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Atmosphärische Verstimmungen | Weihnachtsmarkt | Großes Münster-Wimmelbuch
Guten Tag,
wir hatten gestern Abend leider ein technisches Problem, das mit dem Bild zu tun hatte, das wir eingebaut haben. Auf dem Smartphone war der RUMS-Brief nicht gut zu lesen. Das haben wir jetzt behoben. Hier kommt der RUMS-Brief noch ein zweites Mal.
Im Dezember 1971, kurz vor Weihnachten, berichtete der Spiegel über ein Phänomen, das zu dieser Zeit die Innenstädte in ganz Deutschland veränderte: autofreie Fußgängerzonen. Zehn Jahre zuvor hatte Kassel damit angefangen, andere Städte waren gefolgt. Die Fußgängerzone etablierte sich in ganz Deutschland.
Nach dem Krieg hatte man versucht, die Innenstädte möglichst autogerecht zu gestalten. Die Folgen stellten sich überraschend ein. Die Innenstädte drohten, vom Verkehr stranguliert zu werden, so formulierte es Münchens Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel damals.
München ging zu dieser Zeit noch etwas weiter als andere. Nach den Erfolgen auf den Hauptstraßen plante man, den kompletten Altstadtring für den Autoverkehr zu sperren. Innerhalb des Rings sollten nur noch Busse, Taxis, Krankenwagen, Liefer- und Anliegerverkehr fahren. Doch der Handel wehrte sich gegen die Pläne.
Wir befinden uns weiterhin im Jahr 1971, doch bis hierher klingt das alles verdächtig nach dem, was wir zurzeit in Münster erleben. Das Rathausbündnis aus SPD, Grünen und Volt möchte die Innenstadt vom Autoverkehr befreien, der Handel möchte das möglichst nicht. So scheint es jedenfalls.
Wenn man sich die Situation von damals etwas genauer anschaut, sieht man aber, dass vieles doch nicht so ähnlich ist, wie es auf den ersten Blick scheint.
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Als Dank für Ihre Hilfe hatten wir Ihnen versprochen, einen ganztägigen Medien-Workshop für eine Jugendeinrichtung zu veranstalten.
Dieses Versprechen haben wir nun – wegen der Corona-Pandemie etwas später, als es eigentlich geplant war – eingelöst. Anfang November waren wir im Jugendzentrum Black Bull in Münster-Amelsbüren zu Gast. Mit dabei waren unser Redaktionsleiter Ralf Heimann, unser Mitgründer Marc-Stefan Andres und unser Fotograf und Bildredakteur Nikolaus Urban. Sie haben sich gemeinsam mit den Jugendlichen an die Grundregeln des journalistischen Arbeitens herangetastet und erste Themen mit ihnen zusammen entwickelt.
Das nächste Etappenziel liegt schon in greifbarer Nähe!
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Die Fußgängerzonen sollten damals nicht das Klima retten, sondern den Handel. Würde man keine Fußgängerzonen einrichten, müsste der Handel sterben, sagte Hans-Jochen Vogel.
Roland Iding, damals Manager des Kaufhauses Horten an der Ludgeristraße in Münster, heute Kaufhof, sagte dem Spiegel, es sei keine Lösung, „wenn Fußgänger den Prinzipalmarkt gegenwärtig nur unter Lebensgefahr überqueren können“. Iding forderte die Stadt auf, „den Individualverkehr aus der Innenstadt zu verbannen“.
Der Handel war damals die treibende Kraft des Umbaus der Innenstädte, und das ist ein großer Unterschied zur Situation heute. Eine gesperrte Hauptverkehrsstraße versprach den Geschäftsleuten mehr Umsatz, dort reihte sich ein Geschäft an das andere. Der Widerstand beschränkte sich eher auf die kleineren Straßen, wo Einbußen nicht ausgeschlossen waren.
Auch in anderen Punkten war die Situation damals mit der heutigen nicht zu vergleichen. Die Geschäftsleute hatten im Jahr 1971 nicht die Absicht, die Innenstadt lebenswerter zu machen. Im Gegenteil, ihnen war daran gelegen, dass die Menschen sich ganz auf den Einkauf konzentrieren.
