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Gemeinsam gegen Rechts. Wirklich? | Münster hat ein Toilettenproblem | Unbezahlte Werbung: Neues Reisemagazin
Guten Tag,
in Münster demonstrieren heute mehrere tausend Menschen gegen den Neujahrsempfang der AfD im Rathaus, nach Schätzungen werden es sogar mehrere zehntausend sein. Die Kundgebung hätte ein schöner Beleg dafür sein können, dass die große Sache, die Demokratie, am Ende den politischen Kräften doch wichtiger ist als die eigenen Gruppeninteressen. Das entscheidende Wort hier ist: hätte.
Am Donnerstag zog Münsters CDU ihren Aufruf zurück, an der Veranstaltung teilzunehmen. Die CDU wollte mitmachen, hätte aber gern Redezeit für den Oberbürgermeister und sich selbst als größte Partei Münsters gehabt. In etwa so sagte Münsters neuer CDU-Chef Stefan Nacke es den Westfälischen Nachrichten.
Das Bündnis „Keinen Meter den Nazis“ wehrt sich in einem Blogbeitrag gegen den Vorwurf, es habe der CDU und der FDP ein „Redeverbot“ erteilt. Dabei geht es vor allem um dieses Wort. Das Bündnis schreibt, es habe demokratisch darüber abgestimmt, wer bei der Veranstaltung sprechen darf. CDU und FDP bekamen keine Mehrheit. Für das Bündnis ist es eine Mehrheitsentscheidung, den Parteien erscheint es wie ein Verbot.
Das alles wirkt ein bisschen, als wolle man zusammen ein brennendes Haus löschen, aber dann gelingt es doch nicht, weil man sich nicht darauf einigen kann, wer den Schlauch hält.
Ganz so absurd ist es allerdings doch nicht, denn hinter dem Gezerre stehen auf beiden Seiten Sichtweisen, die man durchaus verstehen kann.
Konservative demonstrieren nicht gern
Das Bündnis „Keinen Meter den Nazis“ stellt sich in Münster seit 14 Jahren mit einer bemerkenswerten Beharrlichkeit überall dort in den Weg, wo Rechtsextreme auch nur den Versuch unternehmen, öffentlich in Erscheinung zu treten.
Es hat gegen Faschismus demonstriert, als es die AfD noch gar nicht gab. Es ist gegen Nazis auf die Straße gegangen, als Rechtsradikale in den Parlamenten, wenn überhaupt, kleine Splittergruppen stellten. Es hat Demonstrationen veranstaltet, an denen eine Handvoll Menschen teilnahmen, die mit selbst bemalten Transparenten in der Stadt standen und etwas verloren wirkten.
Die CDU ist mit diesem Protest nie warm geworden, und das hat mehrere Gründe. Zum einen waren Demos noch nie die Sache von Konservativen. Sie bevorzugen den Protest innerhalb der etablierten politischen Strukturen. Demos sind immer auch ein Widerstand gegen diese Ordnung.
Zum anderen gingen da in Münster auch noch Linke auf die Straße, vielleicht sogar Menschen, die man unter Konservativen für so links hält, dass man linksextrem sagen müsste. Und die CDU hat über viele Jahre nicht viel gegen den Eindruck unternommen, dass man diese Menschen vielleicht sogar für etwas schlimmer hält als die Extremen auf der anderen Seite des Hufeisens. Das ist die Ausgangssituation.
Mit der Correctiv-Recherche hat sich nun etwas geändert. Der Kampf gegen Rechtsradikale ist zu einer großen Sache geworden, die das ganze Land durchschüttelt. Und wo man mit so einer Kundgebung plötzlich große Massen erreichen kann, sagt die CDU: Jetzt wollen wir auch mit auf die Bühne.
Das ist die eine Perspektive, die etwas verständlicher macht, warum es im Bündnis Vorbehalte gibt. Doch es gibt auch noch eine andere. In ihr spielt die Vorgeschichte keine so große Rolle.
