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Wie Bauen und Mieten besser klappen könnte | Rituelle Gewalt: Reale Opfer einer Verschwörungstheorie | Unbezahlte Werbung: Kawentsmann Café

Guten Tag,
vergangene Woche übernachteten wieder Erstsemester in der Turnhalle am Horstmarer Landweg. Der Allgemeine Studierendenausschuss der Uni hat zum zweiten Mal in Folge ein „Ersti Camp“ organisiert, als Notunterkunft für Studierende, die zum Semesterstart kein WG-Zimmer in Münster gefunden haben.
Als vergangenes Jahr zum ersten Mal ein Notquartier für wohnungslose Studierende eingerichtet wurde, schlug die Meldung aus Münster auch bundesweit Wellen. Denn das Camp ist Ausdruck eines strukturellen Problems in vielen Städten Deutschlands: Es fehlt schlicht und ergreifend bezahlbarer Wohnraum. Auch bei unserer Wohnungsumfrage im Sommer sagten die meisten der über 450 Teilnehmer:innen, sie finden in Münster keine preiswerte Wohnung (RUMS-Brief).
Heute im RUMS-Brief:
- Infografik: Mitgliederzuwachs in Sportvereinen
- Queerer Gottesdienst aus Münster im ZDF
- Mehr Platz für Fahrradverkauf: Umbau vom Iduna-Pavillon
- Neuer Fahrplan der Bahn: Was er Münster bringt
- RUMS-Veranstaltung mit Klaus Brinkbäumer: Jetzt Karten bestellen
- Rituelle Gewalt: Untersuchung kommt zu eindeutigem Ergebnis
- Klima-Update: Erste Agri-Solaranlage in Münster
- Fundbüro: Ein Gruselkürbis auf der Promenade
- Ein-Satz-Zentrale: Auch awm will bargeldlos werden
- Unbezahlte Werbung: Kawentsmann Café
- Drinnen und Draußen: Kinotipps für Schlager-Fans und Familien
Diese Woche kam eine gute Nachricht von der FH Münster. Die Wirtschaftsstudentin Antonia Grollmann hat in ihrer Bachelorarbeit untersucht, wie der Wohnungsbau wieder bezahlbar werden könnte. Einen Quadratmeter Neubau in Münster zu mieten, kostet übrigens durchschnittlich 14,61 Euro. Hohe Kosten, die unter anderem durch Materialengpässe, hohe Baustandards, fehlendes Personal oder schlechte Förderprogramme des Staates entstehen.
In ihrer Abschlussarbeit hat Grollmann untersucht, welche Steueranreize und staatlichen Ausgabenprogramme den Bau von neuen Mietwohnungen ankurbeln könnten. Ergebnis: Viele Maßnahmen hätten Potenzial – es kommt nur darauf an, wie sie ausgestaltet werden.
Drei Ideen, wie es besser laufen könnte
Insgesamt könnten laut Grollmann drei Maßnahmen in Städten wie Münster helfen. Die erste ist die sogenannte degressive Abschreibung. Investor:innen können dadurch in den ersten Jahren höhere Abschreibungsbeiträge geltend machen, statt immer gleichbleibende. Dadurch sind sie schneller liquide und können ihr Kapital für neue Bauvorhaben nutzen.
Als zweites schlägt Antonia Grollmann vor, die Neue Wohngemeinnützigkeit zu überarbeiten. Die soll die rechtliche Grundlage für soziale und langfristige Mietverhältnisse schaffen, etwa durch Steuervorteile für die Eigentümerseite. Allerdings sollte die Neue Wohngemeinnützigkeit auch Ausschüttungen für Investor:innen und Zuschüsse für Bauvorhaben ermöglichen, damit auch mehr in bezahlbaren Wohnraum investiert wird.
Der dritte Punkt setzt bei der Grunderwerbssteuer an. Wer ein Grundstück kauft, sollte einen höheren Steuerfreibetrag erhalten, findet Grollmann. Kritisch sieht sie hingegen die Forderung nach einem Mietendeckel. Der könne zwar kurzfristig Mieten günstig halten – geht aber am Problem der hohen Baukosten vorbei. Langfristig könnte der Mietendeckel also den Neubau hemmen.
Für ihre Bachelorarbeit hat Antonia Grollmann einen Preis der FH Münster bekommen. Sie habe verschiedene wissenschaftliche Methoden genutzt, um zu bewerten, welche Ideen den Neubau stimulieren könnten und damit viele Vorschläge für die Praxis erarbeitet, heißt es in der Begründung. (sfo)
Korrekturhinweis: Wir mussten nach der Veröffentlichung eine missverständliche Formulierung anpassen und eine Kleinigkeit ergänzen. Jetzt stimmt aber alles.
