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Grün gewinnt | CDU rutscht nach | AfD so schwach wie sonst nirgends
Guten Tag,
am Sonntagabend um kurz vor neun steht Maria Klein-Schmeink ein bisschen erschöpft zwischen den Säulen vor dem historischen Rathaus am Prinzipalmarkt. Sie streift ihre Maske vom Gesicht und atmet durch. Minuten vorher war sie noch drinnen, umringt von drei Reportern, die ihr Fragen stellten, auf die es an diesem Abend noch keine Antworten gibt, auch weil das Ergebnis zu dieser Zeit noch nicht feststeht. Aber es sieht gut aus für sie und ihre Partei, zumindest in Münster. Als zwei Stunden vorher die ersten Zahlen auf der Leinwand in der Bürgerhalle des Rathauses erschienen, war der grüne Balken schon länger als die anderen. Dann wurde der Vorsprung mit jeder Aktualisierung größer. Und jetzt, um kurz vor neun, sieht es so aus, als wenn Maria Klein-Schmeink den Wahlkreis gewonnen hat.
Das hat es außerhalb von Berlin noch nie gegeben. Nur der Wahlkreis 83 in Kreuzberg-Friedrichshain ist schon seit Jahren so grün, wie das Münsterland schwarz ist. Dort wohnt Maria Klein-Schmeink, wenn sie in Berlin ist. Und das könnte nun der erste Wahlkreis in Deutschland werden, in dem mehr als eine direkt gewählte Grünen-Abgeordnete lebt. Aber wie konnte das passieren, mitten im schwarzen Münsterland, wo alle übrigen Wahlkreise an die CDU gingen, Maria Klein-Schmeink beim letzten Mal gerade auf knapp 13 Prozent kam und die CDU-Kandidatin auf über 37?
Maria Klein-Schmeink hat auf diese Frage selbst eine Antwort. „Meine Erklärung ist: Die zwölf Jahre im Bundestag und die Zeit im Rat, in der ich mich für soziale Gerechtigkeit und ökologischen Wandel eingesetzt habe, die sprechen für mich“, sagt sie, noch immer vorsichtig, denn auch wenn alles so eindeutig aussieht, es kann ja immer noch kippen. Das hat sich an diesem Abend bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl gezeigt. Erst sah es so aus, als hätten die Grünen klar gewonnen, dann überholte sie die SPD. In Münster wird das an diesem Abend nicht passieren. Maria Klein-Schmeink wird mit großem Vorsprung gewinnen, gegen einen CDU-Landtagsabgeordneten und gegen eine SPD-Bundesministerin. Ihre Bekanntheit könnte ein Vorteil sein. Doch der Vorsprung der grünen Kandidatin wird am Ende bei über sechs Prozentpunkten liegen.
„Münster ist eine Swing-City“
Auch Maria Klein-Schmeink hat sich in der Politik einen Namen gemacht. Sie ist stellvertretende Fraktionschefin und gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Partei. Wenn es um die Frage geht, wer das Bundesgesundheitsministerium übernehmen könnte, dann fällt auch ihr Name. Aber ist sie innerhalb von vier Jahren so viel populärer geworden? Oder lag es eher an der Politik ihrer Partei?
Ein Anruf bei Bernd Schlipphak, Professor für Politikwissenschaft an der Uni Münster. Warum sind die Grünen in Münster so erfolgreich? Ein bisschen überraschend sei es schon, die Stadt sei in der Vergangenheit ja eher eine CDU-Bastion gewesen, sagt Schlipphak. Aber er sagt auch: „Die Grünen schneiden am besten unter den Beamten ab, bei Akademikern mit hohem Einkommen. Und da hat Münster großes Potenzial.“ Die Stadt sei speziell, die Einkommen relativ hoch. Die Fridays-for-Future-Bewegung habe hier eine große Resonanz gefunden. Das sei eine mögliche Erklärung. Und mehr als eine mögliche Erklärung wird man im Moment auch nur schwer finden.
