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Gazo bleibt? | Immer mehr Omikron | Grutbier zu Weihnachten
Guten Tag,
in dieser Woche geht es für viele einfach darum, sich herüberzuretten. Die letzten Erledigungen machen, den Stress überstehen und dann endlich über die Ziellinie, mit der Aussicht auf ein paar ruhige Tage am jahresendlichen Ufer. Ende der nächsten Woche beginnt dann etwas Neues, das möglicherweise aber gar nicht so anders aussieht als das, was wir gerade verabschieden.
Am Gasometer, dem alten Erdgasspeicher am Albersloher Weg, ist das in diesem Jahr etwas anders. Dort wird die neue Jahreszahl einen großen Unterschied machen, denn mit dem 31. Dezember endet der Mietvertrag, den eine Gruppe von Menschen mit den Stadtwerken geschlossen hat.
Die Gruppe besteht aus dem Verein Sozialpalast und der Initiative „Gazo bleibt!“, die sich als Kollektiv bezeichnet, und das bedeutet: Es ist ein Zusammenschluss ohne Hierarchie, der sich einer Aufgabe widmet. Meist geht es in Kollektiven um politische und soziale Ziele, so ist es auch hier. Die Gruppe hat im März angefangen, das Gelände und das Pumpenhaus neben dem Turm zu einem Ort umzubauen, an dem Kunst, Kultur und Begegnungen stattfinden sollen.
Die Stadtwerke dagegen möchten den rostigen Teleskop-Behälter lieber gestern als heute loswerden, denn er hat mit dem eigentlichen Geschäft des Unternehmens nichts mehr zu tun. Seit man ihn vor 16 Jahren in den Ruhestand schickte, produziert er vor allem Kosten, und das Jahr für Jahr.
Wie hoch diese Kosten sind, das sagen die Stadtwerke nicht. Sie sprechen von einem hohen fünfstelligen Betrag. Aber bald wird man damit wohl nicht mehr auskommen, denn der Gasometer steht unter Denkmalschutz und braucht eine Sanierung, damit er nicht verrostet.
Jetzt wird Diplomatie wichtig
Auf den ersten Blick scheint die Sache klar. Das Gelände gehört den Stadtwerken. Sie können es vermieten, wem sie wollen. Sie können es auch verkaufen, wenn sie es nicht mehr gebrauchen können. Aber, und da wird es etwas komplizierter, die Stadtwerke gehören der Stadt Münster, sie sind ein kommunales Unternehmen. Damit gehört auch der Gasometer der Allgemeinheit.
Die Entscheidungen für die Stadt und damit für die Allgemeinheit trifft der Rat. Die Mehrheit dort, also das Bündnis aus Grünen, SPD und Volt sowie die Internationale Fraktion haben den beiden Stadtwerke-Geschäftsführern am vergangenen Mittwoch einen offenen Brief geschrieben. Sie bitten darum, das Kollektiv nicht vor die Tür zu setzen und den Mietvertrag „idealerweise“ zu verlängern.
Das ist die aktuelle Situation. Rat und Stadtwerke sind sich hier nicht einig. Und deswegen wird nun Diplomatie wichtig.
Der Rat hätte mehr Einfluss, als er hier geltend macht. Er hätte auch eine Entscheidung treffen können. Die Internationale Fraktion und die Linke hatten den Antrag schon vorbereitet. Er stand vergangenen Mittwoch im Rat auf der Tagesordnung, wurde dann aber wieder zurückgezogen. Es war eine Strategie, hinter der die Überzeugung steht, dass Brechstangen auch viel Schaden anrichten.
Denn was wäre das für ein Signal gewesen? Die Stadtwerke sind keine städtische Unterabteilung, sondern ein eigenständiges Unternehmen. Macht der Rat die Entscheidungen der Geschäftsführung wieder rückgängig, entzieht er ihr damit gleichzeitig das Vertrauen. Das Signal wäre: Das kann immer wieder passieren, wenn uns Entscheidungen nicht passen. Und wie auch immer das ausgehen würde, das Ergebnis wäre ein vergiftetes Klima.
Das aber möchte das Bündnis nicht riskieren, denn die Stadtwerke spielen in den Plänen der Rathauspolitik eine zentrale Rolle. Sie werden für den Bau des Preußen-Stadions verantwortlich sein. Ohne sie geht keine Verkehrswende. Ohne sie geht auch keine Energiewende.
Andererseits kann man fragen: Werden die Stadtwerke sich einfach so über die Bitte des Bündnisses hinwegsetzen? Das wäre ebenfalls ein Signal, das nicht gut ankommen würde. Es würde lauten: Mischt euch da bitte nicht ein, die Entscheidungen hier treffen wir.
