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Extrawurst für Möbelhäuser | Das Dilemma mit der Schule | Preußen-Stadion
Guten Tag,
vom Hauptbahnhof Münster sind es 48,9 Kilometer bis zum Ikea-Markt in Osnabrück und 52,2 Kilometer bis zu Ikea in Kamen. Ob man nun hierher oder dorthin fährt, macht eigentlich keinen großen Unterschied. In diesen Tagen allerdings schon, denn Osnabrück gehört zu Niedersachsen, Kamen zu Nordrhein-Westfalen. Und das heißt: Dernordrhein-westfälische Markt darf seit gestern wieder öffnen, der niedersächsische muss seine Kundschaft weiter bitten, die Möbel im Internet zu bestellen, sie abzuholen – und sich die Portion Köttbullar dazu in Vorfreude aufs nächste Mal einfach vorzustellen.
Der Grund dafür ist, dass die NRW-Landesregierung die gesundheitlichen und die wirtschaftlichen Risikender Corona-Pandemie anders gewichtet als andere Bundesländer. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat vor ein paar Tagen mit Blick auf die Möbelindustrie in Nordrhein-Westfalen gesagt: „Da haben wir ein klares wirtschaftliches Interesse.“NRW-Ministerpräsident Armin Laschet soll diese Aussage dann gestern in einer Telefonkonferenz mit dem CDU-Präsidium so weit heruntergebrochen haben, dass auch eine Bundeskanzlerin sie versteht. Die Deutsche Presse-Agentur zitiert ihn mit den Worten, Nordrhein-Westfalen sei das „Land der Küchenbauer“.
Aus der Distanz klingt eine Sonderregelung für eine Branche mit 35.000 Beschäftigten durchaus vernünftig. Aus der Nähe jedoch werden Probleme sichtbar, die von weitem vielleicht nicht zu erkennen sind. Übersetzt bedeutet die Extrawurst für die Einrichtungshäuser nämlich: Auch wenn gerade kaum jemand eine neue Küche braucht, aber viele Menschen neue Kleidung für den Frühling kaufen müssten, sind die Küchen jetzt erst einmal wichtiger – dennsie kommen aus der Region.
Und das ist nicht das einzige Problem. Das Kaufhaus mit 780 Quadratmetern Verkaufsfläche darf öffnen, ein 30 Quadratmeter größeres nicht. Die Grenze verläuft bei 800 Quadratmetern. Bundesländer wie das Saarland haben das so gelöst, dass größere Geschäfte einen Teil ihrer Verkaufsfläche absperren können. In Nordrhein-Westfalen geht das nicht. Das Ergebnis dieser willkürlich erscheinenden Regeln war am Montagnachmittag in Münsters Innenstadt zu sehen. Geschäfte wie Karstadt, Kaufhof oder Peek & Cloppenburg blieben geschlossen.
Im Internet ging vor Wochen der Witz herum, Baumärkte zu öffnen sei in jedem Fall unproblematisch. Die Viren könnten das Service-Personal eh nicht finden. Darin steckt natürlich auch die Wahrheit, dass es in größeren Geschäften viel einfacher ist, sich nicht zu nahe zu kommen. Handelsverbände schlagen daher vor, statt auf Quadratmeter-Grenzen auf Abstands- und Hygieneregeln zu setzen. Das bringt dann allerdings ein weiteres Problem mit sich: Wenn alle Geschäfte wieder offen sind, füllen sich auch langsam wieder die Innenstädte. Und damit steigt das Risiko, dass die Infektionskurve bald wieder steil nach oben zeigt.
Das Dilemma mit der Schule
Wenn alles so einfach wäre, hätte man wahrscheinlich gleich bessere Lösungen gefunden. Doch so bleiben Flickenteppiche. Nächste Baustelle: die Schulen. Vor einer Woche hat Armin Laschet gesagt: „Wir brauchen einen Konsens der 16 Länder. Gerade in der Schulpolitik darf es keine Alleingänge geben.“ Dann haben es doch wieder alle so gemacht, wie sie es für richtig hielten. Am Donnerstag öffnen die Schulen in Nordrhein-Westfalen – früher als in anderen Bundesländern. Kommunen und Lehrkräfte haben noch versucht, das zu verhindern. Ihr Argument: Esmüsse erst ein Hygienekonzept erarbeitet werden, und auch sonst sei noch viel zu tun. Doch das Land sieht das anders.
