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Der Gastro-Rettungscontainer | Die Kosten der Krise | Die Nebenjobs des Oberbürgermeisters
Guten Tag,
am Mittwochnachmittag saßen die Gastronomen der Stadt wieder mit ihrer „Task Force“zusammen, die beim „Gastro-Gipfel“ ins Leben gerufen worden war. Die Wörter „Arbeitsgruppe“ und „Gastronomie-Konferenz“ klingen leider fürchterlich unspektakulär. Deswegen eignen sie sich nicht so gut für eine Pressemitteilung. Die sich anschließende Frage lautet: Welches Wort finden wir für die bisherigen Ergebnisse? Gastro-Hilfspaket? Nee, das klingt ja wirklich nach gar nichts. Gastro-Rettungspaket? Hört sich auch etwas mickrig an. Aber ja, jetzt hab ich’s: Gastro-Rettungscontainer!
Aber was ist drin im Gastro-Rettungscontainer? Schauen wir nach, was schon hineingelegt wurde:
Steuern: Im Gespräch waren zum Beispiel „Hilfen (…) bei Teilen der Vergnügungssteuer“. Das wolle man prüfen, hatte die Stadt in einer Pressemitteilung vage angekündigt. Allerdings würde das im Moment nur den Gastronomen helfen, die Partys veranstalten. Denn dabei fällt diese Steuer an (22 Prozent aufs Eintrittsgeld). Also nicht ganz so schlimm, dass es hier noch kein Ergebnis gibt.
Außengastronomie:Die Stadt wollte schauen, wo Kneipen und Restaurants draußen mehr Platz bekommen können. Was es dazu Neues gibt? Man müsse jeden Einzelfall prüfen, schreibt die Stadt, weil an jeder Entscheidung – ich umschreibe das mal mit meinen Worten – ein bürokratischer Rattenschwanz hängt (Brandschutz, privates Wegerecht, Rettungswege, Bauordnung). Ein paar dieser Entscheidungen gibt es laut Stadt schon. Wo? Das sagt sie nicht. Aber: Kneipen, die bislang noch keine Tische und Stühle vor der Tür stehen hatten, können an einem Malwettbewerb des Oberbürgermeisters teilnehmen und bis zum 18. Mai eine Skizze ihres Wunschbiergartens einreichen. Oder Moment, ich hab da was durcheinandergeworfen:
- Das mit der Skizze stimmt. Die Restaurants und Kneipen sollen ihre Ideen und Pläne vorbereiten. Die Stadt will alles schnell prüfen und, falls es nichts zu beanstanden gibt, für diese Saison genehmigen.
- Das mit dem Malwettbewerb war etwas anderes.
Ein Blick in andere Städte:
Meerbusch, Dormagen oder Düsseldorf erlassen den Gastronomen die sogenannte Terrassengebühr, die sie bislang für Außengastronomie verlangt haben. In Münster ist diese Gebühr laut dem Bund der Steuerzahler (Meldung aus der „Welt“, Zahlen aus dem Jahr 2015) so hoch wie in kaum einer anderen Stadt in Nordrhein-Westfalen. Ein Gastronom erzählte uns gestern, dass auch die Stadt Münster in Aussicht gestellt habe, auf diese Gebühr zu verzichten. Fest stehe das aber noch nicht.
Die beste Nachricht für die Kneipenbetreiber im Moment: Ab Montag dürfen sie wieder öffnen, allerdings nur unter Auflagen. Das bedeutet: Das Wochenende fällt damit wohl flach. Denn bis Montag müssen sie ihr Hygienekonzept fertig haben.
Was Münster die Krise kostet
Um die große Pleitewelle unwahrscheinlicher zu machen, wäre die einfachste Lösung: Die Stadt Münster erlässt einfach allen alle kommunalen Steuern. Dann hätten wir demnächst allerdings andere Probleme, die wir auch nicht haben möchten. Die Stadtkämmerin Christine Zeller (Grüne) hat jetzt in einem sechsseitigen Bericht umrissen, welche finanziellen Risiken durch die Corona-Krise auf Münster zukommen.
In einem Satz: „Der Haushalt der Stadt Münster steht infolge direkter und indirekter Wirkungen der Corona-Pandemie vor erheblichen, möglicherweise historischen Belastungen.“
Im Einzelnen:
- Im Dezember hatte der Rat der Stadt einen Haushaltsplan beschlossen (Umfang: 1,3 Milliarden Euro), in dem zwischen Einnahmen und Ausgaben ohnehin schon eine große Lücke von 41 Millionen Euro klaffte.
