Münster wird Regenbogenstadt | Notunterkunft: Ein Zielkonflikt und eine halbe Lösung | Kaffee und Klamotten bei Cup & Cotton

Porträt von Sebastian Fobbe
Mit Sebastian Fobbe

Guten Tag,

auf den Stufen zum historischen Rathaus sind die Blumen, Kerzen und Schilder verschwunden. Nichts erinnert dort mehr an das, was Malte C. am Rande des Christopher Street Days in Münster widerfahren ist. Malte, ein junger trans Mann, aufgewachsen in Münster, stellte sich schützend vor eine Gruppe Frauen, die lesbenfeindlich beleidigt und bedroht wurden. Daraufhin schlug ein Mann Malte zweimal ins Gesicht. Malte fiel zu Boden, schlug mit dem Hinterkopf auf dem Asphalt auf und wurde bewusstlos.

Fünf Tage lag Malte im künstlichen Koma, bis er wenige Tage vor seinem 26. Geburtstag im Krankenhaus verstarb. Um sich von Malte zu verabschieden, luden heute 14 queere Organisationen und Initiativen aus Münster zu einer öffentlichen Trauerfeier am Waldfriedhof Lauheide ein. Wie der WDR berichtet, sind rund 300 Menschen am Mittag dorthin gekommen.

Deutschlandweite Anteilnahme

Der Tod des jungen Mannes löste ein bundesweites Echo aus. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Sven Lehmann (Grüne), der Queerbeauftragte der Bundesregierung, drückten ihre Anteilnahme und ihr Entsetzen über die Gewalttat aus.

Faeser und Lehmann wollen aber auch politisch etwas bewegen, um den Hass und die Gewalt gegen queere Menschen in Deutschland zu bekämpfen. So soll etwa die Polizeistatistik queerfeindliche Straftaten stärker in den Fokus nehmen. 2021 wurden über 1.200 solcher Straftaten gezählt. Man gehe aber laut Pressemeldung „von einem großen Dunkelfeld aus“. Außerdem wollen die beiden Politiker:innen ein Gremium gegen anti-queere Gewalt einrichten und einen nationalen Aktionsplan für Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt und gegen Queerfeindlichkeit in Deutschland erstellen.

Über diesen Aktionsplan soll der Bundestag noch in diesem Jahr entscheiden. Einige Eckpunkte sind schon bekannt: Zum Beispiel will der Queerbeauftragte das Grundgesetz ändern, damit der Gleichstellungsartikel künftig auch Diskriminierung wegen sexueller Identität verbietet. Außerdem sollen die Kosten für Kinderwunschbehandlungen für gleichgeschlechtliche Paare übernommen und Hasskriminalität stärker geahndet werden. Und der Aktionsplan soll Empfehlungen für die Verwendung von geschlechtergerechter Sprache im öffentlichen Dienst entwickeln.

Ein Aktionsplan für Münster

Auch die Stadt Münster will etwas gegen Queerfeindlichkeit unternehmen. In der Nähe des Bahnhofs soll die queere Gemeinschaft sichtbarer werden – durch Straßenlaternen, Sitzbänke und Fahrradbügel in Regenbogenfarben und durch gleichgeschlechtliche Figuren an den Ampeln.

Zum anderen will Münster einen eigenen Aktionsplan entwickeln, damit alle Menschen „selbstbestimmt und diskriminierungsfrei in unserer Stadt leben können“, so steht es in dem Verwaltungspapier. In Münster soll Queerpolitik kein Randthema sein. Laut Beschlussvorlage sollen schätzungsweise über 23.000 schwule, lesbische, bisexuelle, trans und inter Menschen in Münster leben, fast 8.700 davon sind zwischen 14 und 29 Jahren alt. Im letzten Jahr sollen laut Vorlage außerdem 51 intergeschlechtliche Kinder in Münster geboren worden sein. „Der Beratungs- und Hilfsbedarf der Eltern ist hier besonders hoch“, heißt es in dem Papier.