Die Geschäftsleute sähen es nicht gern, „wenn Passanten vom Schaufenster abgelenkt werden – etwa durch Bänke, die zum Ausruhen einladen“, schrieb der Spiegel damals.
Und dass es in der Innenstadt genügend Parkplätze brauchte, bezweifelte niemand. Es ging ja gerade darum, die Leute zum Einkauf im Zentrum zu bewegen. Am Rande der Fußgängerzone durfte der Verkehr ruhig stinken und sich stauen. Nur auf den Einkaufsstraßen selbst sollte das nicht passieren.
Zum Erlebnis gehört auch die Anreise
Die Fixierung auf den Kommerz war auch Inhalt der Kritik. Es gab die Sorge, dass von dem, was eine Stadt ausmacht, in den Innenstädten nicht viel übrig bleiben könnte, wenn alles für den Handel optimiert wird.
Heute ist das etwas anders. Inzwischen ist die Sorge eher, dass vom Handel in der Innenstadt nicht viel übrig bleiben könnte, wenn das Einkaufen im Internet immer einfacher und immer beliebter wird.
Es muss noch andere Gründe geben, in die Stadt zu fahren, als nur die Tatsache, dass man sich dort eine Hose kaufen kann. Es muss etwas sein, auf das man sich freut. Wenn das gelingt, hat die Stadt einen Vorteil.
Das Internet-Auktionshaus Ebay mag die besseren Preise und die größere Auswahl haben. Aber wie soll eine Smartphone-App mit dem Erlebnis konkurrieren, am Samstagmorgen im Gezwitscher der erwachenden Vögel mit einem Kaffee über einen Flohmarkt zu flanieren und in den gerade geöffneten Kisten etwas zu finden, nach dem man gar nicht gesucht hatte?
Zu diesem Erlebnis, das Menschen sich von einer Fahrt in die Innenstadt versprechen, gehört auch die Anreise. Und wenn die darin besteht, dass man auf dem Weg ins Parkhaus eine halbe Stunde lang im Stau an der Königsstraße stehen muss, dann schmälert das dieses Erlebnis.
Aus diesen Gründen hat der Handel heute ein anderes Interesse. Die Geschäfte wollen zwar immer noch ihren Umsatz sichern, möglichst steigern. Aber sie wollen auch, dass die Innenstadt zu einer Umgebung wird, in der man sich gerne aufhält. Das will die Rathauskoalition aus SPD, Grünen und Volt ebenfalls. Und das wollen auch die übrigen Parteien, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
Es wäre ein gemeinsames Interesse, das eine Basis sein könnte. Tatsächlich sah es in den vergangenen Wochen etwas anders aus. Wenn man die Debatte verfolgte, konnte man den Eindruck gewinnen, der einen Seite gehe es darum, um jeden Preis die Verkehrswende zu verhindern, während die andere Seite sie auch um den Preis umsetzen will, dass die Innenstadt dabei stirbt. Der Handel hatte in diesem Theaterstück die Rolle eines Bremsklotzes, der verhindert, dass sich überhaupt irgendetwas bewegt.
In der Ratssitzung am vergangenen Mittwoch bewarfen sich die Parteien eine Stunde lang mit Argumenten zur Verkehrspolitik. Debatte kann man so etwas eigentlich nicht nennen, es war eher ein Schlagabtausch, aber das liegt am Charakter der Veranstaltung. Das Ziel in solchen Sitzungen ist weniger, die Gegenseite zu überzeugen; es geht darum, Treffer zu setzen und Argumente zu parieren.
Die Grünen-Ratsfrau Andrea Blome etwa legte einen historischen Stadtplan vor, der zeigt, dass die Durchfahrt von der Mauritzstraße über den Bült zur Münzstraße vor 70 Jahren noch gar nicht existierte. Sie endete an der Apostelkirche, gegenüber vom Theater. Der Plan sollte belegen, dass dieser Weg gar nicht so historisch ist, wie er heute erscheint – und damit vielleicht auch verzichtbar.
