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RUMS-Startschuss | Corona | Drinnenbleib-Tipps
Guten Tag,
der Boxtrainer Cus D’Amato hat einmal einen Satz gesagt, der im Netz oft seinem Schüler Mike Tyson zugeschrieben wird: „Jeder hat einen Plan. Bis er einen Schlag ins Gesicht kriegt.“ Unser Plan war es, in aller Ruhe ein journalistisches Projekt zu entwickeln – mit dem ehrgeizigen Ziel, in Münster einige Probleme zu lösen, die uns in der Medienwelt aufgefallen waren.
Viele Menschen möchten wissen, was in ihrer Stadt passiert, fühlen sich aber überfordert durch das große Angebot an Informationen. Medien erwähnen einander nur ungern, was bedeutet: Um sich einen Überblick zu verschaffen, muss man sich mehrere Quellen ansehen. Aber warum eigentlich? Im Sinne des Publikums ist das nicht.
Einen unabhängigen, so fairen wie kritischen, auch investigativen Journalismus wollen wir, wollen hoffentlich Sie. Viele Menschen wünschen sich außerdem Hintergrundberichte über lokale Themen. Oder sie vermissen den Blick von außen auf die Stadt – und hin und wieder auch den Blick nach außen.
Wir wollten mit RUMS etwas entwerfen, das diese Versprechen hält und diese Beschränkungen aufhebt. In aller Ruhe wollten wir das entwickeln. Bis das Produkt fertig sei. Dann würden wir Geld sammeln. Alles gründlich vorbereiten. Einen Schritt nach dem anderen machen. Ach ja, exakt so hatten wir uns das überlegt.
Dann kam der Schlag ins Gesicht. Als die Corona-Pandemie vor drei Wochen damit begann, das Land lahmzulegen, begriffen wir, dass sich damit auch unsere Pläne ändern würden. Wir schluckten und waren uns sicher, dass es gut sei, das Projekt vorerst zu stoppen. Danach atmeten wir durch. Und es passierte etwas, das wir beinahe täglich erleben: Unsere Einschätzung änderte sich. Inzwischen denken wir: Wann, wenn nicht jetzt, brauchen Menschen Informationen? Esgäbe kaum einen besseren Zeitpunkt, um zu starten. Das Geld sammeln wir einfach später.
Wir freuen uns, dass Sie dabei sind. Wir werden jetzt hoffentlich öfter voneinander hören. Das bedeutet: Wir wüssten auch gern, was Sie denken. Über unsere Stadt, Münster, über das Münsterland, über die Politik hier und alle Themen des Lebens in Münster. Und gern auch über uns. Schreiben Sie uns, wenn Sie etwas vermissen, wenn Sie einen Wunsch haben, einen Tipp – oder wenn wir Fehler gemacht haben. Wir würden diesen Newsletter gern zusammen mit Ihnen verbessernund weiterentwickeln.
Und jetzt fangen wir dann mal an.
Menschen in der Sonne – Ruhe vor dem Sturm
Es ist nun fünf Tage her, dass wir das Wort „Kontaktsperre“ mit all seiner Wucht kennengelernt haben. Und schon jetzt breitet sich das Gefühl aus, dass dieser Zustand ja wohl nicht ewig so bleiben kann. Es wird wärmer. Im Südpark saßen am Freitagnachmittag Menschen auf Handtüchern in der Sonne. Kinder spielten. Mittendrin kniete eine junge Frau mit einer Ukulele. Es sah so aus, als würde langsam wieder Normalität einkehren. Aber erst am Donnerstag, einen Tag zuvor, hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) von der „Ruhe vor dem Sturm“ gesprochen. Die einen warten bereits darauf, dass der Ausnahmezustand endlich enden möge. Die anderen fürchten noch, dass er bald beginnen könnte.
