Münsters utopische Klimaziele, Folge 247 | Frauenfußball in Münster – eine Bestandsaufnahme | Unbezahlte Werbung: The Cornershop

Porträt von Ralf Heimann
Mit Ralf Heimann

Guten Tag,

in der Ratssitzung morgen Nachmittag steht gleich an Punkt zwei der Tagesordnung die Einwohnerfragestunde. Sie wird keine ganze Stunde lang dauern, denn es sind nur zwei Fragen eingereicht worden. In einer geht es um eine Entscheidung aus dem Jahr 2020, um  Münsters Ziel, bis 2030 klimaneutral zu werden. Dirk Guntenhöner möchte wissen

„Warum wurde der genannte Ratsbeschluss missachtet und es gibt dreieinhalb Jahre später immer noch keinen konkreten und verbindlichen Maßnahmenplan und auch kein Monitoring-Verfahren?“

Guntenhöner ist nicht der Erste, der versucht, auf diese Frage eine Antwort zu bekommen. Als wir von der Stadt vor anderthalb Jahren genau das Gleiche wissen wollten, hieß es, der ganze Prozess sei sehr komplex; es seien viele Akteure an unterschiedlichen Stellen beteiligt; es gehe um sehr viele Maßnahmen. Eine komplette Übersicht zu erstellen, sei daher schwer. 

Der Klimaaktivist Christian Ladleif probierte es mit einer Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz. Er wollte alle Dokumente, E-Mails und Korrespondenzen einsehen, die im Zusammenhang mit der Sache erstellt worden waren. Die Stadt redete sich am Ende irgendwie raus. Die ganzen Unterlagen lägen bei den Ämtern, hieß es. Es gebe da leider nichts, was man herausgeben könne. 

Wir warten noch immer

Am Ende blieb der Eindruck, dass die Stadt hier nur eine Umschreibung für den Umstand geliefert hatte, dass einfach noch nicht so viel passiert war. Den Maßnahmenplan gibt es noch immer nicht. Aber was ist eigentlich mit dem Monitoring-Verfahren?

Anfang 2022 schrieb Markus Lewe in einem Beitrag für das Magazin „Die politische Meinung“: 

„Als Oberbürgermeister von Münster möchte ich einen Klimahaushalt für das kommende Haushaltsjahr in meiner Heimatstadt einführen. Denn Münster soll bis 2030 klimaneutral werden.“ 

Im März vergangenen Jahres gab der Rat Lewes Stadtverwaltung den Auftrag, bis zur Sommerpause zu klären, ob Münster ein Klimabudget einführen kann, wie die Stadt Oslo es getan hat – also eine Übersicht, die zeigt, wie viel CO2 Münster überhaupt noch in die Luft blasen darf.

Inzwischen ist ein Jahr vergangen. Raten Sie mal, was aus dem Konzept geworden ist. Richtig, wir warten noch immer. 

Mitte Dezember schrieb die Stadtverwaltung auf die Frage, was denn da los sei: Es sei alles kompliziert – oder nein, es sei „fachlich nicht trivial“. Man könne sich so ein Modell nicht einfach irgendwo abschauen, denn so etwas gebe es noch nicht. Wann der Vorschlag denn vorliegen werde, schrieb die Stadtverwaltung nicht. 

Wir haben in dieser Woche noch einmal nachgefragt. Antwort: Die Anträge seien fast fertig und würden gerade abgestimmt. Voraussichtlich im zweiten Quartal, also zwischen April und Juni, werde man das Klimabudget vorstellen.

Festhalten können wir: Es ist alles nicht ganz so einfach. Und festhalten können wir ebenfalls: Im kommenden Jahr ist die Hälfte der Zeit verstrichen, die Münster seit dem Ratsbeschluss bleibt, um das Ziel Klimaneutralität zu erreichen. Aber bislang kann die Stadt weder sagen, welchen Weg sie gehen will, noch, wo sie überhaupt steht. 

Politisch äußerst unangenehm

Die ÖDP schreibt Anfang der Woche in einer Pressemitteilung zu Münsters Klimaziel: 

„Es ist klar: Das werden wir niemals in sechs Jahren erreichen können. Wir haben viel zu spät begonnen.“

Die Partei fragt: „Wie sollen die notwendigen Entscheidungen initiiert und gefällt werden, wenn es keinen Plan gibt?“

Dass es ihn brauche, sei offensichtlich. Damit stelle sich die Frage, ob das alles „bewusst“ passiere. Eine mögliche Antwort darauf, warum das so sein könnte, liefert die ÖDP gleich mit: „Der Plan wäre politisch äußerst unangenehm. Mit ihm könnte man den geringen Fortschritt messen“, so steht es in der Mitteilung. 

