Ein Freifahrtsschein aus der JVA | Nach der „Signa“-Pleite ist vor der Kaufhauskrise? | Fred liebt Irma

Porträt von Sebastian Fobbe
Mit Sebastian Fobbe

Guten Tag,

heute ist ein Mann aus der Justizvollzugsanstalt Münster entlassen worden, der dort etwas mehr als zwei Wochen inhaftiert gewesen war. Er hatte eine Straftat begangen, für die das Strafgesetzbuch bis zu einem Jahr Haft vorschreibt. Verurteilt wurde der Mann zu einer zweimonatigen Gefängnisstrafe.

Der Mann, um den es geht, hatte ein öffentliches Verkehrsmittel ohne gültigen Fahrschein betreten. Das sogenannte „Erschleichen von Beförderungsleistungen“ hatten die Nazis im Jahr 1935 ins Strafgesetzbuch geschrieben. Hitlerdeutschland wurde besiegt, der Paragraf 265a aber blieb.

Wie viele Menschen jedes Jahr ins Gefängnis müssen, weil sie sich das Geld für ein Bus- oder Bahnticket nicht leisten können, ist nicht bekannt. Fakt ist jedenfalls: „Beförderungsleistungen zu erschleichen“, ist ein Massendelikt. In der polizeilichen Kriminalstatistik tauchen sage und schreibe 133.915 Fälle auf. Das sind diejenigen, die auffliegen. Die Dunkelziffer dürfte weit größer sein.

Wer arm ist, sitzt

Eingesperrt werden vor allem Menschen, die arm sind. Laut Strafgesetzbuch müssen Menschen ohne gültigen Fahrschein erst in Haft, wenn sie sich das erhöhte Beförderungsentgelt von 60 Euro und die zusätzliche Geldstrafe nicht leisten können. Die Mehrheit, die das betrifft, sind Männer. Die Fälle werden immer mehr.

In Münster haben die Stadtwerke 2022 zweimal pro Tag Strafanzeige wegen Fahrens ohne Fahrschein erstattet. Insgesamt sind so 662 Anzeigen zusammengekommen. Stadtwerke-Sprecher Florian Adler schätzt, in diesem Jahr dürften es auch wieder um die 700 Anzeigen sein. In der JVA sitzen zu Hochzeiten rund zehn Menschen, die beim Fahren ohne Fahrschein erwischt wurden.

In der Praxis nimmt dieses System groteske Züge an. Florian Adler schreibt uns, die Stadtwerke kennen kein Pardon, wenn jemand ein gefälschtes Ticket vorzeigt. Das ist ja noch nachvollziehbar. Die Faustregel sei aber generell: Nur wer zweimal binnen drei Monaten ohne gültigen Fahrausweis erwischt wird, bekommt eine Anzeige.

Noch absurder wird es nach dem Haftantritt. Dann bekommt man von der JVA ein Formular in die Hand gedrückt, mit dem man sich beim Freiheitsfonds anmelden kann (RUMS-Brief). Eine Sprecherin sagte uns, die JVA müsse die Gefangenen bei „haftverkürzenden Maßnahmen“ unterstützen. Der Freiheitsfonds führt allerdings den Paragrafen 265a ad absurdum. Das politische Projekt sammelt Spenden, um Menschen aus dem Gefängnis zu kaufen, die ohne gültigen Fahrschein unterwegs waren.

So war es auch bei dem Mann, der seit heute wieder auf freiem Fuß ist. Er ist die Nummer 840 auf der Liste der 911 Personen, die der Freiheitsfonds seit seiner Gründung im Dezember 2021 freigekauft hat. Die Freilassung kostete 220 Euro. Dem Mann sind somit 44 Hafttage in der JVA Münster erspart geblieben. Nach eigenen Angaben hat der Freiheitsfonds die Staatskasse mit allen Freilassungen um fast 13 Millionen Euro entlastet.

Muss das sein?

Das harte Vorgehen gegen Menschen, die sich Fahrscheine nicht leisten können und deshalb im Knast landen, ist inzwischen ein Politikum. Die Bundestagsfraktion der Linken brachte im Sommer einen Gesetzentwurf ein, der die Strafe abschaffen sollte. Auch der grüne Justizminister in Nordrhein-Westfalen ist für eine Streichung des Paragrafen 265a. Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP würde die Straftat lieber zur Ordnungswidrigkeit abstufen. Der Verband deutscher Verkehrsunternehmen hält von beiden Vorschlägen nichts und will bei den Paragrafen im Strafgesetzbuch stehen lassen. Der ermögliche es, Menschen festzunehmen und ihre Personalien zu erfassen.

