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Unbeantwortete Schulfragen | Die Stadt füllt sich | Reise ins Weltall
Guten Tag,
mit großen Schritten und in kleinen Gruppen geht’s gerade zum Abitur. Die schriftlichen Klausuren sind seit gestern vorbei, ab heute stehen die mündlichen Prüfungen an. Wir drücken die Daumen, liebe Abiturientinnen und Abiturienten. Euer besonderer Corona-Jahrgang wird unvergessen bleiben!
Und nach den Ferien?
Doch was ist mit den Kindern und Jugendlichen, für die es weiter zur Schule geht – oder eben nicht? Im Moment hangeln sie sich bis zu den Sommerferien durch, und niemand weiß, was im August auf sie zukommt. Wird es im kommenden Schuljahr weiter eine Mischung aus Homeschooling und tageweisem Präsenzunterricht geben, oder arbeiten die Bildungspolitikerinnen und -politiker an Konzepten für eine komplette Schulöffnung? Dass es darauf bisher keine Antwort gibt, zermürbt alle Beteiligten zunehmend.
So auch die Münsteranerin Margrit Schnackenberg, die deshalb einen offenen Brief an das NRW-Schulministerium schrieb. Die Mutter einer Tochter wünscht sich einen täglichen Schulbetrieb, mittelfristige Planbarkeit und stellt konkrete, sehr zielgerichtete Fragen: Warum nicht andere öffentliche Räume nutzen? Warum nicht den Samstag als Schultag mitdenken? Ihr Anliegen sei Transparenz und die Gewissheit, dass das Ministerium an verschiedenen Szenarien arbeite, die bei steigenden, sinkenden oder gleichbleibenden Infektionszahlen greifen könnten, sagte sie im Interview mit dem Radiosender „Antenne Münster“. Bis gestern Nachmittag haben mehr als 4.000 Menschen ihren Brief unterzeichnet (das ist noch bis zum 17. Juni möglich). Um die Schule beziehungsweise um die dafür nötigen Lernmittel geht es auch der SPD aus Münster. Sie forderte vergangene Woche, dass die Stadtverwaltung kurzfristig 100.000 Euro zur Verfügung stellt. Davon sollen Tablets für Schülerinnen und Schüler gekauft werden, deren Familien sich keine leisten können. Eher langfristig – zumindest klingt es so – hat die nordrhein-westfälische Landesregierung vor, Kommunen und alle Schülerinnen und Schüler, denen die finanziellen Mittel fehlen, mit Notebooks und Software auszustatten (Artikel dazu in den Westfälischen Nachrichten). Damit wären die Schulen zwar immer noch weit weg von der umfassenden Digitalisierung, zumindest scheiterte diese aber nicht mehr an der Ausstattung der Kinder. Was in Münster – trotz allen Wohlstands – natürlich auch immer noch ein Problem ist. „Von Chancengleichheit ist im Moment nicht zu sprechen“, sagt zum Beispiel Markus Sawicki von der Stadtelternschaft: Manche Kinder müssten sich ein Smartphone mit ihren Geschwistern teilen, andere dagegen hätten ein eigenes Zimmer und Laptop. Er und seine Mitstreitenden hoffen auf ein baldiges „Go“ vom Land, damit mit der Ausrüstung der Schulen begonnen werden kann.
Problemlöser Tablet
Selbst wenn es Notebooks oder Tablets für alle Schülerinnen und Schüler gäbe, wäre das aber nur ein Anfang. Der Blick in die Praxis verrät, woran es noch hakt. Kathrin Kösters, Schulleiterin der Gesamtschule Mitte, hat festgestellt, dass manche Familien nicht einmal einen Internetzugang haben. „Da nutzt das geschenkte oder ausgeliehene Tablet nicht wirklich.“ Denn es geht beim Online-Unterricht ja auch darum, die Hausaufgaben über den Schulserver zu bekommen oder an Videomeetings oder Chats teilzunehmen.
Technik kann direkten Kontakt nicht ersetzen
Und ein weiteres Problem ergibt sich: „Ich brauche fast eine halbe Stelle an Lehrerstunden nur für den Support unserer etwa 200 iPads und gut 150 anderen Rechner, Laptops und Tablets.“ Kämen nun für alle Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 5 bis 10 iPads hinzu, müssten rund 1.000 Geräte verwaltet werden. „Dafür hat ein mittelgroßes Unternehmen eine eigene Abteilung, wir aber nur Lehrkräfte mit sehr viel Eigenmotivation und Engagement“, so Kösters.