Tatsächlich kann man fragen: Ist es denn wirklich so unmöglich, einen Maßnahmenplan zu erstellen? München hat das doch auch geschafft. Sogar schon vor drei Jahren. Bei einer mehr als viermal so großen Stadt wird das alles ja noch etwas komplizierter und umfangreicher sein als hier in Westfalen. 

Und wie kann es sein, dass Münster, das bislang noch vorwiegend im Nebel stochert, sagt: Wir schaffen das bis 2030 – während München, das schon lange weiß, was alles gemacht werden muss, das Ziel vorsichtig bis aufs Jahr 2035 hinausschiebt.

Kann es vielleicht auch daran liegen, dass es in Münster wichtiger ist, die eigene Exzellenz mit großem Effekt zu inszenieren, als sie tatsächlich unter Beweis zu stellen?

Das kann Münster niemand nehmen

Münster hat sich in den Kreis der hundert europäischen Städte aufnehmen lassen, die zuallererst über die Linie laufen möchten. Damit steht man jetzt in einer Reihe mit den Ambitioniertesten, wird genannt, wenn es darum geht, wer beim Klimaschutz ganz vorne mit dabei ist. Diesen Erfolg kann Münster niemand mehr nehmen. 

Dabei kann die Stadt ihr Ziel tatsächlich kaum noch erreichen. Aber wen wird das später interessieren? Dann hat es eben nicht geklappt. Man hatte ja gute Absichten. Wer will einem so was verübeln? 

Und bis dahin kann man das überehrgeizige Ziel ja noch fantastisch im Marketing als Qualitätssiegel verwenden.

Wie es am Ende ausgehen könnte, das hat Markus Lewe vor zwei Wochen im Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ schon angedeutet. 

Auf die Frage, was die Kürzungen im Bundeshaushalt für die ambitionierten Klimaziele der Städte bedeuten, sagte er: 

„Die Gefahr besteht, dass die Städte ihre selbst gesteckten Klimaziele verfehlen. Um klimaneutral zu werden, brauchen wir Investitionen in die Transformation. Dafür stehen nun aber zu wenig Mittel zur Verfügung.“

Man ahnt schon, wie es klingen könnte, wenn das Jahr 2030 anbricht und das mit dem Klimaziel alles doch nichts geworden ist. Dann kann man immer noch nachdenklich gen Osten schauen, die Schultern heben und sagen: „Leider, leider, ja leider: Berlin ist schuld.“ (rhe)

Korrekturhinweis, 22. Februar: Die Stadt Münster hat kritisiert, dass wir in unserer Anfrage zum aktuellen Stand des Klimabudget-Antrags vom Montagnachmittag keine Frist gesetzt haben. Es sei nicht klar gewesen, dass wir die Antwort bis Dienstagnachmittag brauchen würden. Fairerweise müssen wir sagen: Das stimmt. Daher haben wir die Passage, in der stand, dass anscheinend niemand die Frage beantworten könne, durch die Antwort der Stadt, die heute hier ankam, ersetzt.

Kurz und Klein

+++ Die Ratssitzung morgen im Schnelldurchlauf. Worum geht’s? Die Tagesordnung hat 36 Punkte. Könnte also sein, dass schon nach zwei Spielfilmlängen Schluss ist. Kann aber auch sein, dass man sich wieder in irgendeiner Debatte verfängt. Zum Beispiel über die sogenannten Mobilstationen, die überall in der Stadt den Umstieg von einem auf das andere Verkehrsmittel erleichtern sollen. Hier ist die Frage unter anderem, ob die Stadt für den Bau noch weiteres Personal einstellen soll. Könnte auch sein, dass man über eine Resolution der Internationalen Fraktion gegen Rechtsextremismus diskutiert. Da war die Frage: Ist sie wirklich so formuliert, dass alle Parteien zustimmen können? Dann geht es noch darum, ob die Stadt den Eingang zur Bürgerhalle im historischen Rathaus für eine halbe Million Euro umbaut (vermutlich ja). Und um die, ob Busfahren ab August teurer wird (vermutlich ja). Der Rat möchte, dass es in Zukunft möglich wird, per Videokonferenz an Sitzungen teilzunehmen (oh ja, bitte!). Spannende Lektüre fürs Wochenende vielleicht (leider ohne Happyend): die letzten Jahresberichte des Freilichtmuseums Mühlenhof. Oder, nicht ganz so spannend: der Beteiligungsbericht des Stadtkonzerns Münster. Die Sitzung beginnt um 16:15 Uhr, den Livestream finden Sie hier. (rhe)

