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Hiltrup: Die Skulptur ist zurück | Das Poha House: Vom Streben nach Umsatz | Unbezahlte Werbung: Grün & Form
Guten Tag,
in der Kita ist Notbetrieb. Alle krank. Das war übers Wochenende hier zu Hause nicht anders. Fieber, Schüttelfrost, passt ja eigentlich gut zur politischen Lage. Man möchte sich am liebsten die Decke über den Kopf ziehen. Und bald wird einem ja auch nichts anderes mehr übrig bleiben: Allzu viel heizen soll man ja nicht mehr. Und draußen wird’s auch immer grauer.
Gibt’s denn überhaupt keine gute Nachrichten mehr? Ach, da ist doch eine. Ein „aufmerksamer Zeuge“ hat auf einem Schrottplatz irgendwo im Kreis Coesfeld Bronzefiguren gefunden, spielende Kinder, und sich gedacht: Die gehören hier doch wohl nicht hin. Er ging zur Polizei, und es stellte sich heraus: Er hatte recht. Das war am 4. August.
Vier Tage später, am 8. August, meldete die Zeitung, dass am Brunnen an der Marktallee in Hiltrup eine Bronzeskulptur verschwunden sei. Spielende Kinder. Eine Spur gab es nicht.
Im letzten Absatz des Artikels steht: Eines sei sicher, in Deutschland werde man die Figuren nicht so leicht los. „Selbst Schrotthändler verlangen in solchen Fällen immer die Personalien. Sonst nehmen sie gar nichts an.“ So ist das mit den Gewissheiten in diesen Zeiten, sie schwinden dahin. Nicht einmal mehr auf die Schrotthändler ist Verlass.
Aber auf wen dann noch? Auf die Polizei? Die fing schon im August unmittelbar an zu ermitteln und meldet nun, sechseinhalb Wochen später, Vollzug: Die Skulptur ist zurück in Münster, bald dann wohl hoffentlich auch an der Marktallee. Und wenn schon alle Gewissheiten schwinden, bleibt immerhin doch eine: Sicher ist sie da offenbar nicht. (rhe)
+++ Der Hitzesommer ist vorbei, und mit dem Herbst kommt die große Frage: Soll man in den Schulen im Winter stoßlüften und Strom sparen, aber dafür mehr heizen, um die Räume nach dem Lüften wieder warm zu bekommen? Oder mit Blick auf das Coronavirus wieder Luftfiltergeräte anstellen und Strom verbrauchen? Für das Umweltbundesamt ist die Sache klar: Von den Luftfiltern hält die Behörde nicht viel, weil die Geräte viel Strom verbrauchen und weniger Aerosole aus dem Klassenzimmer befördern als ein offenes Fenster. Die Stadt antwortet uns: „Aktuell gibt es keine Entscheidung der Stadt Münster oder von Landesbehörden, die mobilen Luftfilter in Schulen nicht einzusetzen.“ Die doppelte Verneinung kann man so verstehen: Die Stadt und das Land haben sich entschieden, die Luftfilter in den Schulen laufen zu lassen. Man kann es aber auch so verstehen, dass es bald eine Entscheidung gegen die Luftfilter geben könnte. Um diese Frage endgültig zu klären, wäre es jedenfalls wichtig zu wissen, wie viel der Strom für die 1.207 Luftfilter in Münster kostet. Das konnte uns das Presseamt aber nicht sagen. (sfo)
+++ Vor ungefähr zwei Monaten hat die Uniklinik Münster mit den Impfungen gegen die Affenpocken angefangen. Zeit für einen Zwischenstand: Bis gestern wurden 135 Menschen gegen die Erkrankung geimpft, teilt uns Sprecherin Anja Wengenroth auf Anfrage mit. Sie verweist auf die Website der Uniklinik, auf der die Impfstrategie beschrieben wird: Zielgruppe der Impfkampagne sind Menschen, die nachweislich Kontakt zu Infizierten hatten, und Männer, die Sex mit Männern haben und häufig den Partner wechseln. Es lohnt sich aber, sehr genau zu lesen, denn: Der Impfstoff ist knapp und muss rationiert werden. Deshalb werden Männer, die Sex mit Männern haben, vorrangig dann geimpft, wenn sie ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf haben. Das sind zum Beispiel Immungeschwächte oder HIV-Positive. Auch für Schwangere besteht die Gefahr eines schweren Krankheitsverlaufs; Frauen werden aber in den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission bisher nicht berücksichtigt. Zur Einordnung: Bundesweit haben sich 16 Frauen mit Affenpocken angesteckt.