Aber welche möglichen Erklärungen gibt es noch? Norbert Kersting, ebenfalls Professor für Politikwissenschaft an der Uni Münster, ist am Sonntagabend ins Rathaus gekommen, um mit den Menschen zu sprechen und sich ein Bild zu machen. Er wirkt einerseits überrascht, andererseits aber auch gar nicht. „Münster ist eben eine Swing-City“, sagt er, als hätte er das Ergebnis im Grunde schon geahnt. Wechselnde Mehrheiten seien in der Stadt nichts Neues. Aber dass das Ergebnis so eindeutig ausfalle, das sei dann doch unerwartet.
In den Jahren 2002 und 2005 gelang es Christoph Strässer zwei Mal hintereinander, den Wahlkreis für die SPD zu gewinnen. Aber da musste er sich jeweils nur gegen einen Gegenkandidaten durchsetzen, es waren Duelle zwischen Strässer und Ruprecht Polenz, der für die CDU antrat und 2009 wieder gewann. Christoph Strässer konnte auch auf die Menschen hoffen, die ihre Zweitstimme den Grünen gaben oder einer anderen eher linken Partei. Das war diesmal anders. Das eher linke Lager hatte zwei Optionen: Svenja Schulze oder Maria Klein-Schmeink. Und trotzdem fiel das Ergebnis sehr deutlich aus.
Lag es also doch vor allem an der Kandidatin? „Es lag auch an der Kandidatin“, sagt Norbert Kersting. Maria Klein-Schmeink sei inzwischen bekannter als vor vier Jahren. Sie habe es geschafft, deutlich zu machen, dass sie für eine bestimmte Art von Politik stehe. Das hätten die Menschen honoriert.
Zwei Ministerien für Münster?
Am Sonntagabend steht Maria Klein-Schmeink nach dem Gespräch noch einen Moment vor dem Rathaus. Zwei Frauen, die sie kennt, gratulieren ihr. Sie will noch schnell rein, aber dann zurück zum Café Floyd am Marktplatz, wo sie am Abend mit großem Jubel empfangen worden war und eine kleine Rede gehalten hat. Sie will das gute Ergebnis feiern, ein bisschen, aber am nächsten Morgen geht schon der Zug nach Berlin, wo die Fraktion sich zum ersten Mal trifft, und dann am Dienstag ist schon die erste Fraktionssitzung.
Auf die Frage, wie es dann weitergeht, hatte Maria Klein-Schmeink kurz vorher den Satz gesagt: „Das liegt ja leider nicht in unserer Hand.“ Später wird sich dann herausstellen, dass das vielleicht zu pessimistisch war. Die Grünen und die FDP entscheiden zusammen, wer der neue Bundeskanzler wird, Olaf Scholz oder Armin Laschet – außer es wird am Ende wieder eine große Koalition. Dann wären beide draußen. Am Montagmorgen sieht es so aus, als hätte Olaf Scholz gute Chancen. Ein Zitat von Armin Laschet ist aus der Präsidiumssitzung gedrungen. Er soll gesagt haben, seine Partei habe keinen Regierungsauftrag. Aber er soll auch gesagt haben: „Olaf Scholz ist nicht der König.“ Das meldet die Bild-Zeitung. Als Laschet sich später öffentlich äußert, klingt es dann doch wieder verwaschen.
In einer Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP könnte es durchaus passieren, dass für Maria Klein-Schmeink das Gesundheitsministerium abfällt. Und es ist nicht so unwahrscheinlich, dass auch Svenja Schulze wieder Ministerin wird. Sie hat viele mit ihrer Arbeit als Bundesumweltministerin überzeugt. Die Taz schrieb im Juli, sie sei in diesem Amt „enorm erfolgreich“ gewesen, die Süddeutsche Zeitung urteilte im Mai, sie könnte auf den letzten Metern „zur erfolgreichsten Ministerin im vierten Kabinett Merkel werden“. Die Fridays-for-Future-Bewegung würde das sicher anzweifeln. Aber andere würden das schon unterschreiben.