An dem Aktionsplan mitwirken sollen die Verwaltung, Fachleute und queere Vereine. Die Ziele sind ambitioniert: Der Aktionsplan soll in sieben Lebensbereichen (zum Beispiel Schule, Beruf und Pflege) Diskriminierung von queeren Menschen abbauen und gleichzeitig auch Mehrfachdiskriminierungen von queeren Menschen mit Behinderung oder Migrationsgeschichte in den Blick nehmen. Denn viele dieser Menschen fühlen sich in Münster unsicher. In einem offenen Brief der 14 queeren Vereine aus Münster schreiben sie, der Angriff auf Malte habe ihnen „schmerzhaft vor Augen geführt, dass wir uns nirgendwo wirklich sicher fühlen können“.

Laut Stadt soll der Aktionsplan im Jahr 2024 fertig sein. Städte wie Bielefeld oder Nürnberg haben bereits vergleichbare Pläne. Köln hat außerdem eine Fachstelle für queere Fragen geschaffen.In Münster wird es noch etwas dauern. Umsetzen will die Stadt den Plan ab 2025. Den ersten Schritt will sie aber schon sofort machen und dem Netzwerk der Regenbogen-Städte beitreten: dem Rainbow Cities Network. Einem internationalen Zusammenschluss aus 40 Städten in 18 Ländern, das sich einmal jährlich über die Fortschritte ihrer Queerpolitik austauscht. Münster wäre das elfte Mitglied aus Deutschland. (sfo)

Kurz und Klein

+++ Sie haben es bestimmt schon beobachtet: Auf einen E-Scooter passen auch zwei Menschen gleichzeitig. Das ist gefährlich, denn die Doppelbelegung erschwert das Lenken und Bremsen. Mit Blick auf die Sicherheit also schlechte Voraussetzungen – sowohl für die Menschen auf den Rollern als auch für die auf der Straße. Obwohl Deutschland Tandemfahrten auf E-Scootern gesetzlich verbietet und mit einem Bußgeld bestraft, finden laut einer Pressemitteilung des Anbieters Bolt drei bis vier Prozent aller E-Scooter-Fahrten immer noch zu zweit statt. Um dagegen vorzugehen, hat Bolt nun eine neue Funktion eingeführt, die Tandemfahrten erkennen soll. Registriert der Roller über den Beschleunigungsmesser eine starke Gewichtsveränderung, sendet er den Nutzer:innen eine Benachrichtigung und klärt über die Gefahren von Tandemfahrten auf. Bolt dürfe die E-Scooter nicht verlangsamen und die Fahrt abbrechen, schreibt uns Jan Kronenberger von Bolt auf Nachfrage. Bei Wiederholungstäter:innen behalte sich Bolt lediglich vor, diese vorübergehend zu sperren, so Kronenberger. (ast)

+++ Beim „Smart City Index 2022“ belegt Münster in der Kategorie Mobilität nur den 32. von 81 Plätzen. Nachholbedarf sieht der Digitalverband Bitkom praktisch überall, zum Beispiel beim sogenannten smarten Verkehrsmanagement. Das ist bitter, aber glücklicherweise kommt der Stadt da ein neuer Verkehrsversuch an der Weseler Straße ganz recht: Dort sollen ab heute intelligente Ampeln den Busverkehr beschleunigen. Die Busampeln stehen grundsätzlich immer auf Grün und springen – ganz smart – nur dann um, wenn sich die Verkehrslage ändert. Das war zumindest der Plan. Um 10 Uhr musste die Stadt aber die Notbremse ziehen: Der Aufbau der Ampeln an der Weseler Straße verzögert sich, das Personal ist blöderweise ausgefallen. Ob, wann und wie es weitergeht, steht „zeitnah“ fest. So lange bleibt an der Weseler Straße erst einmal alles so, wie es ist, und die Busse bleiben da stehen, wo sie immer stehen bleiben. (sfo)

