Fragwürdige Studie: So höflich ist Münster | Medizinprofessorin Bettina Pfleiderer spricht über geschlechtergerechte Medizin | Caputo’s

Porträt von Svenja Stühmeier
Mit Svenja Stühmeier

Guten Tag,

ich freue mich, dass wir uns kennenlernen! Ich bin nicht nur neu im RUMS-Team, sondern auch ganz neu in Münster. Sie kennen das vielleicht: Ein Jobwechsel ist aufregend, und der Umzug in eine andere Stadt noch viel mehr. Seitdem ich gelesen habe, dass Münster einen Unhöflichkeitswert von nur 5,6 hat, habe ich allerdings überhaupt keine Bedenken mehr, meinen Lebensmittelpunkt hierhin zu verlegen.

Vielleicht fragen Sie sich jetzt: Was soll das denn schon wieder sein? Nun ja, ein wenig ratlos hat mich die Studie auch zurückgelassen. Einerseits: Wer möchte Freund:innen und Familie nicht erzählen, in der sechsthöflichsten Stadt Deutschlands zu arbeiten? Andererseits: Wie um alles in der Welt kann sowas bewertet werden?

Die Unternehmensberatung Censuswide hat das im Auftrag der Sprachenlernplattform Preply so gemacht: Um herauszufinden, wo die Menschen besonders höflich sind, hat das britische Unternehmen bei gut 1.500 Personen in 20 deutschen Städten nachgefragt, in welchen Lebensbereichen sie ihre Mitmenschen als besonders unhöflich wahrnehmen. So weit klar, oder?

Also, los geht’s. Man nehme zwölf als laut Preply gesellschaftlich unhöflich angesehene Verhaltensweisen und die Bewertungsskala 1 (am höflichsten) bis 10 (am unhöflichsten). Ein konkretes Beispiel: Münsteraner:innen erhalten für die Verhaltensweise „In der Öffentlichkeit mit dem Handy beschäftigt sein“ eine 7,73. Das heißt, sie sind hier eher unhöflich unterwegs. Aufgrund meiner (bisher sehr eingeschränkten) Erfahrung mit Münster würde ich seinen Bewohner:innen wegen dieser Verhaltensweise statt Unhöflichkeit ja eher einen ausgeprägten Sinn für Multitasking oder einen Hang zur Waghalsigkeit zusprechen. Mir zumindest hätte der Blick aufs Handy auf der Promenade beinahe einen Unfall beschert.

Münster liegt in einer Kategorie übrigens auf Platz 1. Mit einem Wert von 4,55 sind die Einwohner:innen deutsche Spitzenreiter:innen in Sachen „Sich in Warteschlangen vordrängeln“. Ach nein, andersherum. Na, Sie wissen schon. Wer hier an der Supermarktkasse feststellt, dass die Zahnpasta fehlt, kann sie also getrost holen gehen, ohne dass sie oder er sich wieder hinten anstellen muss. Aber ist das wirklich ein Ausdruck von Höflichkeit? Ist das nicht vielleicht auch eine „Das war schon immer so“-Mentalität, die sich hier sogar aufs kleinste Detail auswirkt?

Wie dem auch sei, ich mache hier einen Punkt. Sonst werde ich noch zu dem Grund, aus dem Sie bei der nächsten Befragung zu den knapp 25 Prozent gehören, die der Meinung sind, Zugezogene seien unhöflicher als Einheimische. Münster hat es übrigens als einwohnerschwächste der 20 untersuchten Städte gerade noch ins Ranking geschafft. Darüber freuen wir uns – und auch über die 22 Münsteraner:innen, die an der Befragung teilgenommen haben und auf deren Angaben die Ergebnisse beruhen. Wir haben übrigens auch eine Umfrage gemacht: Mit einem Ergebnis von 8,679 auf der Skala 1 (Dissertation) bis 10 (Quatsch) halten Münsteraner:innen diese Studie eher nicht für aussagekräftig. Teilnehmende: 4. (sst)