Schulleiter Clemens Kraus von der Geschwister-Scholl-Realschule ist es bisher mit Hilfe von Spenden gelungen, fast ein Viertel seiner Schülerschaft mit Geräten zu versorgen. Doch diese allein garantieren keinen gelungen Distanzunterricht. „Die Schülerinnen und Schüler brauchen Grundkenntnisse im Umgang mit der in Münster genutzten Lernplattform IServ.“ Doch um die Kinder grundlegend einzuweisen, fehlen Zeit und Gelegenheit. „Und eine Schulung im Umgang mit dem Online-Lernen über das Internet ist schwierig, da ja die Schülerinnen und Schüler dafür wieder online sein müssten.“ Die Lernplattform erklärt sich nicht von selbst, gerade die jüngeren Kinder müssten stark unterstützt werden.
Außerdem könnten die Kinder eben nicht in der Gruppe lernen oder direkte Rückmeldungen der Lehrerinnen und Lehrer bekommen. Eine vertrackte Situation, die auch dadurch zustande kam, dass das Thema an den Schulen vor Corona trotz aller Digitalisierungsbemühungen anscheinend keine große Rolle gespielt hat – weil mal das Equipment, mal genug Verständnis, mal das Geld oder vielleicht manchmal einfach auch der Wille fehlten.
Weniger schulspezifisch als vielmehr virologisch begründet ist übrigens ein ganz anderer Technik-Bedarf. Markus Sawicki von der Stadtelternschaft hat beim Gesundheitsamt nachgefragt, ob es nicht sinnvoll wäre, während des Unterrichts in der Schule Ventilatoren einzusetzen. Diese, so empfehlen es Virologen, würden für frische Luft in den Klassenräumen sorgen und so die Übertragungsgefahr über Aerosole (kleinste Schwebeteilchen in der Luft) verringern.
+++Ein trauriges Thema, das auch mit dem Thema Schule zu tun hat: Der Kinderschutzbund Münster verzeichnet seit dem Beginn der Krise mehr Anrufe beim Kinder- und Jugendtelefon (Rufnummer: 116 111). Eine Erklärung: Die Kinder haben weniger Kontakt zu pädagogischen Fachkräften in den Kitas und Schulen sowie in den Vereinen und Freizeiteinrichtungen. Die Caritas hingegen meldet zwar weniger Meldungen zur Kindeswohlgefährdung, bezeichnet das aber als „Alarmzeichen“. Weil die Kinder weitestgehend zu Hause blieben, würden Gewalt und Missbrauch nicht von Erzieherinnen, Pädagogen oder Nachbarinnen angezeigt. Die Dunkelziffer würde daher eher steigen.
+++ Voll, voller, zu voll? Die Wirtschaftsförderung Münster (WFM) hat gezählt und freut sich über die steigenden Passantenzahlen (und Umsätze) in der Innenstadt. So waren beispielsweise am vergangenen Samstag mehr als 32.000 Personen in der Ludgeristraße unterwegs, also 2.500 mehr als noch in der Vorwoche (aber rund 18.000 weniger als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum). Auch die Busse der Stadtwerke seien seit den Corona-Lockerungen wieder stärker ausgelastet. Noch läge die Zahl der Fahrgäste zwar bei nur rund 45 Prozent im Vergleich zu normalen Zeiten, wird Florian Adler, Sprecher der Stadtwerke Münster in den Westfälischen Nachrichten (Bezahlschranke) zitiert. Die Tendenz sei aber steigend. Und damit bringt uns die Rückkehr in die Normalität vielleicht Probleme. Es wird enger in den Geschäften, in den Fußgängerzonen – und nun auch in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Mindestabstände könnten schon jetzt in den Bussen nicht immer eingehalten werden, räumen die Stadtwerke ein. Die Anzahl der Fahrgäste hatten diese zwischenzeitlich auf 25 beschränkt, nun dürften aber wieder mehr Personen mit. Trotz nächtlicher Reinigung der Fahrzeuge müsse den Gästen klar sein: „Ein Bus ist kein reiner Raum.“
+++ Kein Bitten um einen Abbruch der Saison half. Die Preußen müssen wieder spielen. Am Sonntag findet also das erste Corona-Heimspiel gegen Halle statt, bis dahin ist die Mannschaft im Quarantäne-Hotel untergebracht. Und das ist wahrlich kein Urlaub, denn der Druck, den Trainingsrückstand wieder aufzuholen, ist groß. Die gute Nachricht: Alle Testungen auf Covid-19 fielen negativ aus, die Spieler sind gesund. Wie fit sie sind, wird sich Pfingsten an der Hammer Straße zeigen.
