Koalition zerbrochen | B-Side glücklich | Corona so nah

Porträt von Katrin Jäger
Mit Katrin Jäger

Guten Tag,

manchmal muss man die Dinge ein bisschen anders angehen. Heute zum Beispiel beginne nicht ich meinen Brief, sondern ich lasse meinem Kollegen Ralf Heimann den Vortritt. Hier seine Zusammenfassung der Ratssitzung vom Mittwoch.

Neulich im Rat

+++ Die schwarz-grüne Rathaus-Koalition ist am Mittwochabend im Verlauf der Ratssitzung nach vier Jahren zerbrochen. „Grüne haben Zusammenarbeit mit der CDU die Grundlage entzogen“, meldete die CDU am Donnerstag in einer Presseinformation. Was war passiert? Die Grünen hatten am Mittwoch zunächst für ein neues Feuerwehr-Gerätehaus mitten in Albachten gestimmt – und damit gegen ihren Koalitionspartner, der die Feuerwehr lieber in einem Baugebiet im Osten Albachtens untergebracht hätte, hier nachzulesen bei den Westfälischen Nachrichten (€). Zusammen mit den Stimmen von SPD, FDP und AFD setzten die Grünen sich schließlich durch. Dann stimmten sie auch noch für den Ausbau-Stopp der B51. Das ist die Straße, die Münster irgendwann einmal mit Bielefeld verbinden sollte. Der CDU war das alles zu viel. Sie halten die Grünen nun für „unfähig zur Verantwortung“, so schreiben sie es in ihrer Pressemeldung. Die Westfälischen Nachrichten sind wie üblich derselben Meinung. Ihr Kommentar (€) trägt den Titel „Nicht großstadttauglich“. Bliebe lediglich die Frage: Was hat das mit Münster zu tun?

+++ Münsters Theater bekommt zum ersten Mal eine Chefin. Katharina Kost-Tolmein übernimmt in zwei Jahren die Generalintendanz von Ulrich Peters. Das hat der Rat am Mittwoch beschlossen, wie die Stadt Münster meldet. Katharina Kost-Tolmein wurde 1973 in Ludwigshafen am Rhein geboren, sie hat Klavier und Philosophie studiert, ist momentan Operndirektorin in Lübeck, und sie hat sich laut der Stadt Münster gegen 50 andere durchgesetzt, die den Job auch gern gehabt hätten.

+++ Es gab eine lange Diskussion bis tief in die Nacht und einen Vortrag von Oberbürgermeister Markus Lewe über die Vorgeschichte der Trennung von Wirtschaftsförderungs-Chef Thomas Robbers, aber am Ende stand keine Überraschung. Münsters Rat hat wie erwartet mit nur wenigen Gegenstimmen die Entscheidung der fünf Fraktionsspitzen genehmigt, Robbers als Geschäftsführer abzuberufen. Knapp zwei Wochen nach dem Beschluss gibt es laut Staatsanwaltschaft weiter keinen Hinweis darauf, dass Robbers etwas mit dem Missbrauchsfall zu tun haben könnte. Zur Abberufung führten laut Lewes Bericht im Rat, so sagen es mehrere Ratsmitglieder, offenbar nicht Robbers’ „unprofessionelle Kommunikation“, wie es in einem vertraulichen Schreiben an die Fraktionsvorsitzenden geheißen hatte. Im Vordergrund habe vor allem die Sorge gestanden, dass Robbers’ Verbindung zu Adrian V. bekannt werden und der Stadt so ein großer Schaden entstehen könnte, falls man sich dann nicht schon von Robbers distanziert hätte. Danach hätte Thomas Robbers seinen Job verloren, weil er zufällig jemanden kannte, der mutmaßlich Kinder missbraucht hat, ohne dass Robbers, wie er selbst gesagt hat, auch nur irgendetwas davon wusste. Klären wird sich das vermutlich – falls es so weit kommen sollte – vor Gericht.