Kurz und Klein

+++ Bewohnerparkausweise in Münster werden ab Juli 2023 teuer, ab Juli 2024 dann noch etwas teurer. Die Stadtverwaltung schlägt vor, die Preise in einem ersten Schritt ab Sommer auf bis zu 190 Euro anzuheben, in einem zweiten ab dem nächsten Sommer auf bis zu 380 Euro. Menschen mit geringem Einkommen sollen maximal 80 Euro im Jahr zahlen. Bislang kosten die Ausweise 17 Euro pro Jahr. Seit einem Jahr dürfen die Kommunen in Nordrhein-Westfalen selbst bestimmen, zu welchem Preis sie öffentlichen Raum zum Parken zur Verfügung stellen. Wie teuer die Ausweise im Einzelfall sein werden, hängt von der Größe der Fahrzeuge ab. Aktuell entsprechen die Gebühren laut Stadt nicht den tatsächlichen Kosten. Mit der Preiserhöhung soll sich das langsam ändern. Teil des Plans ist, für das Parken überall in der Stadt Geld zu verlangen. Das soll gleichzeitig die Anreize verstärken, auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel umzusteigen. Und falls Sie sich gerade einen neuen Bewohnerparkausweise gekauft haben, keine Sorgen: Zum alten Preis gekaufte Anwohnerparkausweise sollen gültig bleiben. Es kann sich also lohnen, den Ausweis vor dem Sommer noch einmal zu verlängern. Beschlossen ist die neue Regelung noch nicht. Der Rat soll am 15. Februar darüber entscheiden. (rhe)

+++ Autofahrende sind in Münster vergangenes Jahr fast anderthalb Tage im Stau stecken geblieben. Zu diesem Ergebnis kommt die Stau-Studie des US-amerikanischen Verkehrsdienstleister Inrix, der die Mobilitätsdaten von über eintausend Städten in 50 Ländern der Welt ausgewertet hat. Mit 31 Stunden Stau schneidet Münster allerdings noch ganz gut ab. In London, Chicago und Paris standen die Autos weit mehr als fünf Tage im Stau. Deutscher Stau-Meister ist die bayerische Landeshauptstadt München mit drei Tagen (74 Stunden). Die Studie dürfte außerdem gute Argumente für Tempo 30 in der Innenstadt geben, denn die Autofahrenden in Münster waren 2022 im Schnitt nur minimal schneller unterwegs. (sfo)

+++ In vier Tagen beginnt der nächste Verkehrsversuch, allerdings sind die Erkenntnisse über den Verkehr diesmal eher eine Nebensache. Die Stadt sperrt die Bergstraße zwischen Tibus- und Schlaunstraße ab Montagmorgen, 8 Uhr, zehn Monate lang, um die Leitungen zu erneuern, die dort in der Erde liegen. Sie sind teilweise über hundert Jahre alt, und um einen Eindruck von ihrem Zustand zu geben: Seit 1990 gab es hier sechs Wasserrohrbrüche. Weil sich mit der Sperrung so viele offene Fragen ergeben, hat die Stadt eine Seite eingerichtet, auf der sie viele Fragen beantwortet, aber nicht alle. Man erfährt zum Beispiel nicht, wie die Stadt die Baustelle nutzt, um herauszufinden, wie sich so eine Sperrung auf den Verkehr auswirkt. Das haben wir beim Tiefbauamt in Erfahrung gebracht. Die Antwort: Die Stadt macht Verkehrszählungen, wertet den Verkehrsfluss und Ampeldaten aus. Sie identifiziert die Stellen, an denen der Verkehr nur noch zäh fließt oder sich Staus ergeben. Und die Stadt hat auch schon vor der Sperrung Daten erhoben – zum Beispiel dazu, wie viel Verkehr zurzeit auf der Straße unterwegs ist. Eine wichtige Veränderung zur ursprünglichen Planung ist übrigens: Das Theaterparkhaus erreicht man aus zwei Richtungen, über die Straße An der Apostelkirche und über den Breul. (rhe)

+++ Einen Tag vor Heiligabend hat die Stadt Münster einen Hilferuf über das Presseamt versendet: Die Unterkünfte für wohnungslose Menschen und Familien, die die Stadt Münster und die freien Sozialträger betreiben, sind komplett ausgelastet. Die Stadt bat deshalb um Mithilfe aus der Bevölkerung, um Wohnungslose unterzubringen. Was ist seitdem passiert? Die Stadt antwortet, die Lage sei nach wie vor sehr angespannt. Es habe mehrere Angebote gegeben, eines werde im Moment geprüft. Die städtischen Einrichtungen seien immer noch voll und zum Teil überbelegt. Wenn Sie aushelfen wollen, können Sie sich an die Wohnraumsicherung der Stadt wenden (wohnraumsicherung@stadt-muenster.de oder 0251/4925572). (sfo)