Und das würde zu einer grundsätzlichen Frage führen: Sollte die Stadt wichtige und markante Grundstücke überhaupt noch abgeben?
Geld ist knapper als Grundstücke
Als die Stadtwerke vor drei Jahren innerhalb von 15 Monaten mindestens ein Dutzend Flächen am Hafen verkauften oder verkaufsfertig machten, war vor allem die SPD damit sehr unglücklich. Der damalige SPD-Fraktionschef und heutige RUMS-Kolumnist Michael Jung sagte den Westfälischen Nachrichten im Dezember 2018, Flächen wie die am Gasometer sollte die Stadt übernehmen, dann blieben sie im öffentlichen Besitz, man könne transparent planen und entscheiden, wie man sie in Zukunft nutzt. Die SPD wollte zu dieser Zeit, dass die Stadt alle Grundstücke von ihren Gesellschaften übernimmt, die nicht mehr betriebsnotwendig sind. Sie beantragte es sogar.
Heute ist die SPD Teil des Rathausbündnisses, und eigentlich ist man sich dort einig darin, dass die Stadt ihr wertvolles Land besser behalten sollte. Doch wie so oft scheitert es am Geld, denn das ist gerade noch knapper als Grundstücke.
Übernähme die Stadt den Gasometer, würde das zwar zunächst an ihrem Vermögen nichts ändern. Sie gäbe Geld und bekäme dafür Grundstück und Denkmal. Doch damit bliebe die Stadt auch auf den laufenden Kosten sitzen. Hinzu kommt: Im Moment besteht der Verdacht, dass der Boden mit Schadstoffen belastet ist, das prüfen die Stadtwerke zurzeit. Auch für die Beseitigung müsste die Stadt aufkommen. Und dann bliebe die Frage: Wer zahlt die Sanierung des Turms? Wer die des Pumpenhauses, das ebenfalls auch unter Denkmalschutz steht? Und was hat das Kollektiv dort eigentlich vor?
Ein Besuch am Gasometer. Samstagnachmittag, kurz nach 13 Uhr. Wir sind verabredet. Manuel Färber, Fritzi Jahn, Findus Dürith und Erik Biembacher warten schon. Sie sitzen auf einer Holzkonstruktion, die am Tag zuvor ein Weihnachtsmarktstand war und es in zwei Stunden wieder sein wird. Der WDR hat am Abend zuvor live vom Weihnachtsmarkt gesendet, der hier am Wochenende stattfindet. Im Hintergrund jonglierten vor der Stahlwand des Kessels Menschen mit Feuerfackeln, es sah aus wie vor einem Zirkus. Jetzt laufen die Vorbereitungen für den Abend, die Berliner Rapperin Lena Stoehrfaktor wird auftreten. Sie hat vor neun Jahren eine Platte veröffentlicht, die den Titel trägt: „Die Angst vor den Gedanken verlieren“.
So könnte man auch das Anliegen des Kollektivs „Gazo bleibt!“ beschreiben. Sie hätten eine Idee, die nicht in die üblichen Kategorien von Bauprojekten passt, und für die man etwas Mut bräuchte, Mut zu Gedanken. Um diese Idee zu verstehen, lohnt ein Blick zurück in das Jahr 2006, als das Kunstprojekt Sozialpalast entstand, das den Namen vom denkmalgeschützten Wohnblock Pallasseum in Berlin-Schöneberg übernahm. Erik Biembacher, Diplom-Designer und Kulturaktivist, heute 48 Jahre alt, war einer der beiden Köpfe des Projekts, der andere war der Künstler Andreas Gräupel, doch er stieg drei Jahr später aus.
Ein Bürgersteig wird Kulturort
Im Spätsommer 2006 bauten die beiden in den soeben verlassenen Osmo-Hallen ein Wohnzimmer auf. In diesem Wohnzimmer machten Menschen zwischen vielen alten Lampen Musik, Kameras filmten sie und übertrugen das live auf alte Fernseher. So führte der Sozialpalast fremde Menschen vor dem Fernseher zusammen.
Vor einem offenen Tor am Kai saßen Menschen auf scheinbar hingewürfelten Stühlen. Ich selbst kam damals zufällig vorbei, sah mir das alles an, saß mittendrin, es hatte schon etwas Magisches. Aber ich verstand leider nicht, was das sollte.
