Verwirrung im Rathaus | Politthriller oder Kommunikationspanne? | Café Simon

Porträt von Constanze Busch
Mit Constanze Busch

Guten Tag,

heute haben wir für Sie eine kleine Detektivgeschichte vorbereitet. Holen Sie sich am besten ein Getränk Ihrer Wahl und etwas zu knabbern. Es geht in unserem Brief um ein geheimes Verwaltungsdokument, das inzwischen gar nicht mehr so geheim ist. Und um die Frage: Wer hat das Papier wann gelesen? Hat jemand absichtlich gelogen oder nur unwissentlich die Unwahrheit gesagt?

In der Geschichte geht es, wie schon am Dienstag, noch einmal um den Neubau der Mathilde-Anneke-Gesamtschule. Auf der Baustelle für das neue Schulgebäude geht es nicht voran, und inzwischen gibt es zwei Erklärungen dafür, warum das so ist.

Die erste Erklärung für die Verzögerungen lieferte am Dienstag Immobiliendezernent Matthias Peck. Er sagte, es gebe gerade einen Mangel an Baustoffen, unter anderem an Holz. Darüber hatten wir auch in unserem Brief am Dienstag geschrieben. Matthias Peck hatte die Information am Dienstagmorgen den Ratsfraktionen mitgeteilt, auch die Stadt schrieb es so in einer Pressemitteilung. Die Folge: Die Schule wird wahrscheinlich nicht zum Schuljahr 2022/2023 in das neue Gebäude einziehen können, Verwaltung und Schule sollen laut der Pressemeldung jetzt eine Zwischenlösung entwickeln.

Inzwischen hat sich herausgestellt: Dass es an Holz fehlt, ist wohl nicht der Hauptgrund für die Hängepartie auf der Schulbaustelle. Das städtische Amt für Wirtschaftlichkeitsprüfung und Revision hat das Projekt untersucht und anschließend für den Rechnungsprüfungsausschuss einen internen Bericht verfasst, der unserer Redaktion vorliegt. Die Prüfer:innen weisen in diesem Papier unter anderem darauf hin, dass bei etlichen Ausschreibungen für Gewerke auf der Baustelle Fehler passiert seien. Dadurch habe sich das Projekt weiter verzögert, und einige Posten seien deutlich teurer geworden als geplant. Die Westfälischen Nachrichten, denen der Bericht ebenfalls zugespielt wurde, haben in diesem Text ein paar Beispiele aufgeführt. Und in diesem Artikel hat WN-Autor Klaus Baumeister zusammengefasst, warum das Projekt Mathilde-Anneke-Gesamtschule von Anfang an schwierig war. Zum Beispiel, weil eigentlich alles sehr schnell gehen und das Schulgebäude aus Holz gebaut werden sollte, womit sich im Rathaus niemand richtig auskennt.

Personalmangel, aber auch gravierende Fehler

Zuständig für solche Bauvorhaben ist das städtische Amt für Immobilienmanagement. Die Prüfer:innen schreiben in ihrem Bericht, „dass nicht einzelne Personen des Amtes verantwortlich sind für entstehende Engpässe“. In den Bauämtern und anderen beteiligten Ämtern fehle es an Personal, um mit der „rasant steigenden Zahl städtischer Bauvorhaben“ fertigzuwerden. Um das zu kompensieren, vergibt die Stadtverwaltung bei einigen Projekten die Planung und die Bauleitung an externe Dienstleister:innen, so auch beim Neubau der Mathilde-Anneke-Schule. Einige Fehler, die hier passiert sind, hat laut Bericht das beauftragte Architekturbüro gemacht. Das Amt für Immobilienmanagement habe aber dennoch die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alle Regeln eingehalten werden und wirtschaftlich gearbeitet wird. Das Architekturbüro kann zwar Vorschläge machen, welches Unternehmen einen Auftrag bekommen soll. Aber am Ende trifft das Amt für Immobilienmanagement die Entscheidung, trägt also auch die Verantwortung. Und der ist es laut Bericht „nicht mehr in ausreichendem Maße nachgekommen“.

Das Amt hat bei dem Projekt laut dem Bericht also teure Fehler gemacht. Und der Bau stockt nicht erst jetzt, weil das nötige Material auf dem Weltmarkt knapp geworden ist. Das bedeutet: Die Information, die die Stadtverwaltung am Dienstag herausgegeben hat, war zumindest teilweise falsch.

Wie kam es dazu?