+++ Reise nach Jerusalem, nächste Runde. 4.096 Kinder in Münster brauchen im nächsten Kita-Jahr einen Platz. Ihre Eltern haben sie über den Kita-Navigator angemeldet. Ungefähr 1.000 von ihnen werden in der ersten Runde allerdings keine Zusage bekommen, denn zwischen Anmeldewunsch und Wirklichkeit klafft eine Lücke. Die Zahl der Plätze liegt bei 3.120. Laut Stadt schon 584 mehr als bisher, weil fünf neue Kitas eröffnen. Trotzdem reicht es hinten und vorne nicht, dem Anschein nach auch oben und unten. 324 Plätze können nicht vergeben werden, weil Fachkräfte fehlen, schreibt die Stadt. Kleiner Hoffnungsschimmer zum Ende: Es wird noch eine weitere Runde geben, ab dem 11. März. Dann beginnt das Nachrückverfahren. (rhe)

 +++ Münsters FDP und Münsters SPD spielen jetzt über Pressemitteilungen miteinander Pingpong. Die FDP-Fraktion schlägt lässig auf mit ihrer Kritik. Sie lautet, die SPD werfe mit ihrer Forderung nach einer vierten Gesamtschule die bestehenden Planungen der Schullandschaft über den Haufen, damit gefährde sie Schulstandorte. Die SPD retourniert ihrerseits mit einer Pressemitteilung, die mit dem Satz beginnt: „Die Anschuldigung der FDP verwundert uns doch sehr.“ Man treibe die Schulentwicklungsplanung auf Basis von Fakten voran. Den nächsten Topspin hatte die FDP in ihrer Mitteilung schon antizipiert, als sie schrieb: „Das mantrahaft von der SPD vorgetragene Argument, die Zahl der Abweisungen an den Gesamtschulen sei zu hoch, verfängt mit der jetzigen Errichtung der Gesamtschule in Roxel nicht mehr.“ Im letzten Moment platziert die SPD nun noch einen überraschenden Netzroller. Der Bedarf an Gesamtschulplätzen nehme zu, so schreibt sie. Vor dem letzten Satz steht es unentschieden. Und was machen wir jetzt? Am besten erst mal eine kleine Pause. (rhe) 

+++ Die deutsche Aidshilfe hat in einem Modellprojekt untersucht, wie verbreitet Fentanyl in der Drogenszene ist. In Münster, einem von 17 untersuchten Orten, fanden Schnelltests das Schmerzmittel in acht von 296 Heroin-Proben. Das klingt nach wenig, besorgt die Aidshilfe aber: Synthetische Opioide wie Fentanyl seien demnach in Deutschland angekommen, heißt es auf der Website. Fentanyl wird eigentlich in der Medizin zur Schmerzlinderung eingesetzt. Als Droge missbraucht, wirkt das billig herzustellende Opioid deutlich stärker als teures Heroin. Die Aidshilfe fordert nach ihrem Modellversuch, in den Drogenkonsumräumen Schnelltests und Beratungen zu Fentanyl flächendeckend anzubieten. Bei dem Projekt sind die meisten positiven Tests in Hamburg aufgetaucht. (sfo)

+++ Seit Anfang des Monats kosten Anwohnerparkausweise in Münster 260 Euro. Viele Menschen ärgert das. So hatten beispielsweise mehr als 2.500 Menschen eine Petition gegen die neue Gebührenordnung unterzeichnet, als noch geplant war, die Preise von 17 auf bis zu 380 Euro zu erhöhen. Verwunderlich ist der Ärger nicht, schließlich ist es erstmal immer schlecht, wenn irgendwas teurer wird. Der Journalist Claudius Prösser hebt in der taz die positiven Seiten von hohen Parkgebühren hervor. Auch Leute, die in der Innenstadt parken wollen, hätten ein Interesse daran, dass sich der Parkdruck verringert, schreibt er. Zudem machten die hohen Gebühren unvermietete Plätze in Parkhäusern attraktiver. Sie stünden häufig leer. Dadurch könnten mehr Parkplätze verschwinden, was die Straßen wiederum entlaste. Prösser sieht außerdem ein Potenzial für die Außenstadtteile. Bei ihnen bleibt durch die Mehreinnahmen mehr Geld übrig, das man dann wiederum in die Infrastruktur stecken kann. (sfo)