In Münster laufen die unvermeidlichen Vorbereitungen – und meterlange Diskussionen in den Whatsapp-Gruppen. In einer E-Mail vom Schul-Ministerium, die Anfang der Woche bei vielen Lehrerinnen und Lehrern in Münster angekommen ist, steht unter anderem, wer am Donnerstag nicht in der Schule erwartet wird:
- Lehrerinnen und Lehrer mit Vorerkrankungen (wer sich nicht sicher sei, möge sich ärztlichen Rat einholen),
- Lehrerinnen und Lehrer, die älter als 60 sind,
- Lehrerinnen und Lehrer mit Schwerbehinderungen,
- Schwangere Lehrerinnen,
- Lehrerinnen und Lehrer, die pflegebedürftige Angehörige mit Vorerkrankungen haben.
Am Ende bleibt eigentlich nur die Frage: Wie werden die beiden Übriggebliebenen den Laden ab Ende der Woche schmeißen?
Wir werden es dann sehen.
Hier noch einmal im Überblick, was als Nächstes passieren wird:
- Am Donnerstagöffnen die weiterführenden Schulen, Förderschulen und Berufskollegs für die Schülerinnen und Schüler in Abschlussklassen.
- Für die übrigen Klassen beginnt der Unterricht ab dem 4. Mai schrittweise, zuerst für die vierte Jahrgangsstufe (um sie auf den Schulwechsel vorzubereiten).
- Die Abiturjahrgänge können selbst entscheiden, ob sie in die Schule gehen oder sich zu Hause vorbereiten.
Auf den ersten Blick klingt die „Kann-Lösung“ für Abiturientinnen und Abiturienten ganz gut. Auf den zweiten leider nicht mehr. Warum nicht, das hat eine Schülerin aus Berlin dem Tagesspiegel sehr eindrücklich erklärt. Viele Schülerinnen und Schüler werden vor eine schwere Entscheidung gestellt. Die Schülerin sagt: „Meine Mutter hat entzündliches Rheuma und gehört zur Risikogruppe. Natürlich würde ich meinen Schnitt auch gerne mit guten Prüfungen vielleicht verbessern, aber ich möchte sie mit meinem Abitur nicht umbringen.“
Die genauen Pläne und Antworten auf die wichtigsten Fragen hat das NRW-Schulministerium in einer Übersicht zusammengestellt.
Die Infektionszahlen für Münster machen zurzeit einen harmlosen Eindruck. 67 Menschen in der Stadt gelten als infiziert (Stand Dienstag, 15 Uhr). Doch genau das könnte gefährlich sein, wenn sich das Gefühl breit macht, die Gefahr sei vorüber – und eine zweite Welle losbricht. Der Virologe Christian Drosten warnt davor, dass eine solche Welle „eine nicht erwartete Wucht“ haben könnte. So war es bei der Spanischen Grippeim Jahr 1918/19. Darauf hatte Drosten schon vor ein paar Tagen hingewiesen. Die zweite von insgesamt drei Wellen war am tödlichsten. In Münster sind nach den Zahlen der Stadt inzwischen neun Menschen nach einer Corona-Infektion gestorben. 34 Covid-19-Patienten liegen in Krankenhäusern, 17 auf der Intensiv-Station, zwölf werden beatmet. 70 Intensivbetten in Münster sind frei.
+++ Eine der großen Überraschungen der Corona-Krise ist, dass zwischen der Erkenntnis „Wir brauchen Masken“ und dem Tag, an dem man sie kaufen kann, mehrere Wochen liegen können. Ab Montag gilt in Münster eine Maskenpflicht. Das bedeutet: In Geschäften, auf Märkten, in öffentlichen Verkehrsmitteln und Verwaltungsgebäuden müssen Menschen ihre Nase und ihren Mund bedecken. Dazu genügen ein Schal oder ein Tuch. Wer sich daran nicht hält, muss laut WDR-Lokalzeit zunächst nichts befürchten, außer vielleicht böse Blicke – und dass er oder sie sich selbst als rücksichtslos entlarvt. Strafen werde es nicht geben, heißt es in dem Beitrag. Wo Sie bis Anfang nächster Woche auf die Schnelle noch eine Stoffmaske herbekommen, verrät Ihnen die Corona-Hotline der Stadt unter (02 51) 4 92 10 77.