Wer wusste zu diesem Zeitpunkt, dass die Information falsch war?

Und warum wurden die tatsächlichen Gründe für den Bauverzug nicht da schon genannt, sondern erst, nachdem die Westfälischen Nachrichten gestern Existenz und Inhalt des Prüfberichts öffentlich gemacht hatten?

Oberbürgermeister gibt dem Dezernenten die Schuld

Nachdem die Zeitung über den Bericht geschrieben hatte, schickte die Stadt gestern Nachmittag noch eine Pressemeldung. Mathilde-Anneke-Schule: OB kündigt Konsequenzen an lautet die Überschrift. Und im Text steht, was genau Konsequenzen haben soll, nämlich die im Prüfbericht beschriebenen „Versäumnisse innerhalb der Stadtverwaltung“. Eines dieser Versäumnisse sei „ein unzureichender Informationsfluss zwischen dem zuständigen Dezernat und anderen Teilen der Stadtverwaltung“, so wird Markus Lewe zitiert. Das habe „neben anderen Komplikationen auch dazu geführt, dass die Öffentlichkeit teilweise zu spät, unvollständig und punktuell nicht präzise genug informiert werden konnte“.

Soll heißen: Das zuständige Dezernat (also Immobiliendezernent Matthias Peck) hat das Presseamt nicht richtig informiert, deshalb hat das Presseamt eine fehler- oder zumindest lückenhafte Information an die Öffentlichkeit gegeben.

Markus Lewe hat den Prüfbericht selbst in Auftrag gegeben

Man könnte das jetzt für die Auflösung der Geschichte halten, Matthias Peck ist schuld. Aber in der Pressemitteilung steht noch etwas Interessantes: Markus Lewe hat den Prüfbericht selbst beim Amt für Wirtschaftlichkeitsprüfung und Revision in Auftrag gegeben. Der Bericht datiert vom 2. Juni, das war vergangenen Mittwoch. Eigentlich wäre zu erwarten, dass der Oberbürgermeister den Bericht am selben Tag bekommen hat oder zumindest über den Inhalt informiert wurde. Warum dann aber die fehlerhafte Pressemitteilung an diesem Dienstag?

Dafür könnte es mehrere Gründe geben:

  • Markus Lewe hatte den Bericht am Dienstag noch nicht bekommen.
  • Er hatte ihn bekommen, aber noch nicht gelesen.
  • Er hatte ihn gelesen, aber er hat seine Pressesprecher:innen nicht informiert. Das Presseteam hat unwissentlich die lückenhafte Information von Immobiliendezernent Peck veröffentlicht.
  • Der Oberbürgermeister hat das Presseamt informiert und das Presseteam hat wissentlich die lückenhafte Information von Immobiliendezernent Peck veröffentlicht.

Wir haben bei der Stadt nachgefragt, wie es gewesen ist. Unsere Fragen haben wir dem Presseamt heute Morgen per E-Mail geschickt. Danach haben wir viel Kaffee getrunken, leckere Teilchen gegessen und einen kleinen Spaziergang gemacht, die Stadt hat ziemlich lange für die Antworten gebraucht.

Mittags schickte man uns, wohl um die Wartezeit zu überbrücken, wenigstens schon mal die Antwort auf eine unserer Fragen. Wir wollten wissen, wie die von Markus Lewe angekündigten Konsequenzen aussehen sollen. Bitteschön: „Diese (Anm.: die Konsequenzen) sollen zum einen einen möglichst zeitnahen Schulbetrieb in dem Neubau gewährleisten und zum anderen mögliche strukturelle und personelle Disbalancen innerhalb der Stadtverwaltung korrigieren. Die Voraussetzung dafür sind persönliche Gespräche mit den Verantwortlichen, rechtliche Prüfungen und eine Abstimmung mit der Politik.“ Ach so.

„Bitte bleiben Sie dran, Ihre Antworten werden recherchiert“

In der E-Mail vom Presseamt stand außerdem, die Antworten auf unsere anderen Fragen würden „gerade recherchiert“. Nur damit Sie einen Eindruck bekommen: Eine der Fragen war, wann der Oberbürgermeister den Prüfbericht bekommen hat.

Kurz nach dem dritten Kaffee haben wir es erfahren: Am Mittwoch, 2. Juni, um 15:22 Uhr wurde Markus Lewe der vertrauliche Bericht per E-Mail zugestellt. Die Mitglieder des Rechnungsprüfungsausschusses bekamen das Papier am selben Tag, ebenso wie die Fraktionsvorsitzenden von CDU, SPD, Grünen und FDP.