Noch drei gute Nachrichten: In den meisten Fällen verläuft eine Infektion mit den Affenpocken bei gesunden Erwachsenen mild. Bisher wurden dem Robert-Koch-Institut nur zwölf Fälle aus Münster gemeldet. Und seit Anfang August sind die Meldungen in Deutschland rückläufig. (sfo)
+++ Am Wochenende haben die queeren Vereine in Münster eine Traueranzeige für Malte C. in den Westfälischen Nachrichten geschaltet. Der junge trans Mann war am Rande des Christopher Street Day in Münster tödlich verletzt worden, nachdem er zwei Teilnehmerinnen, die homosexuellenfeindlich beleidigt wurden, zur Hilfe gekommen war (RUMS-Brief vom 2. September 2022). Auf Justizebene hat der Fall schon für Veränderungen gesorgt: Die Staatsanwaltschaft Köln hat eine Ansprechperson für queere Menschen benannt, Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn. Dessen Abteilung bearbeitet schon länger zentral alle Straftaten, die aufgrund der sexuellen Orientierung oder Identität gegen Menschen verübt werden. Willuhn sagte dem WDR, dass im Jahr 2021 in 36 Verfahren aus dem Bereich ermittelt wurden, dieses Jahr sind es bisher 13. Die Dunkelziffer dürfte aber weitaus höher liegen, die Zahlen bildeten laut Willuhn das wahre Tatgeschehen „nicht einmal annähernd“ ab. Für Malte C. soll am 4. Oktober eine öffentliche Trauerfeier am Waldfriedhof Lauheide stattfinden. Er wäre heute 26 Jahre alt geworden. (sfo)
Das Poha House: Vom Streben nach Umsatz
In der Ebay-Anzeige steht: Etagenwohnung, Neubau, Terrasse, Einbauküche, superschnelles WLAN, Meditationsraum, und im letzten Satz: „Du kompensierst deinen ökologischen Fußabdruck jeden Monat, den du bei uns wohnst.“ Verfügbar ist das Apartment ab November 2022.
Das klingt doch wirklich fantastisch in einer Zeit, in der man sogar vor Mäuselöchern für Besichtigungstermine anstehen muss.
Allerdings findet man in der Anzeige auch den Haken, im Grunde sind es gleich drei: ein Zimmer, 25 Quadratmeter, Warmmiete: 938 Euro.
Wer kann sich so etwas leisten? Und vor allem: Wer will sich so etwas leisten, wenn doch so viel Geld fürs Wohnen zur Verfügung steht?
Eine Antwort darauf hat Jens Kreiterling, Vorstand des Projektentwicklers Landmarken AG, laut den Westfälischen Nachrichten Ende August bei der Einweihungsfeier des Hansators hinter dem Bahnhof gegeben. Dort befindet sich das Apartment aus der Anzeige, im „Poha House“, einem Wohnkomplex mit 313 kleinen Wohnungen.
Laut der Zeitung sagte Kreiterling, 270 der Apartments seien schon vergeben, unter anderem an den Allwetterzoo, die Uniklinik und das Theater. Hier wird es etwas rätselhaft, denn wenn man beim Zoo fragt, heißt es, man habe am Hansator keine Wohnung gemietet. Und wenn man Jens Kreiterling fragt, sagt der, er habe weder Auskunft über den Zoo noch über die Vermietungsquote gegeben (später stellte sich heraus: Es ging nicht um den Zoo, sondern den Zoll – siehe Hinweis unter dem Text).
Die Informationen zum Theater und zur Uniklinik sind allerdings richtig. Das Theater bestätigt, man habe fünf 22 Quadratmeter große Apartments gemietet, „für Gastkünstler:innen“. Die Uniklinik schreibt sogar von 50 Zimmern, die überwiegend für Fachkräfte aus dem Ausland gedacht seien. Wegen des stark angespannten Wohnungsmarktes müsse man Menschen, die zum Arbeiten aus dem Ausland kommen, Wohnraum zur Verfügung stellen. Insgesamt habe man etwa 200 Zimmer im Stadtgebiet angemietet. Einige hat sich auch die Uni Münster gesichert, das steht auf ihrer Website.
An wen die übrigen Apartments gegangen sind, mag Timur Kayaci vom Poha House nicht verraten, über einzelne Mietende könne man keine Auskunft geben, schreibt er. Eines mag er aber doch sagen: Inzwischen seien 305 der 313 Apartments vermietet, an Singles und Paare aus 35 Nationen. Das war am 5. September.
