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Münsteraner Erklärung: Wirklich eine gute Idee? | Platz 1 auf der Bestsellerliste: Interview mit Marc Raschke | Unbezahlte Werbung: Café-Bistro 21 Ost

Guten Tag,
am Berufskolleg Hildegardisschule an der Neubrückenstraße hätte heute eine Podiumsdiskussion zur Bundestagswahl stattfinden sollen. Eingeladen waren CDU, FDP, Grüne, SPD, BSW, Linke und AfD. Weil die AfD zusagte, sagten am Ende alle anderen Parteien ab. Die Podiumsdiskussion fiel aus.
Münsters SPD-Chef Fabian Schulz informierte seine Partei darüber am Freitag am Ende eines Schreibens mit der Betreffzeile „Zur Diskussion zur Münsteraner Erklärung“.
Die SPD hatte die Erklärung, in der sich verschiedene Gruppen und Parteien gegen die Politik der AfD positionieren, nicht unterschrieben (RUMS-Brief). Die Gründe dafür erklärte Schulz in dem Schreiben. Unter anderem befürchte er, so erklärt er, dass die Erklärung der in Münster bislang unbedeutenden Partei unnötige Aufmerksamkeit verschafft.
Heute lesen Sie im Brief:
- U18-Wahl: SPD stärkste Kraft im Regierungsbezirk
- Nach Missbrauchsvorwürfen: Dritter katholischer Priester seit Januar suspendiert
- Der Rürup: Wahlumentscheidung
- Kita-Krise: 21,7 Tage ohne Betreuung
- Hammer Straße: Neuer Name fürs Fußballstadion gefunden
- Briefwahl: Was Sie auf dem letzten Drücker noch wissen müssen
- Interview mit Polit-Influencer Marc Raschke: „Meine Empfehlung ist, die parteipolitische Brille abzunehmen“
- Korrekturen Die Sache mit den Kilowatt
- Ein-Satz-Zentrale: Wer vermisst einen Silberbarren?
- Unbezahlte Werbung: Café-Bistro 21 Ost
- Drinnen und Draußen: Theaterstück über die Ukraine im Kleinen Bühnenboden
Im vorletzten Absatz der Erklärung steht der Satz: „Für uns ist daher selbstverständlich, dass wir an keinen Podien teilnehmen, auf denen die AfD auftritt, und dass wir in keiner Weise mit ihr zusammenarbeiten – weder im Wahlkampf noch danach.“
Dahinter steht eine Absicht. Man möchte nicht, dass die AfD wie eine ganz normale Partei erscheint. Doch jedes Podium, auf dem AfD-Kandidaten in der Runde sitzen, verfestigt den Eindruck, dass sie das wäre.
Fabian Schulz sagt am Telefon, der Satz mit den Podien sei der strittige Punkt gewesen. Schulz hätte sich eine Formulierung gewünscht, die auch Ausnahmen zulässt. In diesem Fall hätte sich so verhindern lassen, dass am Ende gar keine Diskussion stattfindet.
Die Hildegardisschule war nicht gezwungen, die AfD einzuladen. Das geschah freiwillig. Auch auf Wunsch der Schülerschaft, sagt Schulleiter Peter Garmann. Die Schülerinnen und Schüler hätten sich gewünscht, dass auf dem Podium alle Parteien sitzen, die im Bundestag vertreten sind.
Den Wunsch kann Garmann verstehen. Er hätte sich gefreut, wenn die Diskussion stattgefunden hätte. „Wenn eine Partei verfassungsfeindliche Thesen hat, dann können die Direktkandidaten der übrigen Parteien den Schülern das doch sagen“, sagt Garmann, der selbst Politik unterrichtet. Er fragt: „Wer wäre denn dazu besser geeignet als die, deren Beruf es ist, in Berlin Politik zu machen?“
Die Absage der Podiumsdiskussion zeigt, wie komplex das Problem ist. Und es wird deutlich, dass der Bedeutungsgewinn der AfD es notwendig machen wird, einige Fragen noch einmal neu zu stellen.