+++ Der Hauptverdächtige im Missbrauchsfall, Adrian V., hatte nach einem Bericht des WDR eine Vollmacht, die es ihm erlaubte, das zehnjährige Hauptopfer unter anderem in schulischen Angelegenheiten zu vertreten. Das tat er offenbar auch. In der Schule fiel aber niemandem etwas auf, weil das Kind sich verhalten habe wie alle anderen. Möglicherweise hätte ein besserer Informationsfluss Hinweise an die richtigen Stellen leiten können. „Mangelnder Austausch von Informationen beim Missbrauch mit fatalen Folgen rückt immer wieder in den Blick“, heißt es in dem WDR-Beitrag. In einem Dringlichkeitsantrag in der Ratssitzung am Mittwoch bekräftigte die Stadt laut dem WDR noch einmal, dass man nach aktuellem Stand keine Fehler gemacht habe. Die städtischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen den Fall nun laut dem einstimmig beschlossenen Papier zusammen mit Fachleuten aus der Wissenschaft aufarbeiten und Empfehlungen dazu abgeben, wie Kinder besser vor Missbrauch geschützt werden können. Das berichten die Westfälischen Nachrichten (€).

+++ Noch einmal zum Missbrauchsfall: Er soll Anfang der nächsten Woche Thema einer Sondersitzung im Düsseldorfer Landtag sein. Das hat die SPD-Fraktion am Donnerstag beantragt. In der Sitzung soll es unter anderem um die Frage gehen, warum die Bewährung des Hauptverdächtigen Adrian V. nicht schon früher ausgesetzt wurde. Die Polizei Coesfeld hatte nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung schon Ende November 2019 etwa 500 Dateien mit Missbrauchsdarstellungen an die Staatsanwaltschaft Münster weitergeleitet. Dort entschied man sich aber dagegen, die Bewährung zu widerrufen. Insgesamt stellt die SPD in ihrem Antrag über 40 Fragen. Es geht um viele Details. Eine offene Frage ist, ob die Behörden nicht hätten nachhaken müssen, als sich herausstellte, dass der Hauptbeschuldigte in seinem Keller eine technische Anlage zur Herstellung von Krypto-Währung betreibt. Dass man von dieser Anlage wusste, steht in einem Urteil des Amtsgerichts aus dem Oktober 2019, als V. zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt wurde, weil er in seinem Keller Strom im Wert von knapp 3.800 Euro aus fremden Leitungen entzogen hatte. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt, wieder einmal. In dem Urteil heißt es: „Obschon der Angeklagte unter zweifach laufender Bewährung stand, konnte das Gericht noch einmal eine positive Sozialprognose erstellen.“

+++ Der Hill-Speicher am Hafen wird zu einem soziokulturellen Zentrum für den Kulturverein B-Side umgebaut. Das meldet der Verein bei Facebook. Die zu dem Zeitpunkt noch existierende schwarz-grüne Koalition hat das am Mittwoch im Rat zusammen mit den Stimmen der Linken und von ÖPD/Piraten beschlossen. Laut der städtischen Verwaltung wird der Umbau knapp 7,7 Millionen Euro kosten. Ungefähr drei Millionen davon wird die Stadt zahlen. Auch der Ruderverein Münster von 1882 wird in dem Gebäude unterkommen. In zwei Jahren soll alles fertig sein.

Corona-Update

Und jetzt übernehme wieder ich, Katrin Jäger: Die aktuellen Corona-Zahlen für Münster sind schnell aufgeschrieben. Im gesamten Stadtgebiet gibt es keine Neuinfektion.
Es könnte zum Start der Sommerferien also alles so schön entspannt sein, wären da nicht diese Nachbarkreise Warendorf und Gütersloh.

Diese haben sich durch den massiven Ausbruch beim Großschlachter Tönnies plötzlich zum Virus-Hot-Spot entwickelt – und die weitreichenden Kontaktbeschränkungen, die im März galten, wurden dort wieder in Kraft gesetzt, weil die magische Zahl „50 Infizierte pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner“ überschritten war. So hart das ist: Diese Maßnahmen sind Bestandteil der Strategie, die Ausbreitung der Pandemie zu verhindern. Auch wenn es bisher so aussieht, als beschränke sich das Infektionsgeschehen auf die Tönnies-Belegschaft, und auch wenn der Kreis Warendorf mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von inzwischen 47,9 Infizierten knapp unter der Marke liegt, gelten die Regelungen mindestens bis zum 30. Juni.

