Schöne Ostern! | Bessere Luft durch Stillstand | Liefergrün

Porträt von Ralf Heimann
Mit Ralf Heimann

Guten Tag,

wir alle hatten uns Ostern etwas anders vorgestellt. Einerseits. Andererseits: Was an der gegenwärtigen Situation hätten wir uns schon so vorstellen können?

Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman, der die oft schwer berechenbare menschliche Wahrnehmung erforscht, hat vor ein paar Tagen in einem Interview gesagt, auch er selbst habe die Situation zunächst völlig falsch eingeschätzt. Eigentlich wollte er aus den USA nach Frankreich reisen, und zuerst habe er an seinen Plänen festgehalten. Doch am Ende verwarf er sie. Dem Fachmann geht es wie allen anderen. Er wundert sich über seine eigene Naivität.

Dahinter steht ein Phänomen, das Kahneman in seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ beschreibt. Nachdem etwas passiert ist, vergessen wir schnell, dass wir vieles vorher gar nicht wissen konnten – und dass alles auch hätte anders kommen können. Das müssen wir jetzt einplanen, wenn wir nach vorne schauen. Wir wissen vieles nicht. Wir müssen immer davon ausgehen, dass wir in zwei Wochen sagen werden: Damit hätte ich nicht gerechnet.

Münsters Oberbürgermeister Markus Lewe hat in einem Gastbeitrag für die Westfälischen Nachrichten geschrieben: „Wenn es in diesen schwierigen Tagen eine Konstante gibt, dann ist es (…) eben wohl die Unsicherheit.“ Und das ist natürlich kein schöner Zustand. Aber darin steckt auch eine Möglichkeit, denn immerhin eine Gewissheit scheint es ja doch zu geben: Im nächsten Jahr wird mit großer Wahrscheinlichkeit vieles wieder so sein wie in den Jahren davor.

Das bedeutet: In diesem Jahr ist Ostern etwas Besonderes. Wenn Menschen ihre Eltern oder Großeltern vielleicht nur per Videokonferenz sehen, ist das zwar eine lästige Beschränkung. Aber einige werden merken, dass sie sich doch etwas mehr vermissen, als sie gedacht hätten. In diesem Jahr haben wir die Chance, etwas klarer zu sehen als sonst, was uns wichtig ist. Und immerhin das ist doch eine gute Perspektive.

Bessere Luft durch den Stillstand

Satellitenbilder von Europa sehen zurzeit etwas anders aus als noch vor ein paar Wochen. Die Luftqualität ist besser geworden, seit wegen der Corona-Epidemie alles stillsteht. Das lässt sich auch am Boden feststellen. „Die Feinstaubwerte in Münster sind in der ersten Aprilwoche im Vergleich zum März um 20 Prozent gesunken“, sagt Thomas Bartoschek von der Uni Münster. Der Geowissenschaftler leitet ein aus einem Forschungsprojekt entstandenes Startup, das Menschen die Möglichkeit gibt, eigene Umweltstationen (Senseboxes) zu betreiben. 250 davon wurden seit dem Projektstart vor fünf Jahren in Münster registriert.

Im Moment sind etwa 30 mit Feinstaubsensoren ausgestattete Boxen im Stadtgebiet aktiv. 18 haben sowohl in der ersten März- als auch in der ersten April-Woche Daten gemessen. Auch die städtischen Mess-Stationen zeigen einen Rückgang. Die an der Weseler Straße gemessenen Feinstaubwerte etwa sind in den ersten April-Tagen ebenfalls um knapp 20 Prozent gesunken – allerdings im Vergleich zum Vorjahr.