+++ Die ersten Hilfsgüter aus Münster sind in der Ukraine angekommen. Die Westfälischen Nachrichten berichten, dass die Küchen, Lebensmittel und Generatoren in der zentralukrainischen Stadt Winnyzja angekommen sind, mit der die Stadt eine Solidaritätspartnerschaft eingehen will. Das hatte der Rat im Dezember beschlossen. Münster will mit dieser Verbindung humanitäre Hilfe leisten und zum Wiederaufbau der Ukraine beitragen. Die Stadt möchte außerdem ein Spendenkonto einrichten, um weitere Hilfen zu finanzieren. Die Partnerschaftsurkunde sei laut WN allerdings noch nicht unterzeichnet. Die SPD hat in der Bezirksversammlung Münster-Ost einen Antrag gestellt, die Solidaritätspartnerschaft im Stadtbild kenntlich zu machen. Dazu soll Winnyzja auf den Straßenschildern ergänzt werden, die alle Partnerstädte von Münster auflisten. (sfo)

+++ Erreicht das Wachstum in Münster seine Grenzen? Lange Zeit sind mehr Menschen in die Stadt gezogen, als sie sie verlassen haben. Einer Auswertung der Wochenzeitung „Die Zeit“ zufolge hat sich dieser Trend allerdings jetzt gewendet: Münster verlor im Jahr 2021 insgesamt 111 Menschen. Die Menschen ziehen vor allem in die benachbarten Kreise Warendorf, Steinfurt und Coesfeld. Eine weitere Auffälligkeit der Analyse: Vor allem Familien scheinen dem Stadtleben den Rücken zu kehren, während Menschen zwischen 18 und 29 Jahren weiterhin vermehrt nach Münster ziehen. Der Trend zur Stadtflucht beschränkt sich nicht allein auf Münster, sondern ist überall in der Bundesrepublik zu beobachten. (sfo)

+++ Seit gestern leitet das deutsch-niederländische Korps in Münster die schnelle Eingreiftruppe der Nato. Die schnelle Einsatztruppe existiert seit 2003 und soll binnen weniger Tage Soldat:innen an Land, zur See und in der Luft für mögliche Kampfhandlungen zur Verfügung stellen. Müsste das transatlantische Militärbündnis in diesem Jahr aktiv werden, würde der Einsatz von rund 40.000 Soldat:innen von Münster aus koordiniert. Nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verlegte die Nato die schnelle Eingreiftruppe ins östliche Bündnisgebiet. Die Truppe soll künftig auf 300.000 Soldat:innen anwachsen. (sfo)

+++ Die Autofahrt vom Flughafen Münster-Osnabrück zum Airport Mülheim-Essen ist etwa 125 Kilometer lang, dauert ungefähr anderthalb Stunden und verursacht zirka 25 Kilogramm klimaschädliches CO2 (vorausgesetzt, Sie sind mit einem Benziner unterwegs sind, der pro Kilometer fünf Liter Sprit verbraucht). Den Flughafen im Ruhrgebiet könnte man auf dem Fahrrad in sechs Stunden auch klimaneutral erreichen. Warum erzähle ich Ihnen das? Weil eine Recherche der Süddeutschen Zeitung und des NDR ergeben hat, dass hunderte Privatjets im vergangenen Jahr zwischen Münster und Mülheim unterwegs waren. Falls Sie dieses absurde Hobby der Überreichen jetzt nicht auf Anhieb nachvollziehen können, finden Sie hier eine Graphik, die den Irrsinn sehr gut veranschaulicht. Wie viel CO2 die Flüge ausstoßen, lässt sich nicht so einfach sagen, weil Privatjets in der Regel verbrauchsarme Flugzeuge sind – „doch statistisch verursacht jeder einzelne dieser Flüge mehr Treibhausgase als ein einzelner Mensch in Deutschland insgesamt pro Jahr“, heißt es in der Analyse. Das Problem der privaten Kurzstreckenflüge habe seit Beginn der Pandemie beispiellose Ausmaße angenommen, weil die Chartergesellschaften damit werben, dass das Corona-Ansteckungsrisiko im Privatjet fast bei null liegt. 60 Prozent aller Privatflüge in Deutschland sind kürzer als 300 Kilometer; nur jeder zehnte dieser Flüge ist länger als 1.000 Kilometer. Und teuer sind diese Klimasünden auch noch: Für schlappe 5.400 Euro kommen Sie vom Schwäbisch Hall ins 60 Kilometer entfernte Stuttgart. (sfo)

+++ Die Polizei Münster hat in den vergangenen Wochen vermehrt Einbrüche gemeldet. Auf Nachfrage teilt uns die Pressestelle der Polizei mit, in den vergangenen Wochen gab es tatsächlich mehr Einbrüche als im Vorjahreszeitraum – so laute zumindest die Tendenz. Genaue Zahlen gebe es noch nicht. Allerdings werde in der dunklen Jahreszeit erfahrungsgemäß häufiger eingebrochen. Neben Schmuck, Münzen und Bargeld wurden vor allem Laptops, Kameras und Werkzeug geklaut. Informationen über die Täter:innen liegen nicht vor. (ast)