Alle schauen auf sich selbst
CDU und FDP schauen auf die gegenwärtige Situation. Sie halten die Proteste für notwendig, möchten sich beteiligen und denken: So eine Veranstaltung sollte die gesamte Gesellschaft abbilden; das denken auch Grüne und SPD, die sich dafür eingesetzt haben, dass CDU und FDP mit auf die Bühne dürfen. Denn wenn alle zusammen für die Demokratie auf die Straße gehen, dann wäre es doch wichtig, dass auch die zu Wort kommen, die bei den demokratischen Wahlen die meisten Stimmen bekommen haben. In Münster sind das der Oberbürgermeister und die CDU als größte Partei im Stadtrat.
Auch diese Position kann man verstehen. Und man muss feststellen: Im Weg steht hier die Vergangenheit.
Das Bündnis sieht sein Werk, und jetzt, wo sich die ganze Mühe zu lohnen beginnt, möchten andere einsteigen. CDU und FDP fragen sich: Es soll ein geschlossener Protest der gesamten Gesellschaft sein – und dann kommen nur linke Gruppen zu Wort? Schwierige Situation.
An dieser Stelle muss man auch auf die Folgen hinweisen, die so etwas haben kann. Dabei sind Vorgeschichten und komplizierte Hintergründe eher unwichtig. Wichtig ist, wie die Dinge erscheinen. Und hier erscheinen sie ungünstig.
Der Eindruck ist: Alle wollen Vorteile für sich selbst herausholen. Es geht ihnen nicht um die große Sache, sondern nur um sich selbst.
Genau den Menschen, die von solchen Spielchen genervt sind, machen Parteien wie die AfD ein attraktiv wirkendes Angebot.
Und was nun? Wenn man so einen Eindruck verhindern möchte, muss man die Dinge wegräumen, die im Weg stehen. Das ist in diesem Fall die Vorgeschichte.
Ein neues Bündnis?
Aber wie soll das gehen? Es gibt mindestens zwei Möglichkeiten. Eine ist, das Bündnis öffnet sich einem größeren Teil der Gesellschaft. Das würde bedeuten: Es müsste hinnehmen, dass die Schnittmenge der gemeinsamen Überzeugungen kleiner wird, damit die Gruppe der Menschen, die hinter der Kernidee steht, wachsen kann.
So etwas fällt vor allem linken Gruppen schwer, denn in ihnen sind kongruente Überzeugungen ein sehr viel wichtigeres Bindemittel als unter Konservativen. Unter Umständen sind solche Überzeugungen für sie auch nicht einfach verhandelbar. Es wäre in jedem Fall schmerzhaft, eine gemeinsame Grundlage herzustellen.
Damit das gelingt, müsste sich etwas bewegen, auch auf der anderen Seite. Hier geht es ebenfalls um die Vorgeschichte.
Vor allem die CDU müsste sich klarer positionieren als in der Vergangenheit. Sie müsste die Grenze noch deutlicher ziehen. Anders gesagt: Es wird schwer, wenn die Parteien in Münster wie vor der letzten Landtagswahl erklären, sie setzen sich nicht zusammen mit der AfD aufs Podium, und die CDU sagt: Wir unterschreiben diese Erklärung nicht.
Die andere Möglichkeit ist: Man rauft sich zusammen zu einem neuen Bündnis mit einem etwas anderen Selbstverständnis, wie die CDU es fordert. Dann wäre es ein Bündnis, das nicht die einen aufgebaut haben, und die anderen wollen dazukommen. Dann wäre es ein Bündnis, das allen gehört, weil sich alle darauf geeinigt haben.