CDU-Fraktionschef Stefan Weber wandte mit dem in der Opposition üblichen Tamtam der Empörung ein, das könne man ja wohl nicht vergleichen. Damals hätten in Münster 120.000 Menschen gewohnt. Die Verkehrssituation sei eine ganz andere gewesen. Und das stimmt. Es ist wie mit der Fußgängerzone. Bei historischen Vergleichen schaut man gern auf die Parallelen, unterschlägt aber häufig das, was nicht zueinander passt.
Im Jahr 1953 gab es in Deutschland etwas mehr als eine Million Autos. So viele kamen allein zwischen 2019 und 2020 hinzu. Im vergangenen Jahr waren es insgesamt 67 Millionen. In Münster fuhren die Autos im Jahr 1953 noch über den Prinzipalmarkt. Der Bült war für den Verkehr sehr viel weniger wichtig als heute.
Nimmt man allein die Masse des Verkehrs, lässt sich die Situation tatsächlich nicht vergleichen. Schaut man dazu auf den Städtebau, ist der Vergleich durchaus interessant. Der Bült schneidet das Martiniviertel von der Altstadt ab. Und gerade der viele Verkehr hat die Frage aufgeworfen, ob die Durchfahrt an dieser Stelle eine gute Lösung ist. Das ist nicht erst der aktuellen Rathauskoalition aufgefallen.
Trennende Wirkung hat sich verstärkt
Beides steht so schon in einem Papier aus dem September 2015. Die Stadtverwaltung hatte es damals geschrieben, um einen Wettbewerb vorzubereiten, bei dem es darum gehen sollte, das Gebiet neu zu gestalten.
In dem Papier klingt das so:
„Der grundsätzlich stadträumlich ausgewogen proportionierte Bereich am Bült kann seine Qualitäten aufgrund der hohen Fahrzeugdichte, der zentralen Bushaltestellensituation und – nicht zuletzt – seiner Teilung in Straßen- und Parkierungsflächen derzeit nur suboptimal entfalten.“
Seit man den Bült ausgebaut habe, um den Prinzipalmarkt zu entlasten, „hat sich seine trennende Wirkung zwischen Altstadtkern und Martiniviertel noch verstärkt“, so heißt es weiter.
Das Papier ist aus der Zeit, in der die CDU im Rat noch das Sagen hatte. Und statt hier das Trennende hervorzuheben, könnte man auch die gemeinsame Einschätzung betonen, dass die Abtrennung des Martiniviertels und das Verkehrsaufkommen an dieser Stelle ein Problem sind. Das wäre eine Basis.
So funktioniert Politik in der Öffentlichkeit aber nicht. Manchmal gibt es überparteiliche Einigungen, aber von den Gesprächen, die zu diesen Einigungen führen, bekommt die Öffentlichkeit nichts mit. Das passiert hinter den Kulissen.
In den Ratssitzungen stecken die Parteien in ihren Rollen. Die Rolle der Opposition ist, der Koalition auf die Finger zu schauen. Das führt zu Situationen, die auf den ersten Blick nicht zu verstehen sind, und manchmal auch nur schwer auf den zweiten.
In der Ratssitzung am Mittwoch legte die CDU einen Antrag vor, der die Überschrift trägt: „Für eine Strategie Münstermobilität 2025“. Das klingt konstruktiv. So scheint es jedenfalls. Die Partei macht in dem Papier Vorschläge, die der Verkehrspolitik aus dem Stau verhelfen sollen. Doch schon der erste Punkt macht deutlich, dass die Absicht nicht war, das Papier so zu formulieren, dass es auch beim Regierungsbündnis Zustimmung finden könnte.
Warum dieser Antrag?
Im ersten Punkt steht die Forderung, die geplante Sperrung am Bült möge nicht weiterverfolgt werden – also das, was die Koalition gerade anfangen wollte zu verfolgen. Dann kommt ein aus drei Spiegelstrichen bestehendes Bekenntnis, von dem ein Teil ebenfalls im Widerspruch zu den Plänen des Rathausbündnisses steht. Danach folgen zwölf Vorschläge, vor allem zum Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs.