Interview mit Professorin Bettina Pfleiderer

„Der Wandel muss von den jungen Ärzten und Ärztinnen kommen“

Der Name ihrer Arbeitsgruppe „Cognition & Gender“ ist für manche eine Kampfansage – sagt die Medizin-Professorin Bettina Pfleiderer. Und das findet sie auch gar nicht so schlimm. Seit etwa 20 Jahren beschäftigt sich die Medizinerin mit geschlechtersensibler Medizin, sie unterrichtet etwa das Wahlpflichtfach an der Uni Münster und gibt Fortbildungen für Kolleg:innen. Und das alles neben ihrem eigentlichen Job in der Radiologie. Die 61-Jährige ist unter anderem promovierte Chemikerin. Sie ist für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet worden. Mit RUMS hat sie über das neue Netzwerk gesprochen, mit dem sich Medizinfakultäten aus Nordrhein-Westfalen nun gegenseitig in der Lehre unterstützen wollen.

Frau Pfleiderer, warum ist geschlechtersensible Medizin so wichtig?

Die geschlechtersensible Betrachtungsweise ist eine Querschnittsbetrachtung, die letzten Endes in jedem Fach in der Medizin berücksichtigt werden sollte. In der Medizin macht es überall einen Unterschied, ob wir männlich oder weiblich sind. Wir haben zum Beispiel eine andere Zusammensetzung an Bauchfett und ein anderes Blutvolumen. Zudem macht es einen Unterschied, ob ich Kind, erwachsen oder hochbetagt bin, da dann zum Beispiel andere Wechselwirkungen mit Medikamenten auftreten können. Viele Medikamente wurden früher fast ausschließlich an jungen Männern getestet. Und das ist einfach ein Problem. Ein weiterer Unterschied ist, ob man als Patient, als eine Patientin mit einer Ärztin oder mit einem Arzt spricht. Wenn beispielsweise eine ältere Patientin zu einem ganz jungen Arzt geht, dann würde das in der Kommunikation wahrscheinlich anders funktionieren als mit einer älteren Ärztin.

In Ihre Betrachtungsweise beziehen Sie also nicht nur das Geschlecht mit ein?

Nein, es geht um eine optimale Behandlung von Menschen in Abhängigkeit vom Geschlecht, vom Alter, von den Lebensumständen. Das Ziel ist, Menschen so lange wie möglich gesund zu erhalten. Und wenn sie krank sind, dann auch gezielter zu behandeln und nicht Medikamente mit einer Dosis verschreibt, die für eine Patientin zu hoch ist und zu Nebenwirkungen führen kann. Und wir können auch die Gesellschaft nicht ausblenden, die Zugangswege für eine medizinische Behandlung, den Beruf, den jemand hat, wohin jemand geboren wurde. Ich glaube, es ist jetzt gut, dass wir überhaupt mal auf diesem Weg sind. Vieles hängt außerdem vom kulturellen Kontext ab. Zum Beispiel ist es bei unserer Sozialisierung in Deutschland oft nicht akzeptiert, dass Männer Schmerz laut oder durch Weinen äußern. Und dann kommen vielleicht Alkohol und Aggressionen ins Spiel. Es ist also nicht damit getan, dass man Männer-Frauen-„Zählereien“ macht, das heißt: So viele Frauen und so viele Männer leiden jeweils unter einem bestimmten Symptom.

Sehen das viele Ärzt:innen so wie Sie?

Na ja, es ist halt immer noch so ein Thema, das noch nicht von allen in seiner Breite verstanden worden ist. Aber um das tun zu können, muss man als Mediziner oder Medizinerin aus der Komfortzone seines Fachwissens heraustreten. Das ist natürlich nicht immer einfach, wenn man im Studium vor circa 30, 40 Jahren es noch anders gelernt hatte; da spielte das Geschlecht keine Rolle. Deswegen finde ich, das muss sehr früh im Studium verpflichtend integriert werden, sodass man als fertiger Arzt oder fertige Ärztin aus der Uni kommt und dieses Wissen selbstverständlich hat.

Wie werden Medizin-Studierende für diese Unterschiede sensibilisiert?