Wie es weiterging – am Hansator

Im RUMS Brief am 20. September haben wir über das Poha House berichtet, einen Wohnkomplex mit über 300 Wohnungen hinter dem Bahnhof, der eine neue Art von Wohnen verspricht, das sogenannte Co-Living (schmales eigenes Zimmer, aber viel gemeinschaftlicher Raum und Kontakte). Die Westfälischen Nachrichten hatten geschrieben, die Uniklinik, das Theater und der Zoo hätten im „Poha House” viele Apartments gemietet. Wir hatten unter anderem beim Zoo gefragt. Dort wusste man davon nichts. Die Frage, wie es zu dem Missverständnis kam, blieb offen – bis sich vor ein paar Tagen eine Person anonym bei uns meldete. Sie sagte, es gehe nicht um den Zoo, sondern um den Zoll. Und tatsächlich: Ein Sprecher schreibt auf Nachfrage: „Die Generalzolldirektion hat insgesamt 125 Appartements im ‘Poha House’ zur Unterbringung von Nachwuchskräften des gehobenen Dienstes angemietet.“ Wir rechnen also zusammen: Die Uniklinik hat 50 Zimmer gemietet, das Theater fünf, und dann kommen noch einmal zehn von der Uni Münster hinzu. Auch dort hatten wir gefragt. Macht zusammen 190 von 313 Apartments, die von öffentlichen Einrichtungen oder Institutionen als eine Art Gästehaus gebucht werden. Und noch eine aktuelle Information: Das Hansator, in dem sich das „Poha House” befindet, gehört seit Samstag der Immobilienverwaltungsgesellschaft Hamburg Team. (rhe)

Notunterkunft in Hiltrup: Ein Zielkonflikt und eine halbe Lösung

Vergangenen Dienstag ging es in meinem RUMS-Brief um die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine. Die Stadt Münster geht davon aus, dass wieder mehr Menschen in Deutschland Schutz suchen werden. Deshalb richtet sie Unterkünfte für Geflüchtete her. Sehr wahrscheinlich müssen Menschen aus der Ukraine auch wieder in Turnhallen übernachten, denn die Unterkünfte werden knapp.

Die Stadt sieht sich gleichzeitig auch mit einem anderen Problem konfrontiert: Es fehlen Unterkünfte für wohnungslose Familien. Münster bietet zurzeit 264 Plätze in Notunterkünften an, aber das reicht nicht mehr aus.

Die Stadt möchte deshalb in Hiltrup eine neue Unterkunft für wohnungslose Familien einrichten. Dazu will sie eine Einrichtung in der Marie-Curie-Straße umfunktionieren, in der zurzeit Geflüchtete untergebracht sind. Und das, obwohl die Suche nach Unterkünften für Geflüchtete gerade im vollen Gange ist.

Wie passt das alles zusammen?

Knapp die Hälfte der Wohnungslosen in NRW sind Familien

Verschaffen wir uns zunächst einen Überblick. Seit diesem Jahr führt der Bund eine offizielle Wohnungslosenstatistik. Dadurch wissen wir: Die Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar 2022 verbrachten 178.000 Menschen in Deutschland in Wohnungslosenunterkünften.

Das Statistische Bundesamt hat aber nicht nur Wohnungslose gezählt, sondern auch Merkmale wie Geschlecht, Nationalität oder Alter erfasst. Deshalb kann man die Datenbank der obersten Statistikbehörde Deutschlands nach dem Haushaltstyp der Wohnungslosen absuchen – obwohl es zynisch wirkt, Menschen, die keine Wohnung haben, als Haushalt zu bezeichnen.

Das Suchergebnis ist umso interessanter, denn es zeigt, dass die größte Gruppe unter den Wohnungslosen in Deutschland Familien sind. Zusammengerechnet machen Paare mit Kindern und Alleinerziehende fast die Hälfte der Menschen aus, die am Stichtag in Notunterkünften gelebt haben – in absoluten Zahlen sind das fast 82.000 Menschen. Das widerlegt ein Klischee, das viele im Kopf haben: Der alleinstehende Mann, der sein Hab und Gut in einer Plastiktüte aufbewahrt und auf einer Parkbank schläft, ist kein Symbolbild für Wohnungslosigkeit in Deutschland.

Brechen wir die Zahlen auf Nordrhein-Westfalen herunter, ergibt sich ein ähnliches Bild: Alleinerziehende (3.930) und Paare mit Kindern (11.965) machen knapp die Hälfte aller Wohnungslosen zwischen Rhein und Ruhr aus. Das Statistische Bundesamt hat in den Notunterkünften des Landes 36.000 Menschen gezählt.