Einige dieser Vorschläge entsprechen dem, was auch die Rathauskoalition möchte. Die Arbeit an den 14 Velorouten, die von außen in die Stadt hineinführen werden, soll schneller voran gehen, damit bis 2025 alles fertig ist. Die Park-and-Ride-Angebote sollen besser werden. Das dürfte niemand infrage stellen. Ein weiterer Punkt sind innerstädtische Schnellbuslinien. Auch das entspricht durchaus dem, was die Koalition sich vorstellt. Bei anderen Vorschlägen fragt man sich, warum sie in dieser Liste stehen. Punkt sieben etwa ist ein Fahrradverleihsystem. Das ist eine fünf Jahre alte Idee des früheren CDU-Ratsherrn Peter Börgel, an der die Verwaltung längst arbeitet. Am Ende bleibt die Frage: Warum dieser Antrag, der sowieso nicht durchkommt?
Die Antwort steht in der Dachzeile: „Antrag zur sofortigen Beschlussfassung“. Der normale Weg wäre: Der Antrag wird eingebracht, dann wandert er durch die Ausschüsse, bis der Rat schließlich über ihn abstimmt. Doch über diesen Antrag soll sofort abgestimmt werden. Das passiert in der Regel dann, wenn die Zeit drängt. Hier drängt sie nicht.
Interessant ist, wie es weitergeht: Lehnt die Koalition ihn ab, gibt sie der Opposition ein Argument an die Hand. Es lautet: Alles, was wir vorschlagen, wird eh abgeschmettert.
Verändern die Regierungsparteien den Antrag so, dass er mit ihren eigenen Plänen im Einklang steht, liefert sie der Opposition ebenfalls ein Argument. Denn auch mit den Änderungen bleibt es der Antrag der CDU, die dann später sagen kann: Die kriegen es nicht hin, aber wir haben es gemacht.
Viel Empörung und Emotionen
Eine dritte Möglichkeit ist: Man diskutiert über den Antrag, danach geht er in die Ausschüsse. Die ersten beiden Varianten haben für die Koalition Nachteile. Der Antrag ist also eine Möglichkeit, eine öffentliche Debatte zu erzwingen. Die folgte dann auch, in der oben beschriebenen Weise, mit viel Empörung und Emotionen. Und das ist zwar ein schönes Schauspiel und interessant zu verfolgen, wenn man sich für das Thema interessiert. Oft ist es allerdings nur die Reproduktion dessen, was man sich schon in den Ausschüssen an den Kopf geworfen hatte. Die bekannten Argumente, aber nun für die Presse zum Mitschreiben.
Diese Inszenierung hat durchaus einen Nutzen. Wenn man so will, geht es hier um Unterhaltung. Es ist Demokratie-Theater. Die Öffentlichkeit bekommt die Gelegenheit, die Positionen nachzuvollziehen. Die Parteien können sich darstellen. So wird Demokratie erlebbar. Zu einem Problem wird das, wenn die atmosphärischen Verstimmungen hinter den Kulissen so groß sind, dass sie vernünftige Einigungen verhindern.
In der Verkehrsdebatte kann das passieren. Das muss nicht zum Stillstand führen. Eine Mehrheit kann eine Entscheidung nach der anderen durchsetzen, und die Opposition kann nichts dagegen machen. Die Frage ist nur, ob das klug ist, wenn es um langfristige Entscheidungen geht. Gewinnt die CDU bei der nächsten Wahl, macht sie im Zweifel alles wieder rückgängig.
Die Frage ist allerdings nicht nur, ob es klug ist, alles durchzudrücken, sondern auch, ob etwas anderes überhaupt möglich wäre. Die CDU kann darauf spekulieren, dass ihre Wahlniederlage ein Betriebsunfall war. Dann wäre eine mögliche Strategie, einfach alles zu blockieren, der Koalition keine größeren Erfolge zu ermöglichen und zu hoffen, dass nach der nächsten Wahl alles so weitergeht wie in den vergangenen 20 Jahren.
Das Problem liegt in der Atmosphäre
Interessant ist das Bild, das sich ergibt, wenn man sich die Zeit nimmt, mit den Menschen zu sprechen, die an den Entscheidungen beteiligt sind. Das habe ich gestern getan, mehrere Stunden lang. Ich habe mit Menschen aus der Politik, der Wirtschaft und der Verwaltung telefoniert. Mein Eindruck war: Inhaltlich gibt es Differenzen, teilweise auch größere, aber über die könnte man sachlich sprechen. Das Problem liegt eher in der Atmosphäre.