Schon 2023 haben Münsters Sportvereine ordentlich Zuwachs verzeichnet – kein Vergleich jedoch mit dem Boom 2024. Gut 7.500 Menschen haben sich vergangenes Jahr neu angemeldet in einem Sportverein. Insgesamt waren zum Jahresende 108.071 Menschen Mitglied in einem Verein in Münster. (sst)
Hier finden Sie alle unsere Infografiken. Sollte Ihnen eine davon besonders gut gefallen, teilen Sie sie gerne!
+++ Ein historischer Moment in der Fernsehgeschichte des ZDF: Am Sonntag nächste Woche wird zum ersten Mal ein queerer Gottesdienst ausgestrahlt. Ja, Sie lesen richtig: Im Jahr 2025 wird im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auch mal ein vielfältiges Bild als nur der klassische christliche Gottesdienst gezeigt. Das Schöne und der Grund, warum Sie hier darüber lesen: Der Gottesdienst wird von der Queergemeinde Münster ausgetragen und aus der St. Anna Kirche in Mecklenbeck live übertragen: Am 26. Oktober 2025 um 9:30 Uhr. Wer live vor Ort dabei sein möchte, sollte früh aufstehen: Der Einlass ist nur bis 9:00 Uhr möglich, danach bereitet das Fernsehteam die Übertragung vor. Das Motto des Gottesdienstes lautet „Wer bin ich – für dich?“. Die Queergemeinde gibt es bereits seit 1999 in Münster. Sie betitelt sich selbst als Heimat für christliche Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Intersexuelle, Queere und Diverse. Das ZDF überträgt seit 1986 einmal pro Woche einen Gottesdienst. (ani)
+++ Der Iduna-Pavillon an der Promenade wird aktuell saniert. Inhaber Julian Recker vom Fahrradhändler Drahtesel plant allerdings schon im März auf seiner neuen, größeren Verkaufsfläche wieder den Betrieb zum Beginn der Fahrradsaison starten zu können. Durch den Umbau bekommt Drahtesel insgesamt rund 500 Quadratmeter Ladenfläche, wie die Westfälischen Nachrichten schreiben. Gerade werden auf der Baustelle die Glasfronten ausgetauscht. Bis Jahresende sollen die Arbeiten abgeschlossen sein und die bisher offene Passage dicht gemacht werden. Wenn Drahtesel dann komplett umgezogen ist, soll in den freien Spot im Hochhaus nebenan ein Gastronomiebetrieb einziehen, so der Vermieter und Architekt des Hauses. Gespräche mit Interessent:innen laufen demnach bereits. (ani)
+++ Ab dem 14. Dezember gibt’s bei der Deutschen Bahn einen neuen Fahrplan, der seit gestern online ist, und für Reisende aus Münster ändern sich da ein paar Dinge. Grob gesagt: Richtung Süden wird’s einfacher, Richtung Norden eher weniger. Der Regionalverband vom Verkehrsclub Deutschland hat die Änderungen einmal analysiert. Positiv: Mehr Tempo und neue Direktverbindungen in den Süden. So fährt ein ICE um 7:03 Uhr in unter sechs Stunden nach Basel. Weitere Züge Richtung Schweiz kommen hinzu. Weniger erfreulich sieht es für alle aus, die an die Nord- oder Ostsee wollen. Die beiden ICE-Verbindungen nach Kiel fallen weg, nach Westerland fährt bis April nur noch ein Zug, danach wochenlang keiner mehr. Auch der ICE nach Rügen verschwindet vom Fahrplan. Die Änderungen gelten jetzt erst einmal bis Juli 2026. (ani)
Veranstaltung vor Ort 17. November 2025, 18:30 Uhr
„Zeit der Abschiede“. Ein Abend mit Klaus Brinkbäumer
„Wir müssen reden“ (#15)
Ein Ende kann ein Anfang sein. In seinem neuen Buch „Zeit der Abschiede“ erzählt Klaus Brinkbäumer von sieben Jahren, in denen vieles zu Ende ging – und Neues begann. Der frühere „Spiegel“-Chefredakteur, Autor und Filmemacher blickt zurück auf Verluste, Neuanfänge und die Suche nach einem anderen Leben. Es geht um Familie, Freundschaft, Tod und das Erwachsenwerden als Erwachsener.