+++ Der Hotelier Hendrik Eggert (Landhaus Eggert) fühlt sich im Stich gelassen. In einem Facebook-Beitrag vom Freitag schreibt er: „Täglich höre ich, dass uns geholfen wird und uns Unternehmer samt Mitarbeitern niemand im Stich lässt. Bis heute habe ich noch keinen Cent erhalten. Weder Kurzarbeitsgeld, KFW-Darlehen, Soforthilfe oder eine Entschädigung meiner Betriebsschließungsversicherung.“ Sein Unternehmen zahle jährlich 750.000 Euro an das Finanzamt. Nun brauche er einen „kleinen Teil unserer Steuern und eingezahlten Sozialversicherungsbeiträge zurück, um diese Zeit zu überleben“. Für seinen Beitrag hat er in über 120 Kommentaren viel Zuspruch bekommen. Das Posting ist über 500 Mal geteilt worden. Nur passiert ist kaum etwas. Was sich in den vergangenen vier Tagen getan hat? „Außer warmen Worten bisher nicht viel“, sagt Eggert. Immerhin auf die Banken könne er zählen. Die finanzierten alles unbürokratisch vor. Staatliche Hilfe sei bislang nicht angekommen.
+++ Fast schon traditionell hat die Stadt Münster am Montag mal wieder Pläne für ein neues Preußen-Stadion vorgestellt. Wie immer die wichtigste Frage: Wo soll es denn diesmal stehen? Die überraschende Antwort: da, wo sich auch das alte befindet, an der Hammer Straße. Die verschiedenen Varianten würden laut Machbarkeitsstudiezwischen 37 und 48 Millionen Euro kosten. Die Stadt zitiert Vereinspräsident Christoph Strässer mit den Worten: „Wir sind auf unserem Weg so weit wie noch nie zuvor.“ Die Westfälischen Nachrichten titeln: „Einen Schritt näher am Baubeginn.“ Die Pläne sehen wie schon beim letzten Mal toll aus. Schauen Sie sich diese schnell an, bevor es nachher schon wieder neue gibt. Und eine schöne Chronologie zur unendlichen Stadiongeschichte finden Sie ebenfalls hier bei den Westfälischen Nachrichten.
+++ Die Klimaproteste sind in den vergangenen Wochen etwas in Vergessenheit geraten. Aber es gibt sie noch. „Weil Livestream kein Ersatz für zivilgesellschaftlichen Protest ist, aber Massen auf den Straßen gerade keine Möglichkeit sind, lassen wir unsere Schilder am Samstag für uns streiken. Bringt eure Schilder an der Sammelstelle vorbei, den Rest erledigen wir“, schreibt Carla Reemtsma, eine der Organisatorinnen, auf Twitter. Abgegeben werden können die Schilder beim „Denn’s“-Markt am Germania Campus, im Modeladen „Frau Többen“ an der Hammer Straße 55, bei „Natürlich-Unverpackt“ an der Warendorfer Straße 63 und an der Friedrich-Ebert-Straße 24 (im Hauseingang in die Kiste legen).
Ruprecht Polenz schrieb in seiner Kolumne am Samstag, der Allwetterzoo werde bald wieder öffnen. Das war zunächst auch so durchgesickert, für Montag, also für gestern. Doch später wurde es wieder zurückgenommen. Einen neuen Termin gibt es noch nicht. Bis dahin verkauft der Zoo Gutscheine („Treue-Tickets“), damit wenigstens ein wenig Geld in die Kasse kommt. Zur Erinnerung: Die Tickets bekommen Sie hier.
Und am Freitag schrieb Katrin Jäger über den Notfonds für Studierende, die ihren Job verloren haben. Dabei gab es ein Problem mit dem Link. Wir hatten im selben Newsletter schon darauf hinwiesen. Das Problem verschwand allerdings auch später nicht. Hier ist der richtige Link.
