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Eine kleine Sommerpause | Gastbeitrag von Stefan Tigges über die S-Bahn Münsterland | Klima-Update: Münster, die Fahrradstadt mit viel Autoverkehr
Guten Tag,
eigentlich sollte hier ein ganz normaler Newsletter beginnen, aber heute Morgen kam leider eine sehr traurige Nachricht. Ein Todesfall in der Familie. Daher haben wir den Plan für diese Woche geändert. Der RUMS-Brief fällt heute etwas kürzer aus, am Freitag machen wir eine kleine Sommerpause. Aber am Sonntag kommt schon wieder eine Kolumne, am Dienstag ein neuer RUMS-Brief.
Heute finden Sie weiter unten einen Gastbeitrag des Verkehrsunternehmers Stefan Tigges, der sich mit dem Plan beschäftigt eine S-Bahn fürs Münsterland zu bauen. Tigges rät dazu, einen Blick nach München zu werfen, wo man mit einem großen S-Bahn-Projekt schon etwas weiter ist. Dort haben sich in den vergangenen Jahren einige Probleme gezeigt, die laut Tigges ganz typisch für solche Vorhaben sind. Kann man in Münster daraus lernen? (rhe)
+++ Der Eichenprozessionsspinner lässt sich in diesem Jahr nicht so stark blicken im Münsterland. Das hat Biologe Ole Theisinger der deutschen Presseagentur gesagt, hier zitiert von der Süddeutschen Zeitung. Gründe dafür sind zum einen Schädlingsbekämpfung, die Stadt Münster hat zum Beispiel in den vergangenen Jahren Biozide aufgesprüht und die Falterlarven abgesaugt. Zum anderen regle das aber auch die Natur: Insekten legten ihre Eier in die Larven. Die wiederum sind da, wo auch möglichst viel blüht. Also: Blühflächen helfen auch gegen Eichenprozessionsspinner. Warum man denen noch einmal nicht begegnen will? Sie haben Brennhaare, die starke allergische Reaktionen hervorrufen können. (sst)
+++ Wovon Sie sich auch lieber fernhalten sollten, sind die Blaualgen im Aasee, die 2018 das Fischsterben mitverursacht haben. Heute meldet die Stadt, dass die Verwaltung erneut eine hohe Blaualgenkonzentration im Aasee festgestellt hat. Die Algen sind giftig, schon der bloße Hautkontakt kann Reizungen verursachen. Kontaminiertes Wasser zu trinken, kann zu schwerwiegenden Reaktionen führen wie Durchfall, Erbrechen und Atemwegserkrankungen. In der Pressemeldung heißt es, die Stadt kontrolliere die Wasserqualität im Aasee gerade engmaschig. Vor allem in Bereichen, wo viel Wind weht, wachsen viele Blaualgen, beispielsweise bei der Treppe an den Aasee-Kugeln. Seit dem vergangenen Jahr versucht die Stadt, die Wasserqualität im Aasee dauerhaft zu verbessern. (sfo)
+++ Die Schuleingangsuntersuchungen starten, meldet heute das Presseamt. Diesmal mit einem neuen Konzept: Die Kinder werden nicht mehr von Schulärzt:innen, sondern von medizinischen Fachangestellten untersucht. Die Ärzt:innen sollen dadurch mehr Zeit für andere Tätigkeiten haben, etwa für Beratungen zu Inklusion, Entwicklungsverzögerungen und Schulabsentismus oder für Schulsprechstunden, die pandemiebedingt von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Auffälligkeiten stärker nachgefragt werden. (sfo)
+++ Der Imkerverein Greven teilt auf Twitter, dass die Stadt Münster ab diesem Jahr auf eine Allgemeinverfügung zur Behandlung der Varroamilbe verzichtet. Für alle Nicht-Imker:innen: Die Varroamilbe ist ein verbreiteter Schädling, der für das Sterben von Bienenvölkern verantwortlich ist. Deswegen müssen Imker:innen ihre Völker jedes Jahr dagegen schützen, wenn sie das verhindern wollen. Warum man auf die Anordnung dann verzichtet? Sie binde viele Ressourcen und umliegende Gemeinden hätten keine Auswirkung auf die Bienenvölker festgestellt, seitdem sie ihre Allgemeinverfügung abgeschafft haben. „Ein gewissenhafter Imker […] behandelt seine Völker zuverlässig selbstständig und bedarf keiner besonderen Aufforderung“, schreibt das Veterinäramt. Und alle anderen würde man damit eh nicht erreichen. (sst)
Wie es weiterging – mit dem Busfahrermangel
Die Recherche über den Busfahrermangel hat einige Reaktionen hervorgerufen. Uwe Rennspieß hat unter dem RUMS-Brief kommentiert, die Stadtwerke hätten zu spät eine duale Ausbildung für Fachkräfte im Fahrdienst angeboten. Tatsächlich existiert dieser Ausbildungsberuf seit 2002, also seit mehr als zwanzig Jahren. Warum bieten die Stadtwerke Münster die Ausbildung aber erst seit dem vergangenen Jahr an?
