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Was tun gegen den Gefühlsstau? | Wo Münster sein Klimaziel schaffen kann | Unbezahlte Werbung: Après-Ski-Bar „Lawine“
Guten Tag,
Paris hat gerade beschlossen, die Parkgebühren für schwere Autos zu verdreifachen. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo hat das am Sonntag mit dem Satz kommentiert: „Die Pariser sind die Avantgarde einer Bewegung, viele Städte werden sicher nachziehen.“
Und jetzt ein überraschender Einschub dazu, was gestern in der RUMS-Redaktion passiert ist. Wir haben an einem Feedback-Seminar teilgenommen, das Bestandteil einer Masterarbeit ist. Es ging um die Frage, wie man Rückmeldungen so gibt, dass sie auch ankommen. Eine wichtige Regel dazu hat der Psychologe Friedemann Schulz von Thun formuliert. Sie lautet: „Die Botschaft bestimmt der Empfänger.“
Aber was hat das jetzt mit schweren Autos zu tun? Doch einiges. Eine neue Parkgebühren-Regelung ist immer auch eine Botschaft, in diesem Fall soll sie lauten: Große Autos wie SUV nehmen viel Raum in Anspruch und verschmutzen die Luft mehr als kleine Fahrzeuge. Daher ist es teurer, sie irgendwo abzustellen.
Der kleine Haken ist: Auf der anderen Seite kommt eine andere Botschaft an, nämlich: Die wollen uns erziehen. Die stellen sich moralisch über uns. Wo immer sie können, schikanieren sie das Auto. So erlebt man es in Münster auch in den Ratsdebatten.
Die eine Seite möchte den wahrgenommenen Missstand beseitigen, dass man das Auto bevorzugt, indem man ihm erlaubt, öffentlichen Raum kostenfrei zu nutzen.
Die andere Seite sieht darin den Versuch, den Normalzustand zu beseitigen, der, so jedenfalls die Überzeugung, in der Tendenz doch ganz gut war.
Auf der einen Seite steht ein eher rationales Argument. Das Missfallen auf der anderen Seite lässt sich sehr gut in Emotionen übersetzen und verstärken.
Gefühle sind wichtig in der politischen Kommunikation. Um viele Menschen zu erreichen und zu berühren, muss man in der Lage sein, komplexe Zusammenhänge in möglichst einfache Bilder zu übersetzen.
Es muss ja nicht immer Angst sein
Der frühere SPD-Chef Franz Müntefering hat einmal die gesunkenen Reallöhne mit einer kleinen Geschichte erklärt, die im Grunde nur aus einer Frage besteht. Sie lautet: Wenn Eltern und Großeltern an Heiligabend nach der Bescherung mit den Kindern unter dem Weihnachtsbaum sitzen, von wem sind die größten Geschenke?
Dieses Beispiel zeigt nicht nur, dass Bilder und Emotionen sich sehr gut als Träger von Botschaften eignen, sondern auch, dass Emotionen in der Politik nicht ausschließlich Angst, Wut oder Empörung sein müssen, um in den Köpfen zu bleiben.
Barack Obamas erster Wahlsieg in den USA im Jahr 2008 hat sehr viel mit einem Gefühl zu tun, das sein Wahlkampfteam in dem Satz „Yes we can“ zusammengefasst hat.
In Münster, eigentlich in ganz Deutschland fehlt so ein positives Gefühl. Hier dominieren die Erzählungen von Rechtspopulisten und von Rechtsradikalen über Bedrohungen, Gefahren und Neiddebatten. Und man muss deutlich sagen: Auch konservative Parteien legen in ihrer Kommunikation auf eine Brandmauer an dieser Stelle nicht immer ganz so großen Wert.
CDU-Chef Friedrich Merz greift sehr gerne in den rechtspopulistischen Kommunikationsbaukasten. Beliebte Muster sind „Wir gegen die“-Erzählungen, Sündenbockgeschichten oder das Schüren von Angst und Empörung.
Diese Techniken nutzt auch die CDU in Münster. Sie bringt die Menschen gegen das von ihr so genannte „Linksbündnis“ auf. Das Empörungspotenzial in der eigenen Klientel steckt praktischerweise im Wort. Man muss es nur aussprechen, schon ist die Emotion da.
Im Einzelnen ist dabei ganz egal, was das Bündnis gemacht hat, warum es hier oder da wieder einen Verkehrsversuch ankündigt, und ob der nicht doch vielleicht sogar sinnvoll ist. Im Grunde reicht es, wenn man sich merkt: Das Bündnis fährt die Stadt vor die Wand.