Am 17. November ist Klaus Brinkbäumer unser Gast, liest Passagen aus seinem Buch und spricht mit RUMS-Redaktionsleiter Ralf Heimann über das Abschiednehmen, das Wiederfinden – und über Münster.
Wir freuen uns, wenn Sie auch dabei sind! Eintritt 25 Euro, Tickets gibt es hier!
Rituelle Gewalt: Wenn ein Verschwörungsmythos reale Opfer produziert
Zwei Jahrzehnte lang verbreitete das Bistum Münster aberwitzige Gerüchte über geheime Täterkulte. Dann schloss die Leitung eine Beratungsstelle für angebliche Opfer von ritueller Gewalt. Ein Gutachten gibt neue Erkenntnisse, was all die Jahre schief lief – und warum der Verschwörungsmythos so gefährlich ist.
Was sie nie vergessen hat, war die Ungeduld ihres Vaters. Ein Choleriker sei er gewesen, der jederzeit platzen konnte. In ihrem Elternhaus herrschte permanente Anspannung. Auch die Schläge ihrer Mutter brannten sich in ihr Gedächtnis ein. Die Demütigung durch ihren Grundschullehrer auch.
Als erwachsene Frau litt sie noch immer unter ihrer unglücklichen Kindheit. Um die frühen Traumata zu verarbeiten, ging sie oft zur Beichte. Ihr Ehemann würde später zu Protokoll geben, seine Frau habe einen „regelrechten Beichtzwang“ entwickelt.
Dann lernte sie einen Heilpraktiker kennen. Zu ihm fasste die Frau schnell Vertrauen. So begann der „Heilungsweg“. Die Therapie, sagte sie, half ihr, das Erlebte und ihre Beschwerden besser zu verstehen.
Mit der Zeit kamen verdrängte Erinnerungen hoch, die sich „wie ein Puzzle“ zu einem Gesamtbild zusammensetzten. In der Akte notierte der Heilpraktiker: „Die vielschichtige Traumatisierung“ seiner Klientin sei durch „schweren ritualisierten sexuellen Missbrauch im Raum der katholischen Kirche“ entstanden.
Von Bischof Lettmann vergewaltigt – sagt sie
Schließlich kümmerte sich die Kölner Kanzlei Feigen-Graf um den Fall. Zwei Anwälte führten lange Gespräche mit dem verheirateten Paar, zeichneten jedes Wort auf, machten Notizen. Das fertige Protokoll bekamen die Eheleute zugeschickt, damit sie Aussagen ergänzen oder korrigieren können.
In dem Protokoll sagt die Frau aus, sie sei immer wieder von Zuhältern verschleppt worden. In verschiedenen Kirchengebäuden des Bistums Münster habe man sie zu „Prostitutionstreffen“ gebracht. Ein Tatort sei der St. Paulus-Dom in Münster gewesen. Dort hätten sie mehrere Priester vergewaltigt, darunter auch der damalige Bischof Richard Lettmann. Während der Missbrauch stattfand, sei der Klingelbeutel durch die Zuschauerreihen gegangen.
Zwanzig bis dreißig Mal, so steht es im Gutachten der Anwälte, habe die Frau an Treffen teilnehmen müssen, bei denen auch Kinder getötet wurden: „Die Schilderungen reichen von gekreuzigten Jungen über verbrannte Babys, aufgeschnittene Säuglinge und in Weihwasser ertränkten Kleinkindern bis zu herausgeschnitten (und verspeisten) Herzen.“
Für eine finanzielle Entschädigung hat die Frau einen Antrag auf Anerkennungsleistungen beim Bistum Münster gestellt. Die Ansprechperson hielt die berichteten Straftaten für plausibel, weil „alle Gebäude“, die die Frau erwähnte, „zu den genannten Zeiträumen vorhanden gewesen“ seien und „die genannten Beschuldigten in den angegebenen Tatzeiträumen als Priester des Bistums Münster tätig“ waren.
Ein Dutzend Betroffene mit harten Vorwürfen
Dieses Schicksal ist eines von zwölf, das in einem neuen Untersuchungsbericht des Bistums Münster dargelegt wird. Seit 2023 haben Menschen beim Bistum vermehrt Anträge auf Anerkennungsleistungen gestellt, weil sie angeblich Opfer von ritueller Gewalt geworden seien. Sexorgien, Organhandel, Kindstötungen, satanische Folterrituale – all das soll sich unter dem Dach der katholischen Kirche abgespielt haben.