Sprecher Florian Adler antwortet, die Stadtwerke mussten bei den Behörden eine Ausnahmeerlaubnis erwirken, damit die Auszubildenden eine Berufsschule in Osnabrück (also außerhalb von Nordrhein-Westfalen) besuchen dürfen. Adler weist außerdem darauf hin, dass die Fachkräfte im Fahrbetrieb später nicht unbedingt als Busfahrer:in arbeiten, sondern verschiedene Aufgaben im Bereich der Mobilität übernehmen können.
Eine RUMS-Leserin wies uns in einer E-Mail außerdem darauf hin, dass Fahrlehrer:innen für Busfahrer:innen fehlten. Das könnte die Qualifikation verzögern und den Personalmangel im Busverkehr verstärken. Bei unserer Recherche finden wir leider keine genauen Angaben zum Busfahrerlehrermangel in Münster. Ein Gefühl für das Problem vermittelt aber ein Papier des europäischen Verkehrsverbands Moving aus dem Jahr 2020: Demnach bietet ein Fünftel der Fahrschulen in Deutschland einen Busführerschein an. Das Lehrpersonal sei überaltert und der Personalengpass bereits in den Fahrschulen spürbar.
Trifft das auch auf die Region zu? Dazu ein Anruf beim Fahrlehrerverband Westfalen in Recklinghausen. Der Vorsitzende Martin Fellmer sagt am Telefon, man könne derzeit noch nicht von einem Busfahrlehrermangel sprechen. Das dürfte sich aber bald ändern. Der Bund hat 2018 das Fahrlehrgesetz reformiert, seitdem brauchen Fahrlehrer:innen nur einen Autoführerschein. Davor mussten sie auch einen Lkw- und Zweiradführerschein haben, um den Beruf ausüben zu können.
Ein Busführerschein ist allerdings nie verpflichtend gewesen. Fellmer glaubt, dass durch die neuen Voraussetzungen für den Beruf die Bereitschaft abnimmt, auch Busfahren zu unterrichten. „Wer noch keinen Kontakt zum Lkw hatte, hat möglicherweise Scheu vor dem Bus“, sagt er. Eine Statistik darüber, wie viele Busfahrlehrer:innen in den nächsten Jahren in Rente gehen, führt der Verband nicht.
Und was sagen die Stadtwerke? Die arbeiten schließlich mit einer Fahrschule in Münster zusammen, um Personal in den Bus zu bekommen. Florian Adler schreibt uns, die Stadtwerke hätten „nicht das Gefühl, dass dort ein Flaschenhals in der Ausbildung entsteht“. (sfo)
Der Gastbeitrag von Stefan Tigges – Die S-Bahn Münsterland: Das Münchner Menetekel
In München gibt es ein S-Bahn-Netz, in Münster plant man eins. Und in beiden Städten läuft eine intensive Diskussion über die sogenannten Stammstrecken, die mehrere oder sogar alle Linien nutzen. Sie sind das Fundament eines S-Bahn-Systems.
In der Münchner Debatte geht es um eine zweite Verbindung dieser Art, einen elf Kilometer langen Tunnel, der größtenteils unter der Stadt verlaufen soll, parallel zur bestehenden ersten Stammstrecke. Diese soll er entlasten.
Es gab und gibt viele Vorschläge dazu, wie das auch ohne aufwendigen Tunnelneubau hätte gelingen können. Trotzdem entschied man sich im Jahr 2016 für die zweite Trasse. Sie sollte nach ersten Schätzungen 3,8 Milliarden Euro kosten und 2028 fertig sein. Den größten Teil der Kosten sollte der Bund tragen.
Im Jahr 2017 begannen die Arbeiten. In den folgenden drei Jahren schien alles nach Plan zu laufen. Dann präsentierte die Deutsche-Bahn-Tochter DB Netz AG dem bayerischen Verkehrsministerium eine Übersicht, die zeigte: Es wird alles doch erheblich länger dauern. In Zahlen: Fertigstellung frühestens 2034, wahrscheinlich 2037. Die Kosten werden sich auf 7,5 bis 8,5 Milliarden Euro belaufen. Tendenz steigend – inzwischen gibt es Schätzungen von 12 bis 14 Milliarden Euro.