Albert Einstein gegen Vitali Klitschko
Ich bin in einer Whatsappgruppe mit alten Bekannten, die zu einem großen Teil aus Bilderwitzen darüber besteht, dass Ricarda Lang so dick und Robert Habeck so dumm sei. Ich habe den, der das verbreitet, mal gefragt, warum er das macht. Er sagte, das komme alles von seinem Bankberater, er leite das einfach weiter.
So verbreitet sich der Hass auch da, wo Menschen sich überhaupt nicht für Politik interessieren, und wenn dann die nächste Wahl ansteht, weiß man in jedem Fall schon mal, wo das Kreuzchen auf keinen Fall hingehört.
Diesem Hass kann man mit Argumenten nicht beikommen. Wenn Fakten und Emotionen gegeneinander antreten, dann ist das, als würde Albert Einstein gegen Vitali Klitschko in den Ring steigen.
Aber was kann man da machen? In seiner eigenen grenzenlosen Naivität möchte man natürlich alle Seiten um Fairness bitten, also darum, doch möglichst sachlich zu kommunizieren.
Doch das ist natürlich schlecht, wenn Emotionen in der politischen Kommunikation so erfolgreich sind und nach der nächsten Wahl doch wieder nicht zählt, wer am fairsten war, sondern nur, wer die meisten Stimmen bekommen hat.
Vielleicht muss das alles eher umgekehrt laufen. Vielleicht müssen die Parteien im eher linken Spektrum ihre Scheu vor einer emotionalen Kommunikation verlieren, um all dem etwas entgegensetzen zu können.
Der Kommunikationsberater Johannes Hillje hat gerade in einem Beitrag für die politische Fachzeitschrift „Blätter“ den politischen Erfolg der AfD analysiert. Laut Hillje ist die auf emotionale Formate zugeschnittene Kommunikation der Partei dabei ein wichtiger Faktor.
Eine Art Déjà-vu
In den sozialen Netzwerken hat die AfD mit Abstand die größte Reichweite. Das liegt auch daran, dass sie, anders als andere Parteien, ein Verständnis für politische PR in dieser Sphäre entwickelt hat, dass sie dort eine Art kollektive Identität aufgebaut hat und vor allem, dass sie viel Geld investiert.
„Insbesondere progressive Parteien scheinen geradezu unter einer Emotionsaversion zu leiden“, schreibt Hillje. Oft liege dieser Haltung das Missverständnis zugrunde, Emotionalisierung sei Entsachlichung und bestehe allein im Triggern starker Affekte wie Wut oder Triumph. Daher überlasse man das Feld Radikalen. Und das ist laut Hillje eine Art Déjà-vu. Auch in der Weimarer Republik hätten Intellektuelle sich gewehrt, „eine Gegenemotion zu den Nazis“ zu entwickeln.
Dabei ist es möglich, es auf vertretbare und seriöse Art und Weise mit radikalen Erzählungen und der populistischen Empörungskommunikation aufzunehmen. Hillje nennt als Beispiel das Video von Robert Habeck zum Krieg im Nahen Osten und dem Antisemitismus, das, so schrieb es der Schweizer „Tagesanzeiger“, ganz Deutschland bewegt hat.