Eine dieser Fragen ist: Machen Parteien und Gewerkschaften es sich nicht zu leicht, wenn sie sagen: Mit denen diskutieren wir nicht? In der eigenen Blase kommt so ein entschlossenes Signal immer gut an. Von der anderen politischen Seite kann es schnell aussehen wie linke Arroganz.
Dort kommt an: Wir sind moralisch überlegen. Daher geben wir uns mit denen nicht ab. Und das kann dazu führen, dass Menschen, die nicht rechtsextrem sind, aber auch nicht linksliberal, aus dem Gefühl heraus, von oben herab behandelt zu werden, immer weiter nach rechts rücken.
Am Ende stehen sich hier Gesinnungsethik und Verantwortungsethik gegenüber. Gesinnungsethik bedeutet, man wird den eigenen moralischen Überzeugungen gerecht. Wirkung egal. Verantwortungsethik heißt: Man schaut auf die möglichen Folgen.
Eine mögliche Folge der Münsteraner Erklärung nennt Fabian Schulz in seinem Brief an die SPD als Argument gegen die Münsteraner Erklärung.
Man müsse zur Kenntnis nehmen, dass „insbesondere Schulen in eine rechtlich verzwickte Lage geraten können, wenn sie den bewussten Verzicht auf die AfD allzu plump allzu hoch hängen“.
Das Schulministerium habe das erst kürzlich in einem Schreiben klargestellt und dabei unterstrichen, dass die Parteien gleich behandelt werden müssten. Man solle, so Schulz, nicht die Verantwortung „auf die engagierten Lehrerinnen und Lehrer sowie die Schülerinnen und Schüler, die sich um solche Veranstaltungen bemühen, abwälzen und diese nicht im Regen stehen lassen“.
Die Bildungsgewerkschaft GEW dagegen schreibt in einer Pressemitteilung, Schulen müssten die AfD nicht zu Podien einladen. „Es gibt keinen Rechtsanspruch der AfD auf eine Podiumsteilnahme an Schuldiskussionen“, sagt GEW-Geschäftsführer Carsten Peters, der gleichzeitig Grünen-Ratsherr und Sprecher des Bündnisses „Keinen Meter den Nazis“ ist. Das wiederum hat die Münsteraner Erklärung initiiert.
Und hier liegt laut dem Brief von Fabian Schulz ein weiterer Grund dafür, dass die SPD nicht in der Liste der Unterzeichnenden steht. Eine Initiative, die sich auf Mitglieder des „Keinen Meter“-Bündnisses beschränke, halte er für „wenig effektiv“, schreibt Schulz. Daher habe er CDU und FDP gefragt, die bei einer „kleinen textlichen Anpassung“ eventuell mit dabei gewesen wären.
Es sei um den strittigen Punkt gegangen – den grundsätzlichen Ausschluss von gemeinsamen Podiumsteilnahmen, sagt Schulz am Telefon. Einigen konnte man sich nicht.
Fabian Schulz sagt, er würde lieber mit einem breiteren gesellschaftlichen Bündnis etwas Gemeinsames erarbeiten, als eine fertige Erklärung zu unterzeichnen, die einem vorgelegt werde. Das ist ein weiterer strittiger Punkt.
Das antifaschistische Bündnis „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ schreibt in einer Mitteilung, der erste Entwurf habe Ende des Jahres vorgelegen. Da habe die SPD noch zugestimmt. Später sei die Zusage widerrufen worden.