Vielleicht wäre das sogar das Beste, denn sonst könnte es schnell zu einer dritten Möglichkeit kommen, die wäre: Alle kochen ihr eigenes Süppchen. Für die AfD, da kann man sich sicher sein, wäre diese Variante am besten. (rhe)
Heute lesen Sie im Brief:
- Münster vs. AfD: Mehr Infos zur Demo
- Stadtentwicklung I: Über 320.000 Einwohner:innen
- Stadtentwicklung II: Mehr Geburten im Clemenshospital
- Öffentliche Toiletten: Münsters Klo-Misere
- Der Rürup: Ideen für die Fastenzeit
- Klima-Update: Münsteraner Klimagespräche
- Ein-Satz-Zentrale: Franziskus-Stiftung feuert Klinik-Chef
- Unbezahlte Werbung: Neues Reisemagazin mit Fahrradrouten
- Drinnen und Draußen: Theaterstück über Anschlag in Hanau
+++ Hier noch mal alles, was Sie zur Demo wissen müssen: Ordnungsdezernent Wolfgang Heuer rechnet heute Abend mit bis zu 30.000 Menschen in der Stadt, berichten die Westfälischen Nachrichten. Die Polizei ist mit über 500 Einsatzkräften dabei. Der AfD-Neujahrsempfang beginnt um 19 Uhr. Zu Gast ist in diesem Jahr unter anderem der als Bundestagsmitglied und Verschwörungstheoretiker bekannte Peter Boehringer, der gleichzeitig auch stellvertretender Sprecher im AfD-Bundesvorstand ist. Musik machen unter anderem die „Donots“. (rhe)
+++ Münster wächst. Zum ersten Mal leben über 320.000 Menschen in der Stadt, meldet das Kommunikationsamt (weiter unten finden Sie in der Infografik die genaue Einwohnerzahl). Vor zehn Jahren waren es noch knapp unter 300.000 Einwohner:innen. Die Zunahme verteilt sich auf das gesamte Stadtgebiet. Besonders gewachsen ist der Stadtbezirk Südost, zu dem Wolbeck und Gremmendorf gehören. Und was ebenfalls auffällt: Ende 2023 lebten knapp 20.000 über 80-Jährige in der Stadt, vor zehn Jahren waren es etwa 15.000. (rhe)
+++ Und wie geht es mit der Bevölkerungszahl weiter? Das hängt auch davon ab, wie viele Menschen nach Münster ziehen und wie viele wegziehen. Aber was wir sagen können: Im Clemenshospital sind im vergangenen Jahr hundert Kinder mehr zur Welt gekommen als im Jahr davor, nämlich 1.815. Das schreibt das Krankenhaus in einer Pressemitteilung. Dem Trend entspricht das nicht. Bundesweit gehen die Geburtenzahlen eher zurück. Das Clemenshospital führt die steigende Zahl auch auf einen neuen sogenannten hebammengeleiteten Kreißsaal zurück. Das bedeutet: Bei Frauen mit geringem Risiko kümmern sich Hebammen um die Geburt. Ein Arzt oder eine Ärztin kommt nur dazu, wenn es ein Problem gibt. (rhe)
Die Stadt Münster finanziert fünf öffentliche Toiletten für die mehr als 300.000 Einwohner:innen. Nicht eingerechnet sind hierbei diejenigen, die für den Urlaub oder zum Shoppen in die Stadt kommen und auch mal müssen.
(Quellen: Stadt Münster, Stadt Münster)
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Öffentliche Toiletten: Münsters Klo-Misere
In ganz Münster gibt es fünf öffentliche Toiletten. Bald werden es noch weniger. Sebastian Fobbe hat versucht herauszufinden, wie die Stadt Münster ihr Kloproblem lösen will.
Der natürliche Feind der historischen Altstadt in Münster heißt Urin. Darin enthalten sind Salz, Säure und Ammoniak – pures Gift für Tuff- und Sandsteine. Wer beim Pinkeln in der Innenstadt erwischt wird, muss deshalb eine Strafe von 50 Euro zahlen. Im vergangenen Jahr hat das Ordnungsamt 31 Leute beim Wildpinkeln erwischt.
An manchen Tagen ist die Gefahr besonders hoch, dass Harnstoff die Natursteine am Prinzipalmarkt versaut. Der vergangene Montag war so ein Wildpinkeltag. Da kamen mehr als 100.000 Menschen in die Innenstadt, um Karneval zu feiern, mit Bier, Aperol, Schnaps und anderen Getränken, die die Blase füllen. Für deren Notdurft hatte die Stadt deshalb 17 Dixi-Klos und zwei Toilettenwagen entlang des Rosenmontagszuges aufgestellt. Nach der Feier schwamm trotzdem die eine oder andere Pfütze auf dem Boden.
Wenn kein Karneval ist, sind öffentliche WCs in Münster Mangelware. Sage und schreibe fünf Toiletten finanziert die Stadt zurzeit für ihre 321.421 Einwohner:innen. Im Vergleich zu einwohnermäßig ähnlich großen Städten schneidet Münster damit schlecht ab. Karlsruhe hat beispielsweise elf öffentliche WCs in der Innenstadt, Bielefeld sogar 47. Auch das halb so große Paderborn bietet mehr öffentliche Klos an als Münster, immerhin 14 Stück.