Das Presseamt schrieb uns außerdem, es habe am Dienstag, 8. Juni, von Matthias Pecks Dezernat die Information über den Baustoffmangel bekommen und sie in Abstimmung mit dem Dezernat an die Medien weitergegeben.

Aus all dem können wir schließen: Der Oberbürgermeister kannte den Bericht, aber er hat sein Presseteam nicht informiert. Es war also ein… Moment… ach ja: unzureichender Informationsfluss. Auch bekannt als Kommunikationspanne.

Der Vorhang zu und viele Fragen offen

Es bleibt unklar, warum Matthias Peck nicht schon Anfang der Woche über die Probleme informiert hat, die der Bericht aufführt. Wir hätten ihn das gerne persönlich gefragt, aber er ließ uns über das Presseamt ausrichten, wir mögen unsere Fragen schriftlich stellen. Das haben wir heute Mittag gemacht, die Antworten kamen am frühen Abend. Das Presseamt schrieb uns, Matthias Peck sei am 21. Mai darüber informiert worden, dass ein Bericht über das Bauprojekt erstellt werden sollte. Wie der Oberbürgermeister bekam er den fertigen Bericht am 2. Juni. Er kannte den Inhalt also längst, als er am 8. Juni die Informationen über den Baustoffmangel herausgab.

Warum stand in der Mitteilung nichts über die tatsächlichen Gründe? Die Antwort, die wir auf diese Frage bekommen haben, ist lang und ausweichend. Hier ein Auszug: „Die Pressemitteilung am vergangenen Dienstag informierte über aktuelle und möglicherweise noch entstehende Verzögerungen bei städtischen Bauprojekten aufgrund der Situation am internationalen Rohstoffmarkt. Zu den betroffenen Einrichtungen gehört auch die Mathilde-Anneke-Gesamtschule. Das ist eine Ursache für die zuletzt kommunizierte Verzögerung von Bauprojekten.“

Das ist geschickt formuliert, denn es stimmt ja. Es gibt einen Mangel an Rohstoffen, und wahrscheinlich wird auch für den Neubau der Gesamtschule Holz fehlen. Aber es ist nicht das, was wir wissen wollten.

Wir müssen Sie also mit einigen offenen Fragen ins Wochenende schicken:

  • Warum hat Matthias Peck die Bauverzögerung mit dem Materialmangel begründet und nicht über die vielen anderen Probleme und Pannen informiert?
  • Warum wusste das Presseamt nichts von dem Prüfbericht?
  • Was werden denn jetzt die konkreten Konsequenzen sein?

Wir werden nächste Woche versuchen, weitere Antworten zu bekommen.

In aller Kürze

+++ Nachdem der Windkraftunternehmer Thomas Siepelmeyer aus Münster erwirkt hat, dass die Industrie- und Handelskammer Nord Westfalen aus dem Dachverband der Kammern austreten muss (RUMS-Brief vom 16. Oktober 2020), hat der Bundestag nun eine Reform beschlossen. Das meldet unter anderem das Handelsblatt. Der Maulkorb, den das Gericht der Kammer erteilt hatte, entfällt damit. Siepelmeyer hatte sich daran gestört, dass die Kammer, in der er Zwangsmitglied ist, sich immer wieder so zu Themen äußerte, dass es seinen Interessen widersprach. In Zukunft muss die Kammer bei ihrer Kommunikation nach außen darauf hinweisen, wenn es abweichende Meinungen gibt. Um das Problem zu lösen, das sich mit den Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ergab, wird der Dachverband Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK) in eine Körperschaft des öffentlichen Rechts umgewandelt. Alle 79 Industrie- und Handelskammern müssen dort Mitglied werden. Vorher war die Mitgliedschaft freiwillig. Den Gesetzesentwurf der Bundesregierung finden Sie hier.

Korrekturen und Ergänzungen

In unserem RUMS-Brief am Dienstag schrieben wir, dass der Radverkehr auf der Promenade von August bis September an der Kanalstraße in einem Verkehrsversuch Vorfahrt bekommen soll. Das ist richtig. Nicht richtig war die Angabe, dass das Ganze am Neutor stattfinde. Das ist nämlich der Abschnitt zwischen Schlossplatz und Steinfurter Straße. Richtig ist Neubrückentor. Also zur Sicherheit noch einmal: Bitte ab August nicht einfach am Neutor mit dem Rad über die vierspurige Straße brettern. Das geht vermutlich nicht gut aus.