In Münster ist es im Kampf um das Direktmandat nur Bronze geworden, der dritte Platz. Svenja Schulze bekam 24 Prozent der Stimmen, Maria Klein-Schmeink 32. Der Abstand ist deutlich. Aber trotz der Niederlage ist es für Svenja Schulze ein guter Abend. Um kurz nach neun betritt sie mit einem kleinen Tross das Rathaus. SPD-Chef Robert von Olberg und Fraktionschef Marius Herwig begleiten sie. Drinnen dann Glückwünsche, Jubel. Auf der Landesliste ihrer Partei steht sie auf dem zweiten Platz. Ihr Mandat ist sicher.
Anruf nachts um halb zwei
Fehlt eigentlich nur noch einer aus dem Trio derer, die Chancen auf das Direktmandat hatten. Stefan Nacke, der Kandidat der CDU. Wo ist er eigentlich? Um neun hat ihn im Rathaus noch niemand gesehen. Das liegt vielleicht auch an seinem Ergebnis. Das Wahlbarometer, eine Umfrage der Uni Münster und der Westfälischen Nachrichten, hatte ihm noch gute Chancen auf einen Sieg eingeräumt. Maria Klein-Schmeink, Svenja Schulze und er lagen bei jeweils genau 30 Prozent. Es sah aus, als könnte es sehr, sehr knapp werden. Nun ist es Platz zwei geworden, mit deutlichem Abstand (26 Prozent). Und Nacke hat keinen sicheren Listenplatz. Es kann sein, dass seine Bewerbung um ein Bundestagsmandat damit erfolglos endet. Am späten Abend sieht es danach aus. Am nächsten Morgen wird in der Zeitung der Satz stehen: „Einzig in Münster schafft CDU-Mann Stefan Nacke den Sprung ins Reichtstagsgebäude nicht.“
Doch in der Nacht, nach Redaktionsschluss, nimmt alles doch noch eine andere Wendung. Um kurz nach halb zwei telefoniert Nacke mit der Zeitung und teilt mit, er habe es doch wohl ins Parlament geschafft. Eine halbe Stunde später melden die Westfälischen Nachrichten online: „Überraschung in Münster: dritter Abgeordneter im Bundestag“. Um 8 Uhr kommt die Bestätigung vom Landeswahlleiter. Immerhin das ist noch glimpflich ausgegangen für die CDU in Münster.
Und es gibt noch eine andere gute Nachricht aus der Perspektive der Parteien mit demokratischen Vorstellungen. Eine Stunde nach Mitternacht twittert Ruprecht Polenz: „Bei der letzten Bundestagswahl war Münster der einzige Wahlkreis, in dem die rechtsradikale AfD unter 5 Prozent gedrückt wurde. Jetzt wurde sie noch weiter geschrumpft.“ Am Ende werden es 2,86 Prozent. Für die AfD ist es das schlechteste Ergebnis in Deutschland.
Wahl-Klein-Klein
+++ Der Kern von Münster ist grün, aber drumherum ist diesmal nicht alles schwarz wie bei der Kommunalwahl im vergangenen Jahr. Im Norden gewann die SPD die meisten Zweitstimmen, im Westen siegten die Grünen. Der Südosten, der Osten und Hiltrup gingen an die CDU. Aber der Sieg der Grünen im Bezirk Mitte hat so viel Gewicht, dass die Partei auch insgesamt weit vorne liegt. Die Grünen erreichten in Mitte 38,2 Prozent. Das beste Ergebnis der CDU war das in Hiltrup, 29,4 Prozent.
+++ Die Grünen haben in allen Stadtbezirken gewonnen, die CDU hat überall verloren – wie auch FDP, Linke und AfD. Die SPD gewann fast überall, nur nicht in Herz Jesu, Pluggendorf/Bahnhof und Sentrup. In Sentrup erzielte sie mit 16 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis. Die Grünen waren im Gebiet Pluggendorf/Bahnhof am erfolgreichsten (44,7 Prozent). Das beste Ergebnis der CDU steht im Stadtteil Nienberge in der Statistik. Dort war die Partei auch bei der letzten Wahl am erfolgreichsten. Die Ergebnisse unterscheiden sich allerdings dann doch etwas. Vor vier Jahren wählten in Nienberge 42 Prozent die CDU, diesmal nur noch 33 Prozent. Die SPD schnitt in Hiltrup-Ost am besten ab (29,5 Prozent), die FDP in Gelmer/Dyckburg (16,5 Prozent) und die Linke im Gebiet Schützenhof/Hafen (16 Prozent).