Und das alles zum Urlaubsbeginn

Neben dem mittlerweile gewohnten Verhalten kommt es für die Menschen aus den Kreisen nun noch ein wenig härter. Geplante Urlaubsreisen sind plötzlich nicht mehr möglich (dazu ein Bericht im Westfalen-Blatt). Einige Hoteliers in anderen Bundesländern schicken bereits angereiste Urlauber aus der Region nach Hause, andere hingegen wollen jetzt Negativ-Tests sehen, die nur 48 Stunden alt sein dürfen, Bundesländer verhängen offiziell Quarantäneregeln oder gleich Einreiseverbote. Die Folge: Tausende Menschen müssten sich gleichzeitig testen lassen, um vielleicht doch noch in den Urlaub zu kommen. Das eilig eingerichtete zentrale Testzentrum in Oelde war zeitweise aufgrund des hohen Andrangs überfordert. Viele Hausärztinnen und Hausärzte fühlten sich von der neuen Regelung überrumpelt, sodass sie nun auch symptomfrei und kostenfrei Testungen durchführen dürfen.

Auch die Stadt Münster, deren Grenzen entlang der Orte Telgte, Everswinkel, Sendenhorst und Drensteinfurt (alle Kreis Warendorf) verlaufen, handelte sehr zügig und streng. Sie berief nach Bekanntwerden der strengeren Regeln für die Kreise Warendorf und Gütersloh ihren gerade erst aufgelösten Krisenstab ein und verhängte eine erweiterte Maskenpflicht für alle Menschen der betroffenen Kreise, die in Münster arbeiten oder einfach nur die Stadt besuchen wollen.

Diese Schutzmaßnahme ist jetzt zumindest für Warendorf aufgehoben worden. Die Stadt schreibt in ihrer Pressemitteilung von heute Nachmittag, dass der Grund dafür die auf unter 50 gesunkene Kennziffer der Neuinfektionen im Nachbarkreis sei. Die verschärften Regeln für Gütersloh bleiben vorerst bestehen.
Seit dem 24. Juni ist es dort demnach immer noch Pflicht, im öffentlichen Raum und am Arbeitsplatz Mund und Nase mit einer Maske zu verdecken, wenn es nicht möglich ist, durchgehend den Mindestabstand von 1,50 Meter einzuhalten. So steht es in der Verfügung. Auch Münsteranerinnen und Münsteraner, die regelmäßig zum Arbeiten in den Kreis Gütersloh pendeln, müssen diese Regel einhalten.

Wenn der Nachbar sich abwendet

Wie schnell auch in Münster – trotz null Neuinfektionen – Corona wieder ganz nah ist, konnte man in den vergangenen Tagen am Beispiel Warendorf sehen. Von dort kommen täglich laut Pendleratlas NRW rund 12.500 Menschen zur Arbeit nach Münster, im Gegenzug arbeiten etwa 5.400 Münsteranerinnen und Münsteraner in den Städten und Gemeinden des Nachbarkreises. In keiner dieser Pendlerstädte und -gemeinden ist aber ein hohes Infektionsgeschehen zu verzeichnen. In Telgte beispielsweise sind derzeit null Infizierte bekannt. Trotzdem durften Telgter Jungen und Mädchen, die in Münster zur Schule gehen, laut städtischer Verordnung gestern und heute nicht einmal ihre Zeugnisse abholen, obwohl doch in den Schulen ohnehin von allen die Hygieneregeln eingehalten werden müssen.

Ich selbst wohne in Westbevern-Vadrup, einem Dorf, das nur sieben Minuten Bahnfahrt von Münster entfernt liegt. Zu unserer Kreisstadt Warendorf kann ich nicht mal mit einem Bus fahren. Abstandhalten ist hier kein Problem, denn wir haben hier sehr viel Platz. Von hier bis nach Handorf-Dorbaum, also auf Münster-Gebiet, sind es 4,5 Kilometer, bis zum Prinzipalmarkt 16,5 Kilometer. Bis zum Tönnies-Betrieb nach Rheda-Wiedenbrück dagegen würde ich 55 Kilometer hinter mich bringen müssen. Das Gefühl, im viel näheren Münster nicht willkommen zu sein, belastete vielleicht gerade deshalb hier so viele besonders. Mir berichteten Freunde, dass sie von ihren Vorgesetzten aus Münster nach Hause geschickt wurden oder aber an einem Arbeitsplatz acht Stunden lang eine Maske tragen sollten, obwohl der Arbeitsplatz ohnehin mit Spuckschutzwänden und großem Abstand zur nächsten Person allen Hygieneregeln entsprach.

Eines wird an dem Hin- und Her der letzten Tage deutlich. Gut für die Nachbarschaft war die schnell verkündete erweiterte Maskenpflicht für einzelne Personengruppen sicherlich nicht. Dass sie jetzt zumindest für den Kreis Warendorf wieder aufgehoben wird, glättet vielleicht wenigstens dort die Wogen.

