Jugendliche in der Krise | Neues vom Musik-Campus | Ein Bahnhof für Berg Fidel?

Porträt von Ralf Heimann
Mit Ralf Heimann

Guten Tag,

ein auffälliges Phänomen in den vergangenen Wochen war, dass die Krise die Menschen so unterschiedlich traf. Da waren einerseits jene, die den Ausnahmezustand fast genossen, weil sich ihre Alltagsgeschwindigkeit verlangsamte, und die Zeit zu Hause ihnen gut bekam. Und da waren jene, denen die Situation stark zusetzte, weil nun zum Vollzeitjob zu Hause auch noch der Job im Schuldienst kam, auf den sie sich nicht mal beworben hatten. Es traf vor allem Frauen. Aber dann waren da auch noch die Kinder und die Jugendlichen. Um ihre Perspektive ging es in der Diskussion nur selten.

Forscherinnen und Forscher mehrerer deutscher Universitäten haben Ende April über 6.000 Jugendliche und junge Erwachsene in ganz Deutschland dazu befragt, wie sie die Corona-Krise erleben. In der vergangenen Woche ist eine Auswertung der Untersuchung erschienen. Severine Thomas, die als Wissenschaftlerin an der Studie beteiligt war, sagt im Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit: „Es verstört Jugendliche, dass sie vor allem auf ihre Rollen als Schüler, Abiturienten, Prüflinge reduziert werden, über die grundsätzlich andere sprechen – Eltern, Lehrer, Politiker.“

In den Reaktionen auf die Fragebögen standen Dinge wie: „Ihr wisst doch gar nicht, was wir wirklich empfinden. Ihr stellt die falschen Fragen! Ihr seht nicht, worum es uns geht.“ In einem stand: „Ich will endlich mal wieder Sex.“ Ein typischer Reflex von Erwachsenen wäre der Gedanke: Das muss jetzt eben alles mal warten. Die Forscherin sagt: Die Jugendlichen „verlieren wichtige Entwicklungszeit“.

Ein Blick nach Münster. Wir haben die Schulpsychologische Beratungsstelle gefragt, mit welchen Anliegen Schülerinnen und Schüler sich dort in diesen Tagen melden. Die Antwort kommt von der Pressestelle der Stadt. Bemerkenswert auch hier: Zuerst geht es um die Probleme der Eltern, die Beruf und Betreuung irgendwie vereinbaren müssen. Erst dann kommen die Jugendlichen. Sie machten sich „tendenziell häufiger“ Sorgen um ihren Schulabschluss und ihre berufliche Zukunft. Die Fokussierung aufs Funktionieren scheint also auch hier ihre Wirkung zu zeigen.

Dazu ein Hinweis: Die Diakonie, der Caritasverband und die Beratungsstelle Südviertel bieten eine kostenlose Familienberatung für Menschen aus Münster an. Dort können Siean sieben Tagen in der Woche anrufen, wenn Sie mit Ihren Probleme zu Hause nicht mehr weiter wissen oder einfach mal reden möchten. Die Beratung erreichen Sie unter unter der Nummer 0251 395 88 96.

Neues vom Musik-Campus

Oberbürgermeister Markus Lewe (CDU) will an den geplanten Großprojekten der Stadt trotz Corona weiter festhalten. „Es wäre dumm, wegen der Krise vorhandene Pläne vorschnell zu zerreißen. Es ist im Gegenteil schlau, an den Plänen weiter festzuhalten“, sagt er in einem Interview mit dem Münster-Magazin. Gemeint sind unter anderem das neue Preußen-Stadion und der Musik-Campus, der die Musikhochschule, die städtische Musikschule und das Sinfonieorchester unter einem Dach zusammenbringen soll. Die Pläne müssten sicher finanziell angepasst werden, aber die Erfahrung zeige, dass diejenigen im Vorteil seien, „die Pläne in den Schubladen haben“. Und falls das wirklich stimmen sollte, macht das auch mir einige Hoffnung. Ich müsste nur mal nachschauen, ob sie da noch liegen.