Im Moment ist die geschlechtersensible Medizin noch ein Wahlpflichtfach. Die Note geht zwar in die Endnote des Studiums mit ein, aber es ist letztendlich ein Fach für Interessierte. Ich denke aber, dass es wichtig ist, dass wir das in die grundständige Lehre in jedes Fach einbringen. Der Wandel muss von den jungen Ärzten und Ärztinnen kommen. Ich sehe da schon viel Interesse. Wir haben auch zunehmend Studierende, die gezielt Doktorarbeiten in meiner Arbeitsgruppe „Cognition & Gender“ schreiben möchten. Das finde ich sehr, sehr schön, weil die Studierenden das Thema selber wichtig finden. Also ich sehe da einen Wandel, aber es ist halt immer noch Wahlpflichtfach und davon müssen wir wegkommen.

Laut Koalitionsvertrag soll es ja so kommen. Für wie realistisch halten Sie das?

Ja, ja, ich habe das auch bereits eifrig kommentiert und sagte: „Großartig, großartig.“ Aber jetzt haben wir die Ukrainekrise, die Klimakrise, die Energiekrise und man sieht, wie schnell die anderen Punkte des Koalitionsvertrages unter den Tisch fallen. Diese Krisen erfordern viele ungeplante Ressourcen und Diskussionen. Ohne die ganzen Krisen wäre ich deutlich positiver gestimmt, was die Umsetzung angeht. Andererseits denke ich, es steht im Koalitionsvertrag, man kann es einfordern. Ich glaube, ich bin hoffnungsvoll-pessimistisch. Vielleicht passt das als Beschreibung.

Aber könnte eine geschlechtersensible Medizin nicht auch in Krisensituationen hilfreich sein?

Ja. Ich sehe eine ganz starke Verknüpfung zwischen Klima, Geschlecht, Gesundheit und Gleichheit und Gleichberechtigung. Vieles hat einen Einfluss auf die Gesundheit. Dazu gehören eben das Klima, die Pandemie und die Folgen von Konflikten. Gesundheit ist eigentlich immer dabei, aber sie wird getrennt betrachtet. Geschlechtersensible Medizin ist im Prinzip nichts anderes als eine integrative Betrachtungsweise, die die Dinge zusammenbringt. Aber da müssen wir gerade richtig arbeiten und Theorien entwickeln. Ich glaube, da ist die Politik noch nicht so weit, die reagiert mir oft noch zu sehr, ohne dass sie Dinge zusammenbringt. Wir Ärzte und Ärztinnen können aber gut integrativ denken. Ich finde, es wäre schon gut, wenn wir da öfter integriert wären.

Wo hat das schon einmal Vorteile gehabt?

Gerade in der Pandemie. Da haben wir Experten und Expertinnen schon frühzeitig darauf hingewiesen, dass ältere Männer viel schwerer krank werden und öfter an Covid sterben könnten. Wir wussten, dass das Immunsystem von Männern und Frauen sich unterscheidet, dass Männer beispielsweise viel schlechter virale Infekte abwehren können. Wir wussten, dass Männer in einem bestimmten Alter ein ganz anderes Krankheitsprofil haben. Da konnten wir schon ganz früh zeigen, dass unser Wissen wichtig ist. Das hat nur, glaube ich, zu dem Zeitpunkt noch niemand so wahrgenommen. Und dann wurde etwa nach einem Jahr in der Presse sehr häufig berichtet, dass Männer häufiger schwer erkranken und sterben. Und dann gab es Interesse am Thema. Plötzlich. Vielleicht ist das ein bisschen spitz, aber ich weiß nicht, ob wir es ohne die Pandemie geschafft hätten, überhaupt dieses Netzwerk zu gründen.

Genau, das „Netzwerk geschlechtersensible Medizin NRW“. Was wollen Sie in der Zusammenarbeit mit den sieben anderen Hochschulen erreichen?

Ich bin eine riesige Verfechterin und Freundin von Netzwerken. Ich glaube, sie geben erst genügend Kraft und Druck, um vielleicht mehr zu bewirken, wenn wir als Netzwerk auftreten und auch Drittmittel einwerben. Es macht einen Unterschied, ob acht Fakultäten gemeinsam eine große Tagung organisieren oder Lehrmaterialien zur Verfügung stellen und austauschen, damit nicht alle wieder von vorne anfangen. Eine Leuchtturm-Arbeitsgruppe wie meine macht auch gute Arbeit. Aber ich bin halt oft Einzelkämpferin. Jetzt haben wir es geschafft, dass die Studiendekane und -dekaninnen mitmachen, dass die medizinischen Fakultäten mitmachen. Das ist ein Riesenunterschied, ob das jetzt ich bin, die ich mich schon seit 20 Jahren mit dem Thema befasse, Vorträge halte und dafür kämpfe und daher auch das Wahlfach geschlechtersensible Medizin anbiete. Oder ob der Studiendekan unserer medizinischen Fakultät sich an einem solchen Netzwerk beteiligt und es auch sehr unterstützt. Ich finde, das zeigt eine andere Wahrnehmung und auch einen ganz anderen Willen.