Die restlichen Toiletten bewirtschaften in Münster private Firmen. So richtig gut scheint dieser Deal aber nicht aufzugehen. Denn eine wirklich genüssliche Erfahrung ist der Gang zu diesen Toiletten nicht. Bestimmt geht es Ihnen deshalb manchmal wie mir: Ich bestelle mir viel zu oft einen 3,50 Euro teuren Cappuccino – nur um auf ein sauberes Klo gehen zu können. Vielleicht haben Sie sich aber auch einen Ausweis für die Stadtbücherei zugelegt. Die dortige Toilette ist nämlich seit der Renovierung ausschließlich für angemeldete Leser:innen reserviert, wie die Westfälischen Nachrichten 2019 berichteten.
Toilettengewordener Neoliberalismus
Das sanitäre Angebot in Münster ärgert einen RUMS-Leser schon seit Jahren. Allein das Schlossplatz-Klo, das von der Wall GmbH betrieben wurde, sei „schmutzig“, „defekt“ und „ururalt“, schreibt er in einer E-Mail an die Redaktion. Unser Leser fragt sich daher, „ob es in einer Stadt wie Münster, die so viel auf sich hält, nicht vielleicht doch möglich ist, eine funktionierende, saubere Toilette auf einem von vielen Menschen frequentierten Platz zu installieren und am Laufen zu halten?“
Für Rosa Aue und Lilith Kuhn vom „Klolektiv“ steckt hinter all diesen Anekdoten viel mehr: ein menschliches Grundbedürfnis, das die Stadt vernachlässigt. Münster ist damit in bester Gesellschaft, denn fast überall in Deutschland reiche die öffentliche Toiletteninfrastruktur nicht aus. Die beiden Geographinnen engagieren sich deshalb in einem akademisch-aktivistischen Zusammenschluss von Wissenschaftlerinnen, die seit 2018 die sanitäre Ausstattung in Städten untersuchen und verbessern wollen.
Die Klo-Misere begann schon vor dreißig Jahren. Bis in die 1990er-Jahre verstanden viele Städte öffentliche Toiletten noch als kommunale Aufgabe, sagen Rosa Aue und Lilith Kuhn. Dann kam der Neoliberalismus – und mit seinem Siegeszug der Sparzwang. Viele Kommunen müssen seitdem mehr staatliche Aufgaben übernehmen, ohne von Bund und Ländern das nötige Geld dafür zu bekommen. Dieser finanzielle Druck wirkt sich auch auf öffentliche Toiletten aus: Viele werden entweder geschlossen oder privatisiert. Der Unterhalt ist für Städte und Gemeinden mit klammen Haushalten schlicht zu teuer.
Das Ergebnis der neoliberalen Toilettenpolitik in Münster: Die Stadt hat ihre Toiletten überwiegend der Wall GmbH anvertraut. Der Klo-Betrieb war an die Vergabe von Werbeflächen gekoppelt, beispielsweise an Bushaltestellen. Die Wall GmbH hat ihre Aufgabe, saubere und funktionierende Klos bereitzustellen, aber offenbar – verzeihen Sie mir bitte den Ausdruck – gründlich verkackt: „An den Toiletten der Wall GmbH sind die baulichen und technischen Mängel nach Begutachtung durch die Stadt so gravierend, dass eine Sanierung unwirtschaftlich oder überhaupt nicht mehr möglich ist“, schreibt die Stadt in einer Pressemitteilung, dem Ton nach zu urteilen, einigermaßen angepisst (nochmal Entschuldigung, bitte!).
Ein Problem an solchen Privatisierungen ist laut Lilith Kuhn und Rosa Aue, dass sich Städte damit von privaten Unternehmen abhängig machen. So hat die Wall GmbH in Münster vor allem sogenannte City-WCs aufgestellt. Das sind sanitärtechnologische Wunderwerke mit allerlei Elektronik, Sensortechnik und Audiounterstützung. Sobald die automatische Tür klemmt oder die Klospülung kaputt geht, kann zur Reparatur keine x-beliebige Handwerksfirma kommen, sondern die Stadt muss eine:n Techniker:in der Wall GmbH beauftragen. Das kann dauern.
