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Ukrainischer Krankenwagen in Münster | Von dem Versuch zu klären, ob wir einen Fehler gemacht haben | Unbezahlte Werbung: Möbelmanufaktur Kawentsmann
Guten Tag,
die Pflanze Immergrün heißt auf Ukrainisch „Барвінка“ – „Barwinka“. Mit dem russischen Angriff hat „Barwinka“ in der Ukraine eine zweite Bedeutung bekommen. Das Wort steht für Hoffnung und Unvergänglichkeit.
Seit heute Vormittag steht ein Krankenwagen auf dem Harsewinkelplatz, der auch „Barwinka“ genannt wird. Der Krankenwagen kommt aus Derhatschi, einer kleinen Stadt bei Charkiw. In der umkämpften Region in der Ostukraine haben sich russische Streitkräfte seit Beginn der Großinvasion am 24. Februar 2022 immer wieder Kriegsverbrechen schuldig gemacht.
Der „Barwinka“-Krankenwagen ist dafür ein trauriges Symbol. In Derhatschi wurde das Fahrzeug genutzt, um ältere und kranke Menschen aus der Kampfzone zu evakuieren. Am 12. März 2022 bombardierten russische Soldaten willkürlich zivile Einrichtungen in der Kleinstadt. Das örtliche Krankenhaus wurde bei dem Angriff zerstört. Auch „Barwinka“ wurde getroffen. Die Einschusslöcher sind seitdem an dem Krankenwagen zu erkennen.
Um auf die russischen Kriegsverbrechen aufmerksam zu machen, wurde der „Barwinka“-Wagen schon an 40 Orten in Deutschland ausgestellt. In Berlin, München, Hamburg, Düsseldorf. Jetzt kommt der zerschossene Krankenwagen nach Münster. Morgen können Sie „Barwinka“ von 10 bis 17 Uhr besuchen. (sfo)
Heute lesen Sie im Brief:
- E-Busse: Förderung vom Bund läuft aus
- Klinik Hornheide: Erster Penoid mit OP-Roboter entstanden
- 9. Juni 2024: Europa- und Jugendratswahlen
- AfD-Prozess in Münster: Urteil vertagt
- Kita-Krise: Politik reagiert auf Ultimatum
- Grimmepreis für Münsterland-Serie
- Der Rürup: Die Sache mit der Überwachung
- Pflicht zu Schwangerschaftsabbrüchen? Einfache Frage, schwierige Antwort
- Klima-Update: Klimakrise und Zeckenbisse
- In eigener Sache: Wir suchen jemanden!
- Ein-Satz-Zentrale: Sozialausschuss ausgefallen
- Unbezahlte Werbung: Möbelmanufaktur Kawentsmann
- Drinnen und Draußen: Kolonialfilme, Design-Gipfel und Barcamp
+++ Der Verein „Ukraine in Not“ hat mit Spendengeld einen Krankenwagen gekauft, der im Kriegsgebiet in der Region Charkiw eingesetzt werden soll, berichtet „Antenne Münster“. Der Ukrainehilfe-Verein „You Are“ aus Greven sammelt gerade Spenden für Beckengurte, die Blutungen bei Knochenbrüchen stoppen. Vorsitzende von „You Are“ ist Olga Stromberger, mit der wir im Februar über die Lage in Münsters Partnerstadt Winnyzja gesprochen haben (RUMS-Brief). Sie hat auch die Ausstellung des „Barwinka“-Krankenwagens in Münster mitorganisiert. Wenn Sie für die Beckengurte spenden wollen, können Sie Geld überweisen (IBAN: DE52 4035 1060 0075 1059 24) oder per Paypal versenden. (sfo)
+++ Vor einigen Wochen wurde klar: Die Bundesförderung für Elektrobusse läuft aus. Für 2024 und 2025 haben sich die Stadtwerke laut Pressemitteilung bereits Fördergelder gesichert, sodass die Elektrobus-Flotte in diesen Jahren wie geplant wachsen kann. Das bedeutet: Ende 2025 sollen knapp 100 der 120 Busse elektrisch fahren. Und wie geht es dann weiter? Stadtwerke-Sprecher Florian Adler schreibt uns auf Anfrage: Eigentlich ist der Plan, dass bis 2029 ausschließlich Elektrobusse durch Münster fahren. Falls es bis dahin ein größeres ÖPNV-Angebot geben soll, müsste sich auch die Gesamtanzahl der Busse erhöhen. Und ab 2030 sind einige E-Busse schon wieder so lange in Betrieb, dass man sich nach Ersatz umsehen muss. Also: Nach 2025 wollen die Stadtwerke eigentlich noch einige Dutzend E-Busse kaufen. Bisher hat der Bund 80 Prozent der Mehrkosten eines E-Busses im Vergleich zu einem Dieselbus übernommen. Dafür sollen laut Florian Adler jetzt die Länder einspringen. NRW fördert momentan 60 Prozent der Mehrkosten. Aus Sicht der Stadtwerke bräuchte es weiterhin eine Bundesförderung, da sie schätzen, dass der Bedarf wegen der gesetzlich vorgeschriebenen Quoten für emissionsarme Busse in Zukunft noch steigen werde. Bis Ende 2030 sollen 65 Prozent der Busse „sauber“ sein. (sst)