Korrekturen und Ergänzungen

Am Sonntag schrieb Ruprecht Polenz unter anderem über das Traindenkmal und Münsters Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit. Beim Übertragen seines Textes in unser Mailsystem ist uns ein Fehler unterlaufen. Der letzte Teil seines Brieftextes, in dem er über seine inzwischen geänderte Sicht bezüglich der Kritik am Traindenkmal geschrieben hat, ist abgeschnitten worden. Diesen wichtigen Teil möchten wir nun nachliefern.

Hier das vollständige PS des Sonntagsbriefes:

„1984 und auch bei späteren Diskussionen um das Traindenkmal war ich Mitglied im Rat der Stadt Münster. Ich habe mich damals auch gegen die Tafel des AKAFRIK ausgesprochen. Das bedauere ich heute. Seit 2015 darf ich als Sonderbeauftragter der Bundesregierung mit Namibia über die Bewältigung der kolonialen Vergangenheit verhandeln. Es geht vor allem darum, wie wir heute mit den deutschen Verbrechen der Zeit von 1904 bis 1908 umgehen wollen. Es war ein Völkermord an Herero und Nama.“

Unbezahlte Werbung

Ganz schön warm heute! Und das heißt für mich: Es ist Eiszeit. Auf der Suche nach besonders empfehlenswerten Eisdielen für diese Rubrik bin ich immer wieder über die euphorischen Bewertungen („Bestes Eis, das ich je gegessen habe“) zu Raphaels Eismanufaktur (Bült 1, Hansaring 36 und am Aasee) gestolpert. Besonders gefallen den Eisschleckerinnen und -schleckern das täglich wechselnde Angebot, die ausgefallenen Sorten wie Veilchen oder Orange-Basilikum und der intensive Fruchtgeschmack. Sobald ich mein Kreisgebiet Warendorf wieder verlasse, werde ich es auf jeden Fall mit Haselnusskuchen Preiselbeere probieren. Bis dahin wünsche ich Ihnen „Guten Appetit!“

Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!

Drinnen

Streamen, spenden, Spaß haben. Jedes Jahr kommen mehr als 16.000 Menschen zum Vainstream-Rockfest mitten in die Stadt. Jetzt kommt das Festival zu den Fans. Denn obwohl es wegen Corona ausfallen muss, so ganz ohne geht es dann doch nicht. Die Veranstalter wollen mit einem familiär kleinen Format am morgigen Samstag im Hawerkamp feiern und parallel dazu ab 20:30 Uhr per Livestream Konzert-Highlights der vergangenen Jahre online zeigen. Ziel der Veranstaltung: Spaß und Spenden! Denn zur Vainstream-Tradition gehört, dass bei den Festivals auch immer Geld für die Kinderkrebshilfe Münster gesammelt wird – und das geht auch online.

Draußen

Gestrandet. Ja, Kanal und Aasee sind wirklich schön, aber wäre ein richtiger Beach-Tag mit Blick auf die wilde Ems nicht noch ein bisschen schöner? Direkt neben dem Hallenbad Greven liegt hinterm Deich eine sandige Oase inklusive Bar und Beachvolleyballplatz. Dresscode am Greven-Beach: barfuß! Die gut zwölf Kilometer lange Anreise lässt sich übrigens locker mit dem Fahrrad bewältigen. Hier ein Tourenvorschlag. Und wenn es wegen des Sommerwetters ein bisschen voll werden sollte, halten Sie sich einfach ein paar Meter abseits des Strandgetümmels auf; denn von dort aus kann man der renaturierten Ems beim Fließen zuschauen – das entschleunigt ungemein.

Den nächsten Brief schreibt Ihnen wieder mein Kollege Ralf Heimann. Ich wünsche Ihnen einen schönen Freitagabend.

Herzliche Grüße
Katrin Jäger

PS

Kennen Sie dieses kleine, nagende Gefühl, dass man etwas Wichtiges vergessen hat? Es liegt einem auf der Zunge, es hockt einem im Nacken, es kribbelt im Hirn, aber man kommt einfach nicht drauf. Heute hatte ich den ganzen Tag dieses Gefühl. Aber jetzt, jetzt ist es mir endlich wieder eingefallen. Und das Schöne ist: Weil es mir wieder eingefallen ist, habe ich mir gerade dieses dazu passende Video angeschaut. Und endlich, endlich freue ich mich sogar ein bisschen auf die nächsten Wochen. Es sind Sommerferien!

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