Diese Sorge wird mit jeder schlechten Nachricht größer. In Italien starben zuletzt innerhalb von 24 Stunden fast tausend Menschen, in Spanien 800. Die Stadt Münster meldete gestern den zweiten Todesfall durch eine Corona-Infektion: Ein 81-jähriger Mann war gestorben. Er hatte eine Vorerkrankung gehabt.
In Münster sind mittlerweile – das ist der Stand von Freitagnachmittag – 414 Menschen an Covid-19 erkrankt. Damit gehört die Stadt nach Zahlen des Robert Koch-Instituts zu den am stärksten betroffenen Kommunen in Nordrhein-Westfalen. Im bundesweiten Vergleich liegt Münster bei den Infektionen pro 100.000 Einwohner laut Tagesspiegel auf Rang 24.
Wer übrigens den besten Überblick über die Corona-Fallzahlen weltweit haben möchte, kann sich einmal diese Seite anschauen. Ein Student aus Seattle im amerikanischen Bundesstaat Washington betreibt dort eine der informativsten Covid-19-Statistiken überhaupt. Wie es dazu kam, steht hier.
In Münsters Krankenhäusern ist es weiterhin ruhiger als in normalen, früheren Zeiten. Alle geplanten Operationen sind verschoben worden. Viele Betten sind frei. An Eingängen stehen Sicherheitsleute und kontrollieren, wer die Häuser betritt. Es passiere vieles im Hintergrund, sagt uns jemand, der im Clemenshospital arbeitet. Materialbeschaffung. Mitarbeiterschulungen. Einweisungen in den Umgang mit Beatmungsgeräten. Es sei zu spüren, dass sich langsam etwas verändere. Im Clemenshospital tragen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jetzt durchgängig Mundschutz, damit sie gesund bleiben oder niemanden anstecken, falls sie, ohne es zu wissen, schon infiziert sind.
Ein Mangel an Fachkräften wäre eine der schlimmsten Komplikationen, wenn der Ausbruch kommt. Die Uniklinik schult deswegen derzeit mehrere Hundert Studierende, um sie auf einen Einsatz vorzubereiten. Von 3.000 Human- und Zahnmedizin-Studierenden in Münster haben sich 1.800 gemeldet, teilte die Uniklinik gestern mit. Mehr als die Hälfte. Die angehenden Medizinerinnen und Mediziner lernen nun: Hände desinfizieren, Abstriche für den Corona-Test machen („weniger trivial, als man denkt“) und Schutzkleidung an- und ausziehen („Ausziehen ist deutlich schwieriger“).
Und wichtig ist auch noch: Die Uniklinik hat einen Aufruf veröffentlicht, der vielen Menschen helfen könnte. Der Haken: Das Profil ist sehr speziell. Gesucht werden Menschen, die eine Corona-Infektion überstanden haben und seit mindestens zehn Tagen symptomfrei sind. Sie können mit einer Blutspende Menschen helfen, deren Infektion einen schweren Verlauf nimmt. Aus ihrem Blut lassen sich Abwehrstoffe gewinnen, die den Patientinnen und Patienten gespritzt werden können. Kontaktdaten für Freiwillige: hepar@ukmuenster.de oder telefonisch unter (0251) 83 57 935.
Zwischen Hamsterkauf und Hilfsbereitschaft
Unsere nun drei Wochen alte neue Wirklichkeit hat viele Extreme hervorgebracht. Auf der einen Seite sind da Menschen, deren Arbeitszeiten nur noch durch Schlafphasen durchbrochen werden, auf der anderen jene, die vor Langeweile schon angefangen haben, die Küchenschränke aufzuräumen. Es gibt Familien, die ohne Rücksicht auf andere Klopapier-Regale leerkaufen, und jene, die auf Zetteln im Hausflur anbieten, für ältere Nachbarn einkaufen zu gehen.