+++ In der Fachklinik Hornheide in Handorf steht ein Operationsroboter, mit dem Mikrochirurg:innen sehr präzise und weniger invasiv arbeiten können. Nun haben sie damit die erste Penoid-Operation an einem trans Mann durchgeführt. Also: ein Konstrukt geschaffen, das einem biologischen Penis ähnlich ist. Wie genau dieser Roboter funktioniert, hat Reportageschüler Andrew Müller vor einem Jahr für RUMS ausprobiert (RUMS-Beitrag). (sst)
+++ Markieren Sie sich schon einmal den 9. Juni im Kalender. Da stehen nämlich Wahlen an: Alle, die 16 Jahre alt sind und mindestens seit drei Monaten in Deutschland wohnen, dürfen in Münster ihre Stimme fürs Europaparlament abgeben. Alle 12- bis 17-Jährigen aus Münster dürfen an diesem Tag den Jugendrat wählen. Und sich wählen lassen: Wer als Vertreter:in in den Rat einziehen möchte, kann sich zwischen dem 18. März und 8. April, 16 Uhr, dafür bewerben, und zwar mit einem Kandidierendenbrief. Den kann man ab Montag online beim Jugendamt einreichen. Persönlich ist das montags bis donnerstags zwischen 13 und 16 Uhr möglich, und zwar im Jugendinformations- und Bildungszentrum (JiB) an der Hafenstraße 34, Zimmer 109. Mehr Infos dazu stehen im Amtsblatt. Vielleicht kennen Sie ja einen jungen Menschen, für den das interessant ist? (sst)
Anonymer Briefkasten
Haben Sie eine Information für uns, von der Sie denken, sie sollte öffentlich werden? Und möchten Sie, dass sich nicht zurückverfolgen lässt, woher die Information stammt? Dann nutzen Sie unseren anonymen Briefkasten. Sie können uns über diesen Weg auch anonym Fotos oder Dokumente schicken.
+++ Unter viel Medienrummel ist der AfD-Prozess am Oberverwaltungsgericht Münster vertagt worden. Die Richter:innen sollten eigentlich am Mittwoch darüber entscheiden, ob der Verfassungsschutz die Partei als „rechtsextremen Verdachtsfall“ hochstufen und damit die nachrichtendienstliche Überwachung ausweiten darf (RUMS-Brief). Zu einem Urteil ist es am Ende doch nicht gekommen. Warum? Das liegt möglicherweise an der Prozesstaktik der AfD, die dem Eindruck nach ist, den Prozess in die Länge zu ziehen. Die Anwälte hatten 210 Beweisanträge vorbereitet, um das Verfahren möglichst lange zu strecken. Denn jeder einzelne Antrag muss in der mündlichen Verhandlung verlesen werden – und das dauert Stunden. Der Anwalt des Verfassungsschutzes wirft der AfD „Prozessverschleppung“ vor. Auch das Gericht sieht die Taktik kritisch. Sie warf der AfD vor, dass ein Befangenheitsantrag gegen alle Richter:innen „rechtsmissbräuchlich“ gewesen sei. Wann es in Münster weitergeht, steht noch nicht fest. Absehbar ist wohl, dass sich das Verfahren über Monate ziehen könnte. (sfo)