Bartoschek: „Normalerweise haben wir zwischen März und April einen Anstieg um etwa zehn Prozent, weil die Frühblüher und die Pollen in der Luft sind.“ Das würde bedeuten: Der Rückgang im Moment ist noch etwas stärker. Der genaue Einfluss der Corona-Krise auf die Luftqualität lässt sich allerdings im Moment noch schwer beziffern, weil auch andere Faktoren eine Rolle spielen, zum Beispiel das Wetter. Augenscheinlich gibt es aber einen Effekt, was speziell beim Feinstaub damit zu tun hat, dass das Verkehrsaufkommen deutlich geringer ist. Die Süddeutsche Zeitung schreibt in einem Bericht dazu von bis zu 70 Prozent weniger Autos, die in Nordrhein-Westfalen unterwegs sind.

Corona Update

Die am Samstagmittag von der Bezirksregierung gemeldeten Zahlen zu Corona-Infektionen in Münster sind (wohl wegen des Feiertags gestern) im Vergleich zu Donnerstag (Zahlen der Stadt) so gut wie unverändert. Aktuell sind im Stadtgebiet weiter 606 Infektionen gemeldet. Sieben Menschen sind nach einer Corona-Infektion gestorben, 187 sind laut den Zahlen aktuell infiziert, 412 wieder genesen. Nur diese Zahl weicht leicht von der am Donnerstag gemeldeten ab. Da waren es noch 411 wieder gesunde Patienten.

In aller Kürze

+++ Eigentlich wollte eine Initiative heute Nachmittag in der Stadt für die „Rettung der Demokratie“ demonstrieren. Doch daraus ist nichts geworden. Die Veranstalter haben keine Ausnahmegenehmigung bekommen,wie die Stadt mitteilt, hier bei „Alles Münster“ etwas ausführlicher nachzulesen. Man könne nicht gewährleisten, dass die Mindestabstände zwischen Demonstrierenden und Passanten eingehalten werden, sagt Ordnungsdezernent Wolfgang Heuer. Außerdem sei fraglich, ob die Veranstalter in der Lage seien, die Teilnehmendenzahl zu begrenzen. Ob die Absage mit den Erfahrungen bei der Mahnwache am Mittwoch zu tun hatte, die später aufgelöst wurde, weil sich zu viele Menschen versammelt hatten, geht nicht aus der Mitteilung hervor. Am Mittwoch (und anscheinend ja auch diesmal) schätzten die Veranstalter die Situation etwas anders ein als die Behörden. „Alles-Münster“-Autor Philipp Schröder zitiert einen Sprecher des Bündnisses, das die Mahnwache organisiert hatte, mit den Worten: „Alleinig die Polizei und das Ordnungsamt waren ohne Mundschutz unterwegs. Das war das einzige Gesundheitsrisiko.

+++ Am Mittwoch will die NRW-Landesregierung bekannt geben, wie es mit den Schulen nach den Osterferien weitergeht. Meik Bruns, Bezirksvorsitzender des Philologenverbands Münster, sagt im Interview mit den Westfälischen Nachrichten auf die Frage, ob die Schulen wieder öffnen sollen: „Die Schule soll wieder beginnen, wenn für alle das Risiko möglichst gering ist.“ Das klingt im Moment eher nach einem Nein als nach einem Ja. Für den Fall, dass die Schülerinnen und Schüler in der übernächsten Woche morgens doch wieder raus dürfen oder müssen, je nach Perspektive, fordert Bruns die Stadt auf, dafür zu sorgen, dass in den Schulen alles sauber und hygienisch ist. Und wenn ein Nebeneffekt der ganzen Misere am Ende zum Beispiel saubere Schulklos sein sollten, würde das die ganzen Nachteile natürlich in keiner Weise aufwiegen – allerdings wäre auch damit etwas passiert, das viele vor einem Monat wahrscheinlich noch nicht für möglich gehalten hätten.

+++ An diesem Sonntag läuten um 12 Uhr bundesweit die Glocken aller katholischen und evangelischen Gemeinden gleichzeitig. Gedacht ist das als ökumenisches „Zeichen der Zuversicht“, wie das Domradio auf seiner Website erklärt. Wenn es dann noch gleichzeitig regnen sollte, können Sie sich sicher sein: Sie befinden sich in Münster. Aber was diese Aussicht angeht, sieht es eher schlecht aus. Derzeitige Prognose: 22 Grad, überwiegend sonnig. Oder wie wir in diesen Tagen sagen: Homeoffice-Wetter.

