die Dinge erklären, mit den Menschen reden. „Und wenn man dann dort hingeht, und die Leute sagen: Per se sind wir mit den Fahrradstraßen einverstanden, dann muss man an dieser Stelle vielleicht auch nicht ganz so beherzt vorgehen“, sagt von Göwels. Oder anders gesagt: Dann geht es vielleicht auch ohne Konfrontation. Und zumindest in diesem Punkt ist Jule Heinz-Fischer einer Meinung. Wie man an der Hittorfstraße vorgegangen ist, das sei „wirklich katastrophal gelaufen“, sagt sie. „Eine gute Kommunikation ist eigentlich das A und O bei allen Maßnahmen im Verkehr.“ Viele Menschen seien einfach aus Gewohnheit mit dem Auto unterwegs. Ihnen müsse man die Möglichkeit geben, sich umzuorientieren und Alternativen zu finden. Aber man müsse auch sehen, es gebe eine kulturelle Prägung, in der das Auto eine große Rolle spiele. „Der Ruf der Leute, die Parkplätze suchen, der ist immer lauter als der von Menschen, die zu Fuß unterwegs sind“, sagt Heinz-Fischer. Ganz ohne Konflikte gehe es wahrscheinlich nicht.

Es sind noch Fragen offen

Hier wollten wir nun eigentlich noch auf die Kommentare und Fragen aus der Veranstaltung eingehen. Jule Heinz-Fischer und Walter von Göwels wollten noch ein paar Antworten geben. Aber wir haben es noch nicht geschafft, das alles zusammengetragen. Daher machen wir das später.

Und wir werden auch einige Fragen aufgreifen und selbst noch einmal recherchieren. Zum Beispiel die, wie weit der übergeordnete Plan für die Mobilität in Münster denn eigentlich ist, also der Masterplan mit dem schönen Namen „Mobilität 2035+“. Dieses Thema streifte am Sonntag auch eine Kritik des Architekten und Stadtplaners Jörg Preckel, der sich gegen Ende der Diskussion meldete. Er sagte: „Wir reden immer nur über Einzelmaßnahmen. Aber das bringt unser Klima nicht zum Wandel. Wir müssen schlicht und ergreifend ein Mobilitätskonzept haben, das in Münster funktioniert.“

Eine weitere interessante Frage ist, wie sehr der Personalmangel in der Stadtverwaltung all das ausbremst, was die Verkehrswende beschleunigen könnte. Und wie weit sind die Stadtwerke eigentlich mit der von der CDU angeforderten Liste, die Walter von Göwels in der Diskussion erwähnte? Darauf soll das Unternehmen aufführen, was sich ändern müsste, damit das Verkehrssystem besser funktioniert.

In aller Kürze

+++ Das Landgericht Münster hat den Hauptangeklagten im Missbrauchskomplex, einen 28-jährigen Mann aus Münster, heute zu einer 14-jährigen Haftstrafe verurteilt. Drei weitere Täter müssen für zehn, elfeinhalb und zwölf Jahre ins Gefängnis. Für alle vier Männer ordnete das Landgericht wegen Wiederholungsgefahr eine anschließende Sicherungsverwahrung an. Das heißt: Es kann sein, dass sie nie wieder freikommen. Das wird nach der Haftstrafe dann überprüft. Die Mutter des Haupttäters aus Münster muss wegen Beihilfe zu schwerem sexuellem Kindesmissbrauch für fünf Jahre ins Gefängnis. Sie habe von den Taten gewusst und ihrem Sohn dafür die Gartenlaube in Münster zur Verfügung gestellt, in der einige schwere Missbrauchstaten stattfanden.