Manche Städte nehmen die Sache selbst in die Hand. Die Rheinbahn in Düsseldorf verzichtet seit Juni auf Strafanzeigen gegen Menschen, die ohne Ticket unterwegs sind. Fällig werden dann nur die 60 Euro erhöhtes Beförderungsentgelt.

Dieses Vorgehen möchte auch die Linke in Münster umsetzen. Die Ratsfraktion hat einen Antrag zur sofortigen Beschlussfassung gestellt. Bei der kommenden Sitzung am 13. Dezember wird der Rat abstimmen, ob die Stadtwerke in Zukunft noch Strafanzeigen erstatten sollen. (sfo)

Kurz und Klein

+++ Am Samstag sind mehrere hundert Preußen-Fans für ein Auswärtsspiel nach Saarbrücken gereist. Nach dem 0:0 haben sich viele von ihnen auf den Weg zum Bahnhof gemacht, um den Sonderzug zurück nach Münster zu nehmen. Da gab es dann eine Auseinandersetzung zwischen Polizei und Preußen-Fans, wie beide Seiten berichten. Auslöser war laut Polizei, dass sie die Identität eines Fans feststellen wollte, der vorher eine Beamtin belästigt hatte. Eine Gruppe Fans habe daraufhin die Polizist:innen angegriffen. Es gab Schläge, Dinge flogen durch die Luft und am Ende hat die Polizei mit Pfefferspray etwa 20 Fans sowie einen Beamten erwischt. Die Fanhilfe Münster bewertet den Polizeieinsatz als überzogen. Sie schreibt, dass bereits vor der Identitätskontrolle Beamt:innen Fans geschubst haben. Während die Polizei den starken Einsatz von Beamt:innen mit dem „feindschaftlichen“ Verhältnis der Vereine und anwesenden „Problemfans“ begründet, schreibt die Fanhilfe Münster: „Eine Feindschaft ist uns nicht bekannt.“ Die Diskussion um gewalttätige Polizeibeamt:innen und Fans und Pfefferspray in Stadien kam zuletzt auch rund um ein Spiel zwischen Eintracht Frankfurt und VfB Stuttgart auf. Daraufhin hatte der Dachverband der Fanhilfen gefordert, Pfefferspray in Stadien zu verbieten. (sst)

+++ Wenn die Stadt Münster nicht innerhalb der nächsten Tage einen Kita-Platz für ein Mädchen auftreibt, muss sie 2.500 Euro zahlen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Beschwerde der Stadt gegen die Zwangsgeldandrohung vergangene Woche zurückgewiesen. Am 17. November hatte das Verwaltungsgericht beschlossen, dass die Stadt ab Zustellungsdatum zwei Wochen Zeit hat, sich darum zu kümmern. Gudrun Dahme, Sprecherin des Oberverwaltungsgerichts, sagt, dass die Sache eher ungewöhnlich ist. So eine Zwangsandrohung sei schließlich keine Sanktion, sondern soll unter Druck setzen. Das würde man eher bei Bürger:innen anwenden. „Behörden tun eigentlich, was Gerichte ihnen sagen.“ In diesem Fall ist die Stadt Münster der Forderung nicht nachgekommen, bis zum 27. Oktober einen Betreuungsplatz für das Kind zur Verfügung zu stellen. Die Begründung der Stadt, warum das nicht möglich sei, haben die Gerichte nicht überzeugt. Die lautet: Es gebe nicht genug Personal und selbst mit unbegrenzten finanziellen Mitteln sei es unmöglich, es zu rekrutieren. Das Verwaltungsgericht war der Auffassung, dass die Stadt das allerdings nur behauptet und nicht bewiesen hat. Sie hätte etwa Nachfragen bei allen wohnortnahen Einrichtungen vorlegen müssen. Das sah das Oberverwaltungsgericht auch so. (sst)