Zwei Jahre lang schien es, als hätte die Nachricht weder den Vorstand der Deutschen Bahn noch den CSU-Verkehrsminister erreicht. Dabei hätte man alles nochmal überdenken können. Doch im vergangenen Jahr entschied man sich trotz der neuen Erkenntnisse, die Strecke weiterzubauen. Die zusätzlichen 4 bis 10 Milliarden Euro, die man brauchen wird, fehlen nun im öffentlichen Nahverkehr in ganz Bayern, möglicherweise in ganz Deutschland.
Die zweite Stammstrecke in München ist ein Paradebeispiel dafür, wie Großprojekte, insbesondere bei der Bahn, außer Kontrolle geraten können. Und das hat verschiedene Gründe:
- Nachträgliche Planänderungen führen regelmäßig dazu, dass Projekte immer teurer werden. Dazu kommen die üblichen Kostensteigerungseffekte sowie Komplikationen aller Art, die bei den Planungen regelmäßig unterschätzt werden.
- Oft gibt es, wie auch hier, eine Vielzahl von Beteiligten: In dem Projekt in München sind vier Vertragspartner involviert (Bund, Land, Zweckverband und die Deutsche Bahn), dazu unzählige Verwaltungen sowie Berater- und Ingenieurbüros. Letzteren geht es vor allem um Gewinnmaximierung. Jede Änderung im Plan bedeutet für sie mehr Geld. Gleiches gilt für die DB AG. Früher übernahm der Bund maximal 18 Prozent der Baukosten für die Planung. Heute ist das anders. Daher stören die Planänderungen niemanden wirklich. Die Kosten übernimmt der Bund vollständig – und die Gewinne bleiben bei den Unternehmen.
- Die politische Begeisterung ist bei solchen Projekten oft groß. Euphorische Aussagen sind gängig. Man spricht von „zukunftsfähigen Planungen“ und hält das Projekt für „unverzichtbar für die Verkehrswende“. Oft heißt es, man müsse „erst Alternativen schaffen, dann eventuell den motorisierten Individualverkehr einschränken”. Dabei ist die Komplexität von Eisenbahnbauvorhaben für die Politik nur schwer einschätzbar.
- Die Deutsche Bahn gibt (unter Berufung auf Geschäftsgeheimnisse) Bauzeitverlängerungen und Kostensteigerungen in der Regel erst dann bekannt, wenn es teurer wäre, das Projekt abzubrechen als es fortzuführen.
- Die zu erwartenden Vorteile wie Umstiegszeiten und Fahrtzeitgewinne werden üblicherweise von den Planenden überbetont, die technischen Risiken heruntergespielt. Zudem sind Fahrgastprognosen auf dem Papier oft schwierig zu treffen.
Detaillierte Pläne, zu den Kosten nichts
Schauen wir nun nach Münster. Hier sind die Planungsziele eher allgemein formuliert. Die zukünftige „S-Bahn Münsterland“ soll Straßen und Innenstädte entlasten, das Umland besser mit der Stadt Münster verbinden und die CO2-Emissionen im Verkehr deutlich reduzieren. Die meisten S-Bahnen sollen über die erste Stammstrecke zwischen Münster-Hiltrup, Hauptbahnhof und dem Haltepunkt Zentrum-Nord fahren.
Verantwortlich für den Betrieb der S-Bahn ist der Zweckverband Nahverkehr Westfalen-Lippe, zu dem unter anderem die Stadt Münster und die vier Münsterlandkreise gehören. Für den Bau der neu benötigten Anlagen ist die DB AG zuständig, also konkret die neue Gesellschaft InfraGo. Das ist eine abenteuerliche Konstruktion einer gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte (also Netz und Stationen) innerhalb des profitorientierten Konzerns DB AG.
Die Pläne sind ehrgeizig. Man möchte neue Haltepunkte und Bahnhöfe errichten, Bahnstrecken elektrifizieren und vor allem die Betriebsleistungen massiv ausbauen. Und dabei geht es inzwischen schon um die Details. Nur: Kostenschätzungen und Angaben dazu, wo das Geld herkommen soll, gibt es noch nicht.