+++ Nach der Drohung mehrerer freier Kita-Träger, ihre Einrichtungen an die Stadt Münster zurückzugeben, wenn die Stadt sich nicht an den gestiegenen Kosten beteiligt (RUMS-Brief), fordert die FDP-Ratsfraktion die schwarz-grüne Landesregierung auf, mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Es sei für die Stadt kaum möglich, den Trägeranteil komplett zu übernehmen, sagt Fraktionschef Jörg Berens laut einer Pressemitteilung. Die CDU-Landtagsabgeordnete Simone Wendland weist die Forderung zurück. Die Kinderbetreuung sei Aufgabe der Städte und Gemeinden. Die Stadt Münster müsse Geld umschichten, so Wendland. Der familienpolitische Sprecher der SPD-Ratsfraktion, Marius Herwig, sieht die Verantwortung ebenfalls bei der Stadtverwaltung. Er fordert eine „dezernatsübergreifende Lösung“, also ebenfalls Umschichtungen. Linken-Fraktionschef Ulrich Thoden sagt laut einer Pressemitteilung, das Rathausbündnis aus Grünen, SPD und Volt hätte längst handeln müssen. Die Hauptverantwortung sieht er jedoch bei der Landesregierung. Sie lasse die Kommunen bei der Kita-Finanzierung im Regen stehen. (rhe)
+++ Einmal im Jahr schaut die deutsche Medienlandschaft nach Marl. Da sitzt schließlich das Grimme-Institut, das den Grimme-Preis vergibt. Vorgestern hat es die Preisträger:innen 2024 verkündet. Der Spezialpreis geht an die Serie „Haus Kummerveldt“, die im Münsterland gedreht wurde – und zwar „für die experimentierfreudige Verknüpfung von Historie, Pop und Politik“. Ein paar Stichpunkte: wilhelminisches Kaiserreich, Annette von Droste-Hülshoff, rebellische Protagonistin. Ansehen können Sie sich die Serie zum Beispiel in der Arte-Mediathek. Und damit Sie beim Schauen nicht andauernd mit Songsuchen abgelenkt sind: hier noch die Playlist zum großartigen Soundtrack. (sst)
Hier finden Sie alle unsere Cartoons. Sollte Ihnen ein Cartoon besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!
Einfache Frage, schwierige Antwort
Nach dem Hinweis eines Lesers wollten wir herausfinden, ob wir einen Fehler gemacht haben. Es ging um die einfache Frage: Ist eine öffentliche Klinik verpflichtet, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen? Über die Antwort könnte man ein Buch schreiben.
Im Mai haben wir im RUMS-Brief über einen Bericht des Gesundheitsamts geschrieben, in dem es um Schwangerschaftsabbrüche in Münster geht. Drei Jahre zuvor hatten das Ratsbündnis, die Linksfraktion und die damalige Ratsgruppe ÖDP-Die Partei beantragt, die Situation für ungewollt Schwangere in Münster zu verbessern. Die Situation sei „unzureichend“, hieß es (RUMS-Brief). Denn in keinem Krankenhaus in Münster, sei es ein christliches oder die Uniklinik, können Frauen einen Schwangerschaftsabbruch nach der Beratungsregel durchführen lassen.
Der Bericht, über den wir im Mai geschrieben haben, informiert über alles, was sich seitdem getan hat. In unserer Zusammenfassung finden sich die folgenden Sätze: „Die Stadt Münster setzt sich beim deutschen Städtetag unter anderem für einen besseren Versorgungsschlüssel ein. Die Stadt möchte außerdem erreichen, dass städtische und landeseigene Krankenhäuser mit gynäkologischer Abteilung sowie Maximalversorger ihrer gesetzlichen Pflicht nachkommen, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen.“
Nach der Veröffentlichung hat sich ein RUMS-Leser bei uns gemeldet. Er schrieb, unsere Formulierung stimme so nicht: Es bestehe in Deutschland keine Pflicht für öffentliche Krankenhäuser, an Schwangerschaftsabbrüchen mitzuwirken. Wir haben uns deshalb in den vergangenen Wochen noch einmal umgehört, um zu prüfen, ob wir einen Fehler gemacht haben.
Um eines vorweg zu nehmen: Es war nicht einfach, Antworten zu bekommen. Denn zum einen sind die rechtlichen Bestimmungen komplizierter, uneindeutiger und widersprüchlicher, als wir gedacht haben. Zum anderen sind Schwangerschaftsabbrüche ein emotionales Thema. Diejenigen, die auf eine bestimmte Weise damit befasst sind, reden offenbar nur ungern darüber. Das ist zumindest unser Eindruck.
#1 Die Uniklinik
Zuerst haben wir bei der Uniklinik Münster nachgefragt. Denn ohne dass die Uniklinik explizit in dem Zitat, um das es geht, genannt wird, betrifft es nur diese Einrichtung in Münster.