+++ Das Straßenmagazin „draußen!“ gibt es seit Kurzem auch digital. Dahinter steckt eine Kooperation mit „Stread“. Das ist eine Art überregionale Straßenzeitung, die mit ihren Inhalten die Ausgaben der jeweiligen regionalen ergänzt und für sie eine digitale Infrastruktur zur Verfügung stellt. Die Inhalte sollen eine jüngere Zielgruppe ansprechen, schreibt uns Niklas Brandt von der „draußen!“ – und die Digitalisierung dafür sorgen, dass jetzt auch Leute ohne Bargeld im Portemonnaie wieder ein Magazin kaufen können. Hinzu kommt, dass es nicht so gut steht um die Straßenmagazine in Deutschland. Und somit eine unbürokratische Einnahmequelle für einige Menschen kleiner wird. Ein Vorteil der digitalen Ausgabe für sie: Sie müssen nicht in Vorleistung gehen und die Magazine abkaufen. Ein Nachteil: Wer bargeldlos zahlt, gibt seltener Trinkgeld. Viele Leser:innen bevorzugten mittlerweile digitale Angebote, gleichzeitig sei die Magazinproduktion teurer geworden, berichtet Jörn Sturm vom Hamburger Magazin „Hinz&Kunzt“ in der taz. Da können Sie auch nachlesen, dass „Fifty-Fifty“ in Düsseldorf etwa nicht überzeugt ist vom digitalen Straßenmagazin. In Münster sieht man das Angebot als Bonus zur gedruckten Ausgabe. Bisher gibt es hier einen Verkäufer, der mit scanbarem QR-Code unterwegs ist – Tendenz steigend. Das digitale Magazin kostet 4 Euro, die Print-Version der „draußen!“ 2,80 Euro. Denn mit „Stread“ hänge laut Niklas Brandt auch zusätzlicher Aufwand zusammen. Wie viel davon letzten Endes bei der „draußen!“ ankommt, ist noch nicht ganz ausdiskutiert – klar ist jedenfalls: Die Verkäufer:innen erhalten digital und analog mindestens 1,40 Euro pro verkaufte Ausgabe. (sst)

+++ Nach Hause kommen? Besonders in den kalten Monaten für viele Menschen wohl ein schönes Gefühl. Manche sind allerdings darauf angewiesen, dass es Platz für sie in einer städtischen Unterkunft gibt. Gleichzeitig sagt ein gesunder Menschenverstand: Dass es keinen Platz für sie gibt, ist keine Option, gerade im Winter. Wie sieht es momentan in Münster aus? Die Stadt schreibt uns: Es gibt 314 Plätze für wohnungslose Menschen, die eigentlich schon bei einer Belegung von 85 Prozent als voll ausgelastet gilt. Die tatsächliche Anzahl schwanke jeden Tag, momentan seien es allerdings etwa 350 Menschen, die das Angebot nutzen. Die Einrichtungen seien „seit dem letzten Jahr zu jedem Zeitpunkt massiv überbelegt, obwohl die Einrichtung an der Marie-Curie-Straße zusätzlich für die Wohnungslosenhilfe aktiviert wurde“, schreibt uns ein Sprecher. Bis Ende März gibt es zusätzlich noch 50 Plätze der Winternothilfe (RUMS-Brief). Die Stadt bringt außerdem etwa 2.200 geflüchtete Menschen unter. Die Plätze, die für sie vorgesehen sind, reichten momentan noch aus. Das könne sich allerdings schnell ändern, vor dem Hintergrund, dass viele Menschen nach Deutschland und NRW kommen. (sst)

Nach der „Signa“-Pleite ist vor der Kaufhauskrise?

Das Jahr ist fast vorbei, es ist viel passiert, aber eigentlich könnte ich Ihnen denselben RUMS-Brief schicken, den ich am 6. Januar 2023 geschrieben habe. Damals ging es um die Warenhauskrise in Münster. Der Konzern „Galeria Karstadt Kaufhof“ hatte Insolvenz angemeldet, schon wieder, und damit stand das Schicksal der beiden Kaufhäuser in Münsters Innenstadt erneut auf dem Spiel.

Am Ende entschloss sich die Kaufhauskette, 47 Filialen in Deutschland zu schließen und rund 4.000 Stellen zu streichen. Der Doppelstandort Münster blieb verschont. Aber jetzt könnte die Zitterpartie nochmal von vorne losgehen.