Das ist nicht überraschend, denn die Deutsche Bahn, der, abgesehen von der WLE-Strecke, alle zukünftigen S-Bahn-Strecken gehören, möchte erst einmal einen Planungsauftrag, bevor sie zustimmt. Sie möchte zudem an dem zusätzlichen Verkehr auf ihren Strecken möglichst viel verdienen.
Der Verband plant übrigens nicht nur dieses eine Projekt. Er versucht gleichzeitig, eine S-Bahn in Ostwestfalen zu bauen. Aber kann ein kommunaler Zweckverband, der eigentlich nur für den Betrieb auf den Schienen zuständig ist, diese Projekte überhaupt stemmen?
Schon jetzt hat der Verband Geldprobleme. Er geht davon aus, dass die Finanzierungslücke nur für den Betrieb in den nächsten zehn Jahren von 500 auf 900 Millionen Euro steigen wird. Im Moment ist unklar, wie überhaupt der jetzige Betrieb weiter bezahlt werden kann. Geschweige denn, wie die Leistung ausgeweitet werden soll.
Klar ist allerdings: Die Deutsche Bahn gehört zu den schwierigsten Projektpartnern in Deutschland. Der Bundesrechnungshof hat das kürzlich in einem vernichtenden Urteil bestätigt. Das Unternehmen bezeichnete er dort als „Fass ohne Boden”.
Wenn man die Fähigkeiten der Deutschen Bahn einschätzen möchte, ist der Sonderbericht sehr interessant. Seine Reformforderungen fasst der Bundesrechnungshof dort wie folgt zusammen: „Die avisierte Fokussierung in der Konzernstrategie ‚Starke Schiene‘ oder auch der zeitlich aus dem Ruder laufende ‚Deutschlandtakt‘ sind – wie viele andere angekündigte Lösungsansätze – nur Worthülsen. Damit das System Eisenbahn seine verkehrs- und klimapolitische Rolle erfüllen kann, bedarf es grundlegender Reformen.“ Solche Reformen sind allerdings nicht in Sicht.
Kleinere Eisenbahnunternehmen haben gleichzeitig Probleme, weil ihre Kosten steigen, ihre Einnahmen aber sinken. Und die Kosten für die Instandhaltung des derzeitigen Bahnnetzes sind gewaltig. Bis 2030 werden deutschlandweit rund 90 Milliarden Euro benötigt, aber im Haushalt sind erst 43 Milliarden Euro dafür vorgesehen. Die Kosten für den Bau neuer Strecken sind darin noch nicht enthalten.
Es ist klar, wo die Haken sind
Wie zeitaufwendig, teuer und schwierig der Bau der S-Bahn Münsterland sein wird, zeichnet sich schon jetzt an verschiedenen Stellen ab.
1. Die Strecke Münster-Sendenhorst
Seit Jahren ist geplant, die Bahnlinie der Westfälischen Landeseisenbahn (WLE) zwischen Münster und Sendenhorst zu reaktivieren. Das Genehmigungsverfahren läuft seit 2020. Die Trasse ist weitgehend vorhanden, die baulichen Bedingungen sind einfach (keine Berge, keine Tunnel und die gesamte Infrastruktur ist ebenerdig; es gibt keinen Fern-, Güter- und sonstigen Nahverkehr auf der Strecke). Ursprünglich sollte der Betrieb bis Ende 2023 starten, doch daraus wird nichts. Mittlerweile spricht man von 2026. Die bestellten Fahrzeuge stehen ab Ende 2025 zur Verfügung. Die WLE hat allerdings schon vorsorglich mitgeteilt, dass noch nicht alle Grundstücksfragen geklärt sind und dass das Genehmigungsverfahren nicht vor Gericht enden darf. Dann würde es noch länger dauern. Und die Kosten laufen weiter…
2. Der Ausbau der Strecke Münster-Lünen
Schon beim Bau der 46 Kilometer langen Bahnstrecke zwischen Münster und Lünen in den 1920er-Jahren dachte man daran, hier noch ein zweites Gleis zu verlegen. Der Bahndamm und die Brücken sind daher schon dafür ausgelegt. Man achtete auch darauf, dass keine Bahnübergänge den Betrieb stören. Die Verbindung ist eine von zwei eingleisigen IC-Strecken in Deutschland. Ihr Ausbau wäre vor allem für den Fernverkehr, aber auch für den Nahverkehr wichtig. Doch er wird immer wieder verschoben. In den vergangenen Jahren sah es kurz so aus, als könnten die Arbeiten bald beginnen. Man nahm das Vorhaben in den Bundesverkehrswegeplan auf und klassifizierte es als „dringend notwendig“. Doch seitdem geht das Warten weiter. Nach den aktuellen Plänen soll bis 2070 ein kleiner Teil der Strecke, ein 5,3 Kilometer langes Stück zwischen Capelle und Ascheberg, ein zweites Gleis bekommen. Das soll ungefähr 300 Millionen Euro kosten.
