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Maskierte Höflichkeit | Gefährliches Zuhause | Morgengymnastik
Guten Tag,
haben Sie heute schon Ihr Verhalten geändert? Bestimmt. Im Moment tun wir das ja beinahe stündlich, nicht wahr? Vor ungefähr drei Wochen noch – es kommt mir vor wie eine Ewigkeit – haben wir Menschen, die öffentlich Mundschutz trugen, als hysterisch verspottet. Jetzt spotten wir eher über jene Menschen, die die Schutzmaske nicht richtig tragen. So sorgte Armin Laschet gestern bei einem Pressetermin in Aachen, wo er den Startschuss der Virtuellen Klinik von NRW medienwirksam begleitete, für Lacher im Netz und Häme in der Berichterstattung. Was hatte er Schlimmes getan? Er hatte seine Nase nicht bedeckt. Es folgten Erklärvideos, wie man es richtig macht. Hier ein kleines Beispiel. Immerhin wissen wir jetzt wieder, dass auch Politiker und Politikerinnen Menschen sind, die sich an die neuen Zeiten gewöhnen müssen, wir wissen, wie wichtig diese Masken sind – und wir wissen auch, wie sie zu sitzen haben.
Seitdem der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité in seinem NDR-Podcast erklärt hat, dass auch selbstgebastelte Masken sinnvoll sind („Das kann ein Zellulose-Tuch sein wie bei einer gekauften Maske, oder es kann natürlich auch ein Schal sein oder irgendetwas, diese großen Tröpfchen werden dann abgefangen. Da lässt sich nichts dran diskutieren.“), und sie als „höfliche Geste“ gelobt hat, gibt es in dieser Zeit des Wartens wieder etwas Sinnvolles, das wir tun können. Und dann riet auch noch der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhard, dazu, Masken (auch selbstgemachte) im öffentlichen Raum zu tragen, um das Risiko, andere oder sich selbst anzustecken, zu verringern. Sofort schauten wir im Keller nach Stoffresten.
Lieber Masken nähen als den roten Faden verlieren
Viele Menschen produzieren jetzt also Masken, statt sie dem Klinik-, Altenheim- oder Pflegepersonal wegzukaufen und – vielleicht ist dies sogar der wichtigere Grund – nicht vor lauter Nichtstun mürbe zu werden. In Deutschland rattern die Nähmaschinen – und natürlich auch hier. Als der Münsteraner Rüdiger Dreier auf Twitter nach Ehrenamtlichen suchte, die für die Ambulante Pflege der Caritas Mundschutzmasken nähen könnten, war er schon 24 Stunden später überwältigt von der Resonanz. „Ihr seid der Hammer! Wir haben jetzt mehr Menschen, die uns unterstützen wollen, als Material.“
Das Theater Münster will sich mit seiner Schneiderei am Masken-Machen beteiligen. Auch Modeschülerinnen und -schüler, Angestellte und Ordensfrauen taten sich zusammen und nähten für das St.-Franziskus-Hospital innerhalb von nur drei Tagen 1.200 Schutzmasken. Die Masken werden von der Klinik als Baustein im Rahmen der vorsorglichen Maßnahmen gesehen. Die Näherei ist also mehr als blanker Aktionismus. Auch wenn die münsterschen Kliniken im Moment noch mit den nötigen Schutzmaterialien versorgt sind, ist es natürlich sinnvoll, außerhalb des Medizinbereichs auf die Selfmade-Alternative zu setzen.
Auch Prominente machen inzwischen auf Maske. Unter dem Motto #Maskeauf präsentieren sich auf einer Aktions-Website Lena Meyer-Landrut, Jan Böhmermann, Joko Winterscheid, Charlotte Roche und noch viele andere mit bunten oder selbstbemalten Masken-Varianten. Dazu gibt es seriöse Basteltipps (man muss nicht zwingend nähen können) und Verhaltensregeln.