+++ Den Grünen ist es zum ersten Mal gelungen, bei einer Bundestagswahl außerhalb von Berlin ein Direktmandat zu gewinnen. Das von Maria Klein-Schmeink war allerdings nicht das einzige, insgesamt wurden es am Ende in ganz Deutschland 16. Und das gelang auch der AfD, sie gewann allerdings nur Wahlkreise in Ostdeutschland. Und im Kontrast zu Münster: In Thüringen wurde sie sogar stärkste Kraft.
+++ In Münster haben bei der Bundestagswahl 83,9 Prozent aller wahlberechtigten Menschen ihre Stimmen abgegeben (2017: 82,3). Insgesamt 196.286 von 233.953. Und das sind schon sehr viele lange Zahlen. Aber eine noch: 992 Menschen haben ungültige Stimmen abgegeben. Das bedeutet nicht unbedingt, dass sie nicht in der Lage waren, zwei Kreuzchen an die richtige Stelle zu setzen. Es kann auch bedeuten, dass Sie mit ihrer Stimme signalisieren: Ich unterstütze grundsätzlich das System. Gleichzeitig machen sie deutlich, dass auf dem Wahlzettel keine Partei steht, von der sie denken: Die vertritt meine Interessen.
+++ Wenn Sie wissen möchten, wie das Ergebnis in Ihrem Viertel ausgefallen ist, dann können Sie auf dieser Seite oben rechts auf „Mein Wahllokal“ klicken und dort ihre Straße angeben.
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Hyper Hyper
Und nun noch zu einem anderen Thema. In Münster verteilen sich mittlerweile 4.000 Scooter über das Stadtgebiet, also Elektroroller. Bislang gab es sie von zwei Anbietern, Tier und Lime. Im August ist mit Bolt noch ein dritter Anbieter dazugekommen. Dazu findet man Leihräder und Tretroller von Tretty. Und an einigen Stellen, vor allem auf Gehwegen, wird es langsam eng.
Das Rathaus-Bündnis aus SPD, Grünen und Volt möchte zusammen mit der Internationalen Fraktion erreichen, dass die Scooter in Zukunft nicht mehr überall in der Gegend herumstehen – und dass die Anbieter dafür zahlen, dass sie den öffentlichen Raum nutzen.
Hier erklären Andrea Blome und Albert Wenzel aus der grünen Ratsfraktion das in einem Video. In der vergangenen Woche haben die Parteien im Ordnungsausschuss beantragt, dass die Stadt Münster die Regeln ändern soll.
Das Problem gibt es überall in Deutschland. Im ganzen Land läuft seit einigen Wochen eine Debatte darüber, wie es gelingen kann, die Scooter-Flut in den Griff zu bekommen. Und es gibt ganz unterschiedliche Ansätze.
Einige Städte setzen auf Selbstverpflichtungen, andere machen den Anbietern gar keine Vorgaben. Und eine Möglichkeit, die Unternehmen sehr genau zu kontrollieren, hat das Oberverwaltungsgericht Düsseldorf im vergangenen Jahr mit einem Urteil geschaffen. Mieträder in den öffentlichen Raum zu stellen, ist danach eine sogenannte Sondernutzung. Und das gilt auch für Elektroroller.
Wer den öffentlichen Raum in Anspruch nehmen möchte, um Räder oder Roller abzustellen, braucht eine Erlaubnis und muss eine Gebühr zahlen. Die Stadt kann die Nutzung an Bedingungen knüpfen. Sie kann zum Beispiel die Zahl der Roller pro Anbieter begrenzen. In ihrem Antrag fordern die Parteien die Stadt dazu auf, die Sondernutzungsregeln anzupassen.
Strafen waren bislang nicht nötig
Die Stadtverwaltung selbst sieht im Grunde gar kein Problem. Wir hatten schon eine Woche vor dem Antrag nach der Situation mit den E-Scootern gefragt. Da schrieb das Kommunikationsamt, man stehe mit den Firmen in einem Austausch, es gebe ein Beschwerdemanagement, Ansprechstellen und großräumige Parkverbotszonen.