Eine Pleite mit Strahlkraft

Warum? Am vergangenen Mittwoch meldete die österreichische „Signa Holding“ Insolvenz in Eigenverwaltung beim Handelsgericht Wien an. Der Konzern ist europaweit tätig, zur Dachgesellschaft gehören rund eintausend Firmen, die sich in eine Immobilien- und eine Handelssparte aufteilen. Zur letzteren gehört seit 2019 eben auch „Galeria Karstadt Kaufhof“.

Um gleich ein Missverständnis aus dem Weg zu räumen: Dass die „Signa Holding“ pleite ist, bedeutet nicht, dass es die Tochterfirmen auch sind. Es könnte aber ein Dominoeffekt einsetzen. Kurz bevor der Dachkonzern Insolvenz anmeldete, erklärte eine Tochter der „Signa“-Immobiliensparte ihre Zahlungsunfähigkeit. Am Tag nach der Holding-Pleite wurde die Insolvenz des Einzelhändlers „Sportscheck“ bekannt, der wie „Galeria Karstadt Kaufhof“ zum Handelssegment der „Signa Holding“ gehört. Die Warenhauskette selbst ist nach wie vor zahlungsfähig. Zumindest noch.

Wendepunkt nach Weihnachten?

Für Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis auch „Galeria Karstadt Kaufhof“ insolvent ist. In den vergangenen Tagen hat der Professor für Betriebswirtschaftslehre verschiedenen Medien Interviews gegeben. Seine Prognose: Nach dem Weihnachtsgeschäft wird es für „Galeria Karstadt Kaufhof“ düster aussehen.

Dem „ZDF Heute Journal“ sagte Heinemann, die „Signa Holding“ habe nicht genug Geld in die Sanierung der Warenhauskette gesteckt. Eine Bedingung sei gewesen, dass die Holding 200 Millionen investiert. Das Geld sei aber nicht in Gänze geflossen. Es fehlten immer noch 150 bis 180 Millionen Euro, sagte Heinemann.

Die „Signa Holding“ sei ein Kartenhaus, das gerade zusammenbreche, sagt Gerrit Heinemann. Ein Grund von vielen ist der Schuldenberg, der auf dem Konzern lastet. Der österreichische „Standard“ berichtet, die „Signa“ schulde ihren 273 Gläubigern insgesamt 5 Milliarden Euro. Das ist die größte Insolvenz in der Wirtschaftsgeschichte unseres Nachbarlandes. Und das kann auch für Münster Folgen haben.

Leerstand verhindern

Hier wären wir wieder bei den Kaufhäusern. Die stehen in der Innenstadt direkt nebeneinander. Sollte das eintreten, was Gerrit Heinemann im „Heute Journal“ prognostiziert, hätte Münster mehrere tausend Quadratmeter Leerstand mitten im Zentrum.

Die Stadt möchte das verhindern. Sie schreibt uns, perspektivisch sollte das Insolvenzrecht so geändert werden, dass die betreffenden Städte bei einer Firmenpleite Zugriff auf Immobilien in zentraler Lage bekommen. Es gehe hierbei schließlich um die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt und um Arbeitsplätze. Oberbürgermeister Markus Lewe setze sich in seinem Amt als Städtetagspräsident für eine entsprechende Gesetzesreform ein, heißt es aus dem Presseamt.

Dass mindestens ein Warenhaus in der Innenstadt dichtmacht, ist dabei gar nicht so unwahrscheinlich. Das Kaufhaus an der Ludgeristraße gehört nämlich einer „Signa“-Tochter. „Galeria Karstadt Kaufhof“ teilte vergangene Woche mit, im Notfall keine Miete mehr an die „Signa“ zu zahlen.

Auch die Stadt könnte noch ein Wörtchen mitreden, schließlich steht das Gebäude an der Ludgeristraße auf städtischem Grund. Bei der letzten Insolvenz im Januar nahm der Oberbürgermeister Kontakt zu „Galeria Karstadt Kaufhof“ auf, um sich für den Erhalt des Kaufhauses starkzumachen. Und jetzt? Die Stadt schreibt uns, man wolle erstmal abwarten, was in den kommenden Wochen passiert.