3. Die Elektrifizierung
Viele Menschen fahren gerne mit der Bahn zwischen Münster und Enschede. Derzeit mit Zügen, die mit Dieselmotoren angetrieben werden. Um schneller und mit höherer Sitzplatzzahl fahren zu können, soll die Strecke elektrifiziert werden. Nach ersten Plänen soll das etwa 100 Millionen Euro kosten und schnell umgesetzt werden. Um abzuschätzen, wie realistisch das ist, lohnt ein Blick auf die Strecke zwischen Oldenburg und Wilhelmshaven. Auch dort hat man Oberleitungen gebaut und kleinere Ausbaumaßnahmen vorgenommen. 2008 ging es los, 2010 sollte alles fertig sein. Doch das gelang nicht. Tatsächlich endeten die Arbeiten erst vor etwas mehr als einem halben Jahr, im Dezember 2022. Und es wurde auch alles etwas teurer, als man gedacht hatte. Die ursprünglichen Planungen hatten Kosten von etwa 20 Millionen Euro vorgesehen, am Ende standen unter dem Strich Kosten in Höhe von einer Milliarde Euro.
4. Neue Haltepunkte
Der neue Haltepunkt Münster-Mecklenbeck ist eines der wenigen Infrastrukturprojekte, die die Deutsche Bahn in den vergangenen Jahren erfolgreich umsetzen konnte. Nach einer Bauzeit von nur anderthalb Jahren und mehrmonatiger Streckensperrung, nahm man den Haltepunkt 2018 in Betrieb. Hier ist allerdings kein Umstieg in andere Züge möglich, nur Ein- und Ausstiege in die Züge von und nach Coesfeld sind machbar. Im Netz der S-Bahn Münsterland sind viele neue Haltepunkte auch an Hauptstrecken geplant. Sie einzurichten, ist erheblich aufwendiger, als einen ebenerdigen Bahnsteig auf einer eingleisigen Nebenstrecke zu bauen, vor allem auf zweigleisigen, elektrifizierten Strecken, die auch vom Fern- und Güterverkehr genutzt werden.
Das Kreuz mit den neuen Kreuzen
Die neuen Ideen, etwa die Einrichtung der Stammstrecken-Haltepunkte Südkreuz (zweieinhalb Kilometer vom Hauptbahnhof entfernt) und Nordkreuz (gut eineinhalb Kilometer vom Hauptbahnhof entfernt) als „Vorverteilerstationen“ für den Hauptbahnhof, klingen auf den ersten Blick interessant, in der Realität bringen sich jedoch viele Schwierigkeiten mit sich.
- Während der Bauzeit ist damit zu rechnen, dass der Verkehr beeinträchtigt wird, Strecken gesperrt oder auch ganz stillgelegt werden müssen.
- Das Südkreuz erstreckt sich über eine außerordentlich große Fläche. Das bedeutet: lange Wege für Menschen, die umsteigen möchten. Dadurch gehen Fahrzeitgewinne verloren.
- Beim Nordkreuz liegen alle Strecken bereits erhöht. Der Neubau der Haltepunkte muss hier also vollständig auf einer höheren Ebene geschehen. Das ist aufwendig und extrem teuer.
- An beiden Stationen existiert kaum nennenswerte Infrastruktur für den öffentlichen Verkehr. Würde man sie herstellen, müsste die Stadt Münster das zahlen.
- Attraktive Umsteigepunkte brauchen Infrastruktur: Einkaufsmöglichkeiten, Informationen, Toiletten, Aufenthaltsmöglichkeiten, weitere Angebote für den öffentlichen Verkehr und so weiter. All das kann an Süd- und Nordkreuz vermutlich nicht realisiert werden. Das zeigen die Erfahrungen am Bahnhof Hiltrup.
Schaut man sich die Entwürfe für das Südkreuz an, werden die Herausforderungen deutlich: Es sind drei Haltepunkte auf zwei Ebenen geplant. Sie liegen allesamt in Kurven. Um sie zu bauen, sind aufwendige Arbeiten nötig. Aber selbst wenn das gelingt, können Menschen, die den Bahnsteig aus dem Norden oder Westen erreichen wollen, dies nur über die Hammer Straße tun. Das Industriegebiet im Osten des Haltepunkts ist vor allem für den Autoverkehr ausgelegt, entsprechend wenig Nachfrage ist hier zu erwarten.