Das geht auch alles zwei Nummern kleiner, im Lokalen, zum Beispiel in der Verkehrspolitik. Es ist natürlich wichtig, den Menschen zu erklären, dass der große Platzbedarf von Autos indirekt zum Klimawandel beiträgt, weil er eine autozentrierte Infrastruktur fördert, die zu einem hohen CO2-Ausstoß führt. Aber das Problem ist: Bei Whatsapp leitet das niemand weiter. (rhe)
Heute lesen Sie im Brief:
- Karneval: Wie man sicher feiert
- Zeit-Interview: Lewe bekennt sich zur Verkehrswende
- Kramermahl und Kritik am Kramermahl
- Energiemarkt: Wo Münster sein Klimaziel schaffen kann
- Klima-Update: Klimatraining
- Ein-Satz-Zentrale: Weseler Straße wird einspurig
- Unbezahlte Werbung: Lawine
- Drinnen und Draußen: Correctiv-Lesung – neuer Termine
+++ Am Donnerstag beginnt der Karneval in Münster – und damit leider auch die Zeit, in der sich Fälle von sexueller Belästigung häufen. Der Frauennotruf Münster hat vor Kurzem die Kampagne „Sicher feiern an Karneval“ ins Leben gerufen. Damit möchte die Beratungsstelle auf Angebote aufmerksam machen, die bei sexueller Belästigung oder nach der Verabreichung von K.O.-Tropfer helfen. An Rosenmontag ist außerdem ein Awarenessteam der Nachtbürgermeister:innen im Einsatz, das ebenfalls bis 21 Uhr in solchen Fällen unterstützt. Im Rathausinnenhof richtet das Awarenessteam außerdem einen Ruhebereich ein. Zu erkennen ist das Team an pinken Westen. Die Polizei Münster hat heute in den Arkaden über ein anderes Thema informiert, das nicht nur an Karneval aktuell ist: Sexting, vor allem unter Jugendlichen. Damit ist der Austausch von eindeutig sexuellen Nachrichten, Bildern und Videos per Handymessenger gemeint. Geschieht Sexting ohne Zustimmung, ist das strafrechtlich relevant. (sfo)
Wenn es zu sexueller Belästigung, Gewalt oder anderen unangenehmen Situationen kommt, gibt es verschiedene Möglichkeiten, sich Hilfe zu suchen. Der Frauennotruf ist montags bis donnerstags von 10 bis 16 Uhr und freitags von 10 bis 12 Uhr unter 0251/34443 erreichbar. Das Awarenessteam ist an Rosenmontag erreichbar unter 01752529125. Die bundesweite Hilfshotline können Sie unter 116016 anrufen. Mit dem Codewort „Ist Luisa hier?“ bekommen Sie in vielen Bars und Kneipen Hilfe vom Thekenpersonal. Außerdem gibt es einen Stadtplan mit Noteingängen zu sicheren Räumen in Münster. Wenn Sie ein ungewolltes Dickpic (also ein Penisbild) bekommen haben, können Sie über dieses Formular Anzeige erstatten.
+++ Markus Lewe ist nicht nur Münsters Oberbürgermeister, sondern auch Präsident des deutschen Städtetages. In dieser Rolle hat er „Zeit online“ jetzt ein lesenswertes Interview zum Bundeshaushalt 2024 gegeben. Der sieht vor, Förderprogramme für die Städte und Gemeinden um mehrere hundert Millionen Euro zu kürzen. Lewes Meinung dazu: „Es ist gut, dass die Kürzungen nicht ganz so drastisch ausfallen, wie es zeitweise aussah. Aber die Sparmaßnahmen der Regierung treffen die Kommunen hart.“ Denn durch die Streichungen stünden viele Klimaschutzprojekte auf dem Spiel. Auch die Unterbringung von Geflüchteten werde künftig schwieriger, sagt Lewe. Das Problem sei außerdem, dass die Städte die Gewerbesteuer nicht erhöhen könnten. Denn dann würden Unternehmen verschwinden die momentan ohnehin mit hohen Betriebskosten zu kämpfen hätten. Auch interessant: Markus Lewe outet sich in dem Interview als Freund der Mobilitätswende und empfiehlt anderen Städten, Busspuren einzurichten, mehr Radwege zu bauen und Verkehrsversuche durchzuführen. „Ich bin ein großer Fan davon, den Autoverkehr aus den Innenstädten rauszuholen, zumindest den Durchfahrtsverkehr“, sagt der CDU-Oberbürgermeister. Wie sich all das mit seiner Mitgliedschaft in einer Partei vereinbaren lässt, die an der Schuldenbremse und am Autoverkehr festhält, bleibt allerdings Lewes Geheimnis. (sfo)
+++ Zum ersten Mal seit zwei Jahren kamen beim Kramermahl 2024 endlich wieder Grünkohl, Mettwurst und Stippmilch auf den Tisch, berichten die Westfälischen Nachrichten. Was gab’s noch? Der Festredner Martin Brudermüller, Vorstandsvorsitzender der BASF, trug sich am Freitag ins Goldene Buch der Stadt ein. Danach wurde im historischen Rathaus noch über die Wirtschaft gesprochen, der es gerade, so das einhellige Urteil der Redner (absichtlich nicht gegendert), gar nicht gut gehe. Gastgeber Benedikt Hüffer, zugleich Herausgeber der WN, schlug deshalb vor, die Stadt Münster brauche mehr Wohn- und Gewerbegebiete, sonst würde sich der Fachkräftemangel verschärfen. Die ÖDP findet das „erschreckend banal, altbacken und visionslos“. Die Partei lästert in einer Pressemitteilung über die rund 300 Gäste des Kramermahls, die „sich da Mettwurst essend im Smoking Gedanken über die Probleme unserer Stadt machen“. Immerhin liefert die ÖDP auch Vorschläge, wie man es besser machen könnte, zum Beispiel mit Fernwärme, Solardächern, Wissenschaft, mehr Kitaplätzen, einer Verkehrswende und einer offenen Gesellschaft. „Münster braucht so viel, aber sicherlich nicht mehr Gewerbeflächen“, schreibt die ÖDP. Und dann steht da noch: „Gut, dass die Zukunft nicht nur durch alte Männer beim Grünkohlessen gestaltet wird.“ (sfo)
Wo Münster sein Klimaziel noch schaffen kann
Das Ärgerliche an Berichten über den Ausbau erneuerbarer Energien ist: Man hört irgendwelche Zahlen und hat sie auch gleich schon wieder vergessen.