Kein Kommentar von der LVM

Ein paar Meter weiter, an der Salzstraße, ist die Lage ein wenig übersichtlicher. Vor anderthalb Jahren hatte die LVM-Versicherung das Kaufhaus mit dem „Karstadt“-Logo der „Signa“ abgekauft. Es gibt noch mehr Verbindungen. 2017 erwarb die LVM-Versicherung Aktien der „Signa Prime Selection AG“, die sich nach eigenen Angaben „auf die Investition und das langfristige Halten außergewöhnlicher Immobilien in besten Innenstadtlagen fokussiert“.

Für 4,2 Prozent der Anteile soll die Versicherung Medienberichten zufolge einen „mittleren zweistelligen Millionenbetrag“ investiert haben. Mittlerweile dürfte das Investment allerdings geschrumpft sein. Im Nachrichtenmagazin „Stern“ war vergangene Woche die Rede von rund 3 Prozent, die die LVM-Versicherung an Aktien bei der „Signa“-Tochter hält.

So oder so: Die LVM-Versicherung dürfte als Investorin und Vermieterin ein Interesse daran haben, dass an der Salzstraße alles so bleibt, wie es ist. Wie ist denn die Stimmung so? Mit welchem Szenario rechnet man? Steht die LVM-Versicherung wie Anfang des Jahres schon mit „Galeria Karstadt Kaufhof“ in Kontakt, um den Erhalt des Kaufhauses zu sichern? Auf Anfrage möchte sich die Pressestelle der LVM nicht äußern.

Wie „der Standard“ berichtet, ist die Liste der „Signa“-Gläubiger lang. Darunter Banken, österreichische Politiker:innen, Luxushotels, Helikopter-Unternehmen, Weinhändler, Tierfutterhersteller. Auch deutsche Sparkassen und Raiffeisen-Firmen sollen der „Signa Holding“ Geld geliehen haben. Wir haben deshalb bei der Sparkasse Münsterland-Ost und Agravis nachgefragt, ob sie dazugehören. Beide Unternehmen verneinen.

Wir wollten außerdem herausfinden, ob der „Signa“ noch mehr Immobilien in Münster gehören oder ob sie an Bauprojekten beteiligt ist, von denen wir nicht wissen. Leider konnte uns niemand weiterhelfen, den wir gefragt haben. (Falls Sie einen Hinweis haben, melden Sie sich aber gerne per E-Mail oder im anonymen Briefkasten.)

Wer will ein Warenhaus kaufen?

Es sieht also so aus, als konzentrierten sich die Folgen der „Signa Holding“-Pleite auf die beiden Kaufhäuser in der Innenstadt. Die Gewerkschaft Verdi schreibt uns, für die Mitarbeiter:innen sei die Dauerkrise der „Signa“ extrem belastend. Sie wünschen sich sichere Arbeitsplätze mit Perspektive.

Die könnte ein neuer Käufer schaffen. „Ein Eigentümer, der Kompetenz in der Handelsbranche mitbringt, wäre eine gute Lösung für uns und die Kolleg:innen bei Galeria“, schreibt uns Verdi. Laut Tagesschau könnte die „Central Group“ aus Thailand die Warenhauskette übernehmen. Offiziell hat der Investor aber noch kein Interesse an einem Kauf bekundet. Die „Signa Holding“ versucht immerhin, die Warenhauskette mit einer separaten Sanierung des Handelssegments aus dem Strudel der Insolvenz herauszuhalten.

Städtebaulicher Neoliberalismus

Die Insolvenz der „Signa Holding“ offenbart jedenfalls ein grundsätzliches Problem. Private Investoren üben einen immensen Einfluss auf die Stadtentwicklung aus. Sie gestalten Innenstädte mit, indem sie Angebote schaffen: Geschäfte, Restaurants, Hotels. Geraten sie allerdings in Geldnot oder geben ganz auf, verändern sich auch die Städte.

Zu beobachten ist das zum Beispiel in Hamburg, München und Düsseldorf: Die Bauarbeiten am Elbtower, der Alten Akademie und dem Carschhaus ruhten dort schon vor der „Signa“-Pleite. Schlimmstenfalls beschert die Insolvenz den Städten jahrelange und kostspielige Bauruinen.