Spricht man zum Beispiel mit jemandem aus CDU, hört man den Unmut darüber, dass vor allem mit der neuen jüngeren Grünen-Fraktion ein neuer Politikstil in den Rat gekommen sei. Da würden die Dinge dann einfach durchgesetzt, ganz radikal mit der Brechstange, ohne einen Blick für die Stadt und für die Menschen, die von diesen Entscheidungen betroffen sind.
Die andere politische Seite sieht die Ursache für diesen Eindruck in den Schwierigkeiten der CDU, sich in der neuen Rolle zurechtzufinden, nicht mehr das Sagen zu haben, nicht mehr alles mitentscheiden zu dürfen. In der Koalition stört man sich an einer Blockadehaltung der CDU, an der rauen Rhetorik, der Polemik, dem Schüren von Ängsten.
Es sind oft Details, die diese Gefühle nähren. Das kann zum Beispiel der Eindruck sein, im Ausschuss absichtlich übersehen zu werden, wenn man sich meldet. Oder das Gefühl, unfair behandelt zu werden, etwa weil Unterlagen erst kurz vor der Sitzung vorliegen und keine Zeit bleibt, sich mit ihnen zu beschäftigen. Das hat CDU-Fraktionschef Stefan Weber schon mehrfach öffentlich bemängelt. Es ist das Gefühl, dann auch mal sagen zu müssen, dass es so nicht geht, sagte mir jemand. Und es ist das Gefühl, dass die Rathauskoalition etwas Wichtiges für die Stadt nicht im Blick hat – zum Beispiel den Handel, die Wirtschaft generell.
Aber wie sieht das der Handel eigentlich selbst? Hat die Koalition ihn im Blick? Wir haben die Industrie- und Handelskammer gefragt. Die Kammer schickte uns eine Liste mit elf Terminen, die in den vergangenen Monaten stattgefunden oder nicht stattgefunden haben. Am 16. März waren SPD-Fraktionschef Marius Herwig und die verkehrspolitischen Sprecher von Grünen und Volt, Carsten Peters und Martin Grewer, bei einer Diskussionsrunde im Regionalausschuss zu Gast. Dort saßen sie auf der Bühne. Die IHK hat in den Tagen darauf zwei Anfragen an die SPD und eine an die Grünen geschickt, um weitere Gespräche zu führen. So steht es in der Auflistung. Doch die Nachrichten seien unbeantwortet geblieben. Laut der Liste gab es vor den Verkehrsversuchen keine Gespräche mehr. Das nächste Treffen zum Thema Verkehr fand vor genau einer Woche statt, am 9. November, mit Martin Grewer vom Koalitionspartner Volt. Doch da war es eigentlich schon zu spät, die Verkehrsversuche vorbei, das Experiment am Bült geplant.
Auch hier gibt es atmosphärische Verstimmungen. Auf der einen Seite steht das Gefühl, dass der Handel nicht gehört wird. Auf der anderen möglicherweise der Eindruck, dass verlangt wird, sich vor politischen Entscheidungen eine Erlaubnis einzuholen.
Neuaufteilung heißt: Irgendwer muss etwas abgeben
Die Industrie- und Handelskammer hat verkehrspolitisch überall dort andere Vorstellungen als das Ratsbündnis, wo es durch neue Verkehrsregelungen schwerer wird, Hotels, Geschäfte oder Arztpraxen zu erreichen. Sie sieht die zusätzliche Busspur vor dem Bahnhof kritisch, ebenso den Verkehrsversuch an der Wolbecker Straße. Dort sei es vor allem um die Interessen der Menschen gegangen, die an der Straße wohnen. Eine Lösung für den Teil des Verkehrs, der verdrängt worden sei, fehle. Also eine Lösung für das verdrängte Auto. Und genau an diesem Punkt wird es schwer mit den Gemeinsamkeiten, denn Neuaufteilung des Raums bedeutet, irgendwer muss etwas abgeben. Und das wird das Auto sein.