Aufgrund der schwerwiegenden Vorwürfe beauftragte das Bistum Münster die Kanzlei Feigen-Graf, die Fälle zu untersuchen. Die Bistümer Essen und Hildesheim sowie die Erzbistümer Köln und Paderborn schlossen sich den Untersuchungen an. Vergangene Woche Mittwoch stellten zwei Anwälte die Ergebnisse im Borromaeum vor, einen Tag später kam der Abschlussbericht online (RUMS-Brief).
„Sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche ist ein reales Phänomen“, lautet der erste Satz der Untersuchung. Lange sind die Gewalt und der Missbrauch durch Kirchenvertreter vertuscht und geleugnet, Täternetzwerke von der katholischen Kirche gedeckt worden. Inzwischen leugnet niemand mehr das erdrückende Ausmaß der Fälle. 2022 ermittelte eine Studie der Uni Münster, dass mindestens 196 Geistliche von 1945 bis 2020 rund 600 Menschen im Bistum missbraucht haben. Vier von zehn Tätern begangen mehrfachen Missbrauch (RUMS-Brief).
Kein Fall bestätigt sich
Doch für Missbrauchsfälle durch rituelle Tätergruppen gebe es in den westdeutschen Bistümern keinerlei Beweise, schreiben die Anwälte im Fazit ihres Untersuchungsberichts. Vielmehr sind die Betroffenen offensichtlich Opfer eines Verschwörungsmythos geworden.
Um zu diesen Ergebnissen zu gelangen, haben die Anwälte von Feigen-Graf intensive Gespräche mit den Betroffenen geführt. Zum Teil über mehrere Tage. Die fertigen Protokolle sind von zwei Aussagepsychologinnen ausgewertet worden, um die Plausibilität und Glaubwürdigkeit der Vorwürfe einzuschätzen. Die Bistümer haben der Kanzlei weitere Unterlagen zur Verfügung gestellt, etwa die Anträge auf Anerkennungsleistungen oder Akten zu Missbrauchsfällen mit Bezügen zu ritueller Gewalt. Alle beschuldigten Kirchenvertreter sind bereits verstorben.
Mehrere Gemeinsamkeiten konnten die Gutachter zu Tage fördern: In allen Fällen fehlen nachweisbare und objektive Beweise für rituellen Missbrauch. Alle Betroffenen sind Opfer widriger Lebensumstände geworden, teils durch sexuellen Missbrauch traumatisiert worden. Alle Betroffenen waren zu dem Zeitpunkt der ersten Anschuldigung in Therapie. Für alle Betroffenen sind die wiedererlangten Traumata zum zentralen Lebensinhalt geworden. Und allen Betroffenen geht es heute trotz jahrelanger Behandlung deutlich schlechter als vor der Therapie.
„Mind Control“ und „Innenpersonen“
Aber wie kann das sein? Wie kann der Glaube an ein nicht-bewiesenes Phänomen so großen Schaden anrichten?
Ein weit verbreiteter Aberglaube ist, man könne traumatische Erinnerungen verdrängen. Einer Umfrage unter fast 260 Therapeut:innen zufolge hält es dennoch fast ein Fünftel für ihre Aufgabe, nach verloren gegangenen Erinnerungen zu suchen. 10 Prozent vermuten hinter dem Leiden ihrer Patient:innen ein verborgenes Trauma.
Die panische Angst vor rituellen Tätergruppen kursiert schon seit den 1990er-Jahren durch die Psychotherapie. Vor dreißig Jahren verfasste die Kasseler Psychotherapeutin Michaela Huber den Bestseller „Multiple Persönlichkeiten“. Seiten lang beschreibt Huber darin satanisch-rituelle Folterrituale, die Täter dafür einsetzen, die Persönlichkeit ihrer Opfer zu spalten.
Eine gespaltene Persönlichkeit wird in der Psychiatrie „dissoziative Identitätsstörung“ genannt (DIS; früher: multiple Persönlichkeitsstörung). DIS-Patient:innen haben das Gefühl, nicht allein in ihrem Körper zu sein. Verschiedene „Innenpersonen“ übernähmen im Wechsel die Kontrolle.
Folgt man Michaela Huber, dann können die Täter gezielt eine DIS erschaffen. Durch „Mind Control“ sei es ihnen jederzeit möglich, hörige „Innenpersonen“ zu aktivieren und fernzusteuern. So könnte es sein, dass Menschen mit DIS unbemerkt ein Doppelleben führen, schlussfolgert Huber. Denn Alltags-„Innenpersonen“ könnten sich nicht daran erinnern, was täterloyale „Innenpersonen“ erleben – und umgekehrt.