- Allein in der Verwaltung werden nun wegen Corona laut Prognose durch geringere Einnahmen (z. B. Gebühren) und höhere Ausgaben (z. B. Soziales) unter dem Strich weitere 20 Millionen Euro fehlen.
- Hinzu kommen geringere Steuereinnahmen: In der Finanzkrise vor elf Jahren sackten die Gewerbesteuereinnahmen um 46 Millionen Euro ab. Jetzt rechnet die Stadt mit einem Rückgang, der zwischen 30 und 100 Millionen Euro liegen könnte.
- Insgesamt geht die Kämmerin davon aus, dass die Lücke im Haushalt von 41 auf 140 Millionen Euro wachsen wird. Die Krise würde die Stadt also ungefähr 100 Millionen Euro kosten – bei 310.000 Einwohnerinnen und Einwohnern macht das pro Person 323 Euro (eigene Rechnung).
- Die Kämmerin rechnet vor: Die Kosten der Krise können – das Land NRW will’s mit einem neuen Gesetz möglich machen – auf 50 Jahre verteilt werden. Die Belastung pro Jahr läge dann bei zwei Millionen Euro. Wir können nun wieder selbst weiterrechnen (Finanzmathematiker schauen bitte kurz weg): Pro Person im Jahr wären das 6,50 Euro. Brechen wir es noch etwas weiter herunter: 54 Cent im Monat. („Ach, zu dem Preis – ja, dann geben Sie mir doch gleich zwei.“)
Aber warten Sie mit dem Jubeln noch einen Moment. Die Rechnung erweckt den falschen Eindruck, die Krise ließe sich aus der Kaffeekasse bezahlen. Das stimmt leider nicht, denn kurzfristig fehlt sehr viel Geld – bei gleichzeitig höheren Ausgaben.
- Die Stadt und das Land NRW bieten Unternehmen an, Steuerzahlungen zinslos zu stunden, also zu verschieben. Dadurch fehlen Münster Einnahmen im „mittleren einstelligen Millionenbereich“, teilt die Stadt auf Anfrage mit.
- Insgesamt sind der Stadt demnach schon jetzt kommunale Steuereinnahmen in Höhe eines Betrags entgangen, der im „unteren zweistelligen Millionenbereich“ liegt.
Um nicht in Zahlungsschwierigkeiten zu geraten, will die Stadt Münster bei größeren Ausgaben nun etwas genauer hinschauen. Investitionen und Anschaffungen in einer Höhe von über 100.000 Euro müssen zwei Wochen vorher beim Finanzdezernat angemeldet und ausführlich begründet werden (wobei es eine Liste mit Ausnahmen gibt).
Wofür die Stadt jetzt erst mal kein Geld mehr ausgeben will, sagt Thomas Reisener nicht. Der Sprecher der Stadt Münster will die Regelung so auch nicht verstanden wissen. Die Ankündigung bedeute lediglich: „In Zeiten absehbar wegbrechender Einnahmen muss die Stadt noch genauer hinschauen, wofür Geld ausgegeben wird.“
Nun gut. Hoffen wir, dass das ausreicht. Aber was wäre die Konsequenz, falls nicht?
Im schlimmsten Fall könnte Münster die finanzielle Eigenständigkeit verlieren (Haushaltssicherung). Dann könnte sie zum Beispiel keine Kitas und Schulen mehr bauen, keine Straßen und Gebäude sanieren oder in den Wohnungsbau investieren. Dieser Fall tritt ein, wenn Einnahmen und Ausgaben in ein starkes Missverhältnis geraten. Eigentlich ist das in Münster längst der Fall. Dass die Stadt der Haushaltssicherung dennoch entkommt, liegt daran, dass sie von Rücklagen zehrt, vor allem durch die üppigen Gewerbesteuereinnahmen in den vergangenen Jahren.
Bielefeld hat das alles gerade hinter sich. Im März meldete die Stadt, sie sei zwei Jahre früher als geplant endlich wieder in der Lage, über die eigenen Finanzen zu entscheiden. In über zehn Jahren war es gelungen, aus einem großen Minus ein Plus zu machen. Das Minus hatte bei 140 Millionen Euro gelegen.