Die Community ist Teil der Leistung
Aber wo ist eigentlich das Problem? Das „Poha House“ hat anscheinend ein Angebot geschaffen, für das es eine Nachfrage gibt. Auf den zweiten Blick sind die Zimmer auch gar nicht so teuer, wie sie erscheinen – jedenfalls dann nicht, wenn man den monatlichen Betrag als das versteht, was das Unternehmen in ihm sieht: einen Preis für eine Dienstleistung.
Die Dienstleistung besteht darin, dass der Vermieter, also das „Poha House“, sich um alles kümmert – um Strom, Heizung, die Einrichtung, öffentliche Räume, auch zum Arbeiten, und sogar um die Menschen, mit denen man hier zusammenlebt: die Community. Sie ist ebenfalls Teil der Leistung. Sogar die Schlüsselübergabe funktioniert digital. Man zahlt einen Betrag, und damit ist alles geregelt. Mehr muss man nicht machen. Der Name dafür ist Co-Living.
Das ist ein interessantes Angebot für Menschen, die neu in eine Stadt kommen und noch niemanden kennen. Es ist sehr viel günstiger als ein Hotel, privater und komfortabler als ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft. Es ist auch einfach. Man muss keine Abende in WG-Küchen verbringen, um zu beweisen, dass man einigermaßen sympathisch und verträglich ist. Man muss sich nicht mit den anderen um Kosten und Verträge streiten. Man zahlt dafür, dass dieser Teil des Lebens, das Zuhause, nicht auch noch Ärger und Stress verursacht. Den hat man ja schon bei der Arbeit.
Aber ist das Ganze denn nicht doch eher eine Übergangslösung für eine sehr spezielle Zielgruppe, die jung und nur vorübergehend in der Stadt ist?
Lea Hermanns, eine der fünf Gründerinnen und Gründer, hat dazu vor einem Jahr in einer Youtube-Fragerunde gesagt: „Co-Living ist eigentlich die Wohnlösung für alle Generationen.“ Die Herausforderungen unserer Zeit seien: wachsende Bevölkerung in Städten, Klimawandel, Einsamkeit. Das seien Probleme, die in allen Generationen zu erkennen seien. Insofern sei Co-Living für alle da, sagte Lea Hermanns.
Aber was hat die Wohnform mit dem Klimawandel zu tun? Dazu muss man ein bisschen um die Ecke denken.
Es ist auch ein Geschäft
Wenn viele Menschen nur ein kleines Zimmer nutzen und sich den gemeinschaftlichen Wohnraum teilen, brauchen sie zum Leben insgesamt weniger Fläche; gleichzeitig hat jede einzelne Person mehr Platz. „Wir haben ein großes Wohnzimmer, wir haben Dachterrassen, einen Garten, einen Meditationsraum, ein Kunstzimmer, wo man kreativ werden kann“, sagt Lea Hermanns in dem Video. Es geht hier noch nicht um das „Poha House“ in Münster, sondern um die Idee. Auf der Website steht, das Konzept sei ökologisch sinnvoll. Im Preis enthalten ist sozusagen auch noch der Klimaschutz.
Das alles sind Dinge, über die Lea Hermanns sehr gerne spricht: die Vision, die hinter dem Geschäftsmodell steht. Die Idee, die die Welt etwas besser machen soll.
Aber natürlich ist es nicht nur ein Modell, sondern eben auch ein Geschäft, und das könnte man auch etwas anders beschreiben.
Co-Living könnte auch die optimierte Antwort auf die Frage sein, wie man aus einer begrenzten Wohnfläche möglichst viel Umsatz quetschen kann.
Nur, um einen Eindruck von der Größenordnung zu geben: Nach dem Mietspiegel liegt die ortsübliche Vergleichsmiete für eine 25 Quadratmeter große Wohnung ohne Auf- und Abschläge am Bremer Platz bei ungefähr 360 Euro.
Dass die Rendite noch etwas üppiger ausfällt, wenn man Apartments möbliert anbietet, ist nicht erst Lea Hermanns und ihrem Team aufgefallen. Das wusste vor fünf Jahren auch schon der Investor Andreas Deilmann. Er hatte auf der anderen Bahnhofsseite zusammen mit dem Architekten Rainer Maria Kresing ein Hochhaus gebaut, das eigentlich sehr hoch werden sollte, 60 Meter.