Daher zunächst das, was sich mit wenigen Zahlen sagen lässt: Im vergangenen Jahr sind in Münster dreimal so viele Photovoltaik-Anlagen gebaut worden wie im Jahr davor, schreibt die Stadtwerke-Tochter Stadtnetze in einer Pressemitteilung.
Rechnerisch reicht die Leistung der Anlagen in Münster damit aus, um – es geht leider nicht ohne – 27.500 Haushalte mit Strom zu versorgen.
Um ein Gefühl zu bekommen: 7.900 Anlagen stehen damit in Münster. Knapp 2.850 kamen im vergangenen Jahr dazu, also mehr als ein Drittel. Wie der städtische Netzbetreiber schreibt, erhöht sich damit auch die in Münster installierte Solarleistung um 30 Prozent. Das klingt doch ganz ordentlich.
In der Summe komme der dezentral erzeugte Strom aus erneuerbaren Energien (Photovoltaik, Windenergie, Wasserkraft, Biomasse) und Kraftwärmekopplungsanlagen auf eine installierte Leistung von 204 Megawatt, schreibt Stadtnetze.
Das bedeutet auf dem Papier: Münster kann seine Spitzenstromnachfrage allein mit der Energie aus lokalen erneuerbaren Quellen befriedigen, also die Nachfrage an den Tagen, an denen der Stromverbrauch am größten ist. Auch das klingt gut, ist aber missverständlich, denn im Detail kompliziert.
Die Pressemitteilung lasse ein kleines, aber wichtiges Detail aus, sagt Norbert Allnoch vom Internationalen Wirtschaftsforum Regenerative Energien, kurz IWR. Aus Sicht des Netzbetreibers sei es verständlich, dass dieses Detail fehlt; er gebe die Dinge aus seiner Sicht wieder. Doch um die Zusammenhänge zu verstehen, sei es wichtig, das Detail lautet: Die reine Megawatt-Zahl verrät noch nichts darüber, welchen Beitrag die Anlagen tatsächlich leisten, um Münsters CO2-Ausstoß zu verringern.
Grüner Strom wird Graustrom
Hier dazu ein Schnellkurs: Man unterscheidet zwischen Leistung (Kilowatt oder Megawatt) und Arbeit (Kilowattstunden). Die Leistung gibt an, wie viel Kraft eine Anlage hat. Ein Zwei-Kilowatt-Föhn hat mehr Kraft als einer mit einem Kilowatt. Für den Strom bezahlen muss man erst, wenn der Föhn läuft. Läuft der Zwei-Kilowatt-Föhn eine Stunde lang, verbraucht er zwei Kilowattstunden.
Wenn man nun sagen möchte, wie sehr die Anlagen Münster helfen, klimaneutral zu werden, gibt es ein weiteres Problem.
Weil alle Stromanbieter den gleichen Zugang zum Strommarkt bekommen sollen, schreibt das Gesetz in Deutschland vor, dass Anbieter das Netz nicht betreiben dürfen. In Münster gibt es daher die Stadtwerke (Stromanbieter) und die Stadtwerke-Tochter Stadtnetze (Netzbetreiber).
Für die vielen kleinen Solaranlagen ist die Gesellschaft Stadtnetze zuständig. Die Stadtwerke haben damit nichts von dem Strom, der mit diesen Anlagen produziert wird. Sie dürfen ihn nicht in ihr Angebot aufnehmen.
Einen Teil verbrauchen die Haushalte in Münster selbst. Den Rest speisen die Stadtnetze ins Stromnetz ein. Der Solarstrom bleibt also gar nicht in Münster. Er gilt nicht mal als Ökostrom. Verkaufen müssen die Stadtwerke ihn als „Graustrom“. Das legt das Erneuerbare-Energien-Gesetz so fest.