Was im Laufe des Prozesses vor Gericht passierte, kann man sich nur schwer vorstellen. Der nun verurteilte Haupttäter hat während des Prozesses immer wieder gegrinst, teilweise laut gelacht, berichten mehrere Medien, unter anderem die Tagesschau. Der Vorsitzende Richter sagte am Ende: „Das übersteigt alles, was dieser Kammer bislang vorgelegt wurde.“ Die Taten fanden offenbar in einer von Routine geprägten Atmosphäre statt. In den Agenturberichten heißt es, sie seien „gewohnheitsmäßig“ und „mitleidslos“ erfolgt. Und als die Corona-Zeit anbrach, wurde für die Opfer offenbar alles noch viel schlimmer. In seiner Urteilsbegründung sagte der Vorsitzende Richter: „Ab März 2020 steigerte sich die Handlungsdichte bei den Taten, weil im coronabedingten Lockdown in den Schulen kein Präsenzunterricht für die Opfer möglich war.“ Der Prozess fand zu großen Teilen hinter verschlossenen Türen statt. Annette Ramelsberger erklärt in einem sehr guten Beitrag für die Süddeutsche Zeitung, warum das einerseits gut ist, andererseits auch problematisch. Gut ist es, weil die Opfer so anonym bleiben konnten. Problematisch, weil die Öffentlichkeit so gut wie nichts über die Täter erfuhr. Das kann zu Zweifeln am Urteil führen. „Denn wenn niemand mitkriegt, wie die Justiz mit diesem beispiellosen Fall von Pädokriminalität umgeht, dann kann man den Rechtsstaat schnell für lasch und zahnlos halten“, schreibt Ramelsberger.

NRW-Innenminister Herbert Reul sagte dem WDR heute, im Missbrauchsfall von Münster werde weiter ermittelt, ebenso wie in den Fällen von Lügde und Bergisch Gladbach. Die Polizei müsse riesige Mengen an Videos und Fotos von Missbrauchshandlungen sichten. Die gesammelte Datenmenge entspreche einem Turm von CDs in einer Höhe von 8.000 Metern.

+++ Münster ist eine von sieben deutschen Großstädten, die etwas testen wollen, das schon auf den ersten Blick nach einer heißen Debatte aussieht: Tempo 30 soll in der Stadt der Normalfall werden. Nur auf den wenigen Hauptverkehrsstraßen soll weiter Tempo 50 zulässig sein. So steht es in einer Mitteilung des Deutschen Städtetags. Münsters Oberbürgermeister Markus Lewe ist dort Vize-Präsident. Und allzu lange soll es nicht mehr dauern, bis der Versuch beginnt. Nach der Bundestagswahl soll alles Nötige auf den Weg gebracht werden.

Corona-Update

Es ist in den vergangenen Wochen etwas leichter geworden, einen Impftermin zu bekommen, aber es gibt noch immer viele Menschen, die weiter auf ihre Impfung warten. Wenn Sie zu diesen Menschen gehören, haben wir eine gute Nachricht für Sie: Sie können sich im Impfzentrum der Halle Münsterland auf eine Warteliste setzen lassen. Wenn abends noch Impfdosen übrig sind, die schnell verbraucht werden müssen, klingelt Ihr Telefon, und Sie können gleich vorbeikommen. Wenn Sie sich auf die Liste setzen lassen möchten, folgen Sie diesem Link. Etwas ausführlichere Informationen gibt die Stadt hier. Und noch schnell zu den aktuellen Corona-Zahlen: Bisher sind nach Angaben der Stadt 221.000 Menschen mindestens erstgeimpft, 167.000 von ihnen sind schon vollständig immunisiert. Die Wocheninzidenz, also die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Menschen innerhalb von sieben Tagen, ist leicht gestiegen: Sie liegt heute bei 4,8. Aktuell gelten 30 Menschen aus Münster als infiziert. Eine Person wird im Krankenhaus auf der Intensivstation behandelt, sie muss jedoch nicht beatmet werden.

Unbezahlte Werbung

Eine der neuen Erfahrungen aus dem vergangenen Jahr ist, dass vieles, was wir vorher im Überfluss hatten, plötzlich knapp war. Das Toilettenpapier, Hefe, später dann Termine für Impfungen, und nun folgen die Tickets für Konzerte und Veranstaltungen. Auf dem Partyschiff MS Günther zum Beispiel sind von neun Veranstaltungen im Juli sieben schon ausgebucht. Für zwei gibt es laut Website noch Restkarten. Das ist zum eine Fahrt am 13. Juli, einem Dienstag, bei der man lernen kann, wie man Cocktails selber mixt. Und vermutlich wird das Ergebnis dann nicht über Bord gegossen. Zum anderen sind noch Karten für das Pubquiz am Tag drauf zu bekommen. Und weil ich schon auf dem Schiff gefahren bin und einige Jahre Pubquiz-Erfahrung habe, kann ich das sehr empfehlen. Die Termine für August und die folgenden Monaten finden Sie auf der Website. Und lassen Sie sich am besten nicht zu viel Zeit, auch da ist schon vieles ausverkauft.

Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!