So hoch wollten Stadt und Politik es aber nicht haben, daher begrenzte man die Möglichkeiten der Investoren mit einem Bebauungsplan. So schrumpfte der Bau auf 45 Meter. Gleichzeitig verpflichtete man Deilmann und Kresing, ein Viertel der Apartments als günstigen Wohnraum anzubieten, für 8,50 Euro pro Quadratmeter.
Das machte Andreas Deilmann auch tatsächlich, allerdings vermietete er die Wohnungen, wie er später zugab, an ein Unternehmen seiner Frau. Die vermittelte sie ihrerseits, allerdings möbliert und sehr viel teuer.
Im Preis enthalten: ein Lebensgefühl
In der Gegend am Bahnhof ist diese Praxis inzwischen längst Standard. Die Meppener Gesellschaft Pro Immoservice bietet fast gegenüber von Deilmanns Metropolis-Hochhaus und ein paar Meter weiter an der Von-Steuben-Straße, also gleich an zwei Standorten je nach Sichtweise „top ausgestattete Apartments an attraktiven Standorten“ oder preislich bis aufs Äußerste verteuerte Wohnungen an.
Zur Auswahl stehen fünf Varianten: In der günstigsten (Typ A – Smart) ist die Wohnung 24 Quadratmeter groß und kostet warm 617 Euro. Die Luxus-Variante (Typ E – Extended) hat zwei Zimmer, 62 Quadratmeter und einen monatlichen Preis von 1.300 Euro, auch hier: warm. An der Von-Steuben-Straße sind die Preise etwas moderater.
Auf der Website ist nichts über einen Meditationsraum zu finden (was nicht bedeuten muss, dass es keinen gibt). Aber auch hier im Preis enthalten ist ein Lebensgefühl, das macht schon der Markenauftritt deutlich. Der expressive Name des Vermieters lautet: Pures Leben.
Und das ist eine weitere Parallele zum „Poha House”. Poha ist eine verkürzte Form von „Pursuit of Happiness“ – Streben nach Glück.
So hört sich im Prinzip auch die Geschichte des Unternehmens an, die Lea Hermanns in einer 52 Minuten langen Folge des Startup-Podcasts „Wickeltisch“ erzählt und die mit ihrer eigenen Suche nach der richtigen Aufgabe beginnt.
Die junge Frau zieht von Aachen nach Berlin, nach drei Jahren Studium fängt sie in einem Unternehmen an. Ihr erster Job ist „supercool“, trotzdem wechselt sie bald. In der neuen Firma steigt sie schnell auf, entscheidet sich dann aber doch, was anderes zu machen („wie junge Menschen eben sind“). Irgendwann „muss der nächste Schritt kommen“. Dann geht sie „spontan“ nach Hongkong, um ihren Master zu machen. Und mit der Zeit stellen fünf Menschen fest, „da fehlt irgendwas im Markt“. Man beschließt: „Hey, warum sollten wir alle was getrennt machen, wenn wir das zusammen machen können?“
Am 24. Dezember 2019 wird das Unternehmen geboren. Klingt nach einem wunderbaren Weihnachtsmärchen, und man fragt sich unweigerlich: Warum machen denn so was nicht alle, wenn das doch so einfach ist?
Was in der Podcast-Folge nicht erwähnt wird: Lea Hermanns ist die Tochter von Norbert Hermanns, dem Gründer der Landmarken AG. Hermanns stand im Jahr 2019 in der Liste der tausend reichsten Deutschen mit einem Vermögen von etwa 100 Millionen Euro auf Platz 920 – wie übrigens auch die Band „Die Scorpions“ aus Hannover.
Für die Stadt ist es auch problematisch
Der familiäre Hintergrund der Gründerin wäre nicht weiter von Bedeutung, wenn „Poha House“ nicht ein laut Website ein „Schwesterunternehmen“ der Landmarken AG wäre und der erste eröffnete Standort des Unternehmens sich nicht in einem Gebäude befinden würde, das gewissermaßen vom Vater gebaut wurde.
Das alles ist leicht zu finden, es wird nicht verschwiegen, sondern unter Umständen nur nicht explizit erwähnt, wo es die Geschichte nicht ganz so spektakulär klingen ließe. Es ist alles auch überhaupt nicht schlimm, sondern im Gegenteil: Es ist gut, wenn ein Unternehmen floriert und Gewinne macht, wenn es Schwestergesellschaften gründet. Aber man sollte den Hintergrund kennen, um nicht irrtümlich davon auszugehen, dass es hier um das Streben nach Glück geht. Vor allem geht es darum, viel Geld zu verdienen. Und auch das ist zwar einerseits gut, aber für die Stadt auch aus mehreren Gründen problematisch.