Dazu kommt: Je maroder die öffentlichen Toiletten werden, desto eher werden sie eine Zielscheibe von Vandalismus. Fazit: Der Deal mit der Wall GmbH ist in die Hose gegangen. Das Unternehmen muss seine Klos jetzt auf eigene Kosten abbauen. An acht Standorten verschwinden damit Toiletten aus der Stadt. An vier weiteren Standorten (darunter auch am Schlossplatz) sucht die Stadt einen Dienstleister, der die Toiletten für die Stadt bewirtschaften könnte. Das Presseamt schreibt uns auf Anfrage, bisher habe die Stadt noch keine Firma gefunden.
Mangelnde Inklosion
Gerade herrscht in Münster akuter Klo-Mangel. Für Rosa Aue und Lilith Kuhn vom „Klolektiv“ schränkt das knappe Angebot Recht auf Teilhabe ein. Für Ältere, Eltern mit Kindern, chronisch Kranke, Menschen mit Behinderungen und im Endeffekt für uns alle heißen wenig Toiletten: Wir müssen den Besuch in der Stadt besser planen und notfalls kommen wir nicht weit aus dem Haus.
Das berichtet auch Harald Wölter. Der Grünen-Ratsherr ist Vorsitzender der städtischen Inklusionskommission KIB. Der Klo-Engpass sei ein Dauerthema in der KIB. Die sanitäre Mangellage in Münster beschäftige viele Menschen mit Behinderung und körperlichen Einschränkungen, sagt er. Seit die Stadt verkündet hat, das Angebot weiter zu reduzieren, hätten sich mehrfach Menschen gemeldet, die auf behindertengerechte Toiletten angewiesen sind.
Die KIB hatte schon im Mai einen Ratsantrag für eine sogenannte „Toilette für alle“ in der Innenstadt gestellt. Sie soll so schnell wie möglich eingerichtet werden, übergangsweise in einem Container. Die „Toilette für alle“ ist auf die Bedürfnisse von Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen zugeschnitten. Begleitpersonen können dort zum Beispiel Inkontinenzeinlagen auf einer Ablage wechseln, statt wie in herkömmlichen Toiletten auf dem Fußboden. Die Kosten für eine „Toilette für alle“ liegen laut Hersteller bei mindestens 10.000 Euro.
Ein halbes Jahr nach dem Ratsantrag sagt Harald Wölter, die KIB stehe mit der Verwaltung im regelmäßigen Austausch. Sie kenne die kritischen Punkte. Da vieles in nicht-öffentlichen Sitzungen diskutiert werde, könne Wölter wenig dazu sagen. Nur: Unabhängig von der „Toilette für alle“ müsse die Stadt aber mehr Toiletten für Menschen mit Behinderung schaffen und die wegfallenden Klos ersetzen. Ein Erfolg immerhin: Die Verwaltung habe der KIB versichert, sie stärker an ihren sanitärpolitischen Entscheidungen zu beteiligen.
Trendwende in der Toilettenpolitik
Nach dem Abzug der Wall GmbH aus Münsters Toiletten fiel erst im Januar der letzte größere klo-politische Beschluss. Die Stadt hat in Münster die „nette Toilette“ eingeführt. Bei dieser Form der Privatisierung sollen sich Gastronomie und Einzelhandel beim Ausbau des sanitären Netzes in Münster beteiligen. Restaurants und Geschäfte können dem Ordnungsamt melden, dass sie ihre Klos auch Nicht-Kund:innen zur Verfügung stellen. Dafür bekommen sie im Gegenzug einen Zuschuss von der Stadt. Und die Toiletten werden in einer App eingetragen.
Seit Projektbeginn gibt es 18 „nette Toiletten“ in Münster. Vier davon in der Innenstadt, vierzehn in Hiltrup. Neben Münster bieten laut App auch 329 andere Städte in Deutschland „nette Toiletten“ an. Rosa Aue und Lilith Kuhn sehen das Konzept kritisch. Einerseits sei es gut, wenn sich die Gastronomie an der Sanitärinfrastruktur beteiligt. Zusätzlich zu städtischen Klos sei das keine schlechte Idee. Andererseits sollte die „nette Toilette“ kein öffentliches WC ersetzen. „Es wäre ein Armutszeugnis, wenn eine Stadt ein funktionierendes Toilettensystem komplett Restaurants überließe“, sagt Lilith Kuhn.