Das gelang mir erst später. In den Jahren darauf stellte Biembacher einen Wohnwagen vor den Bahnhof und projizierte Konzerte aus dem Innenraum auf die Außenwand. Die Menschen blieben verwundert stehen. So wurde ein Bürgersteig zum Kulturort. Vor elf Jahren machte Biembacher die Wartehäuschen auf einem Bahnsteig im Bahnhof zu einer Bühne. Das alles kann man sich auf seiner Website ansehen, wo Biembacher die Auftritte akribisch mit Fotos, Videos und Texten dokumentiert hat. Der Kabarettist Johann König tritt immer wieder auf, und auch der Wohnwagen ist regelmäßig zu sehen. Er ist das Wahrzeichen.
Wo der Wohnwagen auftaucht, werden ganz normale Plätze zu Bühnen, Museen und Treffpunkten. Dort landen Menschen manchmal zufällig, vielleicht wissen sie nicht, was da vor sich geht, aber sie kommen zusammen. „Für meine Begriffe entsteht dann schon Kunst“, sagt Biembacher. Vor drei Jahren ist der Sozialpalast sesshaft geworden, auf einer Wiese am alten Güterbahnhof, die Biembacher von der Bahn gemietet hat. Diesen Ort nennt er Hadiqa, den Garten.
Vorher war dort ein privates Stück Rasen. Betreten verboten. Jetzt ist es ein öffentlicher Ort, der innerhalb von knapp vier Jahren zu etwas geworden ist, das sich so leicht gar nicht beschreiben lässt. Es ist ein Treffpunkt unter freiem Himmel, abends kann es zu einer Bar werden, wenn das Wetter es so will. Unter einem Baum finden Konzerte statt. Auch der Oberbürgermeister war schon da, sogar an zwei Tagen hintereinander, so stand es in der Zeitung. Einmal mit seiner Familie, am Tag darauf mit der Kulturdezernentin.
Seid gut zueinander
Am Gasometer ist Erik Biembacher Teil der Gruppe, der Sozialpalast ist Teil der Idee. Die Geschichten der übrigen Mitglieder sind ganz unterschiedlich.
Manuel Färber, 32 Jahre alt, gestutzter Vollbart, grauer Parka, hat Politik und Wirtschaft studiert. Jetzt schreibt er an seiner Abschlussarbeit, es geht um Bodenpreise, also um die Frage: Wie kann Wohnen bezahlbar bleiben? Das hat ihn auch schon beschäftigt, als er noch in Freiburg wohnte.
Fritzi Jahn, 27 Jahre alt, kurze Haare, azurblaue Wollmütze, schwarze Daunenjacke, studiert Architektur. Ihr Anliegen ist der Feminismus. Sie wolle hier zusammen mit anderen einen Ort erschaffen, an dem sie nicht damit rechnen müsse, dass irgendwer mit einem blöden sexistischen Spruch daherkommt. „An der Jüdefelderstraße gehe ich nicht gerne Bier trinken“, sagt sie.
Findus Dürith, 21 Jahre alt, weiße Sneaker, apfelgrüne Strähnchen, ist ebenfalls zum Studieren nach Münster gekommen. Psychologie. „Das hat ja eigentlich nicht so viel damit zu tun. Wobei, eigentlich doch“, sagt sie. Sie fand hierher, „weil hier so viel Freiraum ist, Raum zu sein“. Und eben auch Raum zu denken.
Wir machen einen Rundgang über das Gelände. An einem Zaun hängt ein Schild: „Be excellent to each other.“ Seid gut zueinander. Daneben hat die Seenotrettung ihren Stand aufgebaut, auf der anderen Seite richtet der Schachklub Münster sich gerade ein. Ihn würde man hier vielleicht nicht vermuten. Genauso wenig wie den Schützenverein, der zwar abgesagt hat, wegen Corona, aber eigentlich kommen wollte.
„Wie schaffen wir es, die Menschen hier so zusammenzubringen, dass alle sich wohlfühlen?“, sagt Manuel Färber. Das ist die Frage, die über allem stehen soll. Aber, das gibt Färber zu, da gebe es schon noch einiges zu lernen. Der Würstchenverkäufer, der hier am Abend zuvor mit seinem Grill stand, sei hinterher etwas enttäuscht gewesen. Viele hier ernähren sich vegetarisch oder vegan. Der Umsatz fiel eher mäßig aus.
Doch die Berührungspunkte sind doch größer, als man vermuten würde. Ein paar Meter weiter, an der Rückseite des Gasometers, schaut man durchs Gebüsch in eine Kleingartensiedlung. Der Garten, den man in Umrissen erkennt, gehört einer jungen Frau aus dem Kollektiv. Sie ist die Tochter des ehemaligen Vereinsvorsitzenden. „Wir planen einen Durchbruch“, sagt Manuel Färber und zeigt mit der Hand auf die Sträucher. Er lacht, vielleicht auch nur ein Spaß.