+++ Ankündigung mit Seltenheitswert. Nicht oft können wir in diesen Tagen auf Festivals oder Großveranstaltungen hinweisen. Jetzt schon. Denn das Vainstream-Rockfest hat sich auf das nächste Jahr vertagt. Der Termin (26. Juni 2021) steht fest, die Headliner (Offspring, Sum 41, Boysetsfire und Stick To Your Guns) ebenfalls. Da die Tickets für das eigentlich in diesem Jahr geplante Event ihre Gültigkeit behalten, ist das Festival schon jetzt fast ausverkauft. Mehr Informationen gibt es hier.
+++ Liebe in Zeiten von Corona. Es ist schon eine Weile her, da fragte ich in einem meiner Briefe, ob mir Leserinnen oder Leser davon erzählen könnten, wie schwer Fernbeziehungen in Zeiten von Kontakt- und Reisebeschränkungen sind. Jetzt schrieb mir Claudia Wolf. Sie kann trotz der Lockerungen immer noch nicht ihren Mann aus Ghana in die Arme schließen. Hier sind ihre traurigen, aber auch hoffnungsvollen Zeilen:
„Kennengelernt haben wir uns, als ich für zwei Jahre in Westafrika gearbeitet habe. Seit elf Monaten warten wir nun schon auf den Stempel in seinem Pass, der es ihm erlaubt, zu mir zu kommen.“ Ihr Anwalt hatte sie gewarnt: „Ein Visumantrag kann Monate dauern.“ Dass dann auch noch Corona dazu kommen würde, hatte er natürlich nicht vorausgesehen. Jetzt sei alles noch schwieriger. „Internationale Flüge sind weitgehend gestrichen.“ Ihr Mann lebt noch in Ghana, dort gibt es auch Corona. „Das Gesundheitssystem ist schlecht. Das Virus breitet sich weiter aus.” Und dennoch schreibt Claudia Wolf: „Mein Mann und ich haben uns etwas vorgenommen: Auf keinen Fall aufgeben! Wenn wir das überlebt haben, dann kann uns nichts mehr umhauen. Dann wird am Ende alles gut.“
+++Es ist kein gefälliges Thema, dem sich der Blog „Der Wiedertäufer“ jetzt angenommen hat. Es geht um die Frauen, die sich an der Siemensstraße prostituieren. Sie könnten während der Corona-Krise nicht arbeiten und sind daher existenziell bedroht, denn sie hätten weder Einkommen noch soziales Netz. Die Versorgung mit Lebensmitteln sei elementar, sagt Yanica Grachenova vom Gesundheitsamt. Ohne ehrenamtliche Hilfe und Spenden von Essen, Kleidung oder Hygieneartikeln ginge es nicht.
Am Samstag war keine Neuinfektion zu verzeichnen, am Sonntag zwei, am Montag keine und heute wurde wieder eine gemeldet, teilt die Stadt Münster mit. Die Gesamtzahl labordiagnostisch bestätigter Corona-Fälle im Stadtgebiet ist damit auf 705 gestiegen. Davon sind 647 Patientinnen und Patienten wieder genesen. 13 Menschen, die mit dem Coronavirus infiziert waren, sind verstorben. Somit gelten aktuell 45 Münsteranerinnen und Münsteraner als infiziert.
Gute Nachrichten aus Wolbeck: Dort konnte an der Hauptschule nach den umfangreichen Tests auf das Corona-Virus heute wieder unterrichtet werden. Zuvor waren sechs Schülerinnen und Schüler beziehungsweise Lehrkräfte positiv getestet worden. Die Situation sei jetzt stabil, teilte Krisenstabsleiter Wolfgang Heuer mit.