Diese Zahlen sind erschreckend, aber sie zeichnen ein unvollständiges Bild: Die Statistik erfasst nur wohnungslose Menschen, die untergebracht sind. Wie viele Menschen in Deutschland auf der Straße leben und damit als obdachlos gelten, lässt sich deshalb schwer sagen. Eine Forschungsgruppe hat sich mit dieser Frage in einer Studie für das NRW-Sozialministerium befasst und stichprobenartige Schätzungen in verschiedenen Städten des Landes (unter anderem in Münster) durchgeführt.

Das Ergebnis: In ganz NRW machen Familien nur zwei Prozent der Obdachlosen aus. In dieser traurigen Statistik ist das eine der weniger traurigen Nachrichten, denn diese Zahl zeigt: Für Familien ist die Wahrscheinlichkeit gering, auf der Straße zu landen. In der Gruppe der verdeckt Obdachlosen, die zeitweise bei Freund:innen, Bekannten oder der Verwandtschaft unterkommen, machen Familien ebenfalls nur knapp 8 Prozent der Stichprobe aus.

Münster wächst – und damit auch die Wohnungsnot

All das macht sich auch in Münster bemerkbar. Die Stadt wächst und damit auch die Wohnungslosigkeit. Lebten 2021 noch rund 1.200 Menschen in den Wohnungslosenunterkünften, sind es inzwischen über 1.600 (RUMS-Brief vom 13. September 2022).

Wie viele Familien in Münster von Wohnungslosigkeit betroffen sind, teilt uns die Stadt auf Anfrage nicht mit. Eine Ahnung gibt die Vorlage zur Umwidmung der Unterkunft in Hiltrup, über die der Rat Ende Oktober entscheiden soll. Die Stadt stellt dort in sechs Familienunterkünften Platz für 264 Menschen zur Verfügung. Allerdings verlassen diese Einrichtungen jedes Jahr auch viele Familien: In den vergangenen zwei Jahren zogen jeweils um die 200 Menschen aus den Unterkünften wieder aus. „Nur so war es möglich, den nach wie vor steigenden Bedarf an Unterbringungen mit den vorhandenen Kapazitäten zu decken“, heißt es in dem Papier.

Denn auf der anderen Seite ist der Bedarf ungebremst groß. Die Stadt brauche laut Beschlussvorlage „dringend mindestens eine weitere Einrichtung für wohnungslose Familien“, um die „seit Anfang des Jahres 2022 eskalierende Situation vorübergehend abzufedern“. Der Bedarf übersteigt bei Weitem die Zahl der Auszüge: Seit über einem Jahr sind laut der Vorlage über 95 Prozent der 264 Schlafplätze in den Wohnungsloseneinrichtungen für Familien dauerhaft besetzt.

Allerdings: Ab 85 Prozent spricht man von Vollauslastung, denn Familien können ihren Platzbedarf nicht so einfach einschränken. Wird diese Grenze überschritten, kommt es häufiger zu Streit. Um aus dieser Situation den Druck zu nehmen, bucht die Stadt wohnungslose Familien gelegentlich übergangsweise in Hotels ein. Für die Menschen mag das angenehm sein, für die Stadt ist diese Form der Unterbringung teuer und unpraktisch. Sozialarbeiter:innen können die Menschen in Hotels sehr viel schwerer begleiten.

Ausländische Familien haben es besonders schwer

Das Problem, dass der Hilfebedarf die Möglichkeiten zu unterstützen übersteigt, kennt auch Bernhard Mülbrecht von der Bischof-Hermann-Stiftung. Er koordiniert das Projekt Brückenschlag, das eine Art Testballon des NRW-Sozialministeriums ist. Technisch betrachtet, geht es darum, den Hilfeparagrafen 67 des Sozialgesetzbuches neu auszulegen. Dieser verspricht Alleinstehenden, „bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind“, Unterstützung. Brückenschlag soll beweisen, dass diese Hilfen auch bei Familien greifen, die von Wohnungslosigkeit bedroht oder betroffen sind. Auch nach der Vermittlung in eine Wohnung unterstützt Brückenschlag die Familien.