Bei Twitter hat sich für diese Solidaritätsaktionen der Hashtag #nachbarschaftschallenge etabliert. Marina Weisband und Ruprecht Polenz (beide RUMS-Kolumnisten) haben zusammen mit anderen, zum Beispiel der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken, ein Angebot für alle organisiert, die Hilfe brauchen oder helfen wollen. Es heißt „Gemeinschaft online” und ist unter der Nummer (07172) 93 400 48 erreichbar. Wie genau die Hotline hilft, steht auf der Website: „Wir sagen in Ihrer Nachbarschaft Bescheid und besorgen Ihnen Hilfe.“
Wirtschaft steht still, die Telefone nicht
Um einen Eindruck davon zu vermitteln, wie die Wirtschaft sich gerade fühlt: Bei der Industrie- und Handelskammer sind in den ersten zehn Tagen des Stillstands ungefähr 1.500 Anrufe eingegangen. Wenn Sie selbst ein Unternehmen haben, kennen Sie natürlich die zuständigen Infoseiten der Wirtschaftsförderung Münster und der Industrie- und Handelskammer (IHK). Wenn Sie Kontakt zu den zehn bis 15 Prozent der Unternehmen ohne Internetanschluss haben, von denen IHK-Hauptgeschäftsführer Fritz Jaeckel in dieser Woche sprach, sagen Sie ihnen Bescheid. Das mit den Anträgen lässt sich auch per Telefon regeln, haben wir über die IHK in Erfahrung gebracht. Dass diese Zahlen aber auch im Jahr 2020 noch stimmen sollen, mag man dort allerdings nicht so recht glauben. Auch Jaeckel sei überrascht gewesen.Die Zahl stamme aus dem NRW-Wirtschaftsministerium.
Und ganz aktuell: Solo-Selbstständige und Kleinstunternehmen können seit gestern Mittag hier, beim NRW-Wirtschaftsministerium, Soforthilfe beantragen.
Neben sehr vielen schlechten Nachrichten für die Wirtschaft gibt es auch eine Handvoll gute – von Firmen, die sich überlegt haben, ob sich inmitten der Misere dennoch etwas Gutes finden oder entwickeln lässt. Münsters Kaufleute haben innerhalb von wenigen Tagen die Plattform Münster bringt’s aus dem Boden gestampft. Sie macht es möglich, bei Geschäften aus Münster online zu bestellen. Auf der Seite hungrig.ms haben sich Restaurants zusammengetan, die all das liefern, was sie normalerweise in ihren eigenen Räumlichkeiten servieren.
Falls Sie auch selbstständig sind und die Corona-Krise Ihre Existenzgrundlage bedroht, schreiben Sie uns. Wie gehen Sie damit um? Was fehlt? Was würden Sie sich wünschen?
Ein Problem, das sich mit Kreativität nicht so leicht lösen lässt: Es fehlen Erntehelferinnen und Erntehelfer. Der Spargelhof Bäcker sucht verzweifelt, wie Nils Dietrich vom Wiedertäufer berichtet. Der Landwirtschaftsverlag bietet dafür eine Jobbörse an.
Die Abiturprüfungen verschieben sich wegen Corona. Das hat die NRW-Landesregierung gestern bekanntgegeben. Los geht es jetzt am 12. Mai, drei Wochen später als geplant. Für die Schülerinnen und Schüler ganz gut: Sie haben noch etwas mehr Zeit, um zu spät mit dem Lernen anzufangen. Für die Lehrerinnen und Lehrer nicht so gut: Ihnen bleibt sehr viel weniger Zeit, um das alles zu korrigieren. Am 27. Juni sollen die Zeugnisse fertig sein. Das Kollegium des Paulinums hält die Schülerschaft derweil auf der Schulhomepage mit Motivationssprüchen bei der Stange. Die Sätze bestehen aus Fotos, auf denen die Lehrkräfte Schilder mit Wörtern in die Kamera halten. Verstehen Sie das? Sonst schauen Sie sich’s einfach hier an. Von uns gibt’s dafür 15 Punkte.