Der am Gymnasium Wolbeck positiv getestete Abiturient ist zudem ein Einzelfall. Er war am 15. Mai als Kontaktperson getestet worden, zeigte aber keine Symptome. Seitdem lebt er in Quarantäne. Da am Gymnasium keine weiteren Fälle bekannt geworden waren, ging dort der Unterricht weiter. Außerdem kann der Abiturient am 27. Mai am letztmöglichen Termin eine Klausur in einem gesonderten Raum nachschreiben; mit einer Sonderregelung, weil die 14-tägige Isolationszeit noch nicht vorbei ist – und wenn er dann seit 48 Stunden symptomfrei ist.
Auf den bunten Zetteln, die auf helle Holzbretter gepinnt sind, steht „4 x Falafel“, „1 x Makali“, „2 x Schawarma“. Darüber wird in großen Buchstaben der Grund für diesen fröhlichen Blätterwald verraten: „Sharing is caring“, „teilen ist kümmern“. Im Schnellrestaurant Al Hayat an der Hafenstraße können die Gäste nicht nur syrische und arabische Gerichte bestellen, sie können auch Mahlzeiten an bedürftige Menschen spenden. Für Imbiss-Betreiber Hussein Ismail geht es bei gutem Essen nicht nur um den guten Geschmack. Die Verpackungen, die er verwendet, sind biologisch abbaubar, die Lebensmittel fair produziert, er setzt sich gegen Lebensmittelverschwendung ein und er verteilt die gespendeten Essen zum Beispiel im Haus der Wohnungslosenhilfe. Im Interview mit dem Blog „Zauberhaftes Münsterland“ antwortet Ismail auf die Frage, warum er sein Schnellrestaurant „Al Hayat – das Leben“ genannt hat: „In meiner Heimatstadt Aleppo in Syrien hatte ich auch ein Restaurant mit diesem Namen, von 2005 bis 2011, doch dann kam der Krieg und hat alles zerstört.“ Ismail floh mit seiner Familie nach Münster und eröffnete zusammen mit seinem Onkel den Imbiss. „Wir möchten im ‚Al Hayat‘ das Leben feiern und genießen“, sagt er.
Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!
Nichts, was Menschen gebaut haben, war der Sonne jemals so nah wie die NASA-Raumsonde „Parker Solar Probe“. Sie startete 2018 zu ihrer heißen Mission, um mehr über die Sonnenatmosphäre und Sonnenwinde herauszufinden. Heute Abend, um 19:30 Uhr, wird Volker Bothmer vom Institut für Astrophysik Göttingen über den schnellsten (bis zu 692.000 Stundenkilometer Spitzengeschwindigkeit) und hitzebeständigsten (funktionsfähig bei Außentemperaturen bis zu 1.371 Grad Celsius) Lieferanten von Weltraumdaten einen Vortrag auf dem Youtube-Kanal des LWL-Planetariums halten. Der sollte eigentlich schon letzte Woche laufen, wurde aber um eine Woche verschoben. Ausgerechnet wegen technischer Probleme.
Erinnern Sie sich noch an Geocaching? Diese Schatzsuche übers Smartphone, die vor ein paar Jahren aus langweiligen Familienspaziergängen plötzlich eine aufregende Schnitzeljagd machte? Mir scheint zwar, die Suche nach Kleinigkeiten an den verrücktesten Orten ist ein bisschen aus der Mode gekommen, aber diese besonderen Zeiten könnten für ein Revival sorgen. Das Johannes-Hospiz Münster jedenfalls schlägt vor, es mal wieder zu versuchen. Der Cache, also der Schatz, heißt „Johannes-Hospiz Cache“, die Koordinaten lauten: „N51°57’36.9 E7°38’53.5“. Sie können sich hier (auch für andere Schatzsuchen) kostenlos anmelden und sofort loslegen.
Am Freitag schreibt Ihnen wieder Ralf Heimann.
Herzliche Grüße und schöne Tage
Ihre Katrin Jäger
Mitarbeit: Sebastian Stachorra
PS
Früher hatte man das Wetter, heute Corona. Möchten wir der Krise etwas Positives abgewinnen, ist es die Erweiterungen der Small-Talk-Themen. Statt nur über Temperaturen, Sonnenschein oder Regen zu reden, spreche ich plötzlich mit wildfremden Menschen über Aerosole, Schulpolitik, Demonstrationsrecht und – was mich wirklich immer wieder anrührt – ganz ernsthaft darüber, wie es uns damit geht. Und das ist dann plötzlich kein Small Talk mehr, sondern oft der Beginn eines guten Gesprächs.
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