Wir sprechen über geschlechtersensible Medizin und dabei vor allem über Frauen und Männer. Inwiefern werden Personen einbezogen, die sich nicht mit ihrem zugeordneten Geschlecht identifizieren?

Was die Wirkung von Medikamenten angeht, wird es sehr komplex bei trans* Personen, die Hormone nehmen. Denn diese Hormone haben ganz bestimmte biologische Wirkungen. Und ich glaube, da gibt es noch viel zu wenige Menschen, die sich damit auskennen. Und dann gibt es noch die sozialen Faktoren, nämlich die Zugangswege zur guten Versorgung. Da spielt auch die Geschlechtsidentität eine sehr große Rolle, die bei der biologischen Betrachtung erst einmal nicht entscheidend ist. Ich glaube, die Medizin ist noch nicht gut vorbereitet auf nicht-binäre Menschen. Viele fragen sich: Wie gehe ich sensibel mit ihnen um? Wie spreche ich sie an? Auf welches Zimmer lege ich sie? Welche Toilette nutzen sie? Ich finde, dass wir in der Medizin uns nicht mehr verstecken können hinter dem binären System, aber das machen wir leider noch. Ich bin manchmal schon froh, wenn jemand mir sagt: „Oh, das ist ja eine Patientin, sie ist möglicherweise anders als ein Patient in bestimmten Aspekten.“ Aber das heißt nicht, dass wir nicht auch alle anderen mitdenken sollten und möchten. Wir Menschen sind ja ein Kontinuum, wenn man ehrlich ist, denn wir haben unterschiedliche Anteile. Manche sind eher männlich, andere eher weiblich, und vielleicht wechselt es auch ständig. Ausschließlich „Mann“ und „Frau“ sind Schubladen und Zuschreibungen zur Erleichterung, aber nicht etwas, das immer die Wirklichkeit abbildet.

Was ist für Sie eine aktuelle positive Entwicklung?

Ich finde megacool, dass wir in Bielefeld jetzt eine Professur haben für geschlechtersensible Medizin. Ich war in der Berufungskommission und dachte mir: Schade, dass ich 20 Jahre zu alt bin. Das wäre meine Professur gewesen. Ich finde unfassbar positiv, dass es überhaupt mal sowas gibt, weil das nicht mehr nur Initiativen von Menschen sind, die das Thema nebenher beforschen, sondern als Hauptthema haben. In meinem Fall, wenn ich geschlechtersensible Medizin als Wahlpflichtfach anbiete, ist das natürlich schön. Aber ich bin in der Klinik für Radiologie, da gibt es auch noch andere Dinge, die ich mache. Wenn aber jemand eine Professur für geschlechtersensible Medizin hat, kann sich diese Person eben nur mit dem Thema beschäftigen. Und das erfüllt mich mit Hoffnung.

Falls Sie Bettina Pfleiderer besser kennenlernen wollen, schauen Sie sich doch noch diese Folge von Quarks & Co. an. Die Sendung begleitet Studierende, die herausfinden müssen, welche Krankheit ihre Patient:innen haben. Dabei können Sie erst mitüberlegen, bevor Sie erfahren, um welche Erkrankung es sich handelt. Und weitere Informationen zu dem Netzwerk aus acht Universitäten in Nordrhein-Westfalen, das sich mit geschlechtersensibler Medizin beschäftigt, finden Sie hier.

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Korrekturen

Am Dienstag hatten wir Ihnen im RUMS-Brief im PS ein falsches Datum mitgeteilt: Die Demo zum Neujahrsempfang der AfD im historischen Rathaus, an dem auch der Faschist Björn Höcke teilnimmt, findet nicht heute, sondern erst kommenden Freitag ab 17 Uhr statt. Um sicher zu gehen, kommt hier noch einmal der Link zum Bündnis Keinen Meter den Nazis, das die Gegenveranstaltung mitorganisiert.