Tausende Heizungen müssten verschwinden
Um etwas darüber sagen zu können, wie schnell Münster klimaneutral werden kann, muss man auf die Stadtwerke schauen. Also schafft Münster sein Klimaziel beim Strom?
Das sei durchaus möglich, sagt Norbert Allnoch. Er rechnet vor: Münster brauche 1,2 Milliarden Kilowattstunden im Jahr. Dieser Strom müsse von CO2 befreit werden (dekarbonisiert). Bislang passiere das nur indirekt. Die Stadtwerke kaufen weiter fossilen Strom ein und etikettieren ihn durch den Kauf von Ökostrom-Zertifikaten um. Das hält Norbert Allnoch für unehrlich.
Der Stromsektor ist allerdings der einzige Bereich, in dem Münster es nach Allnochs Einschätzung schaffen kann, bis 2030 klimaneutral zu werden. Anfang Januar haben die Westfälischen Nachrichten über seine Prognose berichtet. Dass es innerhalb von sechs Jahren gelingen wird, den Elektromotor auf der Straße zum Standard zu machen, hält Allnoch für theoretisch möglich, aber für unwahrscheinlich.
Dass die Stadt es bis 2030 schafft, ihr warmes Wasser und ihre Wärme klimaneutral zu produzieren, hält Allnoch für ausgeschlossen. Münster verbrauche 3,3 Milliarden Kilowattstunden Wärmeenergie im Jahr. Um sie zu dekarbonisieren, müssten tausende Öl- und Gasheizungen verschwinden.
Die Fernwärme macht von der Gesamtsumme, den 3,3 Milliarden, ungefähr 550 Millionen Kilowattstunden aus. Das Netz wird mit Gas betrieben. Auf Dauer möchten die Stadtwerke auf Erdwärme (Geothermie) umstellen. Falls das gelinge, dann wohl erst nach 2030, sagt Alloch.
Den Westfälischen Nachrichten hat Allnoch gesagt, es irritiere ihn, dass die Stadtwerke sich nicht mit der Frage beschäftigten, was mit dem Heizkraftwerk am Hafen passieren soll, wenn es nicht mehr mit Gas betrieben wird. Das wäre interessant, falls es mit der Erdwärme nicht klappt. Dann wäre Wasserstoff eine mögliche Alternative, sagt Allnoch.
Die Rechnung ist einfach
Aber stimmt es, dass die Stadtwerke sich nicht mit der Frage beschäftigen?
Sprecherin Lisa Schmees schreibt, man habe das Potenzial von Wasserstoff für die Wärmewende in Münster geprüft, halte es „aber derzeit für sehr begrenzt“. Das Heizkraftwerk ließe sich zwar mit Wasserstoff betreiben, doch der Preis sei hoch, die Verfügbarkeit gering. Man setze die Hoffnungen auf Geothermie, sie basierten auf einem „soliden und wissenschaftlich gestützten Konzept“.
In der zweiten Jahreshälfte werde man in Münster Standorte identifizieren, an denen man nach heißem Thermalwasser bohren könne.
Und wenn es mit der Geothermie nicht klappt?
Weitere wichtige Technologien seien die Nutzung von Sonnenwärme (Solarthermie), die Erzeugung von Wärme durch Elektrizität in sogenannten Power-to-Heat-Anlagen, die Gewinnung von Wärme aus der Umgebungsluft oder dem Erdreich mit Wärmepumpen sowie die Speicherung von Wärme über längere Zeit in großen Wärmespeichern, schreibt Lisa Schmees. Man sei „technologieoffen und flexibel“. Bei Bedarf könne man auch andere Technologien integrieren.
Beim Strom wäre alles etwas einfacher, allerdings nur dann, wenn die Bundesregierung ihr Ziel erreicht, in sechs Jahren 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien zu erzeugen.
Die Rechnung ist einfach: Von den 1,2 Milliarden Kilowattstunden, die Münster verbraucht, wären 80 Prozent schon deshalb dekarbonisiert, weil die Stadtwerke an der Strombörse 80 Prozent Ökostrom automatisch mitkaufen.
Wie die Bundesregierung ihr Klimaziel beim Strom erreichen will, hat sie gestern mit ihrer Kraftwerksstrategie vorgestellt, einem Plan, um die Energieversorgung in Deutschland klimafreundlicher zu machen. Dieser Plan ist seit seiner letzten Erwähnung geschrumpft.
Ursprünglich war von 60 Milliarden Euro die Rede. Nach den neuen Plänen sollen in den nächsten 20 Jahren 15 bis 20 Milliarden Euro investiert werden. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ nennt es die „Kraftwerksstrategie light“.