Außerdem stellen sich praktische Fragen: Wer kennt die „nette Toilette“? Wer kann die App nutzen? Und überhaupt, werden wirklich alle, die mal müssen, aufs Klo gelassen? „Generell ist es kein angenehmes Gefühl, nur in ein Café zu gehen, wenn man zur Toilette muss“, sagt Rosa Aue. Wie ist das erst für Personen, die aufgrund ihres Erscheinungsbildes ohnehin diskriminiert werden?
Pinkeln ohne Privatsphäre
Menschen aus prekären sozialen Schichten haben einen geringen Zugriff auf öffentliche Toiletten. Am Bahnhof muss man beispielsweise ein Entgelt zahlen, um durch das Drehkreuz zum Sanifair-WC zu gelangen. Besonders deutlich zeigt sich die Diskriminierung aber am Bremer Platz. Die Stadt hatte bei dem Umbau beschlossen, dass dort kein Klohäuschen mehr hingehört. Das Argument von Sozialdezernentin Cornelia Wilkens: Es brauche eine „höhere soziale Kontrolle“, um zu verhindern, dass das Klo für den Drogenhandel und -konsum zweckentfremdet wird.
Die Stadt hat deshalb zwei „ganzjährig nutzbare Hock-WCs“ am Szenebereich des Bremer Platzes angebracht, die „weder über Dächer noch Türen“ verfügen. Stattdessen sind die Klos „von einer schneckenförmigen, anderthalb Meter hohen Metallwand“ mit Gucklöchern umgeben. Falls Sie sich das Konstrukt nicht vorstellen können, finden Sie hier ein Foto. Ein kurzer Blick genügt, um zu verstehen: Wer am Bremer Platz mal muss, hat leider keine Privatsphäre.
Trotzdem: „Die jetzige Lösung ist besser als nichts“, schreibt der Pädagoge Ulrich Dowe von der Drogenhilfe Indro. Dass die Klos jeden Tag gereinigt werden sollen, bewertet Dowe positiv. Einen geschützten Raum böten die WCs aber nicht: Beim Hinhocken begeben sich die Nutzer:innen in eine angreifbare und verletzliche Position, schreibt Dowe. Das könnte Diebstähle oder Übergriffe, zum Beispiel Fotos beim Toilettengang, fördern.
Ulrich Dowe schließt nicht aus, dass sich die Toilettensituation auf den kompletten Bremer Platz auswirken könnte. Vor dem Umbau hatte die Szene ihn komplett zur Verfügung (RUMS-Brief). Jetzt kann sie nur noch ein Drittel der früheren Fläche nutzen. Inzwischen treffe sich die Szene vermehrt direkt vor dem Indro. Ob sich zwei Treffpunkte dauerhaft etablieren oder ob der Plan der Stadt mit der Szenefläche am Bremer Platz aufgeht, hänge laut Dowe auch damit zusammen, ob die beiden Hock-WCs angenommen werden.
Klo-Konzept in Arbeit
Für Lilith Kuhn und Rosa Aue vom „Klolektiv“ sind Toiletten ein Raum, der viele gesellschaftliche Entwicklungen und Probleme widerspiegelt. Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und sozialem Status, ökonomische Sachzwänge, der Umgang mit ökologischen Ressourcen – und mit einem menschlichen Grundbedürfnis. Wir alle müssen mal aufs Klo.
Das „Klolektiv“ hat deshalb „Klotopien“ formuliert, die bessere sanitäre Verhältnisse für Mensch und Natur herstellen und den öffentlichen Toiletten den Stellenwert einräumen, den sie verdient haben: als ein Teil der Daseinsvorsorge. Die Minimalforderung dabei lautet: In jeder Stadt sollte es genug saubere öffentliche Toiletten geben.
Wie es mit dem Ausbau der WC-Infrastruktur in Münster weitergeht, habe ich beim Presseamt nachgefragt. Ich wollte unter anderem wissen, nach welchen Kriterien öffentliche Toiletten errichtet werden, ob mehr barrierefreie und ökologische Klos entstehen sollen und ob auch klo-politische Satzungsvorschriften geplant sind. Die Stadt möchte mir noch keine Auskunft geben. Die Verwaltung arbeite gerade an einem Toilettenkonzept für Münster.