Jule Heinz-Fischer, die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen, erklärte am Mittwoch im Rat, warum die von der Wirtschaft und der eher konservativen Seite geforderte Vorgehensweise, erst für Alternativen zu sorgen und die Autos dann langsam zurückzudrängen, in vielen Punkten so gar nicht möglich sei. Die Busspur vor dem Bahnhof sei dafür ein Beispiel. Sie soll die Busse beschleunigen, aber damit es sie geben kann, muss der Autoverkehr eine Spur abgeben. Zeitlich lässt sich das gar nicht trennen.
Hier und auch in einigen anderen Punkten wird es wahrscheinlich nicht gelingen, eine Einigung zu finden, mit der alle zufrieden sind. Aber auch damit muss man umgehen, denn das bedeutet ja nicht, dass sich gar nichts bewegen lässt.
Was möglich ist, das hängt nicht nur von den politischen Positionen ab, sondern auch davon, auf welche Weise man auf die Veränderungen schaut, auch davon, ob gemeinsame Ziele erkennbar sind.
Andreas Weitkamp sieht diese Ziele durchaus. Der Geschäftsführer des Modehauses Schnitzler am Prinzipalmarkt vertritt seit der vergangenen Woche im Führungstrio der Initiative Starke Innenstadt, kurz ISI, zusammen mit Ansgar Buschmann und Sascha von Zabern die Interessen der Kaufleute im Zentrum.
Weitkamp sagt, sein Eindruck sei nicht, dass es hier darum gehe, die Altstadt schlechter erreichbar zu machen. Natürlich, der Handel habe Positionen, die dem widersprechen, was hier geplant sei. Es sei nicht im Interesse der Kaufleute, wenn am Bült eine Sackgasse entstehe oder wenn Parkhäuser schließen. Trotzdem sei da die grundlegende Bereitschaft zur Veränderung und an dieser auch mitzuwirken. Mit einem einfach Dagegen werde man nicht weiterkommen.
„Eigentlich müssten die Innovationen von uns ausgehen“, sagt Andreas Weitkamp. Und das klingt, als gäbe es hier eine Basis für Gespräche ohne atmosphärische Verstimmungen. Die könnten schon bald stattfinden. Am Donnerstag kommt der neue ISI-Vorstand zum ersten Mal zusammen. Dann beginnt die politische Arbeit. Noch vor Weihnachten soll ein Mitgliederstammtisch zum Thema Verkehr stattfinden. Treffen mit CDU und Grünen sei auch schon geplant.
+++ Die Inzidenzwerte steigen, und natürlich, man wird irgendetwas machen müssen, aber noch einen Lockdown wird es ganz sicher nicht geben. Das ist die Ansage aus Berlin. Kennen wir das nicht irgendwoher? Zum Beispiel aus dem letzten Herbst? In diesem Jahr sieht der Plan in Münster vor, den Weihnachtsmarkt stattfinden zu lassen. Ohne Impfung oder Genesungsnachweis wird das allerdings nichts mit dem Glühwein in der Eiseskälte. Auf dem Weihnachtsmarkt gilt die 2G-Regel; die Stadt hatte das vorab schon beim Land beantragt, und nun soll die Regel auch NRW-weit eingeführt werden. Und 2G, Sie wissen es, steht nicht für zwei Glühwein, sondern für geimpft oder genesen. Übrigens auch auf dem neuen regionalen Weihnachtsmarkt am Harsewinkelplatz. Da finden Sie in diesem Jahr auch RUMS. Am kommenden Montag geht es los auf den Weihnachtsmärkten. Wir bauen unseren Stand am 3. Dezember auf.
+++ Bei einem Brand in einer Pflegeeinrichtung der Alexianer in Amelsbüren ist heute Morgen ein 71-jähriger Bewohner gestorben. Das Personal konnte die anderen Menschen, die in der Einrichtung leben, in Sicherheit bringen, schreiben die Alexianer in einer Pressemitteilung. Warum das Feuer ausgebrochen ist, soll jetzt die Kriminalpolizei ermitteln.
+++ Mehrere Hundert Beschäftigte der Uniklinik Münster und anderer Unikliniken im Land haben heute wieder für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Gehälter gestreikt. Wie die Westfälischen Nachrichten berichten, hat das UKM wegen des Streiks rund 160 Operationen verschoben. Neben dem Pflegepersonal haben auch andere Angestellte im öffentlichen Dienst gestreikt und demonstriert, zum Beispiel angestellte Lehrkräfte, die weniger verdienen als, wenn sie verbeamtet wären.