Schlecht ist, das Haus nicht verlassen zu können, weil draußen tödliche Viren herumfliegen. Noch schlechter ist, genau in dieser Situation aus dem Haus zu müssen, weil man zum Beispiel Medikamente braucht. Der Online-Dienst „Arzneirakete“ löst dieses Problem, indem er Arzneimittel liefert – an Werktagen zwischen 10 und 21:30 Uhr innerhalb von zwei Stunden. So verspricht es der Apotheker Hendrik Wiedemann, der den Dienst anbietet. Wer die Medikamente gern hätte, ohne dafür jemanden treffen zu müssen, kann sich die Bestellung in Wiedemanns Apotheke am Clemenshospital in eine verschlossene Bestellbox legen lassen. Die Box lässt sich mit einem Code öffnen, den die Apotheke aufs Smartphone schickt.
Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!
+++ Erstaunlich viele Menschen haben in den vergangenen Wochen das Backen für sich entdeckt. Inzwischen werden darüber schon Witze gemacht. Falls Sie auch zu den seit Kurzem backenden Menschen gehören, haben Sie wahrscheinlich bemerkt, dass das mitunter etwas knifflig ist – vor allem, wenn man das Ergebnis später essen möchte. In diesem Video zeigt der Ire Patrick Ryan, wie man ein richtig gutes Baguette backt. Das Gute: Das Video ist nur 18 Minuten lang. Der winzige Haken: Die Zubereitung dauert drei Tage.
+++ Wahrscheinlich haben Sie es längst gesehen, aber für den Fall, dass nicht: Netflix hat bei Youtube einige Dokus hochgeladen, die man sich kostenlos ansehen kann. Leider nur auf Englisch, aber mit deutschen Untertiteln.
+++ Vermissen Sie auch das Fitness-Studio und dieses schöne Gefühl, anderen Menschen beim Sport zuzusehen? Das geht zum Glück auch online. Sehr eindrucksvoll: Dieser Mann hier macht 2.806 Liegestütze in einer Stunde. Das sind wahrscheinlich ungefähr 2.706 mehr, als ich in meinem ganzen Leben gemacht habe. Falls Ihnen schon das Zuschauen zu anstrengend ist, probieren Sie doch mal dieses Video. Zwei Italienerinnen spielen von Hausdach zu Hausdach Tennis. Und wenn das auf Ihrem Haus nicht möglich ist, oder Sie niemanden finden, der mit Ihnen spielen möchte, machen Sie es doch einfach wie Roger Federer.
+++ Und schnell noch ein Tipp, für den Sie unter normalen Umständen weit fliegen müssten, und auch dann könnten Sie noch das Pech haben, aus der letzten Reihe auf die Bühne schauen zu müssen. Das wird in diesem Fall nicht passieren. Heute Abendgibt Ute Lemper ein Konzert aus ihrem Wohnzimmer. Zum 75. Jahrestag der Konzentrationslager-Befreiung singt sie „Lieder der Hoffnung und des Widerstands, die alle während des Holocausts geschrieben wurden“, wie das „Kurt Weill Fest Dessau“ schreibt, das den Abend zusammen mit der New Yorker Carnegie Hall präsentiert, und zwar ab 20 Uhr bei Facebook.
Das war’s für heute. Am Donnerstag schreibt Ihnen wieder Katrin Jäger. Haben Sie bis dahin eine schöne Woche!
Herzliche Grüße
Ralf Heimann
PS
Erst wollte Stefan Jansen nur sein eigenes Café retten, das „Teilchen & Beschleuniger“ an der Wolbecker Straße. Doch das war relativ schnell geschafft, jedenfalls für die nächsten Wochen. Und so begann Jansen für andere zu sammeln, für die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“. Stand gestern sind 5.000 Euro zusammengekommen. gekommen. Jansen verkauft die Klopapier-Kunstdrucke, die er Mitte März ins Fenster seines Cafés gehängt hatte. Der erste Druck ging für fünf Euro weg, seitdem kommen bei jedem Verkauf fünf Euro hinzu. „Wir verhökern unser Schaufenster“, sagt Jansen. Für jede Firma und jede Person, die einen Druck kauft, hängt er ein Dankeschön-Plakat ins Fenster. Aktuell liegt der Kurs bei 205 Euro. Ab morgen kann man sich die Drucke auch von drinnen ansehen. Dann öffnet das Café wieder – Getränke gibt’s allerdings erst mal nur zum Mitnehmen.
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