Ein weiteres riesiges Problem ist zudem, dass die Einrichtung und der Betrieb der Kreuze die Fern- und Güterverbindungen Richtung Nord- und Ostsee erheblich beeinträchtigen werden. Der gesamte Güterverkehr Richtung Rheine/Emden/Nordsee fährt zurzeit über die Stammstrecke. Züge im Personenfernverkehr müssen aber zwingend den Hauptbahnhof erreichen. Es besteht deshalb das erhebliche Risiko, dass die Kreuze Münsters Anbindung an den Fernverkehr und den norddeutschen Güterverkehr erheblich gefährden.
Verkehrlich ein Provinzprojekt
Und nun wieder ein Blick nach München. Für die S-Bahn Münsterland gibt es viele Pläne. Sie sind bemerkenswert ambitioniert, detailliert und aufs Jahr genau festgelegt. Aber es ist überhaupt nicht klar, wer das alles bezahlen soll. Hier beginnen die Probleme, die auch den Menschen in Münster und dem Münsterland angesichts der zweiten Münchener Stammstrecke Sorgen bereiten sollten.
- In München musste man sich entscheiden: Nehmen wir eine teure große Lösung oder viele kleinere Verbesserungen (wie Straßenbahn-, U-Bahn-Ausbau, Ausbau anderer Bahnstrecken)? Man hat sich für die luxuriöse Großlösung entschieden. Das wird nun für alle Beteiligten zum Problem. Bis zur Inbetriebnahme der zweiten Stammstrecke im Jahr 2038 ist dem Münchner S-Bahn-Verkehr in keiner Weise geholfen. Der bayerische Verkehrsminister hat soeben Maßnahmen vorgestellt, die das Münchener S-Bahn-Netz kurzfristig verbessern könnten, doch für sie fehlt nun das Geld.
- Andere Vorhaben im regionalen Schienen- und im öffentlichen Bus- und Bahnverkehr hat man schon zurückgestellt, weil sie nicht mehr finanzierbar sind. Sie haben vielleicht nicht den Vorzeigecharakter des Großprojekts, aber wenn es darum geht, die Verkehrsprobleme zu lösen, hätten sie wahrscheinlich eine größere Wirkung gehabt.
- Die unterschiedlichen Interessen der Verantwortlichen (auftraggebende Zweckverbände), der Zuschussempfänger (Unternehmen der DB AG) und der möglichen oder vorgesehenen Zuschussgeber (Bund und Land) sind extrem komplex. Bei der zweiten Stammstrecke in München ist zum Beispiel aktuell unklar, wer die zusätzlichen Kosten tragen soll. Das ist bezeichnend für die (gewollte?) Blauäugigkeit, mit der die Beteiligten mit dem Projekt gestartet sind.
- Es ist naiv, zu glauben, dass die Deutsche Bahn mit ihren unterschiedlichen Interessen (Güterverkehr, Fernverkehr, Erhalt aller Planungskosten, Gleichbehandlung aller Bundesländer) und einer unklaren Unternehmensausrichtung das S-Bahn-Projekt Münsterland besonders attraktiv finden könnte und dafür andere Vorhaben auf Eis legt.
Alles in allem lässt sich sagen: Großstadt-Begriffe wie „Nordkreuz“ und „Südkreuz“ täuschen nicht darüber hinweg, dass die S-Bahn Münsterland, selbst wenn sie wie geplant kommen sollte, verkehrlich eher ein Provinzprojekt ist.
Hinzu kommt: Münsters kurzfristige Klimaziele sind mit der umfangreichen Großbaumaßnahme der S-Bahn Münsterland schlicht nicht zu erreichen. Um die prognostizierten langfristigen Effekte zu erzielen, müsste zudem der motorisierten Individualverkehr (MIV) teurer werden. Aktuell stellt der Bund jedoch ständig neue konkrete Förderprogramme für den MIV vor, während die entsprechenden Ausbaumaßnahmen im bundesweiten Bahnverkehr völlig unkonkret bleiben. Die geplante Umsetzung des Deutschlandtaktes bis 2070 spricht hier Bände.
Die Vorteile der kleinen Lösungen
Aber was braucht das Münsterland wirklich? Es gibt mehrere Projekte, die nahezu alle Beteiligten im Verkehrssektor als wichtig einstufen.