Die Zahl der gemeldeten Corona-Infizierten in Münster ist leicht gestiegen, um vier auf 14, meldet die Stadt Münster (Stand Freitagnachmittag). Das sind Zahlen, die harmlos klingen. Doch es gibt zwei Probleme: Es sind nur die gemeldeten Fälle. Wie viele Menschen tatsächlich infiziert sind, wissen wir nicht. Und auch die gemeldeten Zahlen bilden eine Situation ab, die bis zu zwei Wochen in der Vergangenheit liegt. Denn so viel Zeit vergeht von der Ansteckung bis zu den ersten Symptomen. Wie schnell die Situation wieder kippen kann, ist im Moment in Coesfeld live zu beobachten, wo der Großschlachter Westfleisch zuletzt 129 Neuinfektionen in seiner Belegschaft meldete und nun geschlossen wurde, wie die Bezirksregierung Münster am Freitagnachmittag meldete, hier der regelmäßig aktualisierte WDR-Bericht. Es könnte sein, dass der Kreis Coesfeld bald wieder Beschränkungenverhängen muss. 40 Kilometer von Münster entfernt ist damit die höchste Neuinfektionsrate in NRW erreicht. Das relativiert die guten Zahlen aus Münster. Hoffen wir, dass sie so bleiben.
+++ Einmal im Jahr veröffentlicht die Stadt Münster die Nebeneinkünfte des Oberbürgermeisters. Im vergangenen Jahr hat Markus Lewe genau 76.350,50 Euro dazuverdient, bei einem monatlichen Grundgehalt von 13.581,08 Euro (brutto). Knapp 20.000 Euro führte er an die Stadt ab, weil seine Einnahmen die erlaubte Höchstgrenze überschritten. Es blieben (gerundet): 56.600 Euro zusätzlich. Zum Vergleich: Im Jahr 2018 hatte Lewe 74,500 Euro dazuverdient und 17.400 Euro abgeführt, im Jahr 2017 waren es 33.300 Euro (abgeführt: 0 Euro). Je nachdem, wie man zum Oberbürgermeister steht, kann man ihm also wahlweise unterstellen, er sei scharf auf das Geld – oder bescheinigen, er werde mit den Jahren immer fleißiger. Und noch ein anderer Vergleich: Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau hat im vergangenen Jahr 217.500 Euro nebenbei verdient (140.000 Euro aus einem Rewe-Aufsichtsratsmandat) und 169.000 Euro abgeführt. Die Stadt Dortmund schreibt: „Mit diesem Betrag hat OB Sierau seine städtische Besoldung als Oberbürgermeister mehr als refinanziert.“
+++ In einer Woche geht die Fußball-Bundesliga weiter, auch in der 2. Liga wird wieder gespielt (Sky überträgt die ersten beiden Spieltage kostenlos). Nur in Liga 3 ist alles etwas komplizierter. Einige Vereine sind für einen Saison-Abbruch, andere wollen lieber weiterspielen. Bei Preußen Münster sieht man sich nicht in der Lage, das vom DFB geforderte Hygienekonzept umzusetzen. Das war das Ergebnis eines Ortstermins im Stadion in dieser Woche. Wir würden uns natürlich freuen, wenn die Preußen in der 3. Liga blieben. Wenn man sich allerdings ansieht, welche Vereine für einen Saison-Abbruch sind und welche dagegen (hier bei der Sportschau auf einen Blick), wird man den Eindruck nicht los, dass es den Vereinen mehr um Aufstieg und Klassenerhalt geht als um Gesundheit und Hygienekonzepte. DFB-Vizepräsident Peter Frymuth hat offenbar einen ähnlichen Eindruck. Der WDR erklärt die Gemengelage in einem fünf Minuten langen Film.
+++ Kennen Sie Luisa Franziska Riegert? Nein? Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber dann sind Sie vermutlich etwas älter. Die knapp 30-jährige Münsteranerin ist im Internet ein Star. Dort heißt sie (unter anderem) Luna Darko. Allein bei Instagram hat sie knapp 800.000 Abonnenten. Das ist ja eigentlich sehr schön. Wir würden gern etwas Erfreuliches melden. Doch jetzt berichtet das Redaktionsnetzwerk Deutschland, dass auch sie in der Reihe der Promis und Halbpromis steht, die im Internet Verschwörungstheorien verbreiten. Und falls Sie sich in den vergangenen Tagen auch gefragt haben, warum so viele Menschen diesen absurden Unsinn glauben, dann möchte ich Ihnen diesen sehr guten Text aus dem Social-Media-Watchblog ans Herz legen, der ein wenig Licht ins vernebelte Dunkel bringt.