Zum einen wird der soziale Wohnraum in Münster immer knapper. Hier hätte die Stadt die Möglichkeit gehabt, das zu verlangen, was sie auch von Andreas Deilmann und Rainer Maria Kresing verlangt hatte – einen gewissen Teil der Fläche als sozialen Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
Seit acht Jahren soll das in Münster eigentlich selbstverständlich sein. Die Stadt hat sich ein Instrument geschaffen, das ihr die Möglichkeit gibt, solche Forderungen zu stellen: die Sozialgerechte Bodennutzung, kurz Sobomü. Mit diesem Werkzeug kann sie Firmen oder Privatpersonen, die im Stadtgebiet bauen möchten, dazu verpflichten, zu einem bestimmten Anteil geförderten Wohnraum zu schaffen.
Das hätte man auch von der Landmarken AG verlangen können. Aber dazu hätte die Stadt auf diesem Gebiet einen neuen Bebauungsplan aufstellen müssen. Darauf hat sie verzichtet.
Auf die Frage, warum das passiert ist, schickt die Stadt eine lange Erklärung, in der sie auf drei Ratsbeschlüsse verweist, in der aber im Grunde nur steht: Man hat das eben so miteinander abgestimmt. Der Rat hat es beschlossen.
Aus welchen Gründen das tatsächlich passiert ist, lässt sich im Nachhinein schwer belegen. Was sich aber sagen lässt: Es war sicher im Interesse der Landmarken AG, keine Sozialwohnungen bauen zu müssen. Und es lag im Interesse der Stadt, dass der Bau nicht noch weiter hinausgezögert wird.
Das war nämlich ohnehin schon passiert. Aus der Politik heißt es, die Landmarken AG und die Bahn hätten sich lange um den Bau an der Bahnhofsrückseite gestritten. Am Ende sei die Stadt dem Unternehmen bei dem Kaufpreis für das Grundstück entgegengekommen.
Für Landmarken ein gutes Geschäft
Ob ein Streit tatsächlich ein Grund für einen Nachlass beim Preis für das Grundstück war, lässt sich nicht sagen. Dass dieses Geschäft stattgefunden hat, schon. Landmarken bekam von der Stadt das Grundstück. Günstig fiel der Preis aber vor allem deshalb aus, weil das Unternehmen im Gegenzug den Rohbau der Radstation lieferte.
Das geht aus einem nicht-öffentlichen Verwaltungspapier aus dem Jahr 2017 hervor, das wir einsehen konnten. Der Preis für das 3.743 Quadratmeter große Grundstück wird in dem Papier mit 3,3 Millionen Euro beziffert. Die Stadt zieht 1,75 Millionen Euro für die Radstation ab, die sie von Landmarken bekommt. Bleibt ein Kaufpreis von 1,55 Millionen. So ergibt sich für das Grundstück ein Quadratmeterpreis von 441 Euro. Verrechnet man die Radstation nicht, sind es 882 Euro.
Aus heutiger Sicht erscheinen beide Preise wie Schnäppchen. Der Richtwert zum Bodenpreis von damals lässt sich im Landesportal Boris nicht mehr nachschlagen. Heute liegt er an dieser Stelle bei 1.800 Euro pro Quadratmeter.
Auf der anderen Bahnhofsseite sind die historischen Daten verfügbar. Zum Vergleich: Hier ist der Richtwert pro Quadratmeter in fünf Jahren von 3.000 Euro (2017) auf 4.000 Euro (2022) gestiegen, also um ein Drittel.
In jedem Fall war der Kauf für die Landmarken AG ein gutes Geschäft. Eigentlich gehörten zur Abmachung auch noch 400 Fahrradstellplätze. Aber die erließ man dem Unternehmen für eine einmalige Ablösezahlung. Auch darüber dürfte Landmarken sich nicht geärgert haben.
Es gab noch weitere Änderungen: Aus den anfänglich geplanten Büros wurden Wohnungen. Auch an dieser Stelle bleiben Fragen offen. Die Stadt schreibt, Landmarken habe in den Verhandlungen aufgrund von „Nachfragemangel im Bürobereich die Büronutzung in Wohnnutzung verändert“.