Unbezahlte Werbung

Sechs Studierende aus Münster liefern seit März Lebensmittel, Haushaltsprodukte und Naturkosmetik ohne Verpackungsmüll nach Hause. Ihr Unternehmen Liefergrün ist ein Bringdienst für Unverpacktläden, der – so beschreibt es das Gründerteam selbst – nachhaltiges Einkaufen einfacher machen soll. Einen Mindestbestellwert gibt es nicht, kostenfrei ist die Lieferung ab 25 Euro. Die Bestellung kommt dann mit dem Lastenrad eines anderen Startups, dessen Namen Sie vielleicht auch schon mal gehört haben. Es heißt Leezenkiepe.

Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!

Und hier noch einmal der generelle Hinweis: Essen zu gehen ist zurzeit besonders einfach. Auf der Seite hungrig.ms haben sich 15 Gastronominnen und Gastronomen aus der Stadt zusammengeschlossen. Speziell zu Ostern hat die Redaktion von Münster geht aus auf ihrer Facebookseite ein paar interessante Angebote zusammengestellt. Bringdienste aller Art finden Sie auf der Seite Münster bringt’s. Dort verliert man inzwischen allerdings etwas den Überblick, weil die Liste nicht kuratiert ist. Jeder kann sich eintragen, auch Werbeagenturen, Reiseberater oder Übersetzungsbüros, und genau das ist passiert. Für Münsters Innenstadt gibt es mittlerweile knapp 500 Einträge. Das entspricht nicht mehr ganz der Idee, einen Überblick über alle Bringdienste zu geben. Inzwischen ist die Seite eher ein Branchenbuch. Wenn man weiß, was man sucht, ist das allerdings kein Problem. Es gibt auch eine Suchfunktion.

Damit weiter zum…

Veranstaltungskalender

Hier das komplette Programm fürs Oster-Wochenende im Überblick:

Und wo wir das nun auch abgehakt haben, noch ein paar…

Drinnenbleib-Tipps

+++ Obwohl wir uns einander zurzeit oft nur auf Bildschirmen sehen und die Distanz zwischen uns etwas größer ist, entsteht bei diesen Begegnungen auf andere Weise doch mehr Nähe als sonst. Man schaut sich gegenseitig in die Küche, ins Wohnzimmer, ins Bücherregal – oder in den Keller. Und von dort, aus seinem Keller, hat der Schauspieler Jan Josef Liefers vor zwei Wochen eine Art, na ja, Unterhaltungsshow gesendet („Lieferservice“). Zwischendurch schaltet er via Tablet befreundete Künstlerinnen und Künstler zu, zum Beispiel seinen Tatort-Kollegen Axel Prahl, der ebenfalls Einblick in seine Wohnumgebung gibt, und diese Kulisse hat sowohl mich etwas überrascht als anscheinend auch Jan Josef Liefers. Aber sehen Sie selbst.

+++ Falls Sie jetzt ein bisschen auf den Geschmack gekommen sind und gerne wissen möchten, wie andere Menschen so leben, die man sonst nur von Bildschirmen kennt, hätte ich hier noch einen zweiten Tipp.Reinhard Mey spielt ein „Wohnzimmer-Konzert“ aus einem Zimmer, das sich wahrscheinlich in seinem Haus befindet, allerdings nicht so aussieht wie sein Wohnzimmer.

+++ Oder vielleicht haben Sie am Wochenende Lust auf Theater, also auf Bühnentheater. Dann probieren Sie doch einmal diesen Link. Er führt zum Philosophischen Märchen „Der König lacht“, einer Aufführung des Wolfgang-Borchert-Theaters, die der WDR aufgezeichnet hat und in seiner „Kulturambulanz“ zur Verfügung stellt. Dieses Streaming-Angebot für den kulturellen Notfall soll über die bühnenlosen Tage hinweghelfen. Dort finden Sie neben weiteren Aufführungen, auch Lesungen, Hörspiele und Konzerte. Einziger Haken: Es ist viel zu viel für ein Osterwochenende.