Zweifel daran, dass die SPD hier zögerlich sein könnte, möchte Fabian Schulz hier allerdings nicht aufkommen lassen. In seinem Brief schreibt er: „Wir brauchen seit über 160 Jahren keine Belehrungen im Kampf gegen Rechts.“ (rhe)
+++ Die Zukunft wird rot – zumindest, wenn man der (wohlgemerkt!) nicht-repräsentativen U18-Wahl trauen möchte. Vom 9. bis zum 14. Februar konnten Kinder und Jugendliche aus ganz Deutschland an einer fiktiven Bundestagswahl teilnehmen. Über 166.000 haben mitgemacht. Ergebnis: Stärkste Kraft ist die Linke geworden mit fast 21 Prozent, auf Platz 2 landete die SPD (17,9 Prozent). Den dritten Platz teilen sich die CDU und die AfD (jeweils rund 15 Prozent), dann kommen die Grünen (12,5 Prozent). Alle anderen Parteien schaffen es nicht über die Fünfprozenthürde. In Münster konnten die Jugendlichen ihre Stimme nur am ersten Wahltag an der Metzer Straße abgeben. Weil die Abstimmung deshalb theoretisch nachverfolgbar wäre, dürfen keine Ergebnisse für die Stadt Münster veröffentlicht werden. Einen Eindruck vermitteln aber die Ergebnisse für den Regierungsbezirk. Hier erhielt die SPD die meisten Stimmen (22,8 Prozent), gefolgt von der CDU (19,8 Prozent), der Linken (18,9 Prozent), der AfD (12,7 Prozent) und den Grünen (8,4 Prozent). (sfo)
+++ Zum dritten Mal innerhalb kürzester Zeit hat Bischof Genn am vergangenen Donnerstag einen Priester nach Missbrauchsvorwürfen suspendiert. Der Priester war zuletzt in Ahaus als Pastor im Einsatz. Im Januar erhob eine betroffene Person den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs gegen den Priester. Die Tat soll bereits vor 30 Jahren stattgefunden haben. Gegen den Priester wurden schon mehrfach Missbrauchsvorwürfe erhoben – in den Jahren 1997, 2010 und 2022. Laut Pressemitteilung des Bistums hätten bisherige kirchen- und strafrechtliche Untersuchungen nie für Strafmaßnahmen ausgereicht. Allerdings wurde 2022/23 eine betroffene Person vom Bistum finanziell entschädigt. Warum das Bistum nicht schon damals den Priester entlassen hat, wollte man uns auf Anfrage nicht sagen. (sfo)
+++ Münster muss dieses Jahr sparen, sparen und nochmal sparen. Mit ihren Geldsorgen ist die Stadt allerdings nicht allein: Fast keine Stadt in Deutschland wird es dieses Jahr schaffen, einen ausgeglichenen Haushalt aufzustellen. Das hat eine Blitzumfrage des deutschen Städtetags ergeben. Gerade die Sozialausgaben, auf die die Kommunen fast keinen Einfluss haben, würden den Kostendruck in den Städten verschärfen, sagt Städtetagspräsident und Münsters Oberbürgermeister Markus Lewe in einer Pressemitteilung. Gleichzeitig komme kein frisches Geld rein, weil die Wirtschaft stagniert und deshalb Steuereinnahmen ausbleiben. Die Städte stellen deshalb neue Forderungen an die künftige Bundesregierung: So sollen etwa feste Budgets statt komplizierte Förderprogramme her, die Schuldenbremse müsse auf den Prüfstand und die Kommunen wünschen sich einen größeren Anteil von den Gemeinschaftssteuern. (sfo)

Hier finden Sie alle unsere Cartoons. Sollte Ihnen ein Cartoon besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!
+++ Das statistische Landesamt „IT NRW“ hat nachgezählt, an wie vielen Tagen die Kitas in Nordrhein-Westfalen geschlossen hatten. Ergebnis: Durchschnittlich waren die Kitas im Land an 20,5 Tagen zu. In Münster lag der Wert mit 21,7 Tagen etwas darüber. Gründe für die Schließungen sind beispielsweise Fortbildungen, Ferien oder Krankheit. Um bessere Öffnungszeiten anzubieten, bräuchte es mehr Personal in den Kitas. Das ist in Münster aber schwer zu finden, wie die Stadt vergangene Woche mitgeteilt hat. Sie möchte mit einer praxisintegrierten Ausbildung, Erzieher:innen aus Spanien und Quereinsteiger:innen aus anderen pädagogischen oder pädagogiknahen Berufen Abhilfe schaffen. Die geringste Zahl an Schließungstagen verzeichnen NRW-weit Bochum und Mönchengladbach (je 16,6 Tage). Aus Mönchengladbach kommt übrigens ein Ansatz, der den Personalstand in den Kitas mit einer revolutionären Idee verbessern soll: Es gibt Geld in der Ausbildung. Ob das auch ein Weg für Münster wäre, hat Anna Niere vergangenes Jahr aufgeschrieben. Ihren RUMS-Brief finden Sie hier. (sfo)