Ideen gibt es anscheinend genug. Markus Lewe bringt Musik-Campus und Stadion auch als „Kandidaten (…) für entsprechende Konjunkturprogramme“ ins Spiel. Den Campus, der in seiner Vorstellung offenbar schon an der Hittorf-Straße steht, sieht er als ein „Bindeglied zwischen dem wachsenden Westen und der Altstadt“. Die Trennung zwischen Uni und Stadt werde verschwinden. Es soll alles eins werden. „Wissenschaft gepaart mit Leben, Wohnen, Freizeit und Spaß, Clubs und Kultur.“ Es klingt wie aus einer glänzenden Werbebroschüre. Aber es gibt dazu auch andere Meinungen, die nicht vorkommen, auch nicht in einem weiteren Text zum Musik-Campus im Magazin.

Dass der Rückhalt für das Projekt wirklich groß ist, wie der Autor Christoph Wüllner dort schreibt, ist zum Beispiel durchaus umstritten. Gegner der Musik-Campus-Pläne an der Hittorf-Straße bezweifeln etwa, dass die Kulturszene hinter dem Projekt steht. Auch politisch ist das Bild nicht ganz so eindeutig, wie es auf den ersten Blick erscheint. Die Ratsmehrheit aus CDU und Grünen hat dem Beschluss im Oktober zwar zugestimmt. Innerhalb der Grünen gibt es zu den Plänen allerdings auch viele kritische Stimmen. Die übrigen Parteien im Rat sind ohnehin dagegen. Größter Kritikpunkt: die ungeklärte Kostenfrage.

Ein Bahnhof für Berg Fidel?

Zu den Stadion-Plänen an der Hammer Straße hat Markus Lewe im Interview mit dem Münster-Magazin schon etwas über Pläne verraten, die er noch nicht verraten mag. Ungefähr so sagt er es jedenfalls. Es geht um Ideen dazu, wie die Fans später zum neuen Stadion gelangen werden, falls es denn jemals gebaut wird. „Nur so viel: Sie (die Ideen, Anm. RUMS) gehen weit über das hinaus, was mit einem einfachen Gleishalt erreichbar wäre“, sagt Lewe. Na ja, überlegen wir, was könnte das sein? Eine etwas komfortablere Haltestelle unten an den Gleisen? Ein neuer Bahnhof für Berg Fidel? Eine Straßenbahnlinie? Ein Flughafen?

Wir werden es hoffentlich erfahren. In der Zwischenzeit werfen wir schnell einen Blick auf die Magazin-Geschichte zu den Neubau-Plänen ein paar Seiten zuvor („Dieses Stadion wird der Hammer“). Die dazu abgebildete Visualisierung können Sie sich bei den Westfälischen Nachrichten anschauen, falls Sie es noch nicht gesehen haben (nicht wundern, steht Münstersche Zeitung drüber, ist aber das Gleiche).

Bevor Sie allzu sehr in Ekstase geraten – die Pläne sehen ja wirklich toll aus –, würde ich Ihnen aber einen Blick in das Buch „Preußen & Münster – ein Sportclub und seine Stadt“ empfehlen, um sich ein bisschen herunterzukühlen. Dort können Sie zum Beispiel auf Seite 86 nachlesen, wie Münsters Oberbürgermeister Jörg Twenhöven sagte: „Wir Politiker werden dafür sorgen, dass ihr Fans endlich ein anständiges Stadion bekommt.“ Das war im Jahr 1989. Oberstadtdirektor Tilman Pünder sagte damals: „Ich halte es (…) für möglich, dass das Stadion zur Jahrtausendwende steht.“ (Seite 88).