Es gibt zwei Szenarien
Dann gehen wir zurück zum Pumpenhaus. Im Hinterhof stehen Gartenstühle im Rindenmulch. Und wenn man an der Seite durch den Eingang hineingeht, steht man in einer Landschaft aus gelben Pumpen und Rohren auf gesprenkelten Terrazzo-Fliesen. Dazwischen lagert ein Schlagzeug. Die Pumpen müssen bleiben, auch sie stehen unter Denkmalschutz. Nach unten führt eine Treppe. Wenn man eine Kulisse für einen Techno-Club suchen würde, hier wäre sie.
In einem Nebenraum steigen wir auf ein Podest aus Holzbalken, das sich in die gelben Rohre einfügt. Dort liegt eine rote Matratze. Noch ist das hier eine Industrieruine. Bald könnte es eine Bühne sein.
Nur wer soll den Umbau bezahlen?
Manuel Färber setzt sich auf ein Kissen auf dem Boden und erzählt von den Plänen. „Es gibt zwei Szenarien“, sagt er. Das erste besteht zu einem großen Teil aus einem Städtebauförderprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen. Es heißt Initiative ergreifen und fördert Projekte, die keine große Rendite versprechen und für die eigentlich kein Geld da ist. Der Kulturverein B-Side, dessen Idee es ist, alternative Kunst und Kultur zu fördern, bekommt aus diesem Topf mehrere Millionen. Er setzt einen anderen Schwerpunkt, hat aber durchaus Ähnlichkeit. Und die Förderung ist nach der Bewilligung sogar noch gewachsen. Erst wollte das Land 60 Prozent der Kosten für den Umbau des Hill-Speichers am Hafen übernehmen. Wegen Corona trägt es jetzt die kompletten zehn Millionen.
Warum sollte so etwas nicht auch am Gasometer möglich sein? Manuel Färber hat mit den verantwortlichen Menschen gesprochen. „Wir haben die Rückmeldung bekommen, dass das absolut passt“, sagt er. Eine Zusage gebe es noch nicht, im Moment nehme das Programm keine neuen Projekte an, aber im Mai werde sich das ändern. „Wir sagen jetzt nicht, das ist hundertprozentig safe, aber es gibt eine Chance“, sagt Färber.
Kombinieren ließe sich das alles unter Umständen mit Geld aus der Denkmalförderung. „Dass das geht, wissen wir“, sagt Färber. Die Frage ist, auf welche Weise es geht.
Das zweite Szenario ist: Eine Stiftung springt ein. Auch hier sieht Manuel Färber verschiedene Möglichkeiten. Sie heißen Edith-Maryon-Stiftung, Trias-Stiftung oder Montag-Stiftung Urbane Räume. Der letzte Name hat nichts mit dem Wochentag zu tun, die Stiftung ist nach dem Architekten Carl Richard Montag benannt. Er hat sie gegründet. Manuel Färber hat schon nachgehört. Interesse sei da, aber nicht immer die Erfahrung mit solchen Projekten. „Wir fallen etwas aus dem Rahmen, wir müssen einen eigenen Weg finden“, sagt er.
Luxus-Variante oder nachhaltige Lösung
Nur wie realistisch ist das? Was würde die Sanierung denn kosten? Und was müsste die Stadt übernehmen?
Dazu gibt es unterschiedliche Informationen. Fragt man die Stadtwerke, sagt die Sprecherin, den Kessel zu sanieren, koste zweieinhalb bis drei Millionen Euro. Erik Biembacher spricht von 800.000 Euro. Das ist eine Zahl aus einem Gutachten, das der Alpenverein im Jahr 2017 bei dem Büro Planinghaus aus Darmstadt in Auftrag gegeben hat. Der Alpenverein hatte selbst Pläne für den Gasometer, doch sie scheiterten. Das Darmstädter Büro hat unter anderem den Landschaftspark Duisburg-Nord mitentwickelt, und es kennt sich aus mit Teleskop-Stahlbehältern.
Biembacher sagt, man habe das noch mal überprüft, die Beträge seien weiterhin aktuell. Die Stadtwerke zweifeln das an. Die Baukosten hätten in den vergangenen fünf Jahren doch einen ziemlichen Sprung gemacht, heißt es dort.
Das Papier aus Darmstadt ist die Grundlage einer Beschlussvorlage der Stadt, die den Bebauungsplan hier so ändern sollte, dass aus dem Gasometer ein Büroturm werden kann. Doch dafür fand sich im Sommer noch keine Mehrheit.