+++ Als vergangenes Jahr die Visualisierungen für das neue Preußenstadion herauskamen, warf sich die Frage auf, wie das Fußballstadion in Zukunft heißen soll. Seit gestern Abend hat das Rätselraten ein Ende. Unser Favorit, die „RUMS Arena“ mit strahlendem Schriftzug in Orange, hat sich überraschend nicht durchgesetzt. Der neue Name lautet stattdessen „LVM-Preußenstadion“. Und Sie sehen schon: Da hat doch die große grüne Versicherung vom Kolde-Ring ihre Finger mit im Spiel. Wie alle Beteiligten gestern mitteilten (hier und hier), wird die LVM-Versicherung der offizielle Hauptpartner der Preußen. Ziel der Zusammenarbeit sollen gemeinsame Marketing- und Netzwerkprojekte sein, um den Sport in Münster zu fördern. Ganz eingetütet ist die Namensänderung allerdings noch nicht. Nächste Woche muss der Rat noch darüber abstimmen. (sfo)
+++ 90.000 Menschen aus Münster, also mehr als ein Drittel der 240.000 Wahlberechtigten, haben Briefwahl beantragt. Gehören auch Sie dazu? Dann denken Sie daran, alles rechtzeitig zur Post zu bringen. Die Stadt verrät Ihnen in der dazugehörigen Pressemeldung noch einen kleinen Tipp, wenn Sie auf Nummer sicher gehen wollen: Werfen Sie Ihre Unterlagen am besten am Sonntag bis 18 Uhr in die Briefkästen der Stadthäuser oder Bürgerbüros ein. Mehr Insidertipps hier. (sfo)

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Interview mit Marc Raschke
„Meine Empfehlung ist, die parteipolitische Brille abzunehmen“
Herr Raschke, zuallererst: Herzlichen Glückwunsch. Und vielleicht können Sie uns sagen: Wie kam es dazu, dass Sie das Buch geschrieben haben?
Raschke: Anfang Dezember wusste ich noch nicht, dass ich ein Buch schreiben werde. Aber dann sagte ein Kollege, er würde das, was ich auf Social Media mache, gern auch in Gesprächen parat haben. Ich hatte vorher schon kleine Büchlein zu verschiedenen Themen veröffentlicht: Corona, Sparen oder Frauengesundheit. Und so kam es zu der Idee.
Das Buch ist Ende Januar erschienen. Wie haben Sie das in der kurzen Zeit hinbekommen?
Raschke: Ich habe das Buch zwischen Weihnachten und Neujahr geschrieben. Es hat ja nur knapp hundert Seiten. Aber es ging tatsächlich alles sehr schnell.
Haben Sie mit dem großen Erfolg gerechnet?
Raschke: Der Zeitpunkt war natürlich sehr günstig. Und wir hörten schon vor der Veröffentlichung, dass es ungewöhnlich viele Vorbestellungen gibt für einen Autor, der nicht vorher schon Bestseller geschrieben hat. Aber dass es nun auf Platz 1 steht, das hat uns schon überwältigt.
Haben Sie denn selbst schon gewählt?
Raschke: Nein, noch nicht. Das werde ich am Sonntag ganz offiziell im Wahllokal machen.
Wird Ihnen die Wahl schwerfallen?
Raschke: Ich habe tatsächlich in den letzten Tagen überlegt, wie ich meine Stimmen kombinieren werde.
Was haben Sie überlegt?
Raschke: Wie ich meine Stimme sinnvoll einsetze. Auf der Seite „Zweitstimme.org“ kann man nachschauen, welche Erststimme in einem Wahlkreis eine realistische Chance hat, gewählt zu werden. Wenn man also taktisch wählen möchte, um den führenden Kandidaten zu verhindern, muss man sich überlegen, wer die besten Chancen hat, ihn einzuholen.
In Ihrem Buch schränken Sie den Kreis der Parteien, die Sie für empfehlenswert halten, klar ein. CDU oder FDP zu wählen, kommt für Sie nicht in Frage. Warum nicht?