Anonymer Briefkasten
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Einfallstor für Suggestion
Wissenschaftlich bewiesen ist all das nicht. Es gibt keinen Beleg für „Mind Control“. Auch die Erinnerungslücken zwischen einzelnen „Innenpersonen“ sind nicht nachgewiesen. Nicht einmal die These ist eindeutig belegt, dass eine DIS zu den psychischen Störungen zählt, die nach einem Trauma entstehen. Einige Fachleute bezweifeln die Existenz einer Störung mit klar voneinander getrennten und fulminant verschiedenen „Innenpersönlichkeiten“.
Fast allen Betroffenen aus dem Feigen-Graf-Bericht wurde eine dissoziative Identitätsstörung diagnostiziert. Jedes Mal in therapeutischen Einrichtungen mit einer Affinität für rituelle Gewalt. Kritiker:innen nennen die Diagnose DIS daher ein „Einfallstor für Suggestion“. Denn wenn Therapeut:innen die Störung einzig und allein mit ritueller Gewalt erklären, dann laufen sie Gefahr, die Realität auszublenden.
Wie das konkret funktioniert, zeigt das Kapitel im Bericht über die Beratungsstelle des Bistums für rituelle Gewalt. Die Fachstelle sollte psychosoziale und lebenspraktische Hilfe bieten. So unterstützte sie etwa Betroffene, Anträge auf Anerkennungsleistungen zu stellen.
Als die Beratungsstelle 2022 von der Uniklinik Hamburg-Eppendorf (der ebenfalls eine Nähe zur Rituellen-Gewalt-Theorie vorgeworfen wird) evaluiert wurde, zog das Gutachten eigentlich eine positive Bilanz. Viele Klient:innen schätzten die hohe Expertise der Beraterinnen. Doch genau darin besteht auch ein Risiko.
Eine Befragte äußerte die Sorge, dass „auf der Grundlage von Erfahrungen mit anderen Klient:innen pauschale Rückschlüsse auf ihre Erlebnisse gezogen würden.“ Diese „Erwartungshaltungen und Suggestionseffekte“ könnten jedoch „insbesondere bei schwertraumatisierten und dissoziierenden Personen große Schäden anrichten“, heißt es im Evaluationsbericht.
Aus heutiger Sicht: viel zu spät geschlossen
Die Feigen-Graf-Studie zitiert an dieser Stelle den Erfahrungsbericht einer Klientin, die heute von einer anderen Fachstelle unterstützt wird. Nach ihren Angaben habe sie sechs Jahre lang die Beratungsstelle für rituelle Gewalt besucht – ursprünglich, um eine familiäre Krise in den Griff zu bekommen.
Diese Probleme seien allerdings nie bearbeitet worden. Stattdessen hätten die Mitarbeiterinnen sie wie ein Opfer ritueller Gewalt behandelt. Durch die Fehlberatung seien Bilder von rituellem Missbrauch in ihr hochgestiegen, den sie nie erlebt habe. Heute leide die Betroffene an einer schweren Angststörung.
Im März 2023 wurde die Beratungsstelle des Bistums geschlossen (RUMS-Beitrag). Zuvor hatte der „Spiegel“ kritisch über eine Mitarbeiterin berichtet. Laut dem Bericht von Feigen-Graf hätte die Schließung schon deutlich früher erfolgen müssen. Schon die Vorgängerstelle habe mit fragwürdigen Beratungsangeboten und Fachtagungen dazu beigetragen, die Rituelle-Gewalt-Theorie im deutschsprachigen Raum zu verbreiten. So schloss sich das Bistum Münster mit den Bistümern Essen und Osnabrück zu einem Arbeitskreis für rituelle Gewalt zusammen und veröffentlichte unter anderem ein Buch mit weitgehend haltlosen Thesen über angebliche Geheimverschwörungen. Der ehemalige Bischof Felix Genn unterstützte laut einem WDR-Bericht die Tätigkeiten im Bereich der rituellen Gewalt.
Inzwischen sind die beiden Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle nicht mehr fürs Bistum tätig. Auch die Ansprechperson, die die Anträge auf Anerkennungsleistungen geprüft und für plausibel erklärt hat, arbeitet nicht mehr fürs Bistum Münster.