Etwas weiter hinten schildert Carsten Schulte auf elf Seiten (255-266) die unendliche Stadion-Geschichte ins sechs Akten. Dort geht es auch darum, wie der Traum vom neuen Preußen-Stadion beim letzten Mal endete. Da sollte der Neubau am Rande von Senden-Bösensell hochgezogen werden. Doch „plötzlich stand (…) das Grundstück nicht mehr zur Verfügung. Über das Warum gibt es seither wilde Gerüchte. Gab es Druck aus dem Ort? Oder aus der Politik? Man kann darüber nur mutmaßen, aber das Ergebnis steht nun fest. Ein Stadion-Neubau ist vom Tisch.“ Hoffen wir einfach, dass es dieses Mal besser läuft. Carsten Schulte äußert am Ende eine optimistische Hoffnung. Er schreibt: „Auflösung ab 2021.“

Corona-Update

Über die Feiertage sind in Münster zehn neue Corona-Infektionen gemeldet worden. Die Zahl selbst nennt die Stadt in ihrer Pressemitteilung vom Dienstag zwar nicht. Aber um den Rechenweg zu erklären: Am Freitag war in der täglichen Corona-Meldung der Stadt von 706 Fällen die Rede, am Dienstagnachmittag waren es 716. Die Differenz ist zehn. Die Zahl der aktuell als infizierte gemeldeten Menschen ging dagegen zurück, und zwar von 30 (Freitag) auf 22 (Dienstag). Kommen Sie noch mit? Dann haben Sie wahrscheinlich schon selbst berechnet: 18 Menschen sind wieder genesen.

Noch eine gute Nachricht aus Münster im Zusammenhang mit Corona: „Journalismus versagt in der Krise nicht“, meldet die Uni Münster. Nach allem, was man über das Gehirn weiß, werden Menschen sich von dieser Überschrift zwar vor allem die ersten fünf Wörtermerken. Aber vergessen wir das für einen Moment, sprechen wir lieber über die Meldung: Ein vierköpfiges Forscherteam unter Leitung des Kommunikationswissenschaftlers Thorsten Quandt hat zwischen Januar und Mitte März 18.000 Beiträge von 78 Nachrichtenmedien zum Thema Corona untersucht und herausgefunden: Die Berichterstattung war „differenziert“ und „von keiner systematischen Dramatisierung geprägt“, schreibt die Uni in ihrer Pressemitteilung. Aufgabe für Sie wäre nun, sich zu überlegen, mit welchen Hashtags versehen diese Meldung wohl später durchs Netz geistert.

Unbezahlte Werbung

Fast jeden Tag veröffentlicht Djahan bei Facebook ein Video aus seinem Gemüseladen, dem Peperoni an der Wolbecker Straße. Oft ist die große Pfanne zu sehen, in der mittags ein Berg Gemüse brutzelt. Aber manchmal sieht man auch Menschen, die im Laden Musik machen, denn dort ist auch das eine Währung. 20 Minuten musizieren für ein Peperoni-Menü. „Musik ist uns tausend Mal lieber als Geld“, ist auf der Website zu lesen. Daher steht hinten in einer Ecke ein Klavier, auch eine Gitarre liegt da, eine Daburka, ein paar Bongo-Trommeln und eine arabische Oud. Manchmal sieht es im Laden aus wie in diesem Video. Wer kein Instrument spielt, kann aber auch einfach mit Geld bezahlen. Im Moment gibt’s bei Djahan ein Corona-AngebotGemüsepfanne für 6 Euro (auch zum Mitnehmen), ein Pinkus alkoholfrei für 1 Euro. Geöffnet ist das Peperoni montags bis samstags zwischen 12 und 22 Uhr. Und wenn Sie das Peperoni suchen, laufen Sie einfach die Wolbecker Straße hoch, Sie werden es schon hören.

Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!