In dem Gutachten steht noch eine zweite Zahl – je nachdem, wen man fragt, steht sie für die Luxusvariante (Kollektiv) oder die nachhaltige Lösung (Stadtwerke). Diese Variante würde knapp zwei Millionen Euro kosten, laut Stadtwerke bis zu dreieinhalb. Der Unterschied ist, das Gebäude würde nicht wie in der günstigeren Variante mit einer Bühne umfahren, sondern komplett eingerüstet. Manuel Färber sagt, die übliche Variante sei die ohne Gerüst. Die Stadtwerke sagen, das sei eher die „Pinselstrich-Variante“, „bisschen Farbe drauf, das Allernotwendigste“. Das reiche zunächst sicher aus, werde aber nach wenigen Jahren weitere Kosten nach sich ziehen.
Im Raum stehen viele Zahlen, aber wie aussagekräftig und verlässlich sie sind, lässt sich schwer sagen.
Fragt man Erik Biembacher, was der Gasometer die Stadt oder die Stadtwerke kosten würde, wenn sie sich für die Variante des Kollektivs entscheiden, sagt er: „Zwischen 200.000 und 400.000 Euro für die nächsten vier Jahre.“ Das Geld müsse aus dem städtischen Haushalt kommen.
Im Juli hat Biembacher das Darmstädter Büro noch einmal um eine Stellungnahme gebeten. Sie ist drei Seiten lang, Autor ist der Architekt Jens Daube. Er sieht die Büroturm-Pläne kritisch. Daube weist auf offene Fragen hin. Es geht darum, wie sich die Pläne mit dem Denkmalschutz in Einklang bringen lassen. Zum Beispiel im Pumpenhaus, denn die Pumpenlandschaft im Inneren muss bleiben. Der vorletzte Satz von Daubes Einschätzung lautet: „Zusammengefasst bestehen bei den Gutachtern Zweifel, inwieweit die geplante Nutzungsart und -intensität geeignet sind, einen denkmalverträglichen Umgang mit dem Kulturdenkmal Gasometer zu gewährleisten.“
Windhunde und Delfine
Das ist die Meinung eines Fachmanns. Aber möglicherweise gibt es noch andere Einschätzungen. Das Ergebnis des Wettbewerbs, den die Stadtwerke planen, sollen Konzepte sein, die verschiedene Lösungen aufzeigen. Über sie urteilen soll eine Jury, die aus Fachleuten besteht, aber auch aus Menschen aus der Politik. Auf diese Weise wollen die Stadtwerke sicherstellen, dass eine Diskussion über die Zukunft des Gasometers stattfindet, die zu einem möglichst guten Ergebnis führt. Und wo bliebe dabei das Kollektiv?
Es könne sich gerne am Wettbewerb beteiligen, sagt die Stadtwerke-Sprecherin. Die Gruppe könne sich mit anderen zusammentun. Dass die Kultur hier einen Raum bekommen soll, sei ja Teil der Vorgaben.
Aus der Perspektive des Kollektivs muss das klingen, als würde man einem Delfin anbieten, an einem Windhundrennen teilzunehmen. „Wir funktionieren anders als private Investor:innen“, sagt Fritzi Jahn. „Wir machen Standortentwicklung in genau anders“, sagt Manuel Färber. Ihnen geht es nicht darum, eine marktgerechte Lösung zu entwerfen, sondern ein anderes Kriterium zu finden als den Markt. Der soll allerdings auch nach den Plänen der Stadtwerke nicht das letzte Wort haben. Geld spiele natürlich eine Rolle, aber gewinnen solle nicht der beste Preis, sondern das überzeugendste Konzept.
Doch wie man es auch wendet, letztlich hängt alles am Geld. Wäre das nicht so, könnten die Stadt oder die Stadtwerke hier ein Experiment wagen. 16 Jahre lang stand der Gasometer leer. Immer wieder gab es Ideen und Konzepte, die entweder nicht umgesetzt wurden oder scheiterten. Fällt da ein weiteres Jahr wirklich ins Gewicht?
So viel Zeit hätte das Kollektiv gern, um zu klären, wie ihre Pläne sich finanzieren lassen. Und was wäre dann? „Dann müssen wir ein Konzept liefern, das handfest ist, das wissen wir“, sagt Manuel Färber. In diesem Jahr könnten die Stadtwerke den Wettbewerb weiter vorbereiten. Es gehe keine Zeit verloren. „Wenn wir scheitern, kann ja auch danach noch ein Investor:innenwettbewerb stattfinden“, sagt Fritzi Jahn. Umgekehrt sei das nicht möglich.