Corona-Update

Ab Montag können Sie sich einen digitalen Impfpass ausstellen lassen. Dann müssen Sie das kleine gelbe Heftchen nicht mehr zum Vorzeigen mit sich herumtragen, falls Sie schon geimpft sind. Den digitalen Impfnachweis können Sie sich in Zukunft bei der Impfung in Arztpraxen oder im Impfzentrum ausfüllen lassen, berichtet das Magazin Business Insider. Nachträglich stellen Ihnen Apotheken den digitalen Pass aus. Dazu müssen Sie sich die App „Covpass“ installieren, die in allen App-Stores verfügbar sein soll. Wir werden dann berichten, ob das funktioniert. Und noch schnell zu den Coronazahlen. Die Wocheninzidenz (Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Menschen in sieben Tagen) liegt heute laut der Stadt bei 5,4. Seit gestern sind fünf Neuinfektionen gemeldet worden. Damit liegt die Zahl der als infiziert gemeldeten Menschen aktuell bei 71.

Unbezahlte Werbung

Es liegt etwas versteckt, aber wenn man es gefunden hat, ist es wirklich ein sehr schöner Ort. Am Verspoel (das ist die kleine Straße, die am Marienplatz von der Ludgeristraße abgeht), direkt gegenüber dem nepalesischen Restaurant liegt Simons Kaufladencafé. Es ist klein, aber damit eben auch gemütlich, und man kann sehr schön im Hinterhof sitzen. Hier können Sie sich ansehen, wie es dort aussieht. Geöffnet ist das Café dienstags bis freitags von 12 bis 17 Uhr, samstags von 11 bis 17 Uhr.

Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!

Drinnen und Draußen

+++ Mascha liebt Konstantin. Konstantin hat nur Augen für Nina. Nina vergöttert Trigorin. Trigorin ist mit Arkadina zusammen. Und Arkadina liebt nur sich selbst. Ist Ihnen schon etwas schwindelig? Sie müssen sich das jetzt nicht alles merken. Aber Sie können die Geschichte dazu im Theater Münster sehen, die Namen gehören nämlich Figuren aus Anton Tschechows Komödie „Die Möwe“. Neulich hatten wir Ihnen das Stück schon mal zum Streaming empfohlen. Jetzt können Sie es sich live auf der Bühne anschauen. Unter anderem für kommenden Dienstag gibt es Karten über den Ticketshop des Theaters.

+++ Im Landeshaus am Freiherr-vom-Stein-Platz ist zurzeit eine Wanderausstellung des Kölner Museums MiQua zu Gast: Menschen, Bilder, Orte – 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland (Korrekturhinweis: Wir hatten geschrieben, die Ausstellung finde in der Synagoge statt. Das stimmte nicht. Wir haben es korrigiert.) Der Titel beschreibt schon gut, worum es in der Ausstellung geht, da ist nicht viel hinzuzufügen. Sie können sich die Ausstellung einfach so anschauen. Oder Sie melden sich zu einer einstündigen Führung an, die die Jüdische Gemeinde Münster dienstags um 10 Uhr und donnerstags um 17 Uhr anbietet. Spätestens am Tag vorher müssen Sie telefonisch unter 0251 44909 oder per E-Mail Bescheid geben, wenn Sie teilnehmen möchten. Treffpunkt ist dann 15 Minuten vor Beginn am Gemeindezentrum der Jüdischen Gemeinde Münster.

Am Dienstag schreibt Ihnen Ralf Heimann wieder. Ich wünsche Ihnen ein schönes Sommerwochenende.

Herzliche Grüße

Constanze Busch

Mitarbeit: Ralf Heimann, Eva Strehlke

PS

Max Brinkmann-Brand von der ÖDP hat gestern Abend aus dem Verkehrsausschuss getwittert. Es ging um die Velorouten, das Fahrradstellplätzeprogramm und andere Projekte (wir schreiben Ihnen nächste Woche etwas dazu). Und ganz kurz ging es auch um uns. Die CDU hat Stadtbaurat Robin Denstorff offenbar gebeten, noch mal Informationen zum Verkehrsversuch an der Hörsterstraße an die Medien zu geben. Robin Denstorff scherzte darauf: „Die Presse schreibt nicht immer, was sie soll.“ Und das stimmt. Vielen Dank für das Kompliment!

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