Wenn sich jemand über einen im Weg stehenden E-Scooter beschwert, geht die Beschwerde direkt weiter an das Unternehmen. Das muss sich dann gleich darum kümmern. Strafen seien bislang noch nicht nötig gewesen,so erklärt es eine Sprecherin der Stadt in einer E-Mail. Aber sie schreibt auch, es werde darüber diskutiert, die Anzahl der Roller oder der Leihgebiete zu beschränken. Der dritte Anbieter sei allerdings erst gerade auf dem Markt, man werde die Situation beobachten.
Aber was sagen die Anbieter? Ein Sprecher von Lime bot uns ein Hintergrundgespräch an, antwortete aber nicht mehr, als wir schrieben, wir würden schon gern daraus zitieren. Bolt schickte auf unsere Bitte um ein Gespräch lediglich ein zwei Absätze langes Statement.
Ein Gespräch, aus dem wir zitieren dürfen, wollte nur Matthias Weber mit uns führen, Regional-Manager des Anbieters Tier.
Tier ist der Anbieter, der als Erster nach Münster kam, seit Sommer 2019. Dem Unternehmen gehören etwa 1.500 der 4.000 Roller in der Stadt. Und seit dem Start hat sich nicht nur die Größe der Flotte verändert. Anfangs hat das Unternehmen die Roller gedrosselt, wenn sie bestimmte Gebiete verließen. Doch das ist rechtlich problematisch, deswegen kann es heute passieren, dass Tier die Roller später im Wald einsammeln muss.
Anfangs hat das Unternehmen versucht, den Wildwuchs durch großflächige Parkverbotszonen zu verhindern. „Aber das allein ist keine Lösung“, sagt Matthias Weber. Nicht nur aus der Perspektive der Stadt, auch aus der von Menschen, die ihren Scooter irgendwo abstellen möchten. Sie sehen, dass das in der Sperrzone nicht geht. „Das führt dann einfach dazu, dass die Menschen die E-Scooter an den Rändern abstellen“, sagt Weber. Besser sei es, die Parkflächen gleich auszuweisen.
Pro Fahrt im Schnitt knapp zwei Kilometer
Eine wichtige Frage in der Debatte über die E-Scooter ist: Geht es um eine vernünftige Lösung oder darum, die Roller wieder loszuwerden? Das Problem ähnelt ein bisschen dem mit den Handys vor 25 Jahren. Einige Menschen empfinden es schon als störend, dass die E-Scooter überhaupt auf den Straßen unterwegs sind.
Aber es gibt auch sachliche Argumente, die gegen sie sprechen, denn sie sollen ein Beitrag zur Mobilitätswende sein, doch es gibt Zweifel daran, ob sie das wirklich sind. Eine Untersuchung der Unternehmensberatung Civity zeigt, dass die Menschen im Schnitt nur knapp zwei Kilometer mit E-Scootern fahren. Oft sind das Wege, die man sonst zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen würde. Autofahrten ersetzen die Scooter dagegen nur selten. Zu dem Schluss kommt auch das Umweltbundesamt. Ein Beitrag zur Verkehrswende seien sie demnach nicht.
Matthias Weber sagt: „Das ist das beste Beispiel dafür, wie bei E-Scootern mit zweierlei Maß gemessen wird.“ Das Unternehmen habe auch selbst eine Studie in Auftrag gegeben. In einer Befragung sollten die Menschen sagen, welches Verkehrsmittel sie genutzt hätten, wenn sie nicht mit dem Scooter gefahren wären. Viele hätten angegeben, dann wären sie mit dem Auto, einem Car-Sharing-Wagen oder dem Taxi gefahren.
Dieser Punkt wird wohl nicht entscheidend sein. Drängender ist das mit den Parkräumen. Eine Sondernutzungserlaubnis könnte Kosten auf die Anbieter verlagern und die Zahl der Scooter begrenzen.