+++ Wo wir gerade beim Thema sind, hier noch eine Nachricht aus Koblenz: Dort müssen Leute mit großen Autos ab März mehr fürs Anwohnerparken zahlen als Menschen, die kleinere Autos abstellen wollen, und sogar der ADAC zeigt dafür Verständnis. Eine ähnliche Gebührenstaffelung hatte die Stadt Münster ursprünglich auch geplant, aber nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wieder gestrichen (RUMS-Brief). Wie hat aber Koblenz diesen Zentimetervergleich durchbekommen? Ein Stadtsprecher hat der Nachrichtenagentur dpa erklärt (hier: Süddeutsche Zeitung), Koblenz bepreise „die tatsächliche Fläche, die ein Fahrzeug in Anspruch nimmt“. Wer einen Smart fährt, zahle demnach nur 104,87 Euro pro Jahr fürs Anwohnerparken, jemand mit einem „VW Tiguan“ hingegen 196,23 Euro. Das Bundesverwaltungsgericht hatte lediglich bemängelt, dass die Sprünge in den Gebührenstaffelungen nicht zu groß sein dürften. Applaus bekommt Koblenz von der Deutschen Umwelthilfe, laut der die Stadt das Urteil mustergültig umsetze. Ein anderes Positivbeispiel sei die Stadt Tübingen. Die verlangt beim Anwohnerparken mehr Geld von Leuten, die schwere Autos haben, als von Einwohner:innen mit leichten Fahrzeugen. (sfo)

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„Es wird viel gegeneinander gearbeitet“ 

Münster ist im Frauenfußball in der Breite sehr stark. Aber höher als in der vierten Liga spielt kein Team. Da kommt gerne die Frage auf: Was ist eigentlich mit Preußen Münster? Helene Altgelt hat für RUMS versucht, eine Antwort zu finden.

Preußen Münster hatte in den 70er- und 80er-Jahren ein Frauenfußballteam, das zu den besten der Stadt zählte. In der Saison 1991/92 löste es sich auf, seitdem spielen im größten Verein der Stadt nur noch Männer. Damit ist Preußen bundesweit in der Minderheit: Von den 54 Vereinen in den drei höchsten Spielklassen haben nur zehn keine Frauen-Abteilung. Die meisten davon kooperieren dafür mit einem anderen Verein.

So auch die Preußen: Seit dem letzten Jahr gibt es eine Kooperation mit Borussia Münster, einem Verein, zu dem es örtlich und historisch viele Verbindungen gibt. Das Frauenteam spielt in der Landesliga, der fünfthöchsten Spielklasse. Der sportliche Leiter der Preußen-Jugend, Sören Weinfurtner, nannte die Zusammenarbeit einen „ersten Schritt in Richtung Frauenfußball.“ Die spannende Frage war schon da: Wie sehen dann der zweite und dritte Schritt aus?

Die Ankündigung der Zusammenarbeit stieß damals in der Münsteraner Szene auf ein gemischtes Echo. Dass Preußen Münster sich endlich einbringen wollte, wurde sehr positiv aufgenommen. Aber es gab auch enttäuschte Stimmen: Jetzt machen sie es, und doch nicht so richtig, doch nicht mit einem eigenen Team. 

Der Frauenfußball in Münster wird gerne als fruchtbarer Boden beschrieben. Nirgendwo in Westfalen gibt es mehr Teams im Spielbetrieb, und als Studentenstadt zieht man regelmäßig Talente an. Nur in Münster stellt sich die Frage: Wer setzt die Zwiebel in den Boden? Oder wächst sie bereits?

Das stärkste Team stellt aktuell Wacker Mecklenbeck. Es gewann kürzlich die Hallen-Meisterschaften. In der Westfalenliga spielt Wacker um den Aufstieg – heiß ersehnt, aber angesichts von sechs Punkten Rückstand auf die Spitze eher unwahrscheinlich. 

In der nächsten Saison wird es nicht einfacher, wenn der übermächtige BVB in seinem Eilzug durch die deutschen Ligen auf Wacker trifft. Der BVB gilt als Illustration dessen, was Preußen Münster vermeiden will: durch die Sogkraft eines großen Namens die gewachsenen Strukturen in der Stadt zerstören.

Statt drei nur noch einen Landesligisten?

Die Ankündigung der Dortmunder Borussia, zukünftig ein Frauenteam zu stellen, hatte die erwartete Wirkung: Aus ganz Nordrhein-Westfalen kamen die Bewerbungen für das Probetraining, die Konkurrenz in den niedrigeren Ligen hat keine Chance gegen den BVB. 

Die Auswirkungen der Gründung waren weit über Dortmund heraus zu spüren: „In Gütersloh sind Spielerinnen aus der Ersten Mannschaft, die in der 2. Bundesliga spielt, zur Zweiten von Dortmund in die Bezirksliga gewechselt, weil es halt der BVB ist“, berichtet Felix Melchers, der Trainer von Wacker Mecklenbeck.