- Vorrangig ist der Ausbau der vorhandenen Stärken. Neben dem Radverkehr ist dies das vorhandene Schnellbussystem sowie die grundsätzlich sehr gute Anbindung an den Fernverkehr.
- Dabei ist es wichtig, die Kapazität des Hauptbahnhofs zu verbessern und die Verknüpfung Schiene-Bus an zentraler Stelle neu zu gestalten.
- Die Wiederanlage früher geschlossener Haltepunkte, etwa in Mauritz-Mitte oder in Münster-Kinderhaus, bietet viele Chancen für neue Ein- und Umstiege.
- Es ist eine gute Idee, auf der Bahnverbindung zwischen Münster und Dortmund ein zweites Gleis zu verlegen.
- Einiges wäre erreicht, wenn schnelle Busse, sogenannte Metrobusse, zwischen dem Hauptbahnhof und den Außenbezirken fahren würden, vor allem in die Stadtteile, die auch mit der S-Bahn schlecht erreichbar bleiben werden. Das beträfe Gievenbeck, Nienberge, Kinderhaus, Handorf und Coerde.
- Gut wäre, wenn es mehr Mobilstationen und Möglichkeiten gäbe, Fahrräder mitzunehmen oder abzustellen.
Die Vorstellung eines großen S-Bahn-Systems mit Süd- und Nordkreuz, das sich in Planung und Benennung an den großen S-Bahn-Projekten in Deutschland orientiert, ist nicht nur überzogen und realitätsfern, es löst auch die Probleme nicht, die in Münster und der Region existieren.
Es sind keine weiteren „Vorverteiler“- Umsteigestationen erforderlich, um den Hauptbahnhof zu entlasten. Stattdessen sollte die Stadtverwaltung endlich den bereits beschlossenen Planungsauftrag angehen, in dem die Politik zurecht einen Entwurf fordert, wie die Kapazität des Hauptbahnhofs als zentrale Umsteigestation erweitert werden kann.
Wichtig sind konkrete und gut geplante Einzelmaßnahmen, die sich möglichst leicht umsetzen lassen. Die Aussicht darauf, im Jahr 2040 mehr Menschen transportieren zu können, darf nicht dazu führen, dass alle anderen Maßnahmen aufgeschoben werden. Schon der Klimaschutz macht es nötig, dass es hier schneller geht.
Wer sollte den dringend benötigten neuen Busbahnhof am Hauptbahnhof fördern, wenn die Stadt gleichzeitig neue Verteilstationen mit Bus- und Bahn-Anbindung wenige Kilometer weiter plant?
Die dringend benötigten Haltepunkte auf den Strecken nach Warendorf, Gronau oder Osnabrück sind zurzeit für die Jahre 2040 und darüber hinaus geplant. Es wäre sicher sinnvoller, diese vorzuziehen und mit viel weniger Aufwand und in kürzerer Zeit mehr Fahrgäste zu erreichen als mit den großen und teuren Kreuz-Lösungen.
Man kann das alles in einem Bild gut verdeutlichen. Wenn das Bahnsystem im Münsterland ein altes Mietshaus wäre, dann würden die Menschen, die hier leben, feststellen, dass einiges ausgebessert und saniert werden müsste. Das könnten sie nicht selbst bezahlen, aber sie würden es fordern – von einer Immobiliengesellschaft, die selbst hochverschuldet ist. Doch eben leider nicht mit effizienten und preiswerten Lösungsvorschlägen. Stattdessen würden sie mit Hinweis auf größere und viel besser ausgestattete Häuser für das eigene Haus einen Swimmingpool (Südkreuz) und Tennisplätze (Nordkreuz) fordern. Erreichen würden sie damit allerdings vermutlich nicht, dass ihr Haus die notwendige Sanierung bekommt. Denn solange über Luxussanierung gesprochen wird, können die Entscheidungen für kleine, sinnvolle und bezahlbare Verbesserungen nicht erfolgen.
(Korrekturhinweis: In einer ersten Version hieß es, um die Klimaziele zu erreichen, müssten Alternativen zum MIV teurer werden. Das ist falsch. Der MIV muss teurer werden.)
Über den Autor
Stefan Tigges, Jahrgang 1966, wohnt in Münster und hat Volkswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Verkehrswissenschaften studiert. Nach verschiedenen Tätigkeiten bei Aufgabenträgern, öffentlichen und privaten Verkehrsunternehmen (unter anderem bei der Deutschen Bahn) gründete er 2005 ein eigenes Eisenbahnverkehrsunternehmen und war hier 13 Jahre als Geschäftsführer tätig. Seit 2007 führt er ein eigenes Busunternehmen.