Zum Hintergrund: Die Uniklinik Münster nimmt keine Schwangerschaftsabbrüche nach der sogenannten Beratungs- oder Fristenlösung vor. Frauen können nach dieser Regel in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten einen straffreien Abbruch durchführen lassen, wenn sie mindestens drei Tage vor dem Eingriff eine staatlich anerkannte Beratungsstelle besucht haben. Was die Uniklinik anbietet, sind Abbrüche bei Frauen, deren Gesundheit oder Leben durch die Schwangerschaft bedroht sind.
Die Uniklinik wollte uns zuerst keine Auskunft geben. Unser Anliegen, das Thema nach so langer Zeit noch einmal aufzugreifen, halte man für „kurios“, sagte man uns am Telefon. Dann kam doch noch eine Rückmeldung. Die Uniklinik schreibt: „Unsere Gesellschaft hat sich die Verpflichtung auferlegt, für ein hinreichendes Hilfsangebot im Rahmen der Fristenlösung zu sorgen. Hieraus resultiert zunächst keine gesetzliche Verpflichtung für ein bestimmtes Krankenhaus.“
Das Problem an dieser Antwort ist das Wörtchen „zunächst“, denn es lässt einen Deutungsspielraum zu. Gibt es doch Situationen, in denen öffentliche Krankenhäuser verpflichtet sind, an Schwangerschaftsabbrüchen mitzuwirken?
Diesen Eindruck verstärkt das Schreiben der Uniklinik. Darin heißt es weiter: „Unabhängig hiervon erkennt das UKM aber an, dass es ein hinreichendes Angebot für Frauen in Münster und Umgebung aktuell nicht gibt und sieht es als öffentlich-rechtliches Haus als Teil seiner Versorgungsverpflichtung, diese Eingriffe durchzuführen.“
Es wird aber noch komplizierter. Die Uniklinik macht auf das Recht ihrer Mitarbeiter:innen aufmerksam, ihre Mitwirkung an Schwangerschaftsabbrüchen zu verweigern. Dieses Weigerungsrecht ist im Schwangerschaftskonfliktgesetz festgeschrieben.
#2 Die Gesundheitsministerien
Die Antwort der Uniklinik wirft ein rechtliches und moralisches Dilemma auf: Offenbar stehen öffentliche Krankenhäuser einerseits in der Pflicht, ein Angebot an Eingriffen sicherzustellen. Andererseits können die Kliniken ihre Mitarbeiter:innen nicht dazu zwingen, sich an Schwangerschaftsabbrüchen zu beteiligen. Wie kann das sein?
Für den juristischen Hintergrund haben wir die Gesundheitsministerien des Landes und des Bundes angefragt. Die Antwort aus dem nordrhein-westfälischen Ministerium fällt knapp aus. Eine Sprecherin bestätigt zunächst das, was uns die Uniklinik schon mitgeteilt hat: Für Krankenhäuser gebe es keine Pflicht, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten, und das Klinikpersonal habe ein Verweigerungsrecht, heißt es aus dem Ministerium. Die Sprecherin schreibt allerdings auch, dass die Bundesländer „ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen“ sicherstellen müssen.
Das hört sich wiederum so an, als seien landeseigene Krankenhäuser wie die Uniklinik Münster auf besondere Weise gefragt. Wenn eine Versorgungsinfrastruktur verpflichtend ist, kommt das dann nicht indirekt einer Pflicht gleich, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten?
Das Bundesgesundheitsministerium konnte uns in dieser Frage nicht weiterhelfen. Eine Sprecherin schickt uns in ihrer Antwort auf unsere Frage nur zwei Rechtsgutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zu. „Daneben gibt es noch weitere rechtliche Stellungnahmen zu dem Themenkomplex Schwangerschaftsabbruch“, schreibt die Sprecherin.
#3 Die Gutachten
Zwei dieser Gutachten haben wir uns genauer angesehen. Eines stammt aus dem Jahr 2020 und informiert über das Weigerungsrecht von Krankenhäusern, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Das zweite wurde 2022 veröffentlicht und beschäftigt sich mit der aktuellen Gesetzeslage.
Das 2020er-Gutachten besagt, das Weigerungsrecht hänge direkt mit der Gewissens- und Entscheidungsfreiheit des Einzelnen zusammen. Das wird allerdings zum Problem, wenn die Leitung oder der Träger eines Krankenhauses entscheidet, dass in der Klinik grundsätzlich keine Schwangerschaften nach der Beratungsregel beendet werden.