Mülbrecht sagt, das Projekt habe seit seinem Beginn im Jahr 2020 rund 20 Familien ohne Wohnung in Münster geholfen. Die Migrantenquote liege bei 100 Prozent. Ein statistischer Zufall, wie Mülbrecht unterstreicht. „Wir würden auch deutschen Familien helfen“, sagt er. Nur bisher seien noch keine zu Brückenschlag vermittelt worden. Die Familien suche sich das Modellprojekt nicht selbst aus. Zum Beispiel leiten Schulen oder Kitas die Familien an das Projekt weiter.

Woran das liegen könnte, ist Spekulation, denn was den hilfesuchenden Familien widerfährt, kann jedem passieren. Es kann etwa sein, dass sie Mietschulden haben – und deshalb eine Räumungsklage am Hals. Einige der betreuten Familien in Münster sind zum Arbeiten gekommen, haben aber keine Bleibe gefunden. Oder sie haben ihre eigene Wohnung verloren und finden jetzt kein neues Zuhause.

An dieser Stelle kommt ein Aspekt ins Spiel, der deutschen Familien fremd ist: Ausländische Familien werden bei der Wohnungssuche – bewusst oder unbewusst – diskriminiert, sagt Mülbrecht. Gerade wenn sie schlecht Deutsch sprechen, hätten sie kaum Chancen. Darüber hat RUMS-Kolumnistin Roudy Ali schon einmal geschrieben.

Die Kinder sind die Leidtragenden

Um dieses Problem anzugehen, beschäftigt Brückenschlag nicht nur zwei Sozialarbeiter:innen, sondern auch Dolmetscher:innen, die den Familien helfen, Sprachbarrieren zu überwinden. Solche Barrieren begegnen ihnen nicht nur auf der Suche nach einer Wohnung. Damit sich die Familien im Dschungel der deutschen Sozialbürokratie zurechtfinden, brauchen sie Hilfe. Schon für deutsche Familien kann es eine Qual sein, Anträge auf Wohngeld oder auf den Kinderzuschlag zu stellen.

Die Notunterkünfte der Stadt hätten einen guten Standard, sagt Mülbrecht. Die Familien lebten in Containern oder Holzständerbauten, aber auch in den ehemaligen Militärunterkünften, etwa im Hohen Heckenweg. In den meisten Fällen seien die Übergangswohnungen gut erreichbar und hätten auch Kitas und Schulen in der Nähe. Gut findet Mülbrecht auch, dass nie mehr als 50 Personen in den Unterkünften lebten, sagt er. Das Konfliktpotenzial verschärfe sich erfahrungsgemäß dann, wenn sich die Familien das Bad teilen müssten.

Am meisten litten aber die Kinder unter den Wohnbedingungen, sagt Mülbrecht. Vor allem, wenn sie lange in provisorischen Unterkünften wohnen müssten. Erfahrungsgemäß lebten die Familien ungefähr ein Jahr in den Einrichtungen, bis sie eine eigene, meist sehr kleine Wohnung fänden. Zurzeit betreue Brückenschlag eine Familie, in der die Eltern mit zu früh geborenen Zwillingen und zwei weiteren Kindern im Alter von einem und drei Jahren auf 27 Quadratmeter zusammenlebten. „In der Enge können sich Kinder nicht gut entwickeln“, sagt Mülbrecht.

Der Zielkonflikt bleibt

Mit der Umwandlung entstehen nun in Hiltrup 50 neue Plätze für Familien ohne Wohnung. Die Stadt will das Angebot weiter ausbauen, idealerweise innenstadtnah, dezentral verteilt über verschiedene Stadtteile, am besten dort, wo Schulen, Kitas, Arztpraxen und Geschäfte in der Nähe sind, und wo Bus und Bahn fahren. Hiltrup ist hier eine Ausnahme. Der Stadtteil gehört zwar nicht zur Innenstadt, hat aber eine gute Infrastruktur.

Aber ist die umfunktionierte Einrichtung eine gute Lösung? Bernhard Mülbrecht ist geteilter Meinung. Einerseits freue er sich über jeden Platz, der für wohnungslose Familien entstehe, und auch die Standards der Geflüchtetenunterkünfte seien gut. Aber Mülbrecht sieht einen grundsätzlichen Nachteil: Es sind und bleiben eben Notunterkünfte und damit Notlösungen. „Der Fokus sollte auf Wohnbau und bezahlbarem Wohnraum liegen“, sagt er. Erst kürzlich zeigte eine Studie, dass familienfreundliche Wohnungen in Großstädten Mangelware sind und Familien im Schnitt die meiste Miete zahlen.