Es ist städtebaulicher Neoliberalismus. Investoren wie die „Signa Holding“ erwerben ganze Straßenzüge und errichten Prestigebauten. Aber wenn die Projekte scheitern, tragen die Städte und die Allgemeinheit dafür die Kosten. Bei der letzten Insolvenz von „Galeria Karstadt Kaufhof“ hat der Bund fast 600 Millionen Euro in den Handelskonzern gesteckt, um im Zeitalter des Onlineshoppings eine stationäre Warenhauskette zu retten.

Die Folgen für diejenigen, die die Misere verursachen, sind gering. Der „Signa“-Gründer René Benko hat seit der Pleite seines Lebenswerks zwar mehr als die Hälfte seines Privatvermögens verloren, man muss sich aber keine Sorgen um seinen Wohlstand machen. Benko ist noch immer Multimilliardär. (sfo)

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Klima-Update

+++ Die Gruppe „Health for Future“ findet: In Münster sind zu viele Autos unterwegs, die Platz für andere Verkehrsteilnehmer:innen wegnehmen und die Gesundheit gefährden. Sie fordern unter anderem mehr Spuren für Busse. Zusammen mit anderen Initiativen, die „for Future“ im Namen tragen, gehen sie deswegen am Samstag auf die Straße. Oder genau genommen daneben, denn den Verkehr blockieren wollen sie mit ihrer Aktion nicht. Wenn Sie unterwegs sind, halten Sie doch mal die Augen offen. Zwischen 11 und 12 Uhr wollen die Initiativen an fünf Kreuzungen präsent sein. (ino/sst)

+++ Das Thema bewegt übrigens auch die Rathauskoalition: Die Stadt Münster hat sich neulich ja darüber gefreut, dass das mit der Busspur auf der Friedrich-Ebert-Straße ganz gut funktioniert. Grüne, SPD und Volt haben der Verwaltung vergangene Woche aufgegeben, sowas öfter zu machen – und zwar möglichst schnell. 2024 soll es weitere kurzfristige Anpassungen geben, damit Verspätungen seltener werden. Schneller werden sollen Busse auf etwas längere Sicht zum Beispiel auf der Steinfurter Straße und in Richtung Uniklinik. Darüber will die Koalition nun jährlich informiert werden. Anfang 2024 will die Verwaltung jedenfalls schauen, inwiefern sich der Verkehrsversuch an der Friedrich-Ebert-Straße auch anderswo lohnen könnte. (sst)

Ein-Satz-Zentrale

+++ Das Café auf Gut Kinderhaus kündigt seinen letzten Öffnungstag am 22. Dezember an, da das Gastronomieunternehmen MDS schließt, das das Café betreibt. (Westfälische Nachrichten)

+++ Da nun auch ein Gutachten bestätigt, dass Münster dringend Wohnungen braucht, könnte das Baugebiet Theodor-Scheiwe-Straße nun vielleicht ohne Konsens mit den Eigentümer:innen entwickelt werden. (Westfälische Nachrichten)

+++ Ab Februar können Sie auf einem der 350 Plätze im Parkhaus am Hafenmarkt parken, 220 davon sind zum Dauerparken gedacht. (Westfälische Nachrichten)

+++ Weil das DJK-Areal parzelliert und verpachtet wird, kann es mit dem „Sport- und Gesundheitscampus Koburg“ vom DJK weitergehen. (Westfälische Nachrichten)

+++ Die Anzahl der genehmigten Reihenhäuser und Doppelhaushälften stieg 2023 wegen des neuen Wohngebiets bei der York-Kaserne um 77,6 Prozent, landesweit gingen die Genehmigungen hingegen um 40 Prozent zurück. (Westfälische Nachrichten)

+++ SPD-Ratsherr Ludger Steinmann hat am 13. Dezember seine letzte Ratssitzung, da er aus beruflichen Gründen sein Mandat niederlegt. (Westfälische Nachrichten)

+++ Die NRW-FDP hat die Münsteranerin Claudia Grönefeld auf Platz 5 der Europaliste gewählt. (FDP Münster)

+++ Die Willy-Brandt-Stiftung hat die Münsteraner Handwerkskammer und die Borgund Videregåande Skole im norwegischen Ålesund für ihre über 20-jährige Austauscharbeit von Auszubildenden im Handwerk ausgezeichnet. (Handwerkskammer Münster)

+++ Am vergangenen Wochenende sind ein Rettungssanitäter und ein Polizist körperlich angegriffen worden. (Polizei Münster)