Denn im Gesetz steht: „Niemand ist verpflichtet, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken.“ Laut dem Gutachten kann man „niemand“ auf zwei Weisen interpretieren. Einerseits kann man es so sehen: Ein öffentliches Krankenhaus wird von natürlichen Personen repräsentiert. Der Leitung oder dem Träger könne man deshalb ihre Berufung auf ihr Weigerungsrecht nicht verwehren. Andererseits träfe in einem solchen Fall die Führungsebene eine ethische Entscheidung für alle Mitarbeiter:innen. Das widerspricht dem individuellen Recht auf freie Entscheidung.
Öffentliche Kliniken haben dabei eine andere Rolle als zum Beispiel Krankenhäuser in kirchlicher Trägerschaft, heißt es in dem Rechtsgutachten. Denn wie gesagt: Die landeseigenen Krankenhäuser müssen per Gesetz ein ausreichendes Hilfsangebot sicherstellen. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags schreibt deshalb, „dass Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft in besonderem Maße der Allgemeinheit verpflichtet seien. Ihr Versorgungsauftrag zugunsten der Bevölkerung auf dem Gesundheitssektor sei, anders als bei Krankenhäusern in privater Trägerschaft, nicht in ihr Belieben gestellt“.
Öffentliche Krankenhäuser dürfen es deshalb zur Einstellungsvoraussetzung machen, dass Ärzt:innen und medizinisches Personal bereit sind, an Schwangerschaftsabbrüchen mitzuwirken. Das hat das Bundesverwaltungsgericht 1991 geurteilt. „Hintergrund der Entscheidung war, dass auch ein öffentliches Krankenhaus Schwangerschaftsabbrüche anbieten soll und Frauen nicht allein an private Einrichtungen verwiesen werden sollten“, schreibt der wissenschaftliche Dienst des Bundestags.
Mit anderen Worten: Eine öffentliche Klinik hat eine besondere Verantwortung, ungewollt Schwangeren zu helfen. Ob sich daraus eine Pflicht ergibt, ist laut dem Rechtsgutachten umstritten. Das Fazit lautet daher: „Eine Lösung ist denkbar etwa durch gesetzliche Regelungen der Länder, mit denen sie (zumindest den öffentlichen) Krankenhäusern die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen verbindlich auferlegen, um ihrem Sicherstellungsaufrag gerecht zu werden.“
#4 Die Politik
Das Gutachten ist schon vier Jahre alt. Spiegelt es noch den aktuellen Rechtsstand wider? Die Politik versucht schließlich immer wieder, Schwangerschaftsabbrüche neu zu regeln. Die Bundesregierung lässt derzeit prüfen, ob die Abbrüche auch außerhalb des Strafrechts möglich sind. Eine Kommission will im April erste Ergebnisse vorstellen. Begleitet wird die Debatte von einer Petition des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung, das die Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch fordert. Demnach sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland eine Straftat und nur in Ausnahmefällen straffrei. Frankreich hat das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche vor Kurzem erst in der Verfassung verankert.
Wir haben in der Politik den aktuellen Stand abgefragt und dazu Kontakt zur Bundestagsabgeordneten Maria Klein-Schmeink aus Münster aufgenommen. Sie gehört zur Grünen-Fraktion und war dort gesundheitspolitische Sprecherin. Inzwischen hat sie ihr Amt an einen Fraktionskollegen abgegeben. Eine Mitarbeiterin ihres Wahlkreisbüros hat uns dennoch eine Stellungnahme von Ulle Schauws besorgt, die als frauenpolitische Sprecherin der Grünen für das Thema Schwangerschaftsabbruch zuständig ist.
Die Stellungnahme bestätigt im Kern den Widerspruch, auf den wir gestoßen sind: „Es gibt keine gesetzliche Pflicht für ein einzelnes Krankenhaus, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen. Die Bundesländer sind jedoch verpflichtet, ein ausreichendes Angebot an Möglichkeiten für den Schwangerschaftsabbruch zur Verfügung zu stellen.“ Weltanschaulich gebundenen Trägern werde ein solches Angebot nicht abverlangt. Deshalb werden die Eingriffe insbesondere in niedergelassenen Praxen oder in öffentlichen Krankenhäusern ambulant durchgeführt.