Ein alternatives Ende
Inzwischen haben die Stadtwerke einen Kompromissvorschlag gemacht. Aus Perspektive des Kollektivs ist der Vorschlag allerdings kein Kompromiss, sondern eher ein alternatives Ende für ihre Pläne. Die Rathaus-Koalition hatte darum gebeten, den Mietvertrag zu verlängern, das Kollektiv bleiben zu lassen und die Vereinbarung zu treffen, dass es den Ort vorübergehend verlässt, wenn die Stadtwerke dort arbeiten müssen. Die Stadtwerke drehen das Prinzip um und schlagen vor: Ihr räumt den Ort zum Ende des Jahres, und wenn ihr Veranstaltungen machen wollt, könnt ihr uns gerne immer fragen.
Im Grunde ist der Vorschlag einfach ein Nein. Und das macht alles noch komplizierter, denn was passiert nun politisch? Das Rathaus-Bündnis kann auf den offenen Brief verweisen und sagen: „Hat leider nichts gebracht, aber wir haben’s versucht.” Doch davon ist nicht auszugehen.
Das Kollektiv wird wahrscheinlich bleiben. Aber was passiert dann? Wird dann das Gelände geräumt? Kommt die Polizei und trägt die Menschen vom Hof? Das kann passieren. Aber wenn der Oberbürgermeister die Räumung zulässt, ist die Frage: Kann er dann noch an anderer Stelle auf das düpierte Bündnis zählen? Wird es dann noch für einen Musik-Campus stimmen? Der soll 300 Millionen Euro kosten, und dafür hat die Stadt trotz leerer Kassen 45 Millionen Euro im Haushalt zurückgelegt.
Am Gasometer kann sich eine kulturpolitische Auseinandersetzung entzünden, in der es nur vordergründig um Geld geht, eigentlich aber um die Frage: Welche Art von Kultur ist wie wichtig? Und welche Kultur ist was wert?
Wie viele freie Kulturprojekte braucht die Stadt? Wie viele möchte sie? Wie viele möchte sie fördern? Es gibt die B-Side-Initiative oder das Hansaforum, das aus der B-Side hervorgegangen ist. Hat hier einfach Pech, wer später gekommen ist? Wieso bekommt diese Art der Kultur nur ein paar Krumen und das städtische Theater im Jahr 23 Millionen? Was sind die Kriterien?
Als die Entscheidung über die Sanierung des Hill-Speichers anstand, also über eine neue Bleibe für den Verein B-Side, so erzählte man mir, sei das nicht einfach nur ein Votum für ein alternatives Projekt gewesen. Es sei auch die Faszination für diese Geschichte gewesen, die den Weg frei machte. Ein alternatives Kultur- und Bildungsprojekt zieht in ein Haus mit einem Ruderverein, einer der konservativsten Gruppen, die es in der Stadt geben dürfte. Es wäre ein gutes Thema für einen Dokumentarfilm. Das Spannungsfeld, die Gegensätze, es hat vieles, was eine gute Geschichte braucht. Es entsteht etwas Neues, etwas Gemeinsames, etwas, das es so noch nicht gibt.
Auf der anderen Seite könnte das bedeuten: Wenn das die Kriterien sind, fallen viele ohnehin schon marginalisierte Kulturprojekte unter den Tisch. Braucht es andere Kriterien? Es gibt in Münster kein Kulturkonzept, das Antworten geben könnte. Ein Nebeneffekt ist, dass neue Gruppen und Initiativen sich in der Kulturszene nicht nur Freunde machen. Sie bedrohen das Bestehende, denn die Fördertöpfe behalten die gleiche Größe.
Interessant ist auch, wie Einschätzungen sich im Zeitablauf ändern. Das Gelände am Hawerkamp sollte immer wieder verschwinden. Vor vier Jahren eröffnete Münster dort die Skulptur-Projekte. Die Stadt zeigte stolz diesen Ort. Später am Abend ging der Oberbürgermeister selbst mit in einen der Clubs am Rande und tanzte.
So eine Entwicklung gibt es nicht nur an Kulturorten. Die Rieselfelder sollten in den 1980er-Jahren zum Industriegebiet werden. Der Markt hätte sich sicherlich für diese Variante entschieden. Eine Bürgerinitiative verhinderte das. Das Haus in der Frauenstraße 24 sollte abgerissen werden, weil es als marode und wertlos galt. Heute schmückt es Reiseführer und ist ein wertvolles Stück Stadtgeschichte. Das Haus in der Grevener Straße 31 sollte weichen, weil die Straße breiter werden sollte. Wer verbreitert heute noch Straßen?