Würde das auch in Münster passieren? Melchers findet es richtig, vorsichtig an die Sache heranzugehen. Trotzdem plädiert er dafür, den Versuch zu wagen. Melchers sagt einen Satz, der für einen Trainer des aktuell höchstklassigen Teams überraschend klingt: „Es wäre nicht so wild, dass es vielleicht statt drei Landesligisten aus Münster noch einen gibt und statt zwei Westfalenligisten nur noch einen. Langfristig würde Münster profitieren.“ 

Ihm geht es vor allem um die Spielerinnen. Wer aktuell in Münster wohnt und die Ambition hat, Fußball als Leistungssport zu betreiben, der muss anderthalb Stunden nach Gütersloh oder Meppen fahren. Lange Strecken, vor allem neben Schule oder Studium. Melchers wünscht sich in Münster eine „sportliche Heimat“ für diese Talente. Viele würden aktuell unter ihrem Niveau spielen, weil sie diesen Mehraufwand nicht auf sich nehmen wollen.

Melchers ist frustriert wegen der Diskrepanz zwischen Potenzial und Realität in Münster. Sogar die 2. Liga sei möglich, glaubt er. Dafür bräuchte es aber eine Kooperation zwischen allen Klubs, um es mit vereinten Kräften zu stemmen: Die Jugendarbeit von Westfalia Kinderhaus, die Infrastruktur von Preußen Münster, die Expertise von Wacker. 

Unter welchem Dach das stattfinden könnte, ist Melchers eigentlich egal, er würde auch in Kauf nehmen, dass sein Verein vielleicht nicht mehr die Nummer eins wäre. Aktuell ist Münster von dieser Utopie aber noch weit entfernt. „Es wird viel gegeneinander statt miteinander gearbeitet“, so Melchers‘ ernüchterndes Urteil.

Die Sorge, weggedrängt zu werden

Auch Noemi Hutter glaubt: „Von den Spielerinnen her hätten wir das Potenzial für die dritte Liga.“ Hutter kennt sich aus: Seit dem letzten Jahr ist die 24-Jährige die Chefin für Frauenfußball im Kreis Münster. Hutter versteht Preußens Sorgen und lobt den offenen Austausch mit dem Klub.

Trotzdem glaubt sie auch, dass ein Einstieg von Preußen insgesamt eine positive Wirkung hätte: „Bei den Männern und bei den Jungs funktioniert das ja auch, dass die Breitensport-Vereine die Talente ausbilden und sie dann für zwei, drei Jahre zu einem höher spielenden Verein gehen, und am Ende doch die Heimatvereine wieder profitieren“, sagt sie.

Das ist generell der Tenor, wenn man sich in der Frauenfußball-Szene umhört. Die Sorge, weggedrängt zu werden, ist weniger groß als die Hoffnung, aus dem Potenzial in Münster mehr zu machen. Die Grundaufgabe für die Breitensport-Vereine bliebe gleich: ausbilden, an der Basis arbeiten. Ein ganz anderer Anspruch als der von Preußen.

Hutter sieht alle Bedingungen für eine Drittliga-Mannschaft in Münster gegeben, aber um sich dort langfristig zu etablieren, brauche es die passende Finanzierung und Infrastruktur. Davon seien Vereine wie Wacker, trotz der hervorragenden Arbeit dort, noch weit entfernt. 

Der einzige Verein, der das wohl stemmen könnte, wäre Preußen Münster. Sören Weinfurtner weiß um die Erwartungen an Preußen, auch um die gesellschaftliche Verpflichtung, in der er den Verein sieht. Weinfurtner spricht überlegt, er hat sich viel mit dem Thema auseinandergesetzt. 

„Wir müssen sehr sensibel agieren, weil wir gewachsene Strukturen nicht kaputt machen wollen“, sagt er. Um überhaupt die Folgen eines größeren Engagements abzusehen, sei ein größerer Austausch mit den anderen Vereinen notwendig. Aktuell sei der eher rudimentär und zufällig. Die Kooperation mit Borussia Münster läuft zudem seit weniger als einem Jahr. 

Bevor es um eine Ausweitung geht, soll zunächst ein erstes Fazit gezogen werden: „Wo sind wir schon verlässlicher Partner, und an welchen Stellen müssen wir besser werden?“ Am Anfang, sagt Weinfurtner, würde es auch darum gehen, erst mal die Expertise einzuholen, die Preußen im Frauenfußball fehlt: zum Spielbetrieb, zum Scouting, zu der Szene. Ein Großklub geht in die Lehre.