Ein Problem sei laut der Stellungnahme, dass gesetzlich nicht definiert ist, was „ausreichend“ heißt. Das führe zu erheblichen Schwankungen unter den Bundesländern, schreiben uns die Grünen. Eine Frage sei dabei die Erreichbarkeit: In einigen Ländern bedeutet „ausreichend“, dass ungewollt Schwangere am selben Tag zur Stätte des Abbruchs anreisen, den Eingriff vornehmen lassen und danach wieder nach Hause fahren können. Bei chirurgischen Eingriffen, der häufigsten Abbruchmethode in Deutschland, sei das ein Problem: „Dabei ist zu beachten, dass die Patientin danach kein Auto mehr fahren darf und somit auf andere Personen oder öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist.“
#5 Das Fazit
Haben wir einen Fehler gemacht?
Wir haben geschrieben: „Die Stadt Münster setzt sich beim deutschen Städtetag unter anderem für einen besseren Versorgungsschlüssel ein. Die Stadt möchte außerdem erreichen, dass städtische und landeseigene Krankenhäuser mit gynäkologischer Abteilung sowie Maximalversorger ihrer gesetzlichen Pflicht nachkommen, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen.“
Das ist nicht ganz falsch – aber zu pauschal. Denn in dieser Formulierung fehlen zwei Hinweise: Es geht nur um Abbrüche nach der Beratungsregel und die Bundesländer sind verpflichtet, ein ausreichendes Angebot an Abbruchmöglichkeiten zu schaffen.
Richtig müsste es heißen: „Die Stadt Münster setzt sich beim deutschen Städtetag unter anderem für einen besseren Versorgungsschlüssel ein. Die Stadt möchte außerdem erreichen, dass städtische und landeseigene Krankenhäuser mit gynäkologischer Abteilung sowie Maximalversorger ihrer gesetzlichen Pflicht nachkommen, ein ausreichendes Angebot an Möglichkeiten zu Schwangerschaftsabbrüchen nach der Beratungsregel sicherzustellen.“
Wir haben die Formulierung in dem RUMS-Brief vom Mai deshalb präzisiert – und einen Hinweis auf die heutige Recherche hinzugefügt. (sfo)
+++ Hier und da liest man momentan (zum Beispiel beim Kölner Stadtanzeiger): Weil’s so warm war im Winter, sind Zecken schon jetzt und in größerer Anzahl unterwegs. Wer gebissen wird, kann sich mit Krankheiten infizieren, etwa der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) und Borreliose. Beide treten in Münster nicht verstärkt auf, schreibt eine Sprecherin der Stadt. Seit 2016 wurden dem Gesundheitsamt fünf FSME-Infektionen gemeldet. Spätestens bei einer Reise in ein Risikogebiet rät das Robert-Koch-Institut allerdings zu einer Impfung, denn fast alle Infektionen traten bei Menschen auf, die nicht oder nicht vollständig geimpft waren. Gegen Borreliose kann man sich nicht impfen lassen. Beim Ausflug ins Grüne ist es deswegen wohl grundsätzlich eine gute Idee, lange, helle Kleidung und geschlossene Schuhe zu tragen. Und falls Sie der Einfluss der Klimakrise auf die Gesundheit grundsätzlich interessiert: Am Montag veranstalten Stadt und BUND einen Vortrag zu diesem Thema im Haus der Nachhaltigkeit. Los geht’s um 20 Uhr. (sst)
+++ Eine neue Studie regt die Filmindustrie an, die Klimakrise realistischer darzustellen. Dazu haben Wissenschaftler:innen dreizehn Filme untersucht, die für den Oscar nominiert waren oder mit einer der begehrten Trophäen ausgezeichnet wurden. Nur drei Filme bestehen den sogenannten Klimarealitätstest. Einer ist „Barbie“. Der Grund: In einem Dialog wird der Massenkonsum für Umweltprobleme verantwortlich gemacht. Die Klimakrise wird zwar nicht direkt genannt, aber für die Studienautor:innen sei deutlich geworden, dass sie gemeint ist, heißt es in einer Pressemitteilung der indischen Organisation „Climate Fact Checks“. Um den Klimarealitätstest zu bestehen, müssen Filme die Klimakrise entweder (indirekt) erwähnen oder Extremwetterereignisse darstellen. (sfo)
+++ Klimaschutzminister Robert Habeck hält es erstmals für möglich, dass Deutschland seine Klimaschutzziele für das Jahr 2030 erreicht, berichten mehrere Nachrichtenagenturen, nachzulesen unter anderem beim MDR. (rhe)
Wenn Sie gerne in Münster unterwegs sind und noch ein paar freie Stunden in der Woche haben, dann melden Sie sich doch bei uns. Wir suchen ab sofort zwei Personen, die Lust haben, die Texte für die Rubriken „Unbezahlte Werbung“ und „Drinnen und Draußen“ im RUMS-Brief zu schreiben. Ideal wäre, wenn Sie die Rubriken dienstags oder freitags fest übernehmen könnten, natürlich gegen Geld. Schreiben Sie uns gerne eine E-Mail. Und falls nicht sofort eine Antwort kommt: Wir melden uns in den nächsten Wochen bei Ihnen.