Und dann ist uns auch noch in der Infografik ein Missgeschick passiert: Die Überschrift hat das genaue Gegenteil von dem ausgedrückt, was die Infografik eigentlich aussagen sollte. Es gibt in Münster nicht weniger, sondern mehr Grundschulkinder. Eine korrigierte Version liefern wir nach, halten Sie dazu einfach Ausschau auf unseren Kanälen auf Twitter, Instagram und Facebook. (sfo)

Corona-Update

+++ Die bundesweite Maskenpflicht in Bus und Bahn fällt zum 2. Februar. Diese Entscheidung hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach von der SPD heute Vormittag angekündigt, berichtet unter anderem der WDR. In Nordrhein-Westfalen soll sogar einen Tag früher schon Schluss sein mit dem verpflichtenden Tragen eines Mund-Nase-Schutzes. Ab dann müssen nur noch Besucher:innen von Pflegeheimen und Arztpraxen eine Maske tragen. (sfo)

+++ Derselbe Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zeigte sich diese Woche allerdings sehr besorgt über die weltweite Ausbreitung der neuen Omikron-Sublinie XBB15. Im Nordosten der USA dominiere die bisher ansteckendste Coronavariante seit Mitte Dezember das Infektionsgeschehen und auch in Europa breite sie sich inzwischen aus. Die Infektionswelle in China stelle allerdings keine direkte Gefahr dar, heißt es in der Tagesschau. (sfo)

+++ Von der Ausbreitung einer hochansteckenden Variante des Coronavirus macht sich zumindest in Münster noch nichts bemerkbar. Die Stadt meldet heute nur 28 positive PCR-Tests. 770 Menschen gelten damit als nachweislich infiziert. Die Wocheninzidenz liegt in Münster bei 143 bestätigten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner:innen und damit über dem heutigen Bundesdurchschnitt. (sfo)

+++ Trotz der geringen Zahl an Neuansteckungen füllen sich die Intensivstationen der Stadt. Sieben Covid-19-Erkrankte müssen laut Intensivregister dort behandelt werden, drei Patient:innen werden beatmet. (sfo)

Ein-Satz-Zentrale

+++ Das Südbad hat Richtfest gefeiert und soll im November fertig sein. (Münstersche Volkszeitung)

+++ Die Stadt hat einem privaten Betreiber von Photovoltaikanlagen auf Schulen gekündigt, um auf den Dächern ab 2024 eigene Anlagen aufzustellen. (Westfälische Nachrichten)

+++ Die Wohn- und Stadtbau saniert an der Leuschnerstraße mehrere Gebäude für 3,4 Millionen Euro, damit die Wohnungen dort 40 Prozent weniger Energie verbrauchen. (Westfälische Nachrichten)

+++ Die Stadt Münster wertet den Wienburgpark ökologisch auf, indem sie die Seen saniert. (Antenne Münster)

+++ Jedes dritte Unternehmen in Münster ist laut einer Studie schon Opfer von Cyberkriminalität geworden. (Westfälische Nachrichten)

+++ Die Stadt Münster hat ein Konzept erarbeitet, das Kindern, die dauerhaft die Schule schwänzen, den Weg zurück ermöglichen und verhindern soll, dass es überhaupt so weit kommt. (Stadt Münster)

+++ Die Diözesanleitung der katholischen jungen Gemeinde fordert in einem offenen Brief an die Landesregierung: Lützerath muss bleiben! (katholische junge Gemeinde)

+++ Die Bundespolizei hat das Handy eines Mannes einkassiert, der immer wieder grundlos den Notruf gewählt hatte. (Bundespolizei NRW)

+++ Das Sportangebot in Münster ist das viertgrößte unter den 20 größten deutschen Städten. (Ottonova)

+++ Das Jobcenter und seine Hotline bleiben bis Ende April mittwochs geschlossen, damit mehr Zeit bleibt, die Aktenstapel abzuarbeiten. (Stadt Münster)

+++ Das Stadtmuseum bleibt wegen einer betriebsinternen Fortbildung am 17. Januar geschlossen. (Stadt Münster)

+++ Dem Allwetterzoo ist es nach eigenen Angaben weltweit zum ersten Mal gelungen, den seltenen Argala-Marabu zu züchten, von dem es nur noch etwa 1.200 erwachsene Exemplare gibt, 13 davon in Zoos. (Allwetterzoo Münster)

+++ Der Allgemeine Studierendenausschuss der Uni Münster fordert ein bundesweit gültiges 129-Euro-Semesterticket – unter anderem, weil das geplante 49-Euro-Ticket nur befristet geplant ist, jederzeit teurer werden kann und Studierende mit wenig Geld sich die Kosten nicht erstatten lassen können. (Asta Münster)

+++ Münsters Planeterium braucht eine neue Leitung, weil Björn Voss, der bisherige Leiter, nach Hamburg wechselt. (Hamburg.de)

+++ Münsters Linke kritisiert, in Lützerath würden Konzerninteressen durchgesetzt, obwohl diese mit den klimapolitischen Zielen nicht vereinbar seien. (Die Linke Münster)