Ob wir einer „Klotopie“ näher rücken, werden Sie im RUMS-Brief lesen, sobald das Toilettenkonzept fertig ist. Mit sehr viel Glück geht vielleicht der vorletzte Satz in Erfüllung, den das „Klolektiv“ in ihrem Manifest „Pissen ist politisch!“ aufgeschrieben hat. Er lautet: „Ich will nicht müssen, sondern können.“ Das ist doch eine schöne Vorstellung. (sfo)
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+++ Die Stadtbücherei und die Feuer- und Rettungswache an der Theodor-Scheiwe-Straße produzieren künftig ihren eigenen Ökostrom. Dazu sind in dieser Woche Photovoltaik-Anlagen auf den Dächern installiert worden. Die Anlage der Bücherei produziert mehr als zehn Prozent ihres Jahresstromverbrauches. Zum Vergleich: Sie erzeugt jährlich genug Strom für zehn Zwei-Personen-Haushalte. Die Anlage auf der Rettungswache 2 ist noch leistungsfähiger. Sie produziert jährlich knapp dreimal so viel Strom. (rba)
+++ Am Donnerstag findet das nächste Münsteraner Klimagespräch statt. Die Gäste diskutieren zum einen über Pläne der Bundesregierung wie Heizungsgesetz und Klimageld. Zum anderen über die gesellschaftlichen Auswirkungen, beispielsweise ob der Klimaschutz die Gesellschaft spaltet oder was passieren muss, damit die Bevölkerung Maßnahmen mitträgt. Weitere Infos gibt’s hier. (rba)
Anonymer Briefkasten
Haben Sie eine Information für uns, von der Sie denken, sie sollte öffentlich werden? Und möchten Sie, dass sich nicht zurückverfolgen lässt, woher die Information stammt? Dann nutzen Sie unseren anonymen Briefkasten. Sie können uns über diesen Weg auch anonym Fotos oder Dokumente schicken.
+++ Einige Spielplätze stehen wegen des Regens unter Wasser, wie auf diesem Foto zu sehen, nicht zu benutzen. (Stadt Münster)
+++ Der Entwurf für das neue Viertel an der Busso-Peus-Straße in Gievenbeck, das Wohnen und Wissenschaft verbinden soll, ist ab Mitte März öffentlich zu sehen. (Stadt Münster)
+++ Die Erich-Klausener-Realschule wird für neun Millionen Euro saniert. (Grüne Münster)
+++ Am 23. Februar lädt die Stadt zum zweiten Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine ab 17 Uhr zu einer Gedenkveranstaltung ins Rathaus ein. (Stadt Münster)
+++ Die FDP in Münster schlägt vor, Schulen nach dem sogenannten Gütersloher Modell mit genauen Kennzeichnungen zu versehen, um Rettungskräften eine schnellere Orientierung zu ermöglichen. (FDP Münster)
+++ Drei Büros haben den Städtebau-Wettbewerb um das Baugebiet Hiltrup-Ost gewonnen. (Stadt Münster)
+++ Die Industrie- und Handelskammer hat ein Positionspapier dazu veröffentlicht, wie die Wirtschaft in der Region ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit verbessern kann und möchte von Unternehmen Rückmeldungen dazu. (Industrie- und Handelskammer)
+++ Die Franziskus-Stiftung hat sich wegen „unterschiedlicher Auffassungen zur Leitung des Krankenhauses“ mit sofortiger Wirkung von Tim Richwien, bislang Chef des Herz-Jesu-Krankenhauses in Hiltrup, getrennt. (St.-Franziskus-Stiftung)
+++ Münster bekommt aus Düsseldorf 3,5 Millionen Euro, um die Straßen für den Rad- und Fußverkehr zu verbessern – unter anderem für den Umbau der Schillerstraße zur Fahrradstraße, 2.000 neue Fahrradabstellanlagen und den Neubau der Haskenau-Brücke. (Grüne, CDU)
Wenn sich das Wetter im kommenden Frühling bessert, können Sie endlich wieder das Fahrrad aus dem Keller holen. Der Münsterland-Verein gibt in dem neuen Reisemagazin „Das Gute erleben“ ein paar Tipps für Entdeckungstouren. Zum Beispiel die vier Radtouren auf der 100-Schlösser-Route. Hunderte Kilometer führen die Wege über alle Himmelsrichtungen des Münsterlandes – immer entlang der Schlösser und Burgen der Region. Die Touren sind auf mehrere Tage ausgelegt. Wenn Sie dabei mehr über die Schlösser erfahren möchten, hilft die neue App „Schlösser & Burgen Münsterland”. Das Reisemagazin liegt kostenfrei bei den Touristik-Informationen der Region aus. Online finden Sie das Magazin hier.