Die Begründung ist überraschend. In Münster ist kaum etwas so knapp wie Büroflächen. In der Büromarktstudie für Münster aus dem Jahr 2016 ist die Rede von einem Angebotsengpass für die Stadt, der nun schon seit zehn Jahren andauere. Fünf Jahre später, im Jahr 2021, hat sich die Situation weiter zugespitzt. Es gibt noch weniger freie Büros, im Grunde so gut wie gar keine mehr. Der Druck auf den Markt nimmt zu. Die Preise steigen. Hinweise auf einen Nachfragemangel sind nicht zu erkennen.
Der Rat stimmte dem Beschluss damals zu. Zwei Jahre später wurde „Poha House” gegründet. In diesem April zogen in Münster die ersten Menschen ein.
Ein Problem, das etwas größere Ausmaße hat
Das alles ist kein Skandal. Es ist an vielen Stellen undurchsichtig, einiges ist nicht ganz schlüssig, es bleiben Fragezeichen. Aber immerhin ist neuer Wohnraum entstanden, und es scheint so, als gebe es für dieses Angebot eine Nachfrage.
Die Frage ist nur: Was wird passieren, wenn das irgendwann nicht mehr der Fall sein sollte? Dann könnte die Stadt hier ein Problem bekommen, das etwas größere Ausmaße hat.
Rund um den Bahnhof ist eine gewaltige Monokultur aus Ein- und Zwei-Zimmer-Apartments entstanden. Und was, wenn das Gefüge hier irgendwann aus dem Gleichgewicht gerät und die jungen Berufstätigen mit Geld in dieser Gegend nicht mehr wohnen wollen? Das ist keine Dystopie, sondern eine Situation, die viele Städte schon erlebt haben, auch Münster.
In den 1960er- und 1970er-Jahren baute man Satellitenstädte und Wohnkasernen, die etwas anderes werden sollten, als sie wurden, und die vor allem als Problemviertel Karriere machten.
Der Weiße Riese, das Hochhaus, das über Berg Fidel ragt, war ursprünglich für Menschen gedacht, die etwas besser wohnen wollen, für Professoren, für die obere Mittelklasse. Davon zeugt noch immer das Schwimmbad im Erdgeschoss, das seit vielen Jahren verfällt.
So etwas muss nicht passieren, aber es ist möglich, dass der Wind sich dreht. Ende des vergangenen Jahres meldete das Handelsblatt, das Unternehmen „Poha House“ werde sein Wachstumstempo drosseln. Es war die Rede von „Herausforderungen am Co-Living-Markt“. Der Fokus sei nun ein anderer, sagte Lea Hermanns: Nachhaltigkeit. (rhe)
Nachtrag, 4. Oktober:
Nach der Veröffentlichung des Textes meldete sich eine Person bei uns, die uns sagte, nicht der Zoo habe Apartments im “Poha House” gemietet, sondern der Zoll. Und tatsächlich: Ein Sprecher schreibt auf Nachfrage: „Die Generalzolldirektion hat insgesamt 125 Appartements im ‘Poha House’ zur Unterbringung von Nachwuchskräften des gehobenen Dienstes angemietet.“ Wir rechnen also zusammen: Die Uniklinik hat 50 Zimmer gemietet, das Theater fünf, und dann kommen noch einmal zehn von der Uni Münster hinzu. Auch dort hatten wir gefragt. Macht zusammen 190 von 313 Apartments, die von öffentlichen Einrichtungen oder Institutionen als eine Art Gästehaus gebucht werden. Und noch eine aktuelle Information: Das Hansator, in dem sich das „Poha House” befindet, gehört seit Anfang Oktober der Immobilienverwaltungsgesellschaft Hamburg Team.