+++ Der Müllsammler von Kinderhaus kann sein Haus verlieren, wenn die Schadenersatzzahlungen für die Baufirma hoch genug ausfallen. (Westfälische Nachrichten)

+++ Bereiten Sie sich seelisch schon einmal darauf vor, dass Sie in diesem Jahr auf dem Domplatz, dem Prinzipalmarkt und dem Bahnhofsvorplatz kein Feuerwerk in die Luft jagen dürfen – auch nicht an Silvester. (WDR)

Unbezahlte Werbung

Sie heißen Emil und Katja, Philipp, Timo und Julia oder Rosemarie und Eugen. Richtig gut gefallen mir persönlich ja Vincent und Maria. Die Namen hören sich wahlweise an wie der Abijahrgang 1989 des Paulinums oder die diesjährige Vorschulklasse einer Kita im Kreuzviertel. Ich vermute, das ist Absicht. Denn die Namen passen bestens zu den Produkten der Marke „Fred liebt Irma“. Das Label hat dieses Jahr zum ersten Mal einen Stand auf dem Lichtermarkt an der Lambertikirche. „Fred liebt Irma“ ist eine Marke der Freckenhorster Werkstätten, bei der Menschen mit Behinderungen Designerstücke herstellen: Kerzenständer, Vasen und Schalen aus gegossenem Beton in zeitlosem Design. Wenn Sie den Stand besuchen wollen, schauen Sie mal hier. Die Stadt hat eine Karte erstellt, auf der Sie alle Weihnachtsmarktstände finden. (sfo)

Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!

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Drinnen und Draußen

Heute hat Antonia Strotmann geschaut, was Sie in den nächsten Tagen Schönes unternehmen können:

+++ Die Schriftstellerin Nadine Pungs und der Fotojournalist Lutz Jäkel sind viele Jahre durch arabische Länder gereist und haben ihre Geschichten und Fotografien in der Reisereportage „Yalla Yalla Arabia“ gesammelt. Sie läuft am Mittwoch um 19 Uhr in der Friedenskapelle am Friedenspark, Tickets gibt es ab 22,50 Euro und ermäßigt ab 19,50 Euro hier.

+++ Am Mittwoch um 20 Uhr spielt Gabriele Brüning in „Rosa! Mensch sein ist vor allem die Hauptsache“ die Autorin und Politikerin Rosa Luxemburg. Das Stück will ihre bisher unentdeckten Seiten aufzeigen, die der Botanikerin und Vogelfreundin zum Beispiel. Tickets gibt es hier.

+++ Am Donnerstagabendtreten Jan Plewka und Marco Schmedtje mit ihrem neuen Coveralbum „Between the 80’s“ in der Sputnikhalle auf. Sie spielen Klassiker des Jahrzehnts wie „Billy Jean“, „“Material Girl“ oder „Africa“, allerdings mit einem neuen Anstrich. Einlass ist um 19:30 Uhr, um 20:30 Uhr geht’s los. Tickets kosten im Vorverkauf 21 Euro, an der Abendkasse 25 Euro. 

+++ Der Ernährungsrat Münster bietet am Donnerstag um 16:30 Uhr eine offene Sprechstunde an. Interessierte, die sich engagieren und über Themen wie Genuss, Nachhaltigkeit oder Ernährungspolitik austauschen möchten, treffen sich im Verspoel 7-8. Eine Anmeldung ist nicht nötig. 

+++ Friso Wielenga, der ehemalige Direktor des Zentrums für Niederlande-Studien, schreibt in seinem Buch „Auf der Suche nach Stabilität“ über die turbulenten vergangenen Jahre in den Niederlanden. Ein aktuelles Thema, wie die vergangenen Parlamentswahlen zeigen. Am Donnerstag spricht er darüber mit dem FDP-Bundestagsabgeordneten Otto Fricke und dem Geschichtsprofessor Jacco Pekelder von der Uni Münster. Los geht’s um 19 Uhr in der Bibliothek im Haus der Niederlande, der Eintritt ist frei.