Zum einen will die Bundesregierung Gaskraftwerke bauen, die später auf Wasserstoff umgerüstet werden sollen. Zum anderen sollen Kraftwerke nicht nur Geld für den Strom bekommen, den sie liefern, sondern auch für die Kapazität, die sie bereitstellen. So soll ein Anreiz geschaffen werden, Reserven zu bereitzuhalten.
Es bleibt eine Lücke
Ob die Kapazitäten, mit denen die Bundesregierung plant, ausreichen werden, ist umstritten. Veronika Grimm, Mitglied des Sachverständigenrats Wirtschaft, der sogenannten Wirtschaftsweisen, hat dem „Spiegel“ gesagt: „Wenn es bei diesen Kapazitäten bleibt, wird es mit dem Kohleausstieg eng.“
Doch auch wenn die Bundesregierung ihr Ziel erreicht, bleibt in Münster eine Lücke im Umfang von 240 Millionen Kilowattstunden (20 Prozent). Sie müssen auf andere Weise produziert werden. Und dieser Strom könnte laut Norbert Allnoch in sechs Jahren allein über die Windenergieanlagen in der Stadt reinkommen, wenn die Planungen der Stadtwerke aufgehen.
Im vergangenen Juni standen in Münster laut dem städtischen Klimadashboard 32 Windräder. Sie decken knapp 70 Prozent der Leistung, die in sechs Jahren installiert sein soll (90 Megawatt). Bis 2030 wollen die Stadtwerke 42 Windräder gebaut haben, kündigen sie auf ihrer Website an. Zusammen könnten die Anlagen 280 Millionen Kilowattstunden Strom erzeugen.
Ob die Rechnung am Ende aufgeht, hängt wieder von einem Detail ab: Damit der von den Windrädern produzierte Strom die Klimabilanz entlastet, muss er per Direkt-Stromliefervertrag ins Stadtwerke-Angebot fließen. Sonst kann es sein, dass er am Ende wieder als Graustrom verkauft werden muss.
Zum Schluss noch ein Blick auf die Zusammensetzung des in Münster erzeugten Stroms. Im Klimadashboard der Stadt stehen die Zahlen aus dem Jahr 2021. Vom Netzbetreiber Stadtnetze haben wir die für das Jahr 2022 bekommen.
Nach ihnen stammen etwa 60 Prozent des in Münster produzierten Stroms aus dem Kraftwerk am Hafen. Die Windkraft macht knapp 18 Prozent aus, die Photovoltaik knapp 13 Prozent, gut 8 Prozent des Stroms wird mit Biogas produziert. Damit hat sich der Anteil von Windkraft und Photovoltaik leicht erhöht. Und um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie die Klimabelastung verteilt ist: Der Anteil des Hafen-Kraftwerks am CO2-Ausstoß liegt bei deutlich über 90 Prozent.
Bei den Photovoltaikanlagen bleibt in Münster noch viel Luft nach oben. Hier ist das Ziel für 2030 eine installierte Leistung von 2.400 Megawatt. Zurzeit sind es 204. Das sind knapp 9 Prozent.
Eine kleine Erfolgsmeldung kam zuletzt aus dem Rathaus. In der Altstadt seien in zwei Jahren über 2.000 Solarmodule genehmigt worden, meldeten Grüne und CDU. Die CDU sieht sich darin bestätigt, dass das alles auch ohne Zwang gehe, also ohne Änderung der Altstadtsatzung, wie das Bündnis aus Grünen, SPD und Volt es gefordert hatte.
Am Ende hatte die Stadtverwaltung einfach ihre Genehmigungspraxis geändert und ist seitdem etwas offener für Solarmodule auf den Dächern der Altstadt. Die Grünen schreiben, es sei gut, dass man die Änderung angestoßen habe. Sonst wären die Anlagen wohl nicht entstanden.
Beim Photovoltaik-Zubau pro Kopf stehe Münster unter allen Städten und Gemeinden nun bundesweit schon auf Platz 9, schreiben die Grünen. Schon wieder eine Zahl also, man wird sie sich alle nicht merken können. Aber eines vielleicht schon: Es geht langsam voran. (rhe)
Datenquellen
- Einen Überblick darüber, wie viel Energie in Münster klimafreundlich erzeugt wird, gibt das Klimadashboard der Stadt.
- Das Land Nordrhein-Westfalen zeigt seit Mitte Januar in einer Übersicht tagesaktuelle Daten zu seinem Strommarkt. Gestern zum Beispiel wurden in Nordrhein-Westfalen etwa 15.200 Megawattstunden Strom verbraucht, dem gegenüberstanden etwa 5.600 Megawattstunden, die aus erneuerbaren Energien gewonnen wurden, und knapp 4.300 Megawattstunden aus konventioneller Erzeugung.