Coronazahlen für Münster
Jetzt verlassen wir den Maskenball und wenden uns den Corona-Zahlen für Münster zu. Beginnen wir mit etwas Positivem, der „sensationellen Hilfsbereitschaft der Bevölkerung”, sagt der Direktor der Uniklinik Münster, Hartmut Schmidt. Er hatte 100 bis 200 Spender erwartet, gekommen sind 2.000 Freiwillige. Sie hatten sich nach dem UKM-Aufruf bei der Klinik gemeldet. 1.000 erfüllten alle geforderten Kriterien. Sie hatten eine Corona-Infektion, sind jetzt corona- und seit zehn Tagen symptomfrei. Die aus ihrem Blut isolierten Abwehrstoffe sollen nun Corona-Patientinnen und -Patienten direkt verabreicht werden – im intensivmedizinischen Bereich, aber auch schon, sobald sie Atembeschwerden haben, die so problematisch sind, dass diese stationär behandelt werden müssen. Ein solches Vorgehen sei wissenschaftlich berechtigt, aufgrund der Erfahrungen bei der Behandlung früherer Viruserkrankungen, teilt das UKM mit. Das „wertvolle” Blut kann bis zu zwei Jahre lang eingefroren werden. So könnte es auch bei künftigen Corona-Wellen zum Einsatz kommen.
Doch es gibt natürlich auch weiterhin die weniger positiven Daten und Fakten. Die Zahl der gemeldeten Corona-Fälle im Stadtgebiet ist auf 487 gestiegen. In den Krankenhäusern werden 41 Corona-Patientinnen und -Patienten behandelt. Zwölf von ihnen liegen auf Intensivstationen, sieben müssen beatmet werden. 53 Intensivbetten sind noch frei. Die Kapazitäten können auf mehr als 200 aufgestockt werden, davon 170 davon mit Beatmungsgeräten. Gemessen an den Infektionen pro 100.000 Einwohner liegt Münster laut Tagesspiegel bundesweit auf Rang 35. Am Samstag war es noch Rang 24 von 401 Städten und Landkreisen in Deutschland.
Teurer Spaß, der nicht lustig ist
Bei Kontrollen stellte das Ordnungsamt der Stadt am Wochenende 28 Verstöße gegen das Kontaktverbot fest, nach dem sich derzeit nicht mehr als zwei Personen gemeinsam im öffentlichen Raum aufhalten dürfen. In acht Fällen gab es förmliche Anzeigen beziehungsweise Bußgelder, das niedrigste beträgt übrigens 200 Euro. Hier noch einmal die Argumentationshilfe des Landes NRW, im Bußgeldkatalog zusammengefasst.
Die Familie als Bedrohung
Wenn das Leben hauptsächlich in den eigenen vier Wänden stattfindet, kann das für Kinder oder Frauen zu einem ernsten Problem werden. Und dabei geht es nicht mehr nur um den viel beschriebenen Lagerkoller oder die nervenzerreibende Langeweile. Es geht um Gewalt, ausgeübt von den eigenen Familienangehörigen. Der Weiße Ring rechnet „mit dem Schlimmsten“, 100 Wissenschaftler aus ganz Deutschland fordern einen nationalen Krisenstab für mehr Kinderschutz in der Corona-Krise. „Für manche ist das lebensgefährlich“. Unser Kollege Christoph Klemp hat für RUMS beim Amt für Kinder, Jugendliche und Familien in Münster nachgefragt. Dort teilt man die Sorge vor einem Anstieg der häuslichen Gewalt. Und die trifft größtenteils Frauen und Kinder. „Bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung fahren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kommunalen Sozialdienstes weiterhin in die Familien“, heißt es bei der Stadt. Ebenso würden Kinder in Familien regelmäßig besucht, in denen das Kindeswohl bereits gefährdet war. „Besuche machen wir zum Schutz aller an der frischen Luft und nicht zu Hause“, sagt Ralf Kaisen, Chef der Caritas-Familienhilfe. „Bei nicht akuten Fällen bleiben wir via Smartphone und Messenger in Kontakt.“ Die Polizei sieht in Münster im Moment noch keine Veränderung gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Im ganzen Jahr 2019 gab es in Münster 407 Einsätze wegen häuslicher Gewalt. In ganz Nordrhein-Westfalen verzeichnete die Polizei im März einen Rückgang der Fälle um 30 Prozent (Quelle: dpa). Doch dieser Nichtanstieg der Zahlen ist kein Grund zur Entwarnung. Oft würden solche Fälle zunächst als Körperverletzung geführt und erst später als häusliche Gewalt ausgewiesen. Auch Experten wie Ralf Kaisen rechnen damit, dass das Ausmaß der häuslichen Gewalt erst nach der Corona-Krise in den Beratungsstellen sichtbar werden wird. Wer Hilfe braucht, kann sich an die Familienhilfe der Caritas in Münster unter (0251) 530 09 338 wenden, an das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ unter 08000 116 016 oder die „Nummer gegen Kummer“ unter 116 111.