Raschke: Die CDU fällt für mich vor allem heraus, weil vieles, von dem, was sie plant, voraussetzt, dass unsere Wirtschaft stark wächst. Es gibt ja mittlerweile Berechnungen, die zeigen, dass unser Bruttoinlandsprodukt um zehn Prozent zulegen müsste, damit wir das umsetzen können, was im CDU-Wahlprogramm steht. Es ist aber völlig utopisch, dass das passieren wird.
Und was spricht gegen die FDP?
Raschke: Grundsätzlich habe ich gar nichts gegen eine liberale Politik. Ich würde sogar sagen, dass ich inhaltlich eine klassische Ampel bin. Ich kann allen drei Parteien etwas abgewinnen, auch den Linken in einigen Punkten. Aber unter Christian Lindner entwickelt sich die FDP aus meiner Sicht sehr in Richtung der CDU.
Ihr Buch ist also keine neutrale Wahlhilfe. Sie erklären aus Ihrer Perspektive, welche Parteien Sie für empfehlenswert halten.
Raschke: Genau. Das sage ich auch immer wieder. Ich schaue mir natürlich die Fakten an. Aber objektiv bin ich nicht.
Sie sind gelernter Journalist. Ihnen folgen bei Instagram über 130.000 Menschen. Man könnte sagen, Sie sind Polit-Influencer. Wie verstehen Sie Ihre Rolle?
Raschke: Ich habe mich für diese subjektive Perspektive entschieden, weil ich merke, dass das vielen Menschen hilft. Menschen schreiben mir und sagen: Genau das sind auch meine Gedanken. Ich konnte sie nur nicht so formulieren. Sie verbreiten meine Beiträge, um sich auszudrücken, vielleicht auch ein bisschen als Ventil.
Was ist Ihr Antrieb?
Raschke: Ich verdiene damit kein Geld. Ich mache keine Werbung. Auch die Gewinne aus meinem Buch werde ich spenden. Ich teile einfach meine Gedanken. So wie damals in der Pandemie. Da hatte ich das Gefühl, ich kann vielleicht ein bisschen was dazu beitragen, dass die Debatte nicht komplett entgleist. Ich glaube, damit ist schon viel gewonnen. Viel mehr und viel weniger kann ich da, ehrlich gesagt, auch nicht erwarten.
Für Menschen, die sich als bürgerlich oder konservativ bezeichnen würden, ist Ihr Buch also nicht so interessant?
Raschke: Das würde ich so nicht sagen. Meine Empfehlung ist, die parteipolitische Brille abzunehmen und sich einfach die Fakten anzusehen.
Welche zum Beispiel?
Raschke: Den demografischen Wandel etwa. Die Bevölkerung wird älter. In den nächsten Jahren geht jede dritte Fachkraft in Rente. Das betrifft Krankenhäuser, Pflegeheime. Wir alle können irgendwann darauf angewiesen sein. Da spielt die politische Färbung gar keine Rolle. Wir haben ein Problem. Unter anderem das thematisiere ich in meinem Buch.
Wenn es darum geht, wie man solche Probleme löst, ist die politische Färbung schon interessant.
Raschke: Ja. Aber auch da gibt es Dinge, die sich schwer von der Hand weisen lassen. In Deutschland ist zum Beispiel sehr viel Kapital vorhanden, aber es ist ungleich verteilt. Die Lücke zwischen Arm und Reich wird immer größer. Das hören wir Jahr für Jahr in den Nachrichten. Und ich denke, da kann man – auch, wenn man konservativ ist – bei einem Blick auf die Fakten zu dem Ergebnis kommen: Wenn wir nicht wollen, dass uns der Laden um die Ohren fliegt, dann müssen wir da ran.
Sie sprechen von Fakten. Aber in vielen aktuellen Debatten scheint es darum gar nicht so sehr zu gehen. Eher um Gefühle. Die Sozialpsychologin Jennifer Führer hat in einem Interview gesagt, bei der Wahrnehmung von Kriminalität spielten die Kriminalitätsraten kaum eine Rolle. Wie nimmt man den Menschen ihre Ängste?