+++ Münsters Grüne laden dazu ein, sich morgen um 7.15 Uhr am Hauptbahnhof zu treffen, um gemeinsam zur Großdemonstration nach Lützerath zu fahren. (Grüne)

+++ Die münstersche Lokalgruppe von Fridays for Future organisiert morgen auch ab 7.15 Uhr eine Fahrt vom Hauptbahnhof nach Lützerath, um gegen die Klimapolitik der schwarz-grünen Landesregierung und für den Erhalt des Dorfs zu demonstrieren. (Fridays for Future auf Instagram)

Unbezahlte Werbung

Carmelo Caputo ist bekannt geworden mit der Villa Medici; mittlerweile kümmert er sich ausschließlich um sein Herzensprojekt in der Innenstadt: das Caputo’s. Hier gibt es Snacks für zwischendurch, Kaffee und Kuchen sowie Pizza und durchdachte italienische Hauptgerichte – mit Fisch, Fleisch, vegetarisch oder vegan. Ein besonderer Genuss ist die hausgemachte, leicht pikante Tomaten-Vinaigrette zum Salat. Die zentrale Lage am Picassoplatz lädt dazu ein, beim nächsten Stadtbummel hier eine Pause einzulegen. Jetzt in den Wintermonaten lieber im gemütlichen Innenraum, im Sommer können Sie dann auch die Außenterrasse genießen.

Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!

Drinnen und Draußen

Heute hat Eva Strehlke ein paar schöne Kulturtipps für Sie zusammengestellt:

+++ Heute ist wieder Langer Freitag im LWL-Museum für Kunst und Kultur. Das heißt: freier Eintritt ab 18 Uhr, verlängerte Öffnungszeiten bis Mitternacht und viele kostenlose Rundgänge und Veranstaltungen. Dieses Mal dreht sich alles um Hildegard von Bingen und ihre Kritik an Barbarossa. Es gibt mittelalterliche Musik, die Möglichkeit, selbst zu sticken und Farben herzustellen, Verpflegung nach mittelalterlichen Rezepten und einen Vortrag der Historikerin Amalie Fößel zum Thema Gender im Mittelalter.

+++ Wer sagt, dass Aperol nur im Sommer schmeckt? Das A2 am Aasee beweist das Gegenteil mit winterlichen „Aperolnights“ mit Blick auf den See. Los geht’s jeden Tag ab 17 Uhr. Aperol Spritz gibt es für 5 Euro, alle Flammkuchen für 7,50 Euro. Reservieren können Sie telefonisch unter 0251/2846840.

+++ „Das Vermächtnis“ ist ein Stück über das Leben schwuler Männer in New York, das am Theater Münster in zwei Teilen aufgeführt wird. Den Trailer finden Sie hier, einen Beitrag von WDR 3 hier, Termine und Karten im Spielplan. Diesen Samstag gibt es noch einen dritten Teil: eine Mischung aus Performance und Party, eine Feier des Lebens und alternativer Lebensentwürfe. Los geht es um 21 Uhr im Theatertreff, Karten bekommen Sie online für 8 Euro (ermäßigt 5 Euro).

+++ Rosa ist für Mädchen, blau für Jungs, oder? Das neue interaktive Stück des Theater Glux hinterfragt Rollenklischees mit allen ab acht Jahren. Karten für die Vorstellung am Sonntag im Theater an der Meerwiese gibt es hier.

Am Dienstag schreibt Ihnen Ralf Heimann. Ich wünsche Ihnen einen guten Start ins Wochenende.

Herzliche Grüße
Svenja Stühmeier

Mitarbeit: Sebastian Fobbe (sfo), Jan Große-Nobis (jgn), Ralf Heimann (rhe), Eva Strehlke (est), Antonia Strotmann (ast)

Lektorat: Melanie Kelter

PS

Ein RUMS-Leser hat uns den Hinweis zu diesem Tweet gegeben: Eine Nutzerin beschwert sich über eine Anzeigetafel am Landschaftsverband am Freiherr-vom-Stein-Platz, die Autofahrende bald auf die Sperrung der Bergstraße hinweisen soll. Das Problem: Sie steht mitten auf dem Radweg, sodass Radfahrende rechts auf den Fußweg ausweichen müssen. Die Antwort der Stadt: Das Ordnungsamt kümmere sich. Die Lösung: Die Tafel bleibt, wo sie ist, denn sonst würde sie die Beschilderung verdecken. Zwischen ihr und der Laterne gibt’s jetzt eine Absperrschranke, dafür wurde das Umleitungsschild daneben entfernt. Und Radfahrende müssen rechts auf den Fußweg ausweichen. (sst)

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