Aber was heißt das für den Gasometer? Es könnte bedeuten, dass der Wert dieses Ortes erst in einigen Jahren sichtbar wird. Das hängt zum einen davon ab, ob die Sanierung gelingt und sich ein Konzept findet, das sich bezahlen und umsetzen lässt. Aber es hängt auch davon, welcher Geist dann am Gasometer weht.
Die Stadtwerke bleiben bei ihrem Vorschlag. Das Kollektiv wird sich zwischen Weihnachten und Neujahr im kleinen Kreis mit den Grünen treffen. Und von dort war heute schon zu hören, bei einem offenen Brief werde man es sicher nicht belassen.
Dankeschön!
Es wird heimelig, in wenigen Tagen ist Weihnachten, Ihr Bäumchen steht vermutlich schon – und vielleicht funkelt an ihm ja auch eine unserer hübschen RUMS-Kugeln oder es liegt ein RUMS-Geschenk-Abo darunter. Wir sind jedenfalls sicher, dass das bei einigen von Ihnen der Fall ist, denn viele von Ihnen haben uns in den letzten zweieinhalb Wochen an unserem Weihnachtsmarkt-Stand besucht und das eine oder andere kleine Geschenk mitgenommen. Aber Sie haben uns auch etwas mitgebracht: Und zwar tolle Ideen, viele Anregungen und konstruktive Kritik. Vielen Dank für die zahlreichen netten Gespräche, wir haben uns sehr gefreut! Und eines ist gewiss: Im nächsten Jahr sind wir wieder mit einer RUMS-Hütte dabei, und Sie treffen wir dort dann hoffentlich auch wieder. Aber bis dahin müssen Sie natürlich nicht warten, wir hegen schon einige schöne Pläne fürs neue Jahr, auf die Sie sich schon jetzt freuen können! Und wenn Sie doch noch ein Last-Minute-Geschenk brauchen: Bis Donnerstagabend sind wir noch auf dem X-MS-Markt zu finden.
+++ Ab Heiligabend müssen Sie auf weniger Straßen in der Innenstadt eine Maske tragen. Die Pflicht zur Mund-Nase-Bedeckung gilt aber weiterhin in den Fußgängerzonen und auf dem Markt, hier können Sie sich das auf einer Karte anschauen. Und zum Vergleich hier auch noch einmal eine Karte der Orte, an denen Sie noch bis einschließlich Donnerstag eine Maske tragen müssen. Neben den Einkaufsstraßen sind das im Wesentlichen die Plätze der Weihnachtsmärkte sowie das Bahnhofsumfeld.
+++ Die Wocheninzidenz in Münster ist heute auf 128,6 gestiegen. Insgesamt gelten 786 Menschen in Münster als infiziert. In den Krankenhäusern werden 32 Menschen mit einer Covid-Erkrankung behandelt, 13 von ihnen auf der Intensivstation. 11 werden beatmet.
+++ Inzwischen sind in Münster 80 Omikron-Fälle bekannt, 82 Menschen sind als Kontaktpersonen der mit der Variante Infizierten in Quarantäne. Wir haben uns bei der Stadt erkundigt, wie viele Proben überhaupt auf Virusvarianten geprüft werden: standardmäßig fünf Prozent aller positiven Befunde. Normalerweise dauert es bis zu zehn Tagen, bis ein Ergebnis vorliegt. Seit Kurzem sei aber das größte Labor in Münster in der Lage, bei allen positiven Befunden eine Schnelltypisierung durchzuführen, schreibt die Stadt in ihrer Antwort. So könne ein Omikron-Fall schon nach ein bis zwei Tagen mit hoher Genauigkeit identifiziert werden.
+++ Einige der Omikron-Infektionen gehen offenbar auf einen privaten Glühweinabend zurück, teilt die Stadt mit. Elf Studierende haben sich vor gut einer Woche getroffen, nachdem sie alle einen Schnell- oder Selbsttest gemacht hatten. Bei zehn von ihnen sind inzwischen Coronainfektionen festgestellt worden. Bisher wurde zwar nur bei einer Person schon die Omikron-Variante nachgewiesen, schreibt die Stadt. Aber es ist davon auszugehen, dass das Labor in den nächsten Tagen noch weitere Infektionen mit der Mutation ermitteln wird. Die Studierenden sind laut Stadt geimpft, bisher ist niemand von ihnen schwer erkrankt.