Im Falle der Unterkunft in Hiltrup gibt es noch ein anderes Problem: Mit der Umwidmung fallen Plätze weg, die fehlen, wenn es darum geht, Geflüchtete aus der Ukraine unterzubringen. Widerspricht das nicht diesem anderen Ziel? Und was passiert mit den Geflüchteten, die im Moment in der Einrichtung wohnen?

In der Beschlussvorlage zur Umnutzung heißt es, seit Beginn des Krieges seien 1.530 Plätze für Geflüchtete geschaffen worden. Sie würden jetzt nach und nach wieder hergerichtet. So gesehen, fallen die 50 wegfallenden Plätze kaum ins Gewicht. Und für alle, die umziehen müssen, will die Stadt laut dem Papier „individuelle Lösungen” organisieren.

Was das bedeutet, habe ich das Presseamt gefragt. Die Antwort: Die Bewohner:innen würden „transparent, frühzeitig und persönlich“ über die neue Nutzung informiert. Die Umzüge sollen „so sozialverträglich wie möglich“ ablaufen, am besten innerhalb von Hiltrup und so, dass die Kinder ihre Kita oder Schule nicht wechseln müssen. Auch werde man bei der Wohnungssuche helfen. Nur wie beides bei dem Druck auf die Unterkünfte für Geflüchtete und am Wohnungsmarkt schnell funktionieren soll, ist eine andere Frage. (sfo)

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Corona-Update

+++ Seit Freitag sind in Münster 392 positive PCR-Tests gemeldet worden. Laut Statistik sind damit 1.599 Münsteraner:innen nachweislich infiziert. Die Wocheninzidenz liegt nach Angaben des Robert-Koch-Instituts bei 307 registrierten Ansteckungen pro 100.000 Menschen.

+++ Vier Menschen mit einer Covid-Erkrankung liegen in Münster auf der Intensivstation, meldet das Intensivregister. Eine Person muss beatmet werden.

+++ Seit Freitag ist in Münster ein weiterer Mensch an oder mit Corona gestorben. Die Zahl der Todesfälle in Münster seit Pandemiebeginn steigt damit auf 236. (vpe)

Ein-Satz-Zentrale

+++ Die Stadtverwaltung rechnet trotz Energiesparoffensive mit satten Rechnungen für Strom, Gas und Fernwärme. (Westfälische Nachrichten)

+++ Rikscha-Taxis kommen in Münster nur zu bestimmten Zeiten an (wenn der Bus nicht fährt) – und nur auf bestimmten Strecken (zwischen Bahnhof und Schloss und zwischen Innenstadt und Hafen). (Westfälische Nachrichten)

+++ Der Kanal soll ersten Plänen nach eine neue Liegewiese und zwischen den beiden Stadthäfen eine neue Promenade bekommen. (Stadt Münster)

+++ Die vor einigen Monaten gestohlenen Bronzefiguren kehren morgen an den Brunnen in Hiltrup zurück. (Stadt Münster)

+++ Die Bahn will die Schranken an der Bahnlinie in Sudmühle und Mariendorf abbauen. (Westfälische Nachrichten)

+++ Die Arbeitslosigkeit in Münster ist im September leicht gesunken. (Arbeitsagentur Ahlen-Münster)

+++ Die Grünen-Politikerin Birgit Neyer ist neue Kämmerin des Landschaftsverbands. (Landschaftsverband Westfalen-Lippe)

+++ Die Linke will, dass die Stadt den Gasometer kauft und den Betrieb eines sozialen und kulturellen Zentrums dauerhaft sichert. (Die Linke)

+++ Die CDU will Pfandflaschenboxen an Mülleimern anbringen, um die Verletzungsgefahr für Menschen zu senken, die Flaschen sammeln. (CDU-Fraktion Münster).