Die Relativität der Zeit
Bevor ich es vergesse und zur Erinnerung: Heute ist Dienstag. Ich sage das, weil man in dieser wabernden Zeit der Ungewissheit wie ein Schiffbrüchiger auf einer einsamen Insel die Übersicht über die Woche verlieren kann. So erging es auch der Journalistin Kerstin Lessmann aus Mauritz, die in Münster studiert hat und bei der Münsterschen Zeitung volontierte. Seit sieben Jahren lebt sie mit ihrem Mann und vier Kindern (zwischen drei und zehn Jahren alt) in Shanghai. Sie schrieb uns über ihre ersten Quarantäne-Wochen, die sie zunächst in China, dann in Mauritz, dann wieder in China erlebte: „Der Tag begann, die drei Jungs bauten Lego-Welten, unsere Tochter arbeitete ihre Unterrichtspläne ab, Papa steckte in Telefonkonferenzen, wir aßen, buken Kuchen, räumten Schubladen auf, die Zwillinge (3) hauten sich auch mal die Matchbox-Autos auf die Rübe, der Tag endete. Der nächste begann. War Mittwoch? Hatten die Kinder heute schon mal Zähne geputzt?“ Ihre Routine: „Jeden Morgen fiel der erste Blick auf die Statistik-App: explodierende Infektions- und Todeszahlen in Hubei, das nahgelegene Hangzhou verfärbt sich rot auf der Corona-Karte.“
Als immer mehr befreundete Mütter mit Kindern das Land verließen, flog auch sie mit ihren Kindern nach Hause. Papa blieb. „Schule und Kindergarten waren inzwischen auf unbestimmte Zeit geschlossen worden, unsere internationalen Krankenhäuser ebenfalls. Zwei Gründe, die uns schweren Herzens in einen halbleeren Flieger steigen ließen. Nach Hause, ins coronafreie Münster, in die nächste selbst auferlegte Quarantäne.“ Doch in Deutschland gab es keine Welcome-Party, sondern Berührungsängste. „Mit Rücksicht auf Freunde, Familie, Nachbarn igelten auch wir fünf uns ein in unserem Häuschen in Mauritz. Zwei Wochen blieb die Tür zu. Freunde stellten Päckchen davor, Tupperdosen mit Selbstgemachtem. Doch: Kein Spielplatz, kein Wochenmarkt, kein Treffen mit Großeltern. Stattdessen Lego, e-Learning, Sturmwetter – und auch fliegende Matchbox-Autos. Alltag in der Isolation, Isolation inzwischen Alltag. Was folgte, waren Tage des Staunens: Über die Dynamik eines Virus‘ in Zeiten der Globalisierung und die ungebrochene Dynamik in unserem Heimatland trotz des Virus‘.“ Vor zwei Wochen flogen Kerstin Lessmann und ihre Kinder zurück nach Shanghai. Unter hohen Auflagen: Fieberkontrollen und Zwölf-Stunden-Maskenpflicht im Flieger, Befragungen nach Aufenthaltsort und gesundheitlichem Zustand sowie medizinische Untersuchungen am Flughafen. „Es war ein vierstündiger Nervenkitzel, bis wir mit grünem Sticker im Pass wieder ins Land durften – unter der Prämisse: 14 Tage hinter versiegelter Haustür und immer gefasst auf sporadischen Kontrollbesuch einer fiebermessenden Mannschaft.“
In Shanghai normalisiere sich so langsam das Leben wieder, schreibt Kerstin Lessmann. „Noch haben Schulen und Kindergärten geschlossen, die neunte e-Learning-Woche beginnt. Allerorten wird weiterhin Fieber gemessen, alle Menschen tragen noch Masken.“ Auch jetzt blicken sie allmorgendlich auf die Statistik: über 10.000 Infizierte in NRW. „Die Angst um unsere Eltern wächst.“
+++Ernte retten. Seit gestern vermittelt die Agentur für Arbeit Ahlen-Münster Arbeitssuchende an Landwirte, denen die Saisonarbeiter wegen des Reiseverbots fehlen. Die Hotline-Nummer lautet: (0251) 698 900. Zusammengefasst finden Sie alle Informationen rund um das Thema Erntehilfe übrigens hier. +++
