Glaube, Liebe, Hoffnung – und Corona

Porträt von Katrin Jäger
Mit Katrin Jäger

Guten Tag,

viele Menschen beschäftigen sich derzeit mit Statistiken und Modellrechnungen, Zahlen und Kurven. Auch ich höre Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu, lerne deren Fachausdrücke wie die Vokabeln einer fremden Sprache. Ich beachte Regeln, die der reinen Vernunft entsprechen, und verändere mein gesamtes bisheriges Verhalten, weil ich daran glaube, dass wir nur so das Schlimmste verhindern. Und dann fragt der Sohn: „Mama, was glaubst du, werden wir nach den Osterferien wieder zur Schule gehen?“ Und ich könnte heulen, weil ich ihm nicht antworten kann. Weil ich ganz plötzlich weiß, dass ich nichts weiß. Mein Glaube ist in diesen Wochen schnell und leicht zu erschüttern.

Glaube …

Eine Umfrage des Erfurter Meinungsforschungsinstituts INSA Consulere, die im Auftrag der katholischen Zeitung „Tagespost“ durchgeführt wurde, ergab, dass ein Drittel der Deutschen seit Corona häufiger betet als vorher; Frauen öfter als Männer, Katholiken genauso oft wie Protestanten und die über 60-Jährigen öfter als die Jüngeren, Angehörige der Freikirche wiederum am meisten von allen. Die Betgewohnheiten anderer Religionen wurden nicht abgefragt. Neben den kalten Zahlen und Fakten steht also offensichtlich auch Gott in der Corona-Krise hoch im Kurs.
Das Bistum Münster hat sich darauf eingestellt. Die Kirchen sind geschlossen, doch die Gläubigen können online an Gottesdiensten teilnehmen, und selbst die Kollekte kann man nun kontaktlos per Online-Banking überweisen. Unter dieser Mailadresse gibt es dazu mehr Informationen.
Doch nicht allen gibt der liebe Gott Kraft und Zuversicht. Denn egal, wie viele Kirchentürme in Münster auch stehen – viele Menschen haben sich längst von der Institution Kirche abgewandt. Wer tröstet sie? Wer gibt ihnen Glauben, Liebe, Hoffnung?

Dazu habe ich mit dem Journalisten Nils Pickert gesprochen, der über die Themen Familie, Feminismus, Gleichberechtigung und Religion schreibt, seit zwei Monaten in Münster lebt und überzeugter Atheist ist.

Verstehst du, warum Menschen beten?
Nils Pickert: In existenziellen Krisen, in Zeiten der Verunsicherung und Gefahr brauchen Menschen mehr Trost und Klarheit. Zu beten ergibt für Gläubige Sinn.

Aber nicht für dich als Atheist?
Selbstverständlich bin ich auch verunsichert, habe Ängste und brauche Trost. Aber ich bete nicht. Ich verhandle nicht mit Gott um Dinge, mich oder andere Menschen.

Das klingt ja, als sei beten wie schachern mit Gott.
Das ist es, was das Gebet für mich, bei aller aufrichtigen Demut, die Gläubige dabei praktizieren, darstellt. Entweder lässt man dem Allmächtigen eine kurze Erinnerung an die eigenen Bedürfnisse zukommen oder man nimmt sich selbst so wichtig, dass man meint, die fehlende Stimme zu sein, die ihn hoffentlich dazu bewegt, von einer Katastrophe abzusehen.

Aber wer tröstet dich, was machst du mit deinen Ängsten?
Atheisten wie ich fallen tiefer als in die Hand Gottes, manchmal ins Bodenlose, und dann zerschellen sie. Aber sie fallen auch in die Hände ihrer Mitmenschen. In die kleinen Hände ihrer dreijährigen Tochter, die ihnen über die Wange streichelt und sagt, dass sie sie liebt. In die Hände von Partnerinnen und Partnern, von Müttern und Vätern, Freundinnen, Freunden und Bekannten. Diese Hände versprechen keinen ewigen Trost, kein unendliches Mitgefühl und keinen allmächtigen Schutz. Es sind Hände, deren Halt so viel mehr zählt, weil sie nicht alles tragen wollen und können. Wenn es keinen allumfassenden Halt gibt, ist jedes Gehaltenwerden umso kostbarer; jede Entlastung befreit und jeder Trost heilt. Das ist es, was zählt.