+++ Falls Sie noch keine Auffrischungsimpfung bekommen haben, weil Ihre zweite Impfung erst wenige Monate her ist, müssen Sie eventuell nun nicht mehr warten: Die Ständige Impfkommission empfiehlt seit heute die sogenannte Booster-Impfung schon ab drei Monaten nach dem zweiten Piks, um möglichst viele Menschen vor einer Erkrankung mit der Omikron-Variante zu schützen. Wo Sie sich impfen lassen können und was Sie dazu wissen müssen, hat die Stadt hier zusammengefasst.
Vor mir auf dem Tisch stehen zwei Champagner-Flaschen voller Bier. Auf der einen steht zum einen Gold-Hafer-Tripel und noch etwas nicht ganz Unwichtiges: Alkoholgehalt 10 Prozent. Es ist eher ein Aperitif als ein Bier. Falls Sie lieber ein nicht ganz so gefährliches Getränk trinken oder verschenken möchten, ist das Stadtbier Münster 1480 vielleicht etwas für Sie. Es ist gebraut nach einem Rezept, das Philipp Overberg aus den Rechnungen alter Bestellungen der Stadtkämmerei rekonstruiert hat. Gebraut wird es nicht mit Hopfen, sondern mit der Gewürzmischung Grut, nach der die Brauerei und neben dem historischen Rathaus eine Gasse benannt sind. An dieser Stelle stand das Gruthaus, wo die Stadt das Gewürz verkaufte. Man bekam es nur dort, die Stadt hatte ein Monopol. So erwirtschaftete sie einen großen Teil ihrer Einnahmen. Die Biersorten und noch weitere bekommen Sie bis Donnerstagabend am Weihnachtsmarktstand von Philipp Overberg am Harsewinkelplatz. Oder im Handel.
Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!
Über zu wenig Beschäftigung werden sich in dieser Woche wahrscheinlich nur wenige beschweren. Aber falls doch noch etwas Zeit bleibt, Johanne Burkhardt hat zwei Empfehlungen für Sie herausgesucht, und zwar diese:
+++ Heute ist der kürzeste Tag des Jahres, und dazu empfehlen wir ganz kurzfristig den internationalen Kurzfilmtag, der heute in Münster stattfindet. Das Cinema zeigt ab 20:45 Uhr ein Dutzend Kurzfilme aus einem Bereich, der die letzten Monate zu kurz gekommen ist: der Kultur. Ob Geschichten aus dem Museum oder vom Leben eines Tänzers – von Karneval bis Oper ist alles dabei. Das komplette Programm finden Sie hier.
+++ Falls Sie am Donnerstag mit den gröbsten Vorbereitungen für das Weihnachtsfest schon durch sind und noch etwas Zeit haben, haben wir hier etwas Passendes. Im LWL-Naturkundemuseum lesen ab 19:30 Uhr Christoph Thiemann und das Theater ex libris „Die Weihnachtsgeschichte“ von Charles Dickens vor. Genau, das ist die mit dem griesgrämigen Mann und den drei Geistern. Tickets bekommen Sie hier.
Und noch ein Tipp von mir:
+++ Der Verkauf für das wunderbare Pianeo-Festival im nächsten Jahr läuft. Das Programm finden Sie hier. Für einen schnellen Eindruck: Am 26. Februar sind Marina Baranova und Brueder Selke in der Friedenskapelle zu Gast. Am 1. April spielen Neil Cowley und Arden auf der Burg Vischering, und am 6. Juli spielt Ólafur Arnalds in der Waldorfschule. Kennen Sie noch nicht? Hier finden Sie die Aufzeichnung eines Live-Konzerts in der Oper von Sydney. Karten bekommen Sie hier.
Am Freitag ist Heiligabend. Das wissen Sie hoffentlich. Wir legen Ihnen daher den nächsten RUMS-Brief schon am Donnerstag unter den digitalen Baum. Er kommt hübsch verpackt und mit einem Bändchen versehen von Constanze Busch und mir. Haben Sie bis dahin noch eine möglichst stressfreie Woche.
Herzliche Grüße
Ralf Heimann
Mitarbeit: Constanze Busch, Johanne Burkhardt
PS
Wahrscheinlich sind Sie schon auf Jahresrückblicke gestoßen. Und sehr wahrscheinlich wird das in den nächsten Tagen immer wieder passieren. Für viele war es kein Jahr, in dem man sich kurz vor Silvester darauf freut, noch einmal all das Schöne vorbeiziehen zu lassen, was man die Monate zuvor so erlebt hat. In diesem Jahr schauen wir zurück auf Inzidenzen und Umfragewerte. Wenn Ihnen davor jetzt schon graut, dann hätte ich was Kurzes und Schmerzloses. Viel mehr Jahresrückblick braucht man nicht. Das hier sind auf einen Blick die Google-Trends im Jahresverlauf.
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