+++ Im Oktober haben CDU und Grüne mit einem Ratsbeschluss MünstersTraditionsprojekt Musik-Campus auf den Weg geschickt. Noch im Februar fand dazu ein Bürgerforum statt. Doch jetzt stellt sich die Frage: Ist für so etwas überhaupt noch Geld da? Oberbürgermeister Markus Lewe und Uni-Rektor Johannes Wessels teilen nun in einer gemeinsamen Erklärung mit, dass sie daran keine Zweifel haben und an den Plänen festhalten wollen. SPD-Fraktionschef Michael Jung antwortet in einer Pressemitteilung: „Es reicht nicht, nur an Projekten festzuhalten, man muss auch sagen, wie man sie finanzieren will.“ Das ist der Streitpunkt: das Geld. CDU und FDP wollen das Projekt, die übrigen Parteien im Rat sind wegen der hohen Kosten dagegen. Der Campus soll die Musikhochschule, die städtische Musikschule und das Sinfonieorchester an einem Ort zusammenführen. An welchem Standort, das steht noch nicht fest. Lewe und Wessels favorisieren das Gelände des ehemaligen Pharmazie-Instituts der Uni an der Hittorfstraße.
Auf der Karte der Fischbrathalle stehen Gerichte, die man dort vor 90 Jahren schon aß. Das Restaurant an der Schlaunstraße wurde 1926 gegründet. Es ist einer der ältesten Familienbetriebe der Stadt. Neu sind seit einigen Wochen die Öffnungszeiten: Mittwochs bis freitags zwischen 10 und 14 Uhr gibt es in der Fischbrathalle Essen zum Mitnehmen, auch rohen Fisch zum Kochen. Auf Wunsch bringt das Restaurant den Fisch vorbei. Ab der nächsten Woche wird man die Fischbrathalle auch wieder besuchen können. Für aktuelle Infos schauen Sie am besten auf die Facebook-Seite.
Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!
+++ Ein Podcast-Tipp: Der Pianst Igor Levit hat zu Beginn der Corona-Krise angefangen, zu Hause auf seinem Flügel Konzerte zu spielen und sie mit zwei iPhones live ins Internet zu streamen. Teilweise sahen ihm 200.000 Menschendabei zu. Nun hat er 32 Beethoven-Sonaten eingespielt. In 32 Podcast-Folgen (für jede Sonate eine) spricht er mit seinem Freund und Produzenten Anselm Cybinski über die Stücke, spielt Passagen und erklärt sie. Hören Sie es sich an. Es ist ganz fantastisch. Den Podcast finden Sie in der ARD-Audiothek und bei Spotify. Wenn Sie noch Zweifel haben, schauen Sie sich dieses drei Minuten lange Video an. Dann verschwinden die Zweifel. Versprochen.
+++ Zum ersten Mal seit Wochen stehen in Münster wieder Musiker vor Publikum auf der Bühne: Götz Alsmann, die Zucchini Sistaz, der Chansonnier Jean-Claude Séférian, der Saxophonist Jan Klare und die Country-Popsängerin Van de Forst spielen am Hawerkamp ein Benefizkonzert für die freie und private Theaterszene. Anpfiff ist am Samstag um 21 Uhr im Autokino am Hawerkamp. Die schlechte Nachricht: Das Konzert ist ausverkauft. Aber es gibt zum Glück auch eine gute: Die WDR-Lokalzeit überträgt den Abend live auf ihrer Facebook-Seite. Also doch leider wieder nur ein Tipp für drinnen. Aber das wird in den nächsten Wochen besser. Auch das – versprochen.
Das war’s für heute. Am Dienstag schreibe ich Ihnen wieder. Bis dahin wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende!
Herzliche Grüße
Ralf Heimann
Mitarbeit: Sebastian Stachorra
PS
Heute vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Münster sah damals von oben aus wie eine Kraterlandschaft. Vom Prinzipalmarkt konnte man bis zum Bahnhof sehen. Henning Stoffers hat auf seiner Seite „Münster in alten Bildern und Dokumenten“ aufgeschrieben, was in den Tagen vor dem Kriegsende, im April 1945, in Münster los war. 90 Prozent der Altstadt waren vernichtet. In der Stadt lebten noch 26.000 Menschen. Die Zeitungen warnten vor einer Rückkehr nach Münster. Auf einem Foto im Artikel ist der mit Trümmern bedeckte Prinzipalmarkt zu sehen. Schauen Sie es sich an. Es ist erschütternd. Und es erinnert daran, dass man vielleicht doch noch mal nachdenken sollte, bevor man die aktuelle Situation mit einem Krieg vergleicht.
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