Die Priorität fehlt

In der Kooperation geht es aktuell vor allem darum, dass das Frauenteam von Borussia die Plätze von Preußen nutzen darf. Seit Kurzem stehen dem Verein mehr Flächen zur Verfügung, der Platzmangel war zuvor das große Hindernis für einen Einstieg im Frauenfußball. „Wir haben unsere Mannschaften selbst nicht einmal vernünftig unter bekommen. Es wäre unseriös gewesen, zu dem Zeitpunkt in den Mädchen- und Frauenfußball einzusteigen“, sagt Weinfurtner. 

Die beiden Vereine sind eng verbunden, arbeiten auch auf anderen Ebenen zusammen. Zudem können die Torhüterinnen von Borussia bei Preußens Jugendmannschaften mittrainieren. Es gibt einen regelmäßigen Austausch zwischen den Trainern, um sich gegenseitig fortzubilden, und die Borussia-Spielerinnen sind zur Ernährungsberatung bei Preußen – auf dem Level alles andere als selbstverständlich. 

„Wir sind gewillt, uns in der nächsten Zeit weiter einzubringen“, sagt Weinfurtner. Auf Borussias Seite sind sie auch sehr zufrieden mit der Kooperation. Zum Beispiel gebe es einen Zuständigen für den Spielbetrieb bei Preußen, der ein direkter Ansprechpartner ist und mit dem viel kommuniziert werde, sagt Irmi Venschott, die sportliche Leiterin der Mädchen- und Frauenabteilung: „Das ist ein Beleg, dass man nicht am Rand betrachtet wird, sondern mittendrin statt nur dabei ist.“

Wie geht es jetzt weiter? Aktuell hat der Frauenfußball, oder zumindest das Heben des Frauenfußballs auf die Leistungssport-Ebene, bei Preußen schlicht keine Priorität. Der Klub hat große Pläne: allen voran das neue Stadion, das nun endlich umgesetzt werden soll, und das Ziel, ein offiziell anerkanntes Nachwuchsleistungszentrum zu werden. 

„Das Stadionprojekt ist für den Verein essenziell und überstrahlt gerade alles. Da gehen extrem viel personelle Ressourcen rein“, so Weinfurtner. Er selbst hat als Leiter der Jugendsparte, was er neben seinem Vollzeitjob als Co-Rektor macht, alle Hände voll zu tun. Der Eindruck entsteht, dass Preußen Münster ehrlich bemüht ist, aber der Frauenfußball eins der Themen ist, die als Erstes vorne rüber fallen, wenn viel anderes zu tun ist. Ein größerer Ausbau der Kooperation ist vermutlich erst denkbar, wenn die anderen beiden Großprojekte abgeschlossen sind.

Nach ungefähr einem Jahr der Kooperation wollen sich Borussia und Preußen jetzt noch einmal zusammensetzen und die Zusammenarbeit evaluieren. Klar ist: Langfristig geht es in Richtung Leistungsfußball, alles andere hat keinen Sinn. 

Und das Geld?

Wie genau das aussieht, muss noch diskutiert werden. Irmi Venschott kann sich mehrere Optionen vorstellen: „Über eine Spielgemeinschaft könnte man nachdenken“, sagt sie, so dass man als „Preußen-Borussia“ antreten würde. Wie die DFB-Regularien in puncto Aufstieg da aussehen, müsste aber noch geklärt werden. 

So müsste Preußen Münster nicht bei null anfangen, in der Kreisliga. Für Venschott wäre es aber auch kein Problem, am Ende wieder auseinanderzugehen und Preußen den Leistungsfußball zu überlassen. „Dann machen wir weiter das, was wir schon fünf Jahrzehnte gemacht haben, nämlich den Kindern im Geistviertel eine Möglichkeit bieten.“

Und dann ist da natürlich noch das, woran so oft alles hängt: das Geld. Ein wenig Dünger braucht es doch, selbst bei einem fruchtbaren Boden. Aktuell ist der Frauenfußball für die meisten Klubs mit Profiabteilung ein schlechtes Geschäft. Viele Bundesligisten machen ein bis zwei Millionen Verlust pro Jahr. Das ist als gesellschaftliches Engagement, als Marketing-Strategie oder als Investition in die Zukunft gedacht. 

Für Vereine wie den VfL Wolfsburg ist das leichter zu stemmen als für Preußen. Sören Weinfurtner erklärt: „Wenn wir bei Preußen Leistungsfußball anbieten wollen, dann müssen wir auch die notwendigen Ressourcen haben, um das vernünftig und strukturiert aufzubauen. Es macht wenig Sinn, eine Frauenmannschaft zu organisieren, ohne einen vernünftigen Unterbau zu haben.“ 

Nur eine erste Mannschaft zu haben, käme also nicht in Frage. Weinfurtner ist überzeugt, dass ein halbherziger, alibimäßiger Versuch dem Frauenfußball in der Stadt mehr schaden als nutzen würde: „Wenn, dann musst du es mit ganzer Überzeugung tun. Ansonsten sendet man ein falsches Signal, weil da auch großes Potenzial für Enttäuschung drinsteckt.“ Potenzial für Enttäuschung bietet allerdings auch der Status quo.