+++ Der Kammerchor Legato M präsentiert in insgesamt drei Adventskonzerten adventliche Musik: Werke von Komponisten wie Victoria, Bach oder Britten, aber auch Eigenkompositionen von Chorleiter Phillip Gatzke stimmen das Publikum bestenfalls auf die bevorstehende Weihnachtszeit ein. Das erste Konzert findet am Freitag um 19:30 Uhr in der Nikolaus-Kirche statt, das zweite am Samstag um 19 Uhr in der Petri-Kirche und das dritte am Sonntag um 17 Uhr in der Theresia-Kirche. Bei allen Konzerten beginnt der Einlass 45 Minuten vorher. Der Eintritt ist frei.

+++ Am Freitag hatten wir ungefähr an dieser Stelle einen Glühweinstand als „Münsters kleinsten Weihnachtsmarkt“ bezeichnet. Die Auszeichnung muss sich die Bude mit mindestens einem weiteren Märktchen teilen. Am Stand vorm Café Janosch an der Beckstraße 21 gibt’s jeden Samstag und Sonntag im Dezember von 15 bis 18 Uhr Secondhand-Spielzeug, Waffeln und Kinderpunsch.

+++ Am Samstagabend geht die zweite Folge der Show „Baddabäm!“ über die Bühne im Specops. Das Ganze ist eine Art bunte Late-Night-Show mit ganz viel Glitzer (RUMS-Brief) – Restkarten gibt es allerdings nur noch an der Abendkasse. Stellen Sie sich am besten schon mal an, letztes Mal sind einige nicht mehr reingekommen.

Am Freitag schreibt Ihnen Svenja Stühmeier. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche und morgen einen schönen Nikolaustag.

Herzliche Grüße
Sebastian Fobbe

Mitarbeit: Jan Große Nobis (jgn), Imke Noetzel (ino), Svenja Stühmeier (sst), Antonia Strotmann (ast)
Lektorat: Maria Schubarth


PS

Ein kurzer Nachtrag zum letzten PS. Darin ging es um das „Münster-Mysterium“ auf Spotify. Vielen Leuten wird gerade ein münsteraffiner Musikgeschmack attestiert. Daraufhin hat sich ein Leser bei uns gemeldet, der uns auf diese schöne Lokalhymne aufmerksam gemacht hat. Die Aufnahmen sind schon ein bisschen älter, aber die Botschaft ist ja dieselbe: Münster ist Rock’n’Roll, die anderen sind Volksmusik. Wobei? Vielleicht ist es doch andersherum.

PPS

Vor drei Jahren hat Kurt den Winter bei mir verbracht. Als er ankam, wog er ein bisschen weniger als ein Pfund Butter und war damit viel zu dünn, um die kalten Temperaturen zu überstehen. Kurt liebte ungewürztes Rührei, lebendige Mehlwürmer und nasses Katzenfutter. Einmal am Tag musste ich ihm die Augen mit einer Spritze saubermachen. Nach ein paar Wochen hatte Kurt genug Speck auf den Rippen, um fortan auf dem Balkon zu schlafen. Das war mein Winter mit dem kleinen Igel, der mir die private Igelhilfe Münsterland im Dezember 2020 in einem Schuhkarton vorbeigebracht hatte. Gestern verkündete die deutsche Wildtierstiftung, dass der Igel den Titel „Wildtier des Jahres 2024“ tragen darf. Das hat mich sehr gerührt. Der Grund ist allerdings traurig: Um meinen Freund, den Igel, ist es schlecht bestellt. Das Insektensterben lässt ihn zunehmend hungern, der milde Winter hält ihn wach, durch Siedlungsbau und Schottergärten verliert er sein Zuhause. Und dann sind da noch die Mähroboter, eine tödliche Gefahr für das Stacheltier, das seit 60 Millionen Jahren auf der Erde lebt. Wie viele Igel es in Deutschland gibt, weiß leider niemand. Forscher:innen gehen davon aus, dass der Bestand abnimmt, rapide. Jetzt steht er auf der Vorwarnliste der bedrohten Arten. Wenn Sie bedürftigen Igeln helfen wollen, dann melden Sie sich bei der privaten Igelhilfe Münsterland. Sie können dort verletzte Tiere abgeben, einen Igel über den Winter aufnehmen oder ein paar Geschenke von der Wunschliste kaufen. Der Nabu hat außerdem einige Tipps zusammengestellt, wie Sie Ihren Garten ein bisschen igelfreundlicher gestalten können.

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