- Aktuelle Daten zur Stromerzeugung in Deutschland finden Sie auf der Seite Energiefirmen.de, die das IWR-Institut aus Münster betreibt.
+++ Zum vierten Mal organisiert die Stadt Münster ein Klimatraining für alle Menschen, die ihr Leben nachhaltiger gestalten wollen. Ehrenamtliche Trainer:innen zeigen den Teilnehmenden, wie sich die individuelle Klimabilanz beim Wohnen, bei der Energie, beim Konsum, bei der Ernährung und der Mobilität verbessern lässt. Ausgangspunkt ist der eigene CO2-Fußabdruck. Wenn Sie noch mitmachen wollen, melden Sie bei der Stadt. Es sind noch Plätze frei. (sfo)
+++ In den vergangenen Wochen wurde in Münster viel über die Batterieforschung diskutiert. Was war da noch mal? Die Bundesregierung hatte beschlossen, diesem Forschungsbereich Fördergeld zu streichen. Beinahe wäre es auch so gekommen (RUMS-Brief). Das hätte schlimmstenfalls das Ende der Batterieforschung in Münster bedeutet. Mit den Batterien sollen E-Autos betrieben werden und die deutsche Industrie unabhängig vom chinesischen Markt gemacht werden. Nur: Ist das auch so einfach? Das „Science Media Center“ hat diese Frage mit drei Experten besprochen, darunter der Gründungsdirektor des münsterschen Forschungszentrums. Das Gespräch können Sie sich hier anschauen. (sfo)
Im RUMS-Brief am Freitag schrieben wir in einer Meldung, der Lebensraum von sibirischen Tigern sei in Freiheit bis zu 1.300 Quadratmeter groß (ZKB). Das war leider falsch. Gemeint waren 1.300 Quadratkilometer. Wir haben nun noch mal nachgeschaut, die Informationen dazu schwanken sehr. Laut Wikipedia können die Reviere sogar bis zu 3.000 Quadratkilometer groß sein (und wenn es Jan beim Lesen nicht aufgefallen wäre, stünde da jetzt schon wieder Quadratmeter). In einer Klima-Meldung schrieben wir außerdem von einer „energischen Sanierungssatzug“. Und die ist wahrscheinlich sehr wirkungsvoll, aber natürlich keine „energetische Sanierungssatzung“, die hier gemeint war. (rhe)
+++ Viele Straßen sind am Montag wegen des Rosenmontagsumzugs gesperrt, der Prinzipalmarkt sogar schon ab Sonntag. (Stadt Münster)
+++ Das Integrationsforum hat einen Brief mit einem benutzten Stück Klopapier bekommen, auf dem die FH Münster als Absender genannt wird. (Integrationsforum per E-Mail an RUMS)
+++ Die Kommission zur Förderung der Inklusion von Menschen mit Behinderungen bittet darum, Rollstuhl-Bereiche in der Innenstadt freizuhalten. (Stadt Münster) – passend hierzu: Vor zwei Jahren erschien bei RUMS eine Recherche über Barrierefreiheit in der Innenstadt.
+++ Das Oberverwaltungsgericht Münster hat eine Klage der deutschen Umwelthilfe abgewiesen, die erreichen wollte, dass die Bundesregierung mehr gegen die Verunreinigung der Gewässer mit Dünger unternimmt. (Nachrichtenagentur dpa, hier: taz)
+++ Die Weseler Straße zwischen Aasee und Abzweig Geiststraße wird bald einspurig, da dort alte Trinkwasserleitungen ersetzt werden müssen. (Westfälische Nachrichten)
+++ Eine Mieterorganisation wirft der LEG vor, bei den Mieterhöhungen zu tricksen. (Münstersche Volkszeitung)
+++ Ein Forschungsteam der Uni Münster hat herausgefunden, dass ein bisher unbekannter Grund für Unfruchtbarkeit sein kann, dass den Spermien sozusagen der Turbo fehlt. (Tagesschau)
Anonymer Briefkasten
Haben Sie eine Information für uns, von der Sie denken, sie sollte öffentlich werden? Und möchten Sie, dass sich nicht zurückverfolgen lässt, woher die Information stammt? Dann nutzen Sie unseren anonymen Briefkasten. Sie können uns über diesen Weg auch anonym Fotos oder Dokumente schicken.