+++ Die Mathilde-Anneke-Gesamtschule hat am Wochenende zwölf Corona-Infektionen gemeldet, insgesamt sind es an der Schule noch einige mehr. Sieben Lehrkräfte haben sich laut Stadt infiziert, ein weiteres Testergebnis stand nach einem positiven Schnelltest noch aus. Hinzu kommen fünf Infektionen in einer fünften Klasse und fünf weitere infizierte Kinder aus anderen Klassen, teilweise Geschwister der Kinder aus der fünften Klassen. Die Lehrkräfte haben sich nicht in der Schule, sondern in ihrem privaten Umfeld angesteckt, schreibt die Stadt.
+++ Auch in ganz Münster breitet das Virus sich weiter aus. Die Wocheninzidenz, also die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Menschen innerhalb einer Woche, hat schon vor einigen Tagen die Hunderter-Marke überschritten und heute laut Stadt einen ordentlichen Sprung gemacht, von 104 auf 136,2. Damit gelten aktuell 677 Menschen im Stadtgebiet als infiziert.
+++ Und nachdem die Stadt in den vergangenen Tagen immer wieder sprunghaft angestiegene Infektionszahlen melden musste, steigt jetzt zur Abwechslung auch etwas anderes sprunghaft: die Zahl der Tests. Die sind nämlich seit dem Wochenende wieder kostenlos. Über 3.200 Menschen haben sich daher am Wochenende ein Stäbchen in die Nase oder den Mund stecken lassen. 18 Mal fiel das Ergebnis positiv aus. Und das ist in dem Fall leider negativ.
Wir haben Post bekommen. Thomas Lins vom Verkehrsclub Deutschland hat uns eine Stellungnahme zum RUMS-Brief vom 5. November geschickt. Meine Kollegin Ann-Marlen Hoolt hatte sich darin ausführlich mit der Geschichte der Bundesstraße 51 auseinandergesetzt, mit den Plänen zum Ausbau und auch mit den Initiativen, die sich gegen diese Pläne richten. Thomas Lins schreibt in der Stellungnahme, es reiche nicht, nur auf die Straße zu schauen, es brauche eine integrierte Verkehrsplanung. Hier finden Sie seinen kompletten Leserbrief.
Es sind nicht mal mehr anderthalb Monate bis Weihnachten, und vielen von Ihnen geht es wahrscheinlich nicht anders als uns. Es fehlen noch ganz schön viele Geschenke. Daher hier eine Empfehlung: In einem kleinen Verlag aus Bielefeld (das ist der einzige Haken) ist in der vergangenen Woche das große Münster-Wimmelbuch erschienen. Falls Sie nicht wissen, was ein Wimmelbuch ist: ein Buch, in dem es vor Personen, Tieren, Gebäuden und anderen Dingen nur so wimmelt. Das Buch ist ein schönes Geschenk für Kinder im Alter von zwei bis acht Jahren, das ist jedenfalls die empfohlene Altersangabe. Aber unter uns, Sie sagen es ja nicht weiter: Ich selbst fühle mich mit 44 von Wimmelbüchern auch noch ganz gut unterhalten. Wenn Sie noch überlegen, wo Sie das Buch kaufen sollen, gehen Sie doch zur Buchhandlung Schatzinsel an der Neubrückenstraße.
Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!
In den Veranstaltungskalender hat heute Johanne Burkhardt für uns geschaut. Das hier sind ihre Empfehlungen.
+++ Die Bundesregierung hat nicht nur einen neuen Lockdown ausgeschlossen. Sie hat auch immer wieder versprochen, dass es keine Impfpflicht geben wird. Wäre Ihr Vertrauen in die Regierung dasselbe, wenn sie dieses Versprechen nicht einhalten würde? Oder wäre es vielleicht gerade dann geschwächt, wenn die Politiker:innen keine härteren Maßnahmen beschließen? Zum Unesco-Welttag der Philosophie geht das Centrum für Bioethik der Uni Münster am Donnerstag genau dieser Frage nach: Wie steht es um das Verhältnis von Vertrauen und Misstrauen in der Corona-Pandemie? Ab 18 Uhr können Sie beim kostenlosen Vortrag Christian Budnik von der Uni Zürich zuhören. Wegen der steigenden Corona-Zahlen findet der Vortrag digital statt. Die Zugangsdaten bekommen Sie hier.