Betroffenenvertretungen überzeugt die Studie nicht
Insgesamt ist das Fazit des Untersuchungsberichts unmissverständlich. Für rituelle Tätergruppen gibt es in den fünf Bistümern keinerlei Beweise – vielmehr sind die vermeintlichen Betroffenen Opfer von Fehltherapien geworden. Die Aussagen über rituelle Gewalt entspringen Scheinerinnerungen, also falschen Erinnerungen, die sich wie wahre anfühlen. „Diese Menschen glauben das, was sie berichten. Wir haben keine Veranlassung, ihnen unlautere Absichten zu unterstellen“, schreibt das Bistum in einer Pressemitteilung.
So eindeutig der Bericht auch ist, bezweifeln Kritiker:innen die Ergebnisse.
Der Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz bewertet die Untersuchung „äußerst kritisch“. Das Gutachten habe zwar keine rituellen Täternetzwerke gefunden, sage aber darüber hinaus nichts über andere Täternetzwerke in der Kirche aus. Wie die Untersuchung zu solchen Schlüssen hätte kommen sollen, schreibt der Betroffenenbeirat nicht. Weiterer Kritikpunkt ist die aussagespsychologische Begutachtung, die nicht bei psychisch Kranken möglich sei.
Auf Nachfrage schreibt uns die Aussagepsychologin Renate Volbert, dass aussagespsychologische Begutachtungen nicht allein bei gesunden Menschen möglich sind. Viele Proband:innen befänden sich in Psychotherapie. Die Diagnose könne man entsprechend berücksichtigen. Bei Störungen mit Wahn oder Halluzination würde vor einer aussagepsychologischen Untersuchung zunächst geprüft, ob die Betroffenen überhaupt aussagetüchtig sind.
Die Aufarbeitungskommission des Bundes übt eine ähnliche Kritik wie der Betroffenenbeirat. Die Kommission habe die Untersuchung aus Münster „mit Irritation“ aufgenommen. Für die Aufarbeitungskommission sei nicht klar, auf welcher Datengrundlage die Untersuchung entstanden sei, schreibt eine Sprecherin auf Anfrage. Das Gutachten habe etwa keine weiteren Beweismittel wie Aussagen von Angehörigen oder Therapeut:innen berücksichtigt und auch keine Anhaltspunkte für weitere Tätergruppen innerhalb der katholischen Kirche geliefert. Der Bericht erschwere aus Sicht der Aufarbeitungskommission die respektvolle Zusammenarbeit zwischen Betroffenen sexualisierter Gewalt und der römisch-katholischen Kirche.
Von allen zwölf Fällen, die die Kanzlei Feigen-Graf ausgewertet hat, hebt sich einer von den übrigen elf ab. Eine Betroffene sagte aus, sie sei als Kind Opfer eines Exorzismus in der katholischen Kirche geworden. Aus den vorliegenden Akten konnte der Vorwurf untermauert werden, etwa durch bestätigende Zeug:innen oder eine Genehmigung des Exorzismus durch einen Weihbischof. Sie habe im Gegensatz zu allen anderen Betroffenen immer Erinnerung an den Missbrauch gehabt und nicht erst durch eine Therapie erlangt. Hinweise für „Mind Control“ finden sich in ihrer Erzählung nicht, weshalb das Gutachten den Fall nicht als rituelle Gewalt im verschwörungsideologischen Sinne wertet. Und es gibt noch einen Unterschied zu den anderen Betroffenen: Dank einer Psychotherapie geht es ihr inzwischen besser. (sfo)
+++ In Amelsbüren entsteht gerade Münsters erste Agri-Photovoltaikanlage. Das ist eine Solaranlage, die auf landwirtschaftlicher Fläche steht, wie die Stadtwerke Münster in einer Pressemitteilung erklären. Der Clou: Nur rund zwölf Prozent der Fläche werden tatsächlich überbaut. Der Rest bleibt weiterhin nutzbar – für den Anbau von Getreide, Raps und Ackerbohnen. Sensoren richten die Module automatisch zur Sonne aus, um möglichst viel Strom zu erzeugen. Die Anlage soll künftig rund 5,75 Gigawattstunden Ökostrom pro Jahr liefern. Der Strom fließt dann direkt in die Batteriezellproduktion von Fraunhofer FFB. Ideengeber für das Projekt ist der Amelsbürener Landwirt Heinz-Georg Hartmann. Für die Landwirtschaft hat die Kombi-Anlage nämlich auch Vorteile: Die Module schützen Pflanzen im Sommer vor zu starker Sonne und verbessern das Mikroklima am Boden. (ani)