+++ Fangen wir mit einer guten Portion Optimismus an: Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO ist das Ende der Coronapandemie in Sicht. Ende vergangener Woche wurde WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus in mehreren Medien mit dem Satz zitiert: „Wir waren noch nie in einer besseren Position, um die Pandemie zu beenden“, so stand es zum Beispiel in der taz und auf der Seite der Tagesschau. Das liege an der relativ milden Omikronvariante und dem Immunschutz durch Infektion und Impfung in weiten Teilen der Bevölkerung. In der Woche vom 12. September seien der WHO so wenige Coronatote wie zuletzt zu Beginn der Pandemie im März 2020 gemeldet worden. Was gibt es jetzt noch zu tun? Medizinisches Personal sollte am besten zu 100 Prozent geimpft sein, für die Gesamtbevölkerung reiche ein Impfschutz von mindestens 70 Prozent, um vulnerable Gruppen zu schützen. Laut WHO müsse man auch auf dem Weg ins Pandemie-Ende weiterhin regelmäßig testen. Insgesamt sind bisher 6,5 Millionen Menschen auf der Welt an oder mit Covid-19 gestorben. Die Zahl der weltweit verabreichten Impfdosen liegt bei 12 Milliarden, ist aber sehr unterschiedlich verteilt. (sfo)
+++ Das Ende der Pandemie mag in Sicht sein, aber noch ist sie nicht vorbei. Das zeigt auch der Blick auf die aktuellen Infektionszahlen: 1.117 Menschen gelten in Münster zurzeit als nachweislich infiziert. In den vergangenen sieben Tagen hatten durchschnittlich 248 von 100.000 Einwohner:innen einen positiven PCR-Test. Auf der Intensivstation muss eine covid-kranke Person invasiv beatmet werden. (sfo)
+++ Gestern hat die Stadt außerdem den 231. Todesfall im Zusammenhang mit Covid-19 gemeldet. Das ist die erste Meldung seit dem 25. August 2022. (sfo)
+++ Die letzte Coronanachricht für heute: Die Ständige Impfkomission empfiehlt seit heute eine Auffrischungsimpfung (also einen dritten Stich) für alle über 12-Jährigen mit den neuen Omikronimpfstoffen. Für die Grundimmunisierung, also die erste und die zweite Impfung, sind die angepassten Impfstoffe allerdings nicht zugelassen. Eine Empfehlung für eine zweite Auffrischung (vierte Impfung) gibt es weiterhin nur für bestimmte Personengruppen, etwa medizinisches Personal und Menschen ab 60 Jahren. (sfo)
+++ Weil sich über 50.000 Menschen die Andy-Warhol-Ausstellung angeschaut haben, hat das Picasso-Museum die Öffnungszeiten verlängert und bietet mehr Führungen an. (Evangelischer Pressedienst, hier Westfälische Nachrichten)
+++ Die 80 gelben Stühle am Domplatz (sogenannte Dom-Oase) bleiben bis zum 16. Oktober und damit länger als geplant auf den Anwohnerparkplätzen stehen. (Stadt Münster)
+++ Kita I: Das Amt für Kinder, Jugendliche und Familien sucht Träger für zwei Kitas, die bis 2025 im Oxford- und im York-Quartier gebaut werden sollen. (Stadt Münster)
+++ Kita II: Gestern begannen die Bauarbeiten für die Kita Uppenberg an der Grevener Straße, die Ende 2023 fertig sein soll. (Stadt Münster)
+++ Beim Smart City Index, der die Digitalisierung deutscher Großstädte untersucht, ist Münster um fünf Plätze auf Rang 18 von 81 gefallen. (Digitalverband Bitkom)
+++ Die größeren Unternehmen in Münster zögern bislang bei der Auszahlung von Inflations-Boni für die Beschäftigten. (Antenne Münster)
+++ Der Ausbau der A1 zwischen Hiltrup und Ascheberg hat heute begonnen. (WDR)
+++ In einer Studie über die Repräsentation von Frauen in der Kommunalpolitik der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung und der Fernuni Hagen belegt Münster den 57. von 77 Plätzen. (Heinrich-Böll-Stiftung)
Heute gibt es zwei Empfehlungen für Sie, aber das Gute ist, beide Tipps finden Sie am Bohlweg 68. Seit 2010 verkauft dort Grün & Form wunderschöne Keramikwaren wie Tassen, Schüsseln und Blumentöpfe. Die Keramik wird unter anderem in Italien hergestellt und in Münster verkauft. Darüber hinaus bietet Grün & Form auch andere schöne Sachen für die eigenen vier Wände an: schlichte Möbel aus Holz, Lampen und Dekoration. Und falls Sie beim Stöbern eine Pause brauchen, können Sie nebenan Platz nehmen. Dort, wo früher eine Röstbar-Filiale war, hat vor Kurzem ein neues Café eröffnet. Es heißt Eleebana und serviert Kaffee, veganen Kuchen, frische Waffeln und herzhafte Snacks. (sfo)
Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!
Viktoria Pehlke hat sich angeschaut, was in den kommenden Tagen alles in der Stadt los ist. Diese schönen Veranstaltungen hat sie gefunden:
+++ Ein Tipp für die Spontanen unter Ihnen: Heute Abend gibt die Münsteraner Deutschrockband Tulpe ab 20 Uhr ihr Debütkonzert im Hot Jazz Club. Die Karten an der Abendkasse kosten 14 Euro.