Aber ist das eine vernünftige Lösung? Aus Sicht von Matthias Weber wäre es besser, die Sondernutzungsregeln mit einer Ausschreibung zu verbinden. „Die Stadt könnte sich die Anbieter aussuchen, die den besten Service bieten“, sagt er. Über die Erlaubnis wäre es auch möglich, vorzuschreiben, dass Anbieter nur Ökostrom verwenden dürfen – oder nur Fahrzeuge mit austauschbaren Akkus. „Wenn man eine Ausschreibung gut gestaltet, dann können dadurch alle gewinnen“, sagt Weber.
In Leipzig beginnt eine Testphase
Hohe Standards hätten allerdings vor allem Vorteile für etablierte Anbieter, die etwas teurer sind. Für alle anderen würde die Eintrittsschwelle höher.
Eine Fahrt mit einem Tier-Roller kostet zurzeit 19 Cent pro Minute, Lime verlangt 20 Cent. Hinzu kommt bei beiden Anbietern eine Startgebühr von einem Euro pro Fahrt. Bolt dagegen versucht, durch niedrige Preise einen Fuß in die Tür zu bekommen. Eine Startgebühr verlangt Bolt noch nicht. Der Preis ist von anfangs fünf Cent pro Minute aber schon auf neun Cent gestiegen.
Es gäbe auch andere Möglichkeiten, um zu verhindern, dass E-Scooter in der Stadt die Wege versperren. Leipzig probiert so etwas gerade aus. Dort dürfen die Scooter nur an festen Stellen stehen. Ob das gut funktioniert, weiß man noch nicht. Die Testphase beginnt in den nächsten Wochen. Sie soll zwei Jahre lang dauern.
Korrekturhinweis:
In einer früheren Version hatten wir geschrieben, dass das Bündnis aus Grünen, SPD und Volt sowie der Internationalen Fraktion erreichen möchte, dass die Roller nicht mehr Weg herumstehen und Anbieter dafür zahlen, wenn das Ordnungsamt sie wegräumen muss. Das war etwas zu ungenau. Nach den Vorstellungen der Parteien sollen die Anbieter generell dafür zahlen, wenn sie den öffentlichen Raum nutzen. Wir haben das korrigiert.
+++ Normalerweise stellt die Stadt den Kita-Jahresbericht im Spätsommer auf einer Pressekonferenz vor, anschließend berichten Medien darüber, zum Beispiel hier mit dem traditionellen Gruppenfoto. In diesem Jahr gab es so einen Termin nicht. Dafür kann es verschiedene Gründe geben. Einer davon könnte sein, dass es in diesem Jahr wenig Erfolge, dafür aber Probleme zu vermelden gibt. Die Betreuungsquote bei den unter Dreijährigen ist zwar gestiegen, aber nur von 48,1 auf 48,2 Prozent. Und auch nur deshalb, weil weniger Kinder in dieser Altersgruppe betreut werden müssen als im Vorjahr, sonst wäre die Quote gesunken. Es gibt nämlich weniger Plätze als vorher, und das liegt an der Corona-Pandemie, wie die Stadt in einer Vorlage für die Ratssitzung am Mittwoch schreibt. Es sind zwar 30 Kita-Plätze dazugekommen. Gleichzeitig bieten einige Tageseltern aber gar keine oder weniger Plätze an, weil sie sich und ihre Familien vor einer Ansteckung schützen wollen. Nun fehlen in der Tagespflege 84 Betreuungsplätze, und es rücken voraussichtlich auch weniger Tageseltern nach als sonst.
Das ist sehr ungünstig, weil selbst die U3-Betreuungsquote von 50 Prozent, die die Stadt eigentlich anstrebt, wahrscheinlich nicht ausreicht. Offenbar möchten noch mehr Eltern ihre Kleinkinder in einer Kita oder Tagespflegeeinrichtung anmelden. Die Stadt will den tatsächlichen Bedarf jetzt durch eine Elternbefragung ermitteln, die Ergebnisse gibt es im nächsten Jahr.