+++ Dann möchte ich Ihnen noch eine Website über Münster empfehlen. Mit dem Tipp sollten Sie allerdings etwas vorsichtig sein, wenn es momentan zeitlich etwas knapp ist bei Ihnen. Man liest sich nämlich sehr schnell fest. Mir ist das jedenfalls schon einige Male passiert. Es geht um die Seite sto-ms.de von Henning Stoffers, den Sie vielleicht von seinen großartigen Dia-Shows im Schlosstheater kennen – oder von seinen Beiträgen zur Geschichte Münsters, die er für Zeitungen und Magazine schreibt. Auf seiner Website veröffentlicht er regelmäßig Texte über Münster, in denen fast immer auch historische Bilder zu sehen sind. In einem aktuellen Beitrag geht es um die Parallelen zwischen der Corona-Epidemie und dem Pestausbruch in Münster im Jahr 1382. Sehr toll ist auch diese Bildergeschichte über eines der letzten verbliebenen Stücke von Münsters Stadtmauer an der Westerholtschen Wiese.

+++ Und weil das Wochenende etwas länger ist, hier noch ein Hinweis auf die April-Ausgabe des Münster-Magazins, die sehr schön geworden ist (zu bekommen unter anderem über die Magazin-App Readly, die einen kostenlosen Probemonat anbietet). Unter anderem im Heft: ein Porträt des Münsteraners Heinrich Brüning, der als Reichskanzler eine prägende Figur der Weimarer Republik war, in dieser Funktion allerdings tragisch scheiterte. Außerdem: ein Besuch bei Wilsberg-Erfinder Jürgen Kehrer (noch ein Prominenter, dem man in die Wohnung schauen kann). Und es geht um das Wasserschloss Haus Stapel in Havixbeck, das nur an besonderen Tagen (bei Konzerten oder am Tag des Denkmals) für die Öffentlichkeit zugänglich ist, und in dem eine Wand in einem Vorraum mit hellblauer Farbe gestrichen ist, die sich – so steht es da – seit ungefähr 200 Jahren hält. Daher noch kurz in eigener Sache: Falls jemand die Marke kennt, bitte kurze Mitteilung an unsere Redaktion.

Das war für heute alles. Morgen schreibt Ihnen Klaus Brinkbäumer wieder aus New York. Bis dahin genießen Sie das Wochenende so gut es geht. Ich wünsche Ihnen schöne Ostertage!


Herzliche Grüße

Ralf Heimann

PS

Wenn man in diesen Tagen am Wochenende durch die Stadt läuft, ist dort alles etwas anders als sonst. Auf der Ludgeristraße sieht es jeden Tag aus wie an einem Sonntagmorgen. Mittwochs und samstags stehen die Markthändler auch auf dem Prinzipalmarkt. Und zwischendurch kommt ein Lautsprecherwagen vom Ordnungsamt vorbei und macht Durchsagen wie: „Bitte halten Sie den Sicherheitsabstand ein. Wenn der Markt überfüllt ist, muss er geschlossen werden.“ (nicht wörtlich und etwas verkürzt). Armin Scholl, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Uni Münster, hat uns dazu geschrieben. Er sagt: „Auch wenn das Ordnungsamt im Prinzip einen guten Job macht, die Art und Weise der Kommunikation ist ziemlich daneben.“ Anscheinend mache man sich keine Gedanken dazu, was man mit solchen Durchsagen bewirken könne. „Je länger die Maßnahmen dauern, desto labiler wird die Stimmung. Was jetzt noch kein Problem ist, könnte bald eines werden“, schreibt Scholl. Seine Argumentation können Sie in voller Länge hier nachlesen. Ich finde, die Kritik ist durchaus eine Überlegung wert. Was sagen Sie?

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