+++ Wenn Sie am Donnerstagabend lieber über ein anderes wichtiges Thema sprechen möchten, dann schauen Sie doch in der Aula der Katholischen Studierenden- und Hochschulgemeinde vorbei. Dort spricht Harald Nölle vom Umweltforum Münster mit Stefan Lechtenböhmer vom Wuppertal-Institut und David Ryfisch von Germanwatch über die Klimakonferenz in Glasgow. Beginn hier: um 19:30 Uhr. Der Eintritt ist frei, Sie müssen sich aber vorher hier anmelden.
+++ Am Freitag ist noch ein Welt-Tag. Und zwar der internationale Männertag. Aus diesem Anlass zeigt das Kreativ-Haus Münster zusammen mit dem Männernetzwerk Münster das Theaterstück „Ich werde es sagen“, das auf dem gleichnamigen Roman des dänischen Autors und Journalisten Kristian Ditlev Jensen basiert. Darin verarbeitet Jensen die sexualisierte Gewalt, die er als Kind erfahren hat, und möchte so das Thema enttabuisieren. Sie merken schon: Das ist harte Kost, aber ein wichtiges Thema. Deshalb stehen im Anschluss an die Aufführung der Schauspieler und Mitarbeitende vom Männernetzwerk Münster für persönliche Gespräche bereit. Los geht es um 19 Uhr. Die Tickets können Sie hier kaufen.
Am Freitag rührt Ihnen Constanze Busch hier wieder was Schönes zusammen. Bleiben Sie gesund.
Herzliche Grüße
Ralf Heimann
Mitarbeit: Constanze Busch, Johanne Burkhardt
PS
Morgen vor 30 Jahren brach der Fußballspieler Maurice „Mucki“ Banach in Münster mit seinem VW Passat zum Training in Köln auf. Am Nachmittag wollte er zurück sein, doch auf der A1 kam er in Höhe Remscheid von der Straße ab, prallte mit seinem Wagen gegen einen Brückenpfeiler und starb. Ich war damals 14 Jahre alt und hörte in meinem Zimmer im Radio, dass der Lieblingsspieler meiner Lieblingsmannschaft bei einem Unfall gestorben war. Ich saß auf dem Boden vor meinem Bett und weinte. Maurice Banach führte damals die Torschützenliste der Bundesliga an, er hätte vermutlich bald in der Nationalmannschaft gespielt. Pierre Littbarski, sein Teamkollege damals, sagte nun der dpa, die Kombination von Banachs Stärken habe er selten gesehen. Er sei “quasi Thomas Müller und Robert Lewandowski in einer Person” gewesen. Maurice Banach ist in Münster auf dem Zentralfriedhof begraben. Immer, wenn ich dort bin, gehe ich zu seinem. Wenn Sie es suchen, hier ist es zu sehen. Und wenn Sie sich für Maurice Banach interessieren, im September ist eine Biografie über ihn erschienen.
PPS
Ich habe es oben schon erwähnt: In zweieinhalb Wochen öffnet unser Weihnachtsmarktstand am Harsewinkelplatz. Die Veranstalter des Markts stellen dort eine Woche lang ehrenamtlichen Gruppen und Initiativen einen oder mehrere Tage lang einen Stand zur Verfügung, um sich vorzustellen (in der Woche von 11 bis 20 Uhr, am Wochenende bis 21 Uhr). Ein paar Gruppen haben sich schon gemeldet, aber es sind noch Plätze frei. Wenn Sie Interesse haben, schreiben Sie uns doch eine E-Mail. (Korrekturhinweis: Ich hatte geschrieben, wir stellen den Stand zur Verfügung. Mein Kollege, der das Ganze organisiert, wies mich gestern Abend darauf hin, dass wir uns da mit fremden Federn schmücken. Es sind die Veranstalter. Ich habe das korrigiert.)
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