+++ Noch bis Donnerstag können Sie sich an der Salzstraße 26-28 die Ausstellung „Alles in Bewegung“ zum Mobilitäts-Masterplan 2035+ ansehen. Und Sie können auch mitdiskutieren: Was fehlt Ihnen im Mobilitätsangebot der Stadt? Welche Aspekte funktionieren für Sie gut, und wie reflektieren Sie Ihr eigenes Verkehrsverhalten? Wer es bis Donnerstag nicht dorthin schafft, kann sich die Inhalte online ansehen und am Beteiligungsverfahren bis zum 10. Oktober teilnehmen.
+++ Am Freitag findet der nächste globale Klimastreik statt. Um 14 Uhr treffen sich Demonstrierende am Schlossplatz und ziehen von dort aus durch die Stadt.
+++ Einen Tag später geht’s am Prinzipalmarkt mit der nächsten Demo weiter. Um 16 Uhr beginnt dort am Samstag ein Protest für den Erhalt des Gasometers.
+++ Auch die Kidical Mass ist diese Woche wieder zurück. Am Sonntag rollt die Demonstration für eine kindgerechte und sichere Mobilität durch die Stadt. Sportlich wird’s auch: Die Demo will eine Strecke von neun Kilometern zurücklegen. Startpunkt ist um 14 Uhr der Stubengassenplatz.
+++ Erwin Kostedde ist Fußballfans wahrscheinlich ein Begriff. Der Münsteraner war 1974 der erste Schwarze Fußball-Nationalspieler. Darüber hat er jetzt ein Buch geschrieben, das er nächsten Dienstag zusammen mit dem Sportjournalisten Alexander Heflik in der Pension Schmidt vorstellt. Einlass ist um 19 Uhr. Tickets für die Veranstaltung gibt es online.
+++ Das Wandertheater „Schilfgeflüster“ feiert am Freitag Premiere in den Rieselfeldern. Das Ensemble „Plateau im Schilf“ hat eine Entdeckungsreise durch die Natur vorbereitet und spielt sie am Wochenende im Informationszentrum Rieselfeldhof an der Coermühle 100: Am Freitag eine Aufführung um 18 Uhr, am Samstag um 14 und 18 Uhr und am Sonntag um 12 Uhr. Der Eintritt ist frei, aber Sie müssen sich per E-Mail anmelden.
Und noch ein Hinweis von mir auf eine Veranstaltung bei RUMS, also bei uns im „localhost“ gegenüber vom Theater.
+++ Beim Hausgespräch am Montag sind das Kollektiv Baukreisel und das Referat Stadtverbesserung zu Gast, beides sind Zusammenschlüsse von Architekt:innen. Das Thema wird sein: „Bauen – Fluch oder Segen?” Nein, Scherz. Der Titel lautet: „Bauwende denken / Bauwende machen?” Veranstalter sind die Initiative „Freihaus ms“ und der Verein „Baukultur Nordrhein-Westfalen” (auch sehr viele Architekt:innen). Eintritt: für umme. Los geht’s um 19 Uhr.
Am Freitag schreibt Ihnen Constanze Busch. Ich wünsche Ihnen eine gute Wochen. Lassen Sie sich nicht unterkriegen.
Herzliche Grüße
Ralf Heimann
Mitarbeit: Sebastian Fobbe, Viktoria Pehlke, Constanze Busch
Lektorat: Melanie Kelter
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PS
Der 22-jährige Lukas Baumeister aus Münster hat eine Radtour gemacht, und das klingt noch nicht so spektakulär, aber warten Sie: Er ist von Münster nach Portugal gefahren. Das klingt schon anders, oder? Die Strecke ist schnell beschrieben: über die Hammer Straße nach Hiltrup raus und dann immer Richtung Südwesten. Lukas Baumeister hat für den Hin- und Rückweg, insgesamt 9.000 Kilometer, fünf Monate gebraucht. Auf dem Weg wäre er fast von einer Kuh zertrampelt worden, und der Satz, den er am häufigsten hörte, war: „So eine Reise hätte ich auch gern gemacht, aber jetzt ist es zu spät.“ Ungefähr so ist es auch bei mir, wobei ich vielleicht sagen würde: „Aber jetzt ist es zum Glück zu spät.“ Man ist ja schon hier in der „Fahrradstadt” überfordert. Was man aber gefahrlos machen kann: die Reiseberichte in Lukas Baumeisters sehr schön bebildertem Blog lesen – nur eben am besten nicht beim Fahrradfahren. (rhe)
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