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Heute hat Raphael Balke für Sie in den Kalender geschaut. Das sind seine Empfehlungen.
+++ Der rassistische Anschlag in Hanau jährt sich am Montag zum vierten Mal. Das Theater Münster führt das Stück „And now Hanau“ in den kommenden Wochen mehrfach auf. Das Stück rekonstruiert die Tatnacht, in der neun Menschen starben. Es thematisiert Aufarbeitung, Fehler und offene Fragen. Tickets gibt es beim Theater Münster. Weitere Hintergründe zur Tat finden Sie hier.
+++ Im Planetarium erhalten Sie am Samstag einen Einblick in die Palliativpflege. Das Stück „zwischen//welt“ möchte mit einer 4D-Performance sensibilisieren. Sie tauchen eine Stunde lang in die Welt eines Patienten auf der Palliativstation und seines Pflegers ein. Im Anschluss beantworten ein Arzt und Palliativpfleger:innen Fragen des Publikums. Tickets gibt es hier.
+++ In der Halle Münsterland dreht sich am Wochenende bei der Messe „Leezenfrühling“ alles rund ums Fahrrad und nachhaltige Mobilität. Neben Aussteller:innen und Indoor-Teststrecke läuft am Samstag und Sonntag ein Bühnenprogramm mit Vorträgen, beispielsweise zum Reisen mit dem Rad. Weitere Infos finden Sie hier.
+++ Der Nabu Münster bildet Menschen zwischen 16 und 27 Jahren zum Biodiversität- und Klimacoach aus. Am Montag findet dazu eine digitale Infoveranstaltung statt, die um 19 Uhr beginnt. Interessierte belegen dann zwischen März und Oktober Workshop-Module. Alle Infos zur Anmeldung gibt es hier.
+++ Am Dienstagabend kommt die Schriftstellerin Daniela Dröscher nach Münster. Sie war vor zwei Jahren mit ihrem Roman „Lügen über meine Mutter“ für den Deutschen Buchpreis nominiert, der die Geschichte einer Mittelstandsfamilie in den 1980er-Jahren erzählt. Es geht um den Versuch des sozialen Aufstiegs, gescheiterte Beförderungen, das Gefühl, nicht dazu zu gehören, um Körpergewicht, Diäten und Abnehmwahn. Die Lesung mit Daniela Dröscher beginnt um 20 Uhr im Festsaal der Uni Münster am Schlossplatz 5. Der Eintritt ist frei.
Am Dienstag schreibe ich Ihnen wieder. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!
Herzliche Grüße
Ralf Heimann
Mitarbeit: Raphael Balke (rab), Sebastian Fobbe (sfo) – das bedeutet: Die einzelnen Texte im RUMS-Brief sind von der Person geschrieben, deren Kürzel am Ende steht.
Lektorat: Maria Schubarth
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PS
Lisa Simpson sagte einmal: „Meine Interessen sind Musik, Physik, Gerechtigkeit, Tiere, Formen und Gefühle.“ Sie könnte mir bestimmt ein Phänomen erklären, das mir seit einigen Wochen Rätsel aufgibt. Vor einiger Zeit habe ich beim Spazieren an der Promenade in der Nähe des Coerdeplatzes einen Kreis auf dem gepflasterten Weg entdeckt. Dieser Kreis sieht so aus. Wenn man sich in die Mitte stellt, hört man seine eigene Stimme doppelt. Andere Menschen können diesen Effekt nicht hören. Leider verstehe ich zu wenig von Physik und Formen, um dieses Mysterium zu lösen. Deswegen gebe ich meine Frage an Sie weiter: Wissen Sie, was da passiert? Falls Sie die Antwort kennen, schreiben Sie mir gerne eine E-Mail. Ich werde die Auflösung in einem der nächsten RUMS-Briefe veröffentlichen. (sfo)
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