+++ Wenn es nach den Grünen geht, gibt es im Hiltruper Hallenbad bald Wickeltische in Sammelumkleiden und Sitze in Duschen. (Stadt Münster)
+++ Weil die Unterlagen nicht rechtzeitig zugestellt worden sind, hat der Sozialausschuss am Mittwoch nicht getagt. (Westfälische Nachrichten)
+++ Die Bahnhofsmission bittet um Brot- und Brötchenspenden. (Bahnhofsmission Münster via Instagram)
+++ Verdi sagt, dass Bus- und Bahnfahrer:innen in den Osterferien nicht streiken – also, wahrscheinlich. (WDR)
+++ Die Stadt sucht eine Person, die einen Laden im Stadthaus 1 eröffnen möchte. (Stadt Münster)
+++ Beim Testalarm hat gestern alles gebimmelt, was bimmeln sollte. (Stadt Münster)
+++ In Münster sind mehr Unternehmen insolvent als im Vorjahr, allerdings betrifft das deutlich weniger Arbeitnehmer:innen. (Westfälische Nachrichten)
+++ Am Dienstag wird der Bezirksvertretung Mitte eine Unterschriftensammlung überreicht, die fordert, eine Straße oder einen Platz in Münster nach der iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini umzubenennen, deren Ermordung durch die Sittenpolizei landesweite Massenproteste ausgelöst hat. (Pressemitteilung leider nicht online, Open Petition)
+++ Einige (Ex-)Studierende schwelgen in Erinnerungen an die guten, alten Partys in Uni-Gebäuden. (Westfälische Nachrichten)
+++ Weil Schulen und Vereine in den Osterferien die Schwimmbäder nicht nutzen, erweitern sich die Öffnungszeiten für alle anderen. (Stadt Münster)
+++ Kinder und Jugendliche können ihre Osterferien stattdessen mit Klettern, Tischtennis und anderen Aktionen in der Sporthalle Ost verbringen. (Stadt Münster)
+++ Wenn Sie an der Friedrichstraße genau hinschauen, sehen Sie dort seit Kurzem ein 70 Jahre altes Gleis der ehemaligen Straßenbahn Münsters aus dem Asphalt hervorlugen. (Westfälische Nachrichten)
+++ Falls Sie Ihren ersten Marathon planen, laufen Sie doch den in Münster, den zählt eine Sportplattform nämlich zu den Top 15 der anfängerfreundlichsten Marathons der Welt. (HD Sports)
Als Kaventsmann gilt im Münsterland ein kräftiger Kerl. Die fast gleichnamige Möbelmanufaktur aus Münster startete mit großen, massiven Tischen, hergestellt aus regionalem Holz. Mittlerweile produziert die Firma auch Kaventsmännchen. Also etwa Stühle, Schlüsselbretter oder Hundekörbchen. Ansehen können Sie sich das alles jeden Mittwoch und Donnerstag zwischen 10 und 16 Uhr im Kawentshaus in der Innenstadt, genauer gesagt an der Marievengasse 7. Und falls Sie alles sehr schick finden, aber keinen Platz oder kein Geld für eine neue Inneneinrichtung haben: Sie können sich die Möbel auch leihen, etwa für Firmen- oder Familienfeiern.
Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!
Heute hat Raphael Balke in den Veranstaltungskalender geschaut. Das sind seine Empfehlungen:
+++ Die Filmreihe „Drehbuch Geschichte“ zeigt in den kommenden Wochen sechs Filme über den deutschen Kolonialismus. Zu allen Vorstellungen gehört auch ein Filmgespräch. Los geht’s am kommenden Dienstag mit dem Film „Der vermessene Mensch“ im Cinema. Er handelt von einem deutschen Ethnologen, der den Völkermord an den Herero und Nama miterlebt.