Helene Altgelt, geboren und aufgewachsen in Münster, beschäftigt sich als freie Journalistin mit dem Frauenfußball und dem Zusammenspiel zwischen Gesellschaft und Sport.

Klima-Update

+++ Viel Hoffnung ruht in der Klimawende auf Wasserstoff. Der Ökonom Jeremy Rifkin sieht im Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft sogar den Beginn einer dritten Industriellen Revolution. Warum? Wasserstoff ist ein Alleskönner. Wird er mit Ökostrom erzeugt, kann zum Beispiel die Industrie klimafreundlicher produzieren. Die Europäische Kommission hat am Donnerstag milliardenschwere öffentliche Beihilfen für Wasserstoffprojekte in sieben Mitgliedsstaaten erlaubt, wie die Bezirksregierung Münster auf dem Karriereportal „Linkedin“ meldet. Damit soll jetzt auch das Netzwerk „Get H2“ in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen aufgebaut werden, über das Constanze Busch 2021 in diesem RUMS-Brief berichtet hat: „Ziel der Initiative ist, eine Infrastruktur für den Wasserstoff-Transport aufzubauen, inklusive Speicherkapazitäten für die Zeiträume ohne Wind und Sonne (sogenannte Dunkelflauten).“ Ob die Stadt Münster im großen Stil von der Förderung profitieren wird, ist eher unwahrscheinlich. Hier gibt es keine Stahl- oder Chemiewerke, wohl aber Busse und Lkw, die mit Wasserstoff betankt werden könnten. (sfo)

Ein-Satz-Zentrale

+++ Gestern Vormittag ist am Flughafen Münster-Osnabrück der Strom ausgefallen, was aber keine Auswirkungen auf Starts oder Landungen hatte. (Nachrichtenagentur dpa, hier: Süddeutsche Zeitung)

+++ Bis Jahresende wollen die Stadtwerke an Haltestellen 80 neue Anzeigetafeln installieren, die zeigen, wann die Busse abfahren. (Stadtwerke Münster)

+++ Zwei Psychologen betonen, dass Rechtsextremismus ein komplexes Phänomen ist, das sich nicht einfach auf Angst oder Persönlichkeitsmerkmale zurückführen lässt und auch keine psychische Krankheit ist. (Westfälische Nachrichten)

+++ Die AfD hat die Polizei für ihren Einsatz bei der Demo am Freitag kritisiert, hatte aber den Vorschlag, die Veranstaltung in die Stadthalle Hiltrup zu verlegen, nicht angenommen. (Westfälische Nachrichten)

+++ Vor dem Friedenssaal legen Menschen Blumen und Kerzen für den russischen Oppositionellen Alexei Nawalny ab, der aus bislang ungeklärten Gründen in einem Straflager gestorben ist. (Antenne Münster)

+++ Eine Frau ist zu einer Geldstrafe verurteilt worden, die in Gievenbeck giftige Hundeköder verteilt hat. (Polizei Münster)

+++ Der Geschäftsführer des Unternehmens UTB, das den Gasometer umbauen will, sagt, man habe statt der vorgeschriebenen 30 Prozent 60 oder 70 Prozent an Sozialwohnungen eingeplant, denn das oberste Ziel des Projekts sei nicht die Gewinnmaximierung, sondern das Gemeinwohl. (Westfälische Nachrichten)

+++ Ab Sonntag ist der Schlossplatz gesperrt, damit die Schausteller:innen den Frühlingssend aufbauen können. (Stadt Münster)

+++ Laut dem Report „Im Schatten der Ölpalme“ beziehen oder verkaufen über 20 deutsche Unternehmen Palmöl von zwei Firmen in Guatemala, die für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden verantwortlich sind. (Initiative Romero, Report)

+++ Demo-Organisator Carsten Peters vom Bündnis „Keinen Meter den Nazis“ sagt, mit Blick auf die nächste Kundgebung werde man CDU und FDP „ein Gesprächsangebot machen“. (Westfälischen Nachrichten)

Unbezahlte Werbung

Vieles, was „The Cornershop“ an der Kreuzschanze anbietet, beschreibt die Inhaberin Anna Winter als „schön und nützlich“. Das fasst sehr gut zusammen, was der kleine Laden verkauft: allerlei Deko, Geschenkartikel, Accessoires, handgemachte Kerzen und mehr. Viele Produkte sind von britischem Design inspiriert. Für den ersten Eindruck schauen Sie mal auf die Website. Für einen zweiten besuchen Sie das urige Geschäft am besten einfach selbst an der Rudolf-von-Langen-Straße.

Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!

Drinnen und Draußen

Raphael Balke hat für Sie in den Terminkalender geschaut. Das sind seine Empfehlungen. 

+++ Vor zwei Jahren hat Russland die Ukraine angegriffen. Zum Jahrestag des Kriegsbeginns lädt das Theater zusammen mit der Uni Münster zu einem Themenabend ein. Dabei geht es um die Anfänge und Gründe des Krieges und über die aktuelle Situation. Zu Gast sind anderem die deutsch-ukrainische Autorin und frühere RUMS-Kolumnistin Marina Weisband und die Historikerin Kateryna Kobchenko. Dazu lesen Schauspieler:innen übersetzte Texte ukrainischer Autor:innen vor. Tickets gibt es hier.

+++ Der „GTD Comedy Slam“ am Freitag ist schnell erklärt: Sechs Comedians treten auf der Bühne gegeneinander an und der- oder diejenige mit den besten Witzen gewinnt. Alle haben zehn Minuten Zeit, das Publikum zu überzeugen. Fünf Plätze vergeben die Veranstaltenden vor dem Event. Wer spontan auf der Bühne im Kreativ-Haus stehen möchte, kann auf der „offenen Liste“ antreten. Los geht’s um 20 Uhr.

+++ Die Ausstellung „Ein Platz an der Sonne“ startet am Freitag im Stadtmuseum. Fotografin Onna Buchholt befasst sich mit der kolonialen Geschichte Deutschlands in Togo. Buchholt hat 18 Menschen porträtiert und mit ihnen über Erinnerungskultur und Kolonialgeschichte gesprochen. Dazu fotografierte sie Straßenschilder, Kolonialdenkmäler und Pflanzen, die in Deutschland noch auf die deutsch-togoische Kolonialzeit hinweisen. 

+++ 75 Mal hat das Rudelsingen in den vergangenen zwölf Jahren stattgefunden. Deshalb gibt es diese Woche gleich zwei Jubiläumsveranstaltungen. Der Termin am Donnerstag ist bereits ausverkauft, für Mittwoch gibt es hier noch Karten.

+++ Bei der „Peinlo Pop Party“ laufen nur „Guilty Pleasures“. Sie wissen schon, diese Lieder, die so peinlich sind, dass wir uns ein klitzekleines bisschen dafür schämen. Hits, die alle kennen, gibt’s am Samstagabend im Conny Kramer. Tickets finden Sie hier, einen musikästhetisch fragwürdigen Vorgeschmack hier.

Am Freitag schreibt Ihnen Svenja Stühmeier. Ich wünsche Ihnen eine gute Woche. 

Herzliche Grüße
Ralf Heimann

Mitarbeit: Sebastian Fobbe (sfo), Raphael Balke (rab) – das bedeutet: Die einzelnen Texte im RUMS-Brief sind von der Person geschrieben, deren Kürzel am Ende steht.
Lektorat: Maria Schubarth

PS

Das ZDF-Magazin „aspekte“ war bei uns zu Besuch, also eigentlich nicht bei uns, sondern bei „Perspective Daily“, mit denen wir uns eine Redaktion teilen. Aber in Minute 23.47 ist für einen Augenblick mein Kollege Sebastian Fobbe im Hintergrund zu sehen, beziehungsweise sein Hinterkopf. Das Thema des Beitrags ist Eskapismus, die Flucht vor der Schrecklichkeit dieser Welt. Und da können wir noch schnell auf eine aktuelle Studie hinweisen, die in Münster entstanden ist, und über die der Deutschlandfunk heute berichtet. Ergebnis: Der Krieg in der Ukraine wirkt sich auf das Wohlbefinden der Menschen in Europa aus – und auch hier, natürlich, eben nicht positiv. Wir könnten ein „Perspective Daily“-Abo empfehlen. Und falls das nicht hilft, vielleicht auch noch eins von „Apple+“. Da ist zurzeit die sehr gut gemachte Serie „Masters of the Air“ von Steven Spielberg und Tom Hanks zu sehen, die vom Zweiten Weltkrieg handelt und zum Start gleich einen Rekord gebrochen hat. Wie, das wird die Stimmung ja auch nicht gerade heben? Na ja, gut. Sie haben recht. Das vielleicht nicht. Aber ich wollte es hier noch irgendwie unterbringen: In der fünften Folge geht es nämlich um einen Bombenangriff auf Münster. (rhe)

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