Die Après-Ski-Bar „Lawine“ hat erst Ende November eröffnet, wird aber wohl in den kommenden Tag gut besucht sein. An der Jüdefelderstraße 34, hunderte Kilometer von den nächsten Skigebieten entfernt, feiern die Besucher:innen in der neuen Bar wie in Oberstdorf oder Garmisch. Die Einrichtung ist stilecht rustikal, musikalisch läuft Hüttenmix. Auch die Getränke-Karte ist an das Wintersport-Thema angepasst. So gibt es etwa „die neun Hüttenspringer auf dem Ski“ – neun Schnäpse – oder Bayrisch Helles. Die „Lawine“ hat mittwochs und donnerstags von 20 bis 2 Uhr, freitags und samstags von 20 bis 3 Uhr geöffnet.
Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!
Heute hat Raphael Balke in den Terminkalender geschaut. Diese Veranstaltungen kann er Ihnen empfehlen:
+++ Das Ensemble Artig spielt in dieser Woche sein neues Stück „Endlich bleibt nicht ewig aus“. Die Schauspieler:innen beschäftigen sich damit, was Hoffnung gibt, in einer Welt voller Probleme. Was zurückschrecken lässt zwischen Bangen, Flutwunsch und Mut. Das Stück läuft von Mittwoch bis Samstag, jeweils ab 20 Uhr. Noch sind Karten verfügbar.
+++ Münster feiert am Donnerstag Weiberfastnacht. In der Stadthalle Hiltrup beginnt die Party ab 15:11 Uhr. Unter anderem tritt Olaf Henning auf. Alles Weitere unter anderem zum Kartenverkauf finden Sie hier. In der Metro Rockbeis legt ab 19 Uhr DJ Wolfman auf. Auch an Karneval spielt er keine Schlager, sondern Rock. Der Eintritt ist frei. Auch die Cavete an der Kreuzstraße feiert Weiberfastnacht. Dort geht’s ab 17 Uhr los. Mit dabei ist unter anderem DJ Nic. Der Eintritt ist kostenlos.
+++ Ein Protest gegen Rechts und für mehr Solidarität startet am Samstag um 14 Uhr in Gievenbeck. Treffpunkt ist am Marktplatz. Die Organisatoren vom Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Münster und der Stadtteilbewegung „Gievenbeck Solidarisch“ haben mehrere Redner:innen wie den Soziologen Andreas Kemper eingeladen. Vertreter:innen von Parteien sprechen nicht, heißt es.
+++ Für die szenische Lesung „Geheimplan gegen Deutschland“ des Stadtensembles gibt es weitere Termine. Die Aufführung basiert auf einer Recherche des Netzwerks Correctiv über ein rechtes Geheimtreffen in Potsdam. Dort planten unter anderem Neonazis, AfD-Politiker:innen und CDU-Mitglieder die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland. Die Lesung wird an drei weiteren Terminen aufgeführt: am 16. März um 19 Uhr in der St.-Martini-Kirche, am 18. März um 19 Uhr im Bürgerhaus Kinderhaus und am 24. März um 20 Uhr im Kreativ-Haus-Münster. Karten gibt’s hier.
Am Freitag schreibt Ihnen Svenja Stühmeier. Ich wünsche Ihnen eine gute Woche.
Herzliche Grüße
Ralf Heimann
Mitarbeit: Raphael Balke (rba), Jan Große Nobis (jgn), Sebastian Fobbe (sfo)
Lektorat: Susanne Bauer
PS
Vor zwei Jahren bin ich nach Ahlen gefahren, um mir eine Ausstellung anzusehen. Ihr Titel war: „Neue Wahrheit? Kleine Wunder!“ Es ging um die frühen Jahre der Fotografie, man sah einige knapp 200 Jahre alte Bilder, in diesem Video bekommt man einen kleinen Eindruck von ihrem Zauber. Es waren Bilder aus Hans Gummersbachs Sammlung. Gummersbach hat früher in Münster das Schulamt, die Volkshochschule und später das Handwerkskammer-Bildungszentrum geleitet. Und vor vielen Jahrzehnten hatte er irgendwann so ein uraltes Foto in der Hand. Es faszinierte ihn so sehr, dass er zu sammeln begann. Heute ist seine Sammlung eine der größten, die es in Deutschland gibt. Die Fotos von der Ausstellung sind in einem Sammelband zu sehen, der zur Ausstellung erschienen ist. Das Buch hat jetzt beim Deutschen Fotobuchpreis die Bronzemedaille gewonnen. Hier können Sie es bestellen. (rhe)
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