+++ Sie suchen noch das eine ausgefallene Deko-Stück oder den Pulli, den halt nicht jede:r hat? Vielleicht werden Sie ja beim Design Gipfel am Wochenende fündig. Wenn Sie wissen möchten, ob für Sie etwas dabei ist, schauen Sie sich doch einmal den Überblick über die Ausstellenden an. Und dann: ab in die Mensa am Ring, sie ist Samstag und Sonntag von 12 bis 18 Uhr geöffnet.
+++ Beim Barcamp „WIR?“ haben Sie die Möglichkeit, einen Tag lang mit anderen über Ihre Idee vom gesellschaftlichen Miteinander zu diskutieren. Ein Barcamp ist ein Format, bei dem Themen und Ideen für Workshops sowie eigene Erfahrungen von den Teilnehmenden eingebracht werden. Im Fokus stehen Solidarität, Demokratie und Diskussion. Das Barcamp findet am 24. März im Pumpenhaus statt, allerdings müssen Sie sich vorher anmelden. Noch sind Tickets verfügbar. Organisiert hat das Ganze Gabriela Exner, mit der wir vor Kurzem über ehrenamtliche Arbeit gesprochen haben (RUMS-Brief).
+++ Wenn Sie gestern Abend den Vortrag unseres Kolumnisten Michael Jung im Stadtarchiv über Anna und Paul Krückmann verpasst haben, haben Sie noch eine Woche lang die Gelegenheit, sich das Video anzusehen – oder Sie lesen am Sonntag Michael Jungs Kolumne zum gleichen Thema. Die Doppelbiografie, die Michael Jung über das deutschnationale Ehepaar Krückmann geschrieben hat, erscheint im April im Aschendorff-Verlag. Hier können Sie das Buch vorbestellen.
Am Dienstag schreibt Ihnen Ralf Heimann. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Genießen Sie den Frühlingsbeginn.
Herzliche Grüße
Sebastian Fobbe
Mitarbeit: Raphael Balke (rab), Ralf Heimann (rhe), Svenja Stühmeier (sst) – das bedeutet: Die einzelnen Texte im RUMS-Brief sind von der Person geschrieben, deren Kürzel am Ende steht.
Lektorat: Maria Schubarth
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PS
Vor ein paar Jahren habe ich Florian Greller aus Osnabrück kennengelernt. Er hat die meiste Zeit seines Berufslebens Versicherungen verkauft. Mit Anfang 40 schreibt er sich aber doch noch mal für ein Studium ein. Denn Florian Greller möchte Hebamme werden. In Deutschland ist es noch etwas Ungewöhnliches, wenn Männer Frauen während der Schwangerschaft, bei der Geburt und im Wochenbett begleiten. Aber warum eigentlich? Um diese Frage geht es in einer neuen Arte-Doku. Sie begleitet drei Männer in ihrem Beruf als Hebammen. Und wo wir gerade beim Thema sind, möchte ich Ihnen noch einen anderen TV-Tipp geben: In der ZDF-Miniserie „Push“ kommen zwar keine männlichen Hebammen vor, die sechs Folgen erzählen aber schonungslos vom Alltag auf der Geburtsstation. Die taz schreibt in einer Rezension: „Keine einzige FSK-0-Geburt mit ein paar Tropfen Blut und ein bisschen Gewimmer ist dabei dem Publikum gestattet. Es wird mitunter so ausdauernd und so laut geschrien, dass das Zuschauen herausfordernd wird. Dann sei geraten: pausieren, durchatmen – und weiterschauen.“ (sfo)
PPS
Zum Schluss möchte ich noch auf ein widerlegtes Gerücht aufmerksam machen, das Sie bestimmt alle kennen und – wie ich – zuerst geglaubt haben: Im vergangenen Jahr hieß es, Bettwanzen bevölkern die Hotels in Paris. Staatliche Stellen in Frankreich betonten zwar immer wieder, dass es nicht mehr und nicht weniger Bettwanzen-Meldungen gibt als sonst (RUMS-Brief). Aber die Panik vor den blutsaugenden Krabbelviechern hielt sich hartnäckig. Jetzt ist herausgekommen: Das war völlig überzogen und unbegründet. Es wird aber noch absurder. Offenbar scheint die Bettwanzen-Panik Teil der russischen Propaganda zu sein. Russische Konten hatten in den sozialen Medien Gerüchte gestreut, Geflüchtete aus der Ukraine hätten die Bettwanzen nach Frankreich geschleppt. Viele Medien griffen diese Ekelnachricht auf, ohne sie zu prüfen. Ein Paradebeispiel, wie ungebremst der Sensationsjournalismus Desinformationen verbreiten kann. (sfo)
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