Drinnen und Draußen

Heute empfiehlt Paul Oppermann zwei Veranstaltungen. Und um mit Blick auf den ersten Tipp transparent zu sein: Paul ist selbst für die Fridays-for-Future-Bewegung aktiv. Das hier sind seine Empfehlungen:

+++ Auf dem Weg zur klimaneutralen Gesellschaft sind gute und kreative Ideen gefragt. Von Donnerstag bis Sonntag können Sie im Pumpenhaus solche Ideen entwerfen und sammeln, zusammen mit Schauspieler:innen, Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen von Fridays for Future. Denkraum der Utopien – eine Performance der Wissenschaften findet jeweils um 20 Uhr statt. Karten gibt es hier im Vorverkauf, der Eintritt kostet 13 Euro, ermäßigt 8 Euro.

+++ Cineast:innen sollten sich den Donnerstagabend freihalten. Um 22:15 Uhr gibt es am Hawerkamp den Film Minari – wo wir Wurzeln schlagen zu sehen, in dem eine koreanisch-amerikanische Familie die Möglichkeiten und Grenzen des „Amerikanischen Traums“ erlebt. Tickets gibt es online für 10 Euro. Einlass ist ab 21:15 Uhr, Sie müssen dann einen Nachweis über einen negativen Schnelltest, eine Impfung oder Genesung mitbringen.

Und ein Tipp kommt noch von mir. Ich möchte eine Veranstaltung empfehlen, auf die ich mich ganz besonders freue. Sie findet an einem Ort, den wir in seiner jetzigen Beschaffenheit sicher nicht mehr ganz so oft als Veranstaltungsort erleben werden – das Gelände der ehemaligen York-Kaserne.

+++ Dort findet vom 16. bis zum 18. Juli das – ich nenne es mal einfach so – Kunst- und Musikfestival Reset Spezial statt. Es besteht aus zwei Teilen, für die man separat Karten kaufen kann. Das ist zum einen der Mixed-Arts-Parcours, ein Programm aus Kurzfilmen, einer Videoshow, einer Ausstellung und einer Installation in der ehemaligen Panzergarage. Der zweite Teil ist ein Konzertprogramm, das an allen drei Tagen stattfindet. Wer und was genau zu sehen ist, steht auf der Website des Festivals. Und dort gibt es auch noch einige Tickets.

Herzliche Grüße
Ralf Heimann

Mitarbeit: Paul Oppermann, Antonia Strotmann

PS

In der Stadt ist am Wochenende kaum noch etwas von der Pandemie zu spüren. Drinnen trägt man hier und da weiterhin Masken, aber wenn man am Samstagabend den Hansaring herunterläuft, sieht es so aus, als hätte alles wieder zu den üblichen Gewohnheiten zurückgefunden. Nur das Nachtleben schläft weiter. Es erscheint fast schon überfällig, dass auch die Clubs wieder öffnen. In Österreich wird das am Wochenende geschehen, auch in Baden-Württemberg kann man am Wochenende wieder tanzen. In Ravensburg feiern die Menschen wieder drinnen ohne Maske. Die Infektionszahlen sind ja wieder so gering wie im vergangenen Sommer. Aber dass diese Sicherheit täuschen kann, zeigt ein Fall aus dem gar nicht so weit entfernten Enschede. Dort hatte die Disko Aspen Valley nach Monaten zum ersten Mal wieder geöffnet. 600 Gäste waren da, und etwa 165 von ihnen hatten danach eine Corona-Infektion. Das schreibt unter anderem der Berliner Tagesspiegel. Es ist nicht ganz klar, ob sie alle sich in dem Club angesteckt haben, aber es ist wahrscheinlich, dass ein Großteil sich das Virus dort geholt hat. Das sind keine guten Nachrichten. Aber die Zeiten sind halt so. Hoffen wir, dass in den nächsten Wochen nicht noch schlechtere folgen werden. Die Halbfinals und das Endspiel der Fußball-EM stehen ja noch bevor. Da werden jeweils ungefähr 60.000 Menschen im Stadion erwartet.

PPS

Mit so einer schlechten Nachricht mag ich Sie dann doch nicht verabschieden. Wo heute doch wieder Fußball ist und Italien spielt: Haben Sie die folgende Szene hier gesehen? Der italienische Stürmer Ciro Immobilie, einigen noch bekannt aus seiner erfolglosen Dortmunder Zeit, verletzt ganz fürchterlich im Strafraum. Er windet sich auf dem Boden. Dann schießt seine Mannschaft ein Tor. Und dazu passiert gleich noch ein Wunder: Er ist wieder gesund.

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