Drinnen

+++ Das Haus der Niederlande wird 25 Jahre alt, und eigentlich hätte Friso Wielenga, der Leiter des Zentrums für Niederlande-Studien der Uni Münster, dazu gerne König Willem-Alexander eingeladen. Doch daraus wird wegen Corona nun nichts. Das Haus der Niederlande feiert online, hier nachzulesen beim Magazin „Alles Münster“. Zum Hintergrund: Im Kaminzimmer des Krameramtshauses, wo sich das Zentrum der Niederlande heute befindet, wurde im Jahr des Westfälischen Friedens (1648) in einem Abwasch mit dem 30-jährigen Krieg auch der 80-jährige Unabhängigkeitskrieg zwischen Spanien und den Niederlanden beendet. In diesem Zimmer wurden, wenn man so will, die Niederlande gegründet. Verständlich daher, dass man über 340 Jahre später den Entschluss fasste, mit der Einrichtung des Hauses ein Zeichen zu setzen, um das auch endlich mal klarzustellen. Ein Grund für die Eröffnung sei das zeitweise schwierige Verhältnis zueinander gewesen, sagt Friso Wielenga. Es gebe da gewisse Empfindlichkeiten. „Die Niederlande“, sagt er, „wollten nicht als das 17. Bundesland wahrgenommen werden.“

Draußen

+++ Das Kammer-Theater „Der kleine Bühnenboden“ an der Schillerstraße macht nach der unfreiwilligen Pause mit einem Corona-Spielplan weiter. Statt 50 dürfen vorerst nur noch zwölf Menschen im Publikum sitzen. Daher kosten die Tickets bis zum Ende der Spielzeit 25 Euro, zehn mehr als sonst. Bis zum 28. Juni stehen acht Vorstellungen auf dem Programm, die nächste am Freitag um 20 Uhr. Es ist eine Premiere: „Hüsch – Kneipengespräche des Alltagsphilosophen“. Und sie geht, genau, um den Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch. Die zweite Chance, das Stück zu sehen, wäre am Samstag, ebenfalls um 20 Uhr. Karten gibt es online. Das weitere Programm finden sie hier.

+++ Wenn Sie schnell sind, haben Sie vielleicht noch eine Chance auf eine Karte: Heute um 19 Uhr liest John von Düffel im Franz-Hitze-Haus aus seinem Roman „Der brennende See“. Wer kommen möchte, muss sich anmelden – per Telefon unter 0251 98 18 416 oder per Mail: conlan@franz-hitze-haus.de.

+++ Und falls das nicht klappen sollte, schauen Sie doch mal bei den Paläontologinnen und Paläontologen im Naturkundemuseum vorbei. Denen können Sie täglich zwischen 10 und 16 Uhr bei der Arbeit zusehen. Sie führen zum Beispiel vor, wie man Fossilien entdeckt und wie man die Organismenreste vom Schlamm befreit. Für die Kinder ist das wahrscheinlich sowieso interessanter als eine Lesung. Für sie ist der Eintritt frei (bis 18 Jahre). Erwachsene zahlen 7,50 Euro. Das Museum ist dienstags bis sonntags zwischen 9 und 18 Uhr geöffnet.

Das war’s für heute. Am Freitag schreibt Ihnen wieder Katrin Jäger. Haben Sie weiter eine schöne Woche.

Herzliche Grüße

Ralf Heimann

Mitarbeit: Sebastian Stachorra, Ann-Marlen Hoolt

PS

Die Landwirtinnen und Landwirte fühlen sich zurzeit für vieles zu Unrecht beschuldigt. Unter anderem für das Artensterben. Um darauf aufmerksam zu machen, sind am Donnerstag sehr viele von ihnen in Treckerkonvois durch die Stadt gefahren. Darüber haben sich nicht alle gefreut, denn das war laut, es hat die Luft in dieser Zeit nicht unbedingt besser gemacht, und viele Menschen standen im Stau. Kurz gesagt: Der Imagegewinn hielt sich in Grenzen. Drei junge Bauern holten dann allerdings später für ihre Kolleginnen und Kollegen die Biokastanien aus dem Feuer. Sie erwischten in der Nacht zum Samstag auf der Bahnhofstraße Fahrraddiebe – und das gleich zwei Mal, einmal um halb drei und dann ein weiteres Mal gegen viertel nach vier. Den ersten Dieb konnte die Polizei einfach einsammeln, beim zweiten Mal gelang drei Männern die Flucht. Zurück blieben zwei Dinge: zum einen das Fahrrad, das die drei Männer eigentlich mitnehmen wollten,zum anderen aber auch etwas von den Landwirten, und zwar ein sehr sympathischer Eindruck.

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