+++ Nach dem Schmuddelsommer mit viel Regen in Münster könnte jetzt ein Jahrhundertwinter auf uns zu kommen. Das haben zumindest diese Woche einige Medien gemeldet (zum Beispiel hier, hier und hier). Grund zur Sorge bereitet gerade ein Polarwirbel, der kalte Luft von der Arktis nach Westfalen blasen könnte. Der SWR-Meteorologe Gernot Schütz hält die Angst vor einem Extremwinter wie zuletzt 1978 mit minus 23 Grad Celsius für übertrieben. Das sei im Zeitalter der Erderhitzung schlichtweg unwahrscheinlich. Zuverlässige Prognosen sind laut Schütz ohnehin erst ein bis zwei Wochen vor Wintereinbruch möglich. Wir werden’s also sehen. Weiße Weihnachten gab es in Münster das vorerst letzte Mal vor 15 Jahren. Vielleicht haben wir dieses Jahr Glück. (sfo)
Fundbüro

Es wird spooky in Münster! Diese Woche hat ein unbekannter Halloween-Fan den Flugzeug-Spielplatz an der Promenade mit dieser gruseligen Kürbislaterne dekoriert. „Strategisch eine gute Position“, findet RUMS-Leser Kristof Nieroba, der uns das Foto geschickt hat. Die Ecke ist nämlich nicht so gut beleuchtet und wegen des nassen Herbstlaubs auf dem Boden auch ziemlich glitschig. Wenn auch Sie etwas Kurioses, Mysteriöses oder Witziges in Münster entdeckt haben, schicken Sie uns gerne ein Beweisfoto im Querformat.
+++ Fünf Projekte aus Münster sind für den Publikumspreis des Deutschen Engagementpreises nominiert. (Deutscher Engagementpreis)
+++ Laut einer aktuellen Trend-Umfrage von Booking.com gehört Münster zu den 10 beliebtesten Reisezielen für das kommende Jahr weltweit. (20 Minuten)
+++ Der LWL sucht nach dem unbekannten Fotografen, der in den 1940er-Jahren unter anderem über 800 Aufnahmen vom kriegszerstörten Münster gemacht hat. (Landschaftsverband Westfalen-Lippe)
+++ Die Abfallwirtschaftsbetriebe wollen ab November auf bargeldloses Bezahlen umstellen, zuerst auf dem Recyclinghof in Coerde. (Stadt Münster)
+++ Weil sich bisher noch kein Käufer für das Antiquariat Solder (beziehungsweise die Drehkulisse für Wilsberg) gefunden hat, geht der Preis jetzt runter. (Westfälische Nachrichten)
+++ Ab Dienstag wird zur Erweiterung des Fernwärmenetzes an der Kreuzung Wolbecker Straße und Ring gebaut, sodass Autos dort bis Jahresende nicht mehr auf den Ring abbiegen können. (Stadtnetze Münster)
+++ Die Kurzzeitvermietungen über Buchungsplattformen, wie Airbnb, haben in Münster im Jahr 2023 um 5,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr zugenommen, viel weniger als in ganz NRW mit 21,6 Prozent. (IT NRW)
+++ In Wolbeck könnte Am Steintor bald Tempo 30 kommen, weil CDU und Grüne das Vorhaben jetzt unterstützen. (Westfälische Nachrichten)
+++ An der Aegidiistraße baut die Stadtverwaltung gerade Schulräume aus Fertigmodulen für das Paulinum und später das Annette-Gymnasium, in denen nach den Herbstferien rund 300 Schüler vorübergehend unterrichtet werden sollen. (Westfälische Nachrichten)
Vor ein paar Tagen war vor Kawentsmanns Café und Tagesbar (ja, das sind die Leute von der Möbelmanufaktur) so viel los, dass wir doch nicht reingegangen sind – und uns natürlich gefragt haben: Lohnt sich das Anstehen? Beim nächsten Versuch stellen wir fest: Für den super cremigen New York Cheese Cake auf jeden Fall. Wer Lust auf einen herzhaften Snack hat, wird bei Brotkörben und Sandwiches fündig. Im gut besuchten Café am Spiekerhof ist’s sehr lebendig – wer es lieber etwas ruhiger mag, hat die Chance auf ein paar Sonnenstrahlen an einem Tisch draußen. Übrigens: Falls Ihnen die Möbel im Laden gut gefallen, sprechen Sie das Team doch mal an. Die kann man kaufen.
Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!
Anna Niere, Svenja Stühmeier und Sebastian Fobbe haben heute mit geballten Kräften diese Veranstaltungstipps für Sie herausgesucht:
+++ Sonntagnachmittag gibt’s Livemusik und veganen Döner an der B-Side. Die Vervöner:innen und das B-Side-Café sind ab 13 Uhr am Start, die Münsteraner Bands Sunveil und Alma Matar spielen ab 15 Uhr.
+++ Zum allerletzten Mal spielt Schauspielerin Carola von Seckendorff ihr Solo „Welche Droge passt zu mir?“. Und zwar am Sonntagabend im Heidekrug. Beginn ist um 18 Uhr, Tickets gibt es für gut 20 Euro hier.
+++ Der Literarische Salon bespricht am Dienstagabend „Kairos“ von Jenny Erpenbeck. Für diesen Text, in dem es um das Ende der DDR und eine schwer zu ertragende Liebesbeziehung geht, hat Erpenbeck 2024 den International Booker Prize erhalten. Durch den Abend führt Katharina Grabbe von der Uni Münster. Falls Sie mitdiskutieren möchten: Los geht es um 20 Uhr im Café Sonnenschein. Für Mitglieder kostet der Eintritt 5, für alle anderen 10 Euro.
+++ Welche Ziele verfolgt die Uni Münster eigentlich mit ihrer Forschung und Lehre? Aus unterschiedlichen Perspektiven beschäftigt sich die Ringvorlesung „Das Bildungsideal der Universität“ mit diesen Fragen. Sie ist für alle Interessierten offen und beginnt Dienstagabend um 18:15 Uhr im Hörsaal S 1. Jürgen Overhoff geht an diesem Abend auf bildungshistorische Perspektiven ein. Im weiteren Verlauf des Wintersemesters geht’s unter anderem um die Ausbildung von Lehrkräften und die Frage, was Stephen King eigentlich mit der Uni zu tun hat. Alle Termine finden Sie hier.
+++ Das darf doch wohl nicht wahr sein! Gestern feierte niemand Geringeres als die Schlagerlegende Roland Kaiser im ausverkauften Cineplex die Weltpremiere seines Konzertfilms „50 Jahre Roland Kaiser – Ein Leben für die Musik“. Ab nächsten Dienstag läuft die 120-Minuten-Doku mit exklusiven Einblicken in das Leben und Werk des Hitgiganten im Kino. Die begehrten Karten gibt’s hier.
+++ Wenn das nicht so ganz ihr Genre ist, sie aber trotzdem gerne dem Kino einen Besuch abstatten wollen, dann haben wir noch einen weiteren Tipp: Ab Sonntag wird im Schloßtheater eine Woche lang das Kinderfilmfest gefeiert. Ob mit oder ohne Kinder, das Programm bietet neben Klassikern wie „Momo“ (absolute Empfehlung!) auch Naturdokumentationen für alle. Tickets kosten zwischen 2 und 5 Euro.
Am Dienstag schreibt Ihnen wieder Anna Niere. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!
Herzliche Grüße
Sebastian Fobbe
Mitarbeit: Anna Niere (ani), Svenja Stühmeier (sst), Jan Große Nobis (jgn) – das bedeutet: Die einzelnen Texte im RUMS-Brief sind von der Person geschrieben, deren Kürzel am Ende steht.
Lektorat: Maria Schubarth
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PS
Dass das Aussterben der Zeitungen nah ist, das ist mittlerweile bekannt. Schmerzhaft wird es dann, wenn es wirklich Realität wird: so wie heute bei der taz. Denn heute erscheint die letzte tagesaktuelle gedruckte Ausgabe der taz. In Zukunft gibt es nur noch einmal pro Woche eine gedruckte taz. Ganz so schlimm, wie das auf den ersten Blick aussieht, ist es aber eigentlich gar nicht, vor allem nicht für erfahrene RUMS-Leser:innen. Es gibt trotzdem noch jeden Tag die taz, nur halt als E-Paper. Die taz-Redaktion kommentiert diesen Meilenstein mit einem weinenden und einem lachenden Auge: „Aber es fällt doch etwas weg. Das tägliche Anfassen einer Zeitung. Das tägliche Rascheln einer Zeitung (auch wenn wir dies im ePaper elektronisch reproduzieren, achten Sie einmal darauf!).“ Sollten wir den RUMS-Brief in Zukunft auch mit passenden Geräuschen verschicken? (ani)
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