Raschke: Grundsätzlich glaube ich, dass da erst recht Angsträume entstehen, wo die hinsteuern, die glauben, sie könnten den Leuten mit einfachen Antworten die Ängste nehmen. Das sieht man besonders am Stichwort Meinungsfreiheit.
Was meinen Sie?
Raschke: Wir erleben ja in den USA im Zeitraffer, was passiert, wenn rechte Gesinnungen wie die der AfD die Kontrolle übernehmen würden. Den Menschen wird suggeriert, sie könnten ihre Meinung nicht mehr sagen. In Wirklichkeit setzt die Regierung dort bestimmte Wörter auf den Index und schließt Nachrichtenagenturen, die nicht mitspielen, von Pressekonferenzen aus. Also, mein Buch ist sicherlich nicht für diejenigen gedacht, die sich aus Angst vor Veränderungen zur AfD hingezogen fühlen; es ist eher für die Unentschlossenen, die noch nicht genau wissen, wohin sie tendieren.
Und wie erreicht man die?
Raschke: Über emotionale Botschaften. Vielleicht auch, indem man zeigt, dass man auch davor Angst haben muss, was uns mit einer AfD-Regierung erwarten würde.
Sie meinen, man sollte den Menschen Angst machen?
Raschke: Die AfD schafft es hervorragend, Angsträume zu erzeugen, indem sie klassische Bilder benutzt – genau wie in den 1930er-Jahren. Damals gab es noch keine sozialen Medien, aber es gab Wahlplakate mit Schreckensbildern, die heute wieder in ähnlicher Form auftauchen. Wenn beispielsweise auf einem AfD-Plakat ein Ausländer von hinten ein Kind zu greifen scheint, erinnert das an die gezielte Panikmache jener Zeit. Heute kommen noch Videos dazu, die geschnitten, geframed und so inszeniert werden, dass die Angst sofort da ist. Ich würde mir wünschen, dass auch das Mitte-Links-Milieu mutiger ist und ebenfalls die Ängste anspricht.
Man könnte einwenden: Dann begibt man sich auf das gleiche Niveau.
Raschke: Es gibt ja diesen berühmten Satz von Michelle Obama: „When they go low, we go high.“ Also: Wenn sie niveaulos werden, bleiben wir moralisch integer. Ich halte das für eine Bankrotterklärung. Denn wenn wir uns über die vermeintlich nicht so „low“ Stehenden erheben und betonen, dass wir moralisch besser sind, dann verabschieden wir uns von diesen Menschen.
Der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher beschreibt in seinem Buch „Mitte/Rechts“ die Krise des Konservatismus und argumentiert, dass Konservative tendenziell pessimistischer in die Zukunft schauen. Das könnte erklären, warum sie empfänglicher für Angsterzählungen sind, während solche Geschichten bei optimistischen Menschen eher weniger verfangen.
Raschke: Ich spreche nicht von den Linksliberalen, sondern von den Unentschlossenen, die eher rechts stehen. Ungefähr 15 Millionen Menschen wissen aktuell noch nicht, welche Partei sie am Sonntag wählen werden. Ich würde mir wünschen, dass man auch da mit Ängsten arbeitet, um Menschen zu zeigen: Das wollt ihr doch auch nicht.
Wie stellen Sie sich das vor?
Raschke: In der Debatte über Remigration vor einem Jahr hat das funktioniert. Da war von Deportation die Rede, man zeigte Deportationszüge. Viele Menschen bekamen Angst, waren emotionalisiert und gingen auf die Straße.
Sie sehen nicht die Gefahr, dass es populistisch wirken könnte, Angstszenarien zu entwerfen?
Raschke: Ich sehe das eher pragmatisch. In der Medizin gibt es ja den schönen Satz: Wer heilt, hat recht. Und wenn es wirkt, warum nicht? Mir geht es darum, die Milieus zu erreichen, die so ein bisschen kippen.
Die „Fridays for Future“-Bewegung war auch deshalb so erfolgreich, weil Kinder und Jugendliche mit ihren Eltern über das Thema gesprochen haben. Die Debatte fand innerhalb der Familien statt. Fehlt so etwas im Moment?