Mit dem Auto zum Supermarkt fahren und dann feststellen, man hat gar keine Maske dabei, soll bald gesetzlich verboten sein. Das Bundesverkehrsministerium hat noch schnell vor der Wahl angekündigt, dass zwei Masken im Auto bald Pflicht werden sollen. Die Masken sollen dann im Verbandskasten liegen. Wer sich nicht an die Regel hält, soll ein Bußgeld zahlen müssen.
Und hier die aktuellen Corona-Zahlen aus Münster: Die Inzidenz, also die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Menschen innerhalb von einer Woche bewegt sich weiter bei einem Wert um die 50 herum. Heute meldet die Stadt Münster: 49,3. Im Moment liegen 14 Menschen mit einer Corona-Infektion in Münsters Krankenhäusern, drei von ihnen auf der Intensivstation. Und zur Erinnerung: Wenn Sie sich impfen lassen möchten, bitte nicht zum Impfzentrum in der Halle Münsterland fahren. Denn das ist nach knapp 215.000 Impfungen seit dem Wochenende geschlossen.
An der Neubrückenstraße gibt es seit einem Jahr ein kleines Café, das vegetarisches und veganes Essen verkauft, das Café Lockvogel. Auf der Speisekarte stehen unter anderem ein vegetarischer Döner, sehr viel Süßes, Himbeer-Cheesecake zum Beispiel, Snikkers-Torte und eine sehr leckere Quiche. Das weiß ich, weil ich die Quiche in der vergangenen Woche probiert habe. Es ist auch sonst sehr schön, man kann draußen sitzen. Geöffnet ist das Café donnerstags bis samstags zwischen 12 und 18 Uhr.
Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!
+++ Am Samstagabend habe ich seit Langem mal wieder in einem fast vollen Theater gesessen, im Stadttheater. Faust, erster Teil, die Premiere. Sehr nah am Original, wenn man mal den blauen Anzug von Faust ausnimmt. Das bedeutet aber auch: Man liest sich vorher besser noch mal die Zusammenfassung durch. Die Sprache ist ja doch etwas, in der Politik würde man sagen herausfordernd. Die nächste Chance, Faust zu sehen, wäre am Wochenende, am Samstag oder Sonntag. Tickets, die genauen Zeiten und die Aufführungstermine finden Sie hier.
+++ Und noch ein schneller Tipp für Donnerstag. Da zeigt das Schloßtheater den Dokumentarfilm „Hinter den Schlagzeilen“, der einen Einblick in das Investigativressort der Süddeutschen Zeitung gibt und sich mit der Frage beschäftigt, wie wichtig Vertrauen in Medien ist. Der Regisseur Daniel Sager ist an diesem Abend zu Gast. Nach dem Film wird er mit Kristian van Bentem vom Deutschen Journalistenverband und Rainer Bode vom Verein Debatte diskutieren. Der Film beginnt um 19 Uhr. Karten bekommen Sie hier. Und wenn Sie sich vorher einen vier Minuten langen ZDF-Beitrag über den Film ansehen möchten, den finden Sie hier.
Am Freitag schreibt Ihnen wieder Constanze Busch. Haben Sie bis dahin eine gute Woche.
Herzliche Grüße
Ralf Heimann
Mitarbeit: Constanze Busch
PS
Eine RUMS-Leserin war gestern Abend mit dem Zug unterwegs. Die ersten Prognosen hatten sich schon verbreitet. Und wenn man gestern irgendwo das Wort „Jamaika“ sagte, dann dachten viele Menschen nicht an Sonne und Palmen, sondern an Christian Lindner und Armin Laschet. Offenbar aber doch nicht alle. Knapp einer von vier Menschen in Deutschland nahm sein Wahlrecht gestern nicht in Anspruch. Und während einige den Abend über immer wieder aufs Smartphone schauten oder den Blick nicht vom Fernseher lösen konnten, ging das alles an anderen vollkommen vorbei. Im Intercity-Bistro zum Beispiel stand ein Bahn-Mitarbeiter mit einem Anstecker an der Brust, auf dem sein abgekürzter Vorname und der Nachname stand: „O. Wahl“. Die RUMS-Leserin las das Schild und sagte: „Ach witzig, Sie heißen Wahl!“ Der Mann schaute sie sehr freundlich an und sagte: „Ja, wieso? Sie auch?“
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