+++Fakten liefern. Das Recherche-Portal Correctiv hat einen Crowd-Newsroom zur Corona-Krise veröffentlicht. Darin möchten die Kolleginnen und Kollegen wissen, wie sich die aktuelle Situation auf Sie und Ihren Beruf auswirkt. Es geht darum, zu verstehen, wo Probleme auftauchen und was wir als Gesellschaft daraus lernen können. Hier können Sie sich beteiligen. +++
+++Treue zeigen. Beim Allwetterzoo geht das Leben für die Tiere und deren Pflegerinnen und Pfleger eigentlich fast seinen gewohnten Gang. Die Tiere fressen, die Häuser müssen mit Energie versorgt werden – und all das kostet. Deshalb können Zoo-Fans während dieser Corona-Durst-Phase Treuetickets kaufen und später einlösen. +++
+++ Entlastung geben. Die Sparkasse senkt den Dispo-Zinssatz von 9,5 % auf 4,99 %, die Kirche weist darauf hin, dass Kurzarbeitergeld und Verdienstausfallentschädigung automatisch kirchensteuerfrei sind und die Stadt Münster hat eine Übersicht zu den aktuellen Wirtschaftshilfen zusammengestellt. +++
+++Gabenzaun bestücken. Am Samstag hat Ralf Heimann in seinem RUMS-Brief vom Gabenzaun am Hansaring berichtet und gefragt, ob es noch weitere Freiluft-Spendenanlaufstellen für Obdachlose in Münster gibt. Die gute Nachricht lautet: Ja. Zum Beispiel am Bremer Platz. Kleine Anmerkung dazu: Im Moment gibt es dort viele Kleidungsspenden für Frauen. Bitten denken Sie auch an die Männer. +++
My Home ist my Fitnesscenter. Wir sollen uns zwar weniger von A nach B bewegen, aber körperlich aktiv sein sollen wir ja sogar trotzdem. Joggen und Spaziergänge sind deshalb erlaubt, aber auch drinnen geht so einiges. Antenne Münster hat ein paar kostenlose Online-Angebote aus Münster gesammelt, die zum Nachsporteln anregen.
Für Eltern oder Großeltern, deren Gymnastik-Kurse derzeit ausfallen, die aber mit diesem Internetz nichts am Hut haben, gibt es ein Angebot, für das man kein Digital Native sein muss, sondern nur einen handelsüblichen Fernseher benötigt. Der Bayerische Rundfunk bietet wochentäglich um 7.20 Uhr und 8.30 Uhr TV-Gymnastik an, die manchmal etwas schräg, aber immer effektiv ist. Mal lassen die 80er-Jahre im sexy Aerobicstyle grüßen, einiges ist etwas altbacken, doch es gibt auch gute Pilates-Übungen. Der Tipp stammt übrigens von der 80-jährigen Übungsleiterin und Leserin Dagmar Jäger, die nicht zufällig denselben Nachnamen wie ich trägt. Mitturnen können Alt und Jung, hier die Programm-Übersicht.
Lachmuskeltraining: Wenn Sie zu den glücklichen Menschen gehören, die The Marvelous Mrs. Maisel (Amazon Prime) noch nicht gesehen haben, dann könnten Sie sich jetzt auf einen Serienmarathon freuen. Die Story um eine bezaubernde Stand-up-Comedian Miriam „Midge“ Maisel, ist lustig, üppigst ausgestattet und mit ihrem bunten 50er-Jahre-Setting unendlich weit weg von jedweder Corona-Depression. Die dritte Staffel kam vor wenigen Wochen heraus.
Haben Sie auch ein paar Ideen für garantiert virenfreie Serien- und Filmabende oder andere Aktivitäten zuhause? Gerne her damit!
Ihre Katrin Jäger
PS
So, mein erster Brief ist nun geschrieben. Da wir uns noch nicht so lange kennen, bin ich neugierig: Stimmt der Tonfall, bin ich zu persönlich geworden, zu sachlich geblieben, vom Thema abgekommen? Seien Sie gern kritisch. Dass Sie dabei sind, dass Sie uns lesen, uns Ihr Vertrauen schenken, das hilft uns sehr. Danke für Ihre Unterstützung. Bleiben Sie gesund!
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