Neben vielen anderen Dingen, die sich vor Wochen noch kein jüngerer Mensch vorstellen konnte (Skypeanrufe von über 70-jährigen Eltern), ist ebenfalls neu, dass das Ordnungsamt in der Innenstadt Gruppen auflöst, die aus mehr als zwei Menschen bestehen. 54 Mal ist das am Donnerstag passiert, wie die Stadt Münster meldet. Sogar 160 Mal haben Mitarbeiter des Ordnungsamts „Einzelkontrollen im Stadtgebiet vorgenommen“, in den meisten Fällen „nach Hinweisen aus der Bevölkerung“. Ich bin ein großer Befürworter von allem, was der Ausbreitung dieser Epidemie entgegenwirkt. Aber das klingt dann doch etwas gruselig.
Vielleicht haben Sie es mitbekommen: In Toulouse ist ein Mann auf seinem Balkon einen Marathon gelaufen. Seine Frau stand als Streckenposten daneben und versorgte ihn mit Essen und Getränken. Das ist gewiss eine beeindruckende Möglichkeit, den Bewegungsdrang in Quarantäne in den Griff zu bekommen, aber vermutlich nicht für jeden etwas. Falls Sie nach Bewegungstipps für Ihre auf dem Sofa vegetierenden Kinder suchen, schauen Sie doch mal beim Sportdezernat der Bezirksregierung vorbei, das auf dieser Seite ein paar Tipps zusammengetragen hat.
Wissen Sie schon, was Sie heute Abend machen – oder morgen? Wir hätten da noch Ideen.
Sie könnten sich von zu Hause aus eine Ausstellung ansehen. Auf dieser Seite finden Sie virtuelle Rundgänge von zwölf weltbekannten Museen.
Auf der Twitter-Seite @streamkultur aktualisieren drei nette Menschen täglich eine Übersicht von Konzerten, Lesungen und anderen Kulturveranstaltungen, die in den nächsten Tagen im Netz zu sehen sein werden.
Wenn Sie gern zusammen mit Freunden ins Kino gehen, aber traurig sind, dass das zurzeit nicht möglich ist, könnte dieses Browser-Plugin für Sie vielleicht ein Trost sein. Damit können Sie immerhin gemeinsam mit Ihren Freunden Netflix schauen.
Vielleicht möchten Sie auch etwas Interessantes lesen: Der israelische Historiker und Autor des internationalen Bestsellers „Die kurze Geschichte der Menschheit“, Yuval Noah Harari, hat einen etwas verstörenden, aber sehr klugen Text über die Folgen der Corona-Pandemie geschrieben. Er erklärt, warum wir auch in so einer Zeit wie der jetzt nicht allzu leichtfertig unsere Freiheit aufgeben sollten. Den Artikel kann man sich auf der Seite anhören.
Und wenn wirklich gar nichts für Sie dabei ist, dann warten Sie einfach zu Hause. Morgen Nachmittag kommt wieder Post von uns. Dann schreibt Ihnen Klaus Brinkbäumer aus dem Weltkrisenzentrum New York.
Herzliche Grüße
Ralf Heimann
PS
In einigen Städten hatten Menschen die gute Idee, Lebensmittel, Decken und andere nützliche Dinge an Zäune zu hängen, um Obdachlosen zu helfen. In Karlsruhe, Bremen oder München gibt es solche Gabenzäune. In Münster inzwischen auch, und zwar am Hansaring, wie wir aus dem Antenne-Münster-Newsticker wissen(Falls Sie weitere Gabenzäune kennen oder Standortideen haben, schreiben Sie uns). Wenn Sie Obdachlose auf anderem Weg schnell unterstützen möchten: Das Straßenmagazin draußen hat seine aktuelle Ausgabe ins Netz gestellt. Auf der Seite finden Sie auch eine Bankverbindung für Spenden. Und: Hilfe gebrauchen können zurzeit natürlich auch andere sehr dringend, etwa die Münster-Tafel oder der Verein Chance.
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