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Korrekturen
Am Freitag schrieben wir im Klima-Update über eine Greenpeace-Studie. In unserer Meldung hieß es, auf vielen Urlaubsrouten sei Bahnfahren teurer als Zugfahren. Richtig ist, Bahnfahrten sind oft teurer als Flugreisen. Diesen Fehler haben wir richtiggestellt. (sfo)
+++ Dass sich Münster gerne als Fahrradstadt darstellt, aber in Wahrheit nur eine Stadt mit vielen Fahrrädern ist, scheint sich allmählich auch außerhalb der Stadtgrenzen herumzusprechen. Der Journalist Paul Meerkamp hat für „Zeit Online“ die Google-Umweltdaten mehrerer Städte miteinander verglichen. Seine Auswertung zeigt, dass Menschen in Münster zwar viel Fahrrad fahren, aber selten zu Fuß gehen oder Bus fahren. Das nützt dem Klimaschutz letztlich wenig. Denn unterm Strich ist der Anteil des Umweltverbundes (also alle klimaschonenden Verkehrsmittel) geringer als in anderen Städten mit einer schlechteren Fahrradverkehrsquote. So kommt der Umweltverbund in Münster beispielsweise auf 56 Prozent, in Stuttgart allerdings 63 Prozent und in Berlin auf 71 Prozent. (sfo)
+++ Bleiben wir noch kurz beim Verkehr: Was bringt eigentlich das Deutschlandticket? Eine Auswertung von Handydaten zeigt laut deutscher Presseagentur (hier: Tagesschau), dass mehr Menschen Zug fahren als vor der Einführung des 49 Euro teuren Bahnabos. Im Juni soll die Zahl der Pendelfahrten etwa ein Viertel über dem Anteil im April gelegen haben. Ob aber auch Autofahrten ersetzt werden, geht aus der Meldung nicht hervor. Das 9-Euro-Ticket hat jedenfalls kaum Autofahrten ersetzt, wie eine Mobilfunkdatenanalyse des statistischen Bundesamts zeigt: Der Schienenverkehr stieg zwar sprunghaft an, gleichzeitig nahm der Straßenverkehr aber nur geringfügig ab. Heißt also, die Züge haben Autos nicht ersetzt, sie wurden nur zusätzlich genutzt. Ob sich dieses Schicksal beim Deutschlandticket wiederholt, werden wir sehen. Der Unterschied zwischen den beiden Tickets besteht schließlich darin, dass das 9-Euro-Ticket befristet war und sich Schnäppchenjäger:innen dieses Sonderangebot zunutze machen wollten. (sfo)
+++ Seit gestern können Schulanfänger:innen aus Münster mit ihren Eltern ihren neuen Schulweg kostenlos einmal mit Bus und Bahn abfahren. (Antenne Münster)
+++ Der Leezenflow an der Promenade hinter der Unterführung Mauritztor in Richtung Hörstertor ist außer Betrieb, da das Software-Update Probleme bereitet, wenn das behoben ist, sollen aber drei neue Leezenflows eingeweiht werden. (Westfälische Nachrichten)
+++ Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz hat der Entsorger Remondis herausgefunden, dass in Münster jedes vierte Schild entweder zugewuchert, beklebt oder dreckig sei. (Antenne Münster)
+++ Die Grünen, die Linke und die SPD in Münster kritisieren, dass der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz die Zusammenarbeit von CDU und AfD auf kommunaler Ebene in einem Interview in Betracht gezogen hatte, was er mittlerweile relativiert hat. (Grüne Münster, Die Linke Münster, Meldung der SPD Münster nicht online)
+++ Johannes Schulte-Frankenfeld nimmt mit seinem Holzauto an einem Wettbewerb für klimafreundliche Nachbarschaftsaktionen teil. (Antenne Münster)
+++ 44 Kinder aus Winnyzja sind zur Erholungsfreizeit im Rahmen der Städtepartnerschaft eine Woche lang in Münster zu Gast. (Stadt Münster)
Am Freitag erscheint kein Newsletter, aber am nächsten Dienstag schreibe ich Ihnen wieder.
Herzliche Grüße
Ralf Heimann
Mitarbeit: Sebastian Fobbe (sfo), Jan Große Nobis (jgn), Svenja Stühmeier (sst), Stefan Tigges (sti)
Lektorat: Lisa Mensing
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