Raschke: Das beschreibt die Journalistin Dana Buchzik sehr gut. Sie hat darüber ein Buch geschrieben, in dem sie sagt: Man überzeugt Menschen nicht mit Screenshots oder Statistiken, wenn sie sich nicht emotional verpflichtet fühlen. Hinter Radikalisierung steckt fast immer eine persönliche Geschichte, in vielen Fällen eine Enttäuschung oder Kränkung. Ich denke aber auch, dass die Gräben gar nicht so tief sind, wie viele denken.
Woher nehmen Sie die Hoffnung?
Raschke: Das Buch „Triggerpunkte“ von Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser beschreibt, dass wir in vielen grundlegenden Fragen einen gesellschaftlichen Konsens haben. Es gibt bloß einzelne Triggerpunkte, die immer wieder dafür sorgen, dass es diese starke Polarisierung gibt. Das erscheint uns dann wie ein großer Riss in der Gesellschaft. Damit arbeiten Rechtsextreme. Ich halte es für wahrscheinlich, dass dieser Riss gar nicht so ausgeprägt ist – dass er aber größer werden könnte, wenn es so weitergeht. (rhe)
Marc Raschke ist PR-Berater und Co-Gründer der Hamburger Kommunikationsagentur Blaulicht. Er hat Politik- und Kulturwissenschaften studiert, ist gelernter Journalist und hat eine lange Liste an Preisen gewonnen. Unter anderem war er Forschungssprecher des Jahres 2022 und gewann mehrfach den Deutschen Preis für Wirtschaftskommunikation. In den sozialen Netzwerken engagiert er sich gegen den Rechtsruck in Deutschland.
+++ Am Freitag schrieben wir im Klima-Update über Photovoltaikanlagen. In einer Meldung hieß es, ein Kilowattpeak sei das Tausendfache einer Kilowattstunde. Ein Leser hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass das nicht stimmt. Richtig ist: Ein Kilowattpeak beschreibt die maximale Leistung einer Photovoltaikanlage. Wenn Sie zum Beispiel eine 5-Kilowattpeak-Anlage auf dem Dach stehen haben, kann sie maximal 5.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr erzeugen. Den Fehler haben wir korrigiert. (sfo)
+++ Weil der Bücherbus repariert werden muss, fällt die Fahrt am Montag aus. (Stadt Münster)
+++ Die Lehrergewerkschaft GEW befürwortet den Ausbau von Gesamtschulplätzen in Münster, die CDU-Ratsfraktion sieht das Vorhaben skeptisch. (Münstertube, CDU-Fraktion)
+++ „Sahle Wohnen“ übernimmt die Fertigstellung von 106 Häusern im Gremmendorfer York-Quartier, nachdem der ursprüngliche Bauträger insolvent geworden ist. (Westfälische Nachrichten)
+++ Ein Medikament zur Behandlung einer seltenen Hautkrankheit, das an der Uni Münster erforscht wurde, ist in Europa zugelassen worden. (Uniklinik Münster)
+++ Die Polizei verlängert die Videobeobachtung im Bahnhofsviertel bis 2026. (Westfälische Nachrichten)
+++ Die Stadt möchte eine dauerhafte Waffenverbotszone am Hauptbahnhof einrichten, um anlasslose Kontrollen zu ermöglichen. (Nachrichtenagentur dpa, hier: Süddeutsche Zeitung)
+++ Die Polizei sucht Zeug:innen und weitere Betroffene, nachdem ein 24-jähriger Tatverdächtiger in Gievenbeck mindestens vier Frauen sexuell belästigt haben soll. (Polizei Münster)
+++ Eine Person, die auf der Demo gegen den AfD-Neujahrsempfang 2024 im Rathaus eine OP-Maske trug, wurde zu 50 Tagessätzen verurteilt. (Alles Münster)
+++ Die Polizei sucht die Person, die einen fünf Kilogramm schweren Silberbarren vermisst. (Polizei Münster)
Wenn Sie den Ostturm der Uniklinik betreten, suchen Sie die Fahrstühle C oder D und drücken Sie auf die 21. Sobald sich die Tür öffnet, gelangen Sie in ein futuristisches Café in luftiger Höhe. Das Café-Bistro 21 Ost serviert über den Dächern der Stadt Kaffee, Kuchen, Frühstück oder auch Panini und Bowls zum Mittagessen. Trauen Sie sich bei gutem Wetter aber unbedingt auch auf den Außenbereich, wenn Sie schwindelfrei sind. Dort werden Sie belohnt mit einem grandiosen Panoramablick über Münster und das Umland. Besuchen können Sie das barrierefreie Café täglich von 9 bis 17:30 Uhr.
Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!
Katja Angenent hat in den Terminkalender geschaut und kann Ihnen diese Veranstaltungen empfehlen:
+++ Es beginnt mit einem Tipp in eigener Sache: Morgen geht es um 17 Uhr im Zeitungslesesaal der Stadtbücherei darum, wie wir uns umweltfreundlicher im Netz bewegen können. Katja Angenent gibt eine Einführung in die Schwierigkeiten, die die zunehmende Digitalisierung in puncto Klima- und Umweltschutz bereitet, und zeigt ressourcenschonende Varianten auf. Der Eintritt ist frei.
+++ Am Donnerstag geht es um 19 Uhr im Südviertelhof bei der Diskussion von Debatte e.V. um Gesundheitspolitik vor und nach der Wahl. Darüber, was die neuen Regelungen für Patient:innen, Praxen und Pflegepersonal bedeuten, spricht die ehemalige Grünen-Staatsministerin Barbara Steffens mit Johannes Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, und der Grünen-Bundestagsabgeordneten Maria Klein-Schmeink. Wenn Sie sich dafür interessieren, müssen Sie sich vorher per E-Mail anmelden.
+++ „Zukunft isst besser“ lautet der Titel einer Ernährungskonferenz, die am Freitag und Samstag in der B-Side und der FH Münster stattfindet. Workshops, Theater und Gespräche rund um die Ernährung der Zukunft stehen auf dem Programm. Die Veranstaltung ist offen für alle Interessierten. Zur Anmeldung einmal hier entlang.
+++ Am 24. Februar jährt sich der russische Angriff auf die Ukraine zum dritten Mal. Rund um das Datum gibt es auch in Münster viele Veranstaltungen – am Freitag zum Beispiel die Aufführung „Zwischen Frieden und Krieg“ der aus der Ukraine geflohenen Regisseurin Kateryna Tushder im Kleinen Bühnenboden. Das Stück kommt ganz ohne Worte aus, verspricht aber trotzdem – oder gerade deshalb – einen bewegenden Theaterabend. Am 1. März wird das Stück noch einmal aufgeführt.
Am Freitag schreibt Ihnen Sebastian Fobbe. Ich wünsche Ihnen eine gute Woche.
Herzliche Grüße
Ralf Heimann
Mitarbeit: Sebastian Fobbe (sfo), Jan Große Nobis (jgn), Katja Angenent (kat) – das bedeutet: Die einzelnen Texte im RUMS-Brief sind von der Person geschrieben, deren Kürzel am Ende steht.
Lektorat: Maria Schubarth
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PS
Auf der Satireseite „Der Postillon“ stand nach dem Kandidatenduell neulich die Schlagzeile: „Im falschen Moment geblinzelt. TV-Duell-Zuschauerin hat Themenkomplex ‚Klimawandel‘ verpasst.“ Um Verkehrspolitik ging es im Wahlkampf überhaupt nicht. Der Journalist Heiner Wember aus Münster, dessen Beiträge wir hier schon öfter empfohlen haben, hat sich jetzt in einem knapp einstündigen WDR-Feature mit der Frage beschäftigt, warum es in Deutschland kein Tempolimit gibt. Oder besser: warum es fast nur noch in Deutschland keins gibt. Dazu sind Wember und ein Freund mit zwei Autos von Münster nach Eltville am Rhein gefahren. Entfernung: knapp 330 Kilometer. Wember fuhr durchgängig 130 Kilometer pro Stunde, sein Freund, wo es möglich war, mit bis zu 200 km/h. So richtig gelohnt hat sich das aber nicht. Am Ende gewann er nur eine Viertelstunde. Aber hören Sie selbst. Hier geht’s zum Beitrag. (rhe)
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