+++ Weil das Bündnis „Kein Meter den Nazis“ befürchtet, dass der Tod von Malte C. für Hetze gegen Menschen mit Migrationsvorgeschichte genutzt werden könnte, veranstaltet es am Freitag eine Gegenveranstaltung zur einer Kundgebung einer islam- und queerfeindlichen Gruppe. (Alles Münster)

Unbezahlte Werbung

Wer diesen Sommer aufmerksam über die Wolbecker Straße gelaufen ist, hat vermutlich einen Neuzugang entdeckt: Gut versteckt im Hinterhof der Hausnummer 75 hat vor vier Monaten das Cup & Cotton eröffnet – ein kleines Café mit ruhiger Atmosphäre, portugiesischen Pastéis de Nata und einer wechselnden Mittagskarte. Wie der Name schon verrät, gibt es hier auch eine kleine Auswahl an sportlicher Mode für Erwachsene zu kaufen. Nach einem Cappuccino können Sie also gleich noch zum Stöbern bleiben. 

Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!

Drinnen und Draußen

Heute hat Viktoria Pehlke für Sie in den Terminkalender gesehen. Das hier sind ihre Empfehlungen:

+++ Die Sängerin Niki stellt am Samstag im Hiltruper Kulturbahnhof ihr erstes Album „Chocolate“ vor. In ihren Songs mischt sie Texte auf Deutsch, Englisch, Persisch, Urdu und Portugiesisch. Ihre Musikrichtung nennt sie „Fusion Pop“. Beginn ist um 20 Uhr, Tickets gibt es online. Und einen musikalischen Vorgeschmack gibt’s hier.

+++ Im Juli sind viele kleine Manufakturen und Künstler:innen zum Monkey Market nach Münster gekommen. Am Freitag (16 bis 21 Uhr) und Samstag (11 bis 19 Uhr) findet der Markt wieder statt – im Alten Steinweg 47. Der Eintritt ist frei.

+++ Der Roman Blaue Frau von Antje Rávik Strubel ist im vergangenen Jahren mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet worden. Das Theater Münster führt die Geschichte der Protagonistin Adina nun als Theaterstück auf. Premiere ist am Freitag. Es gibt noch einige Karten im Ticketshop.

+++ Bis zum 15. Oktober zeigt der Förderverein der Wohnhilfen im Kreuzgang des Doms die Fotoausstellung „Augenblick mal…“. Zu sehen sind Porträts und Kurzinterviews von 16 Menschen aus Münster, die Erfahrungen mit Wohnungslosigkeit gemacht haben und einen Einblick in ihre persönliche Geschichte gewähren.

+++ Der Sänger und Autor Hendrik Otremba liest am Freitag in Münster in einer WG aus seinem Roman Benito vor. Er spricht darin über das Pfadfindertum, Abenteuer und Reisen in die Kindheit. Beginn ist um 19 Uhr. Der genaue Veranstaltungsort wird erst nach dem Ticketkauf bekannt gegeben.

+++ Zum Thema „Fair Play?! Sport und Menschenrechte weltweit“ findet am Freitagabend eine Poetry-Lesung im Vereinsheim des TuS Saxonia statt. Die Lesung ist der Auftakt zur Veranstaltungsreihe des Beirats für kommunale Entwicklungszusammenarbeit, die bis zum 20. November läuft. Das gesamte Programm finden Sie hier.

Am Freitag schreibt Ihnen Constanze Busch. Ich wünsche Ihnen eine schöne Woche.

Herzliche Grüße
Sebastian Fobbe

Mitarbeit: Ralf Heimann, Viktoria Pehlke, Antonia Strotmann
Lektorat: Antonia Strotmann

PS

Bald bekommen wir in der RUMS-Redaktion Besuch von der Reportageschule Reutlingen, das hatten wir Ihnen am Freitag schon verraten. Die Kolleg:innen werden eine Woche lang für uns Reportagen, Porträts und Features schreiben, die Sie natürlich später auf unserer Website lesen können. Wir sind schon ganz vorfreudig, suchen aber noch ein paar Übernachtungsmöglichkeiten und Fahrräder. Melden Sie sich gerne bei uns, wenn Sie ein Gästezimmer frei haben oder uns Ihre Leeze ausleihen wollen. Über eine E-Mail freuen wir uns. Als Dankeschön laden wir Sie zu uns in die Redaktion ein.

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