… Liebe …

Nils Pickert hat recht: Ganz unabhängig davon, woran wir glauben, die Menschen sind es, auf die es in Krisenzeiten ankommt. Wie viel Nächstenliebe in ihnen steckt, wieviel Hilfsbereitschaft vorhanden ist, das sieht man gerade jetzt.
Ein paar Beispiele: Die Ultras des SC Preußen Münster haben eine große Solidaritäts-Aktiongestartet. An fast allen Krankenhäusern in Münster haben sie Banner aufgehängt, auf denen sie dem Pflegepersonal und Ärztinnen und Ärzten für ihren Einsatz danken. „Münster 4 Life“ verkauft Münster-T-Shirts und spendet den kompletten Gewinn an die LichtBlick Seniorenhilfe, die eine Corona-Unterstützung für Rentnerinnen und Rentner in Altersarmut eingerichtet hat.
Die Caritas hat eine Einkaufshilfe organisiert. Über diese Mailadresse koordiniert Laura Karisch die Aktion, bei der junge Leute für Menschen einkaufen gehen, die nicht aus dem Haus gehen dürfen, sollen oder können. Eine Telefonnummer gibt es auch: (0251) 53 009 342.
Und weil wir schon beim Thema Liebe sind: Wie funktioniert das eigentlich im Moment bei Menschen, die in einer Fernbeziehung leben? Oder bei Familien, in denen die Eltern getrennt sind und in verschiedenen Orten leben und jetzt entscheiden müssen, die Kinder am Wochenende oder in den Ferien vielleicht doch nicht zu sehen? Bleiben sie wirklich zu Hause?
Auch der Fußballprofi Jerome Boateng musste sich diese Gewissensfrage stellen – und fuhr trotz des beim FC Bayern geltenden Verbots zum kranken Sohn. Wie machen Sie es? Wie ertragen Sie die Sehnsucht, die fehlende Nähe, die kontaktlose Liebe? Schreiben Sie uns!

… Hoffnung …

Dass die Anspannung wächst, merkt jeder, der dieser Tage den Einkauf erledigen musste. Neue Regeln im Supermarkt verunsichern die Kundinnen und Kunden, die Verkäuferinnen und Verkäufer sind angespannt, fühlen sich der Gefahr einer Infektion ausgesetzt – und obwohl man in der digitalen Welt allerorts maskentragenden Menschen begegnet: Im Alltag sind sie (leider) noch nicht angekommen. Doch bald werden auch die Deutschen sie tragen. Hoffentlich! Und Hoffnung ist das, was wir jetzt gebrauchen können.
Tatsächlich flachen die Corona-Kurven ein wenig ab, die Zeitspanne, innerhalb derer sich die Zahl der Infizierten verdoppelt, hat sich etwas vergrößert. Doch dieser Hoffnungsschimmer in Kombination mit dem guten Wochenendwetter schürt die nächsten Ängste. Was, wenn die Leute jetzt nicht mehr vernünftig sind? Das Virus ist bereits in den Altenheimen und Pflegeeinrichtungen angekommen, die drohende massive Infektions-Welle steht immer noch bevor.
Sicherheitshalber wurden deshalb jetzt am Aasee die Flächen rund um die Kugeln und die Treppe zum See abgesperrt, um den Münsteranerinnen und Münsteranern klar zu zeigen: Hier sind keine Menschenansammlungen mehr möglich! Das Ordnungsamt verweist darauf, dass die Verhaltensregeln (mindestens 1,50 Meter Abstand, nicht mehr als zwei Personen, ausgenommen Familien) auch an diesem sonnigen Wochenende und über die Osterfeiertage gelten. Der Rat von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU): Nicht dahin gehen, wo alle sind. Ja, wenn das denn so einfach wäre. Dazu passt ein Hinweis unserer Leserin Nora. Sie schrieb uns zu unserem RUMS-Start, dass ihr ein Themenfeld besonders am Herzen liegt: „Es geht um den Bauwahn in Münster. Überall werden Flächen zubetoniert. Was zur Hölle passiert da mit unserer schönen Stadt? Naherholungsgebiete werden radikal zugewürfelt.“ Auf den ersten Blick hat das ja eigentlich nichts mit Corona zu tun, doch auf den zweiten schon. Wohin in Zeiten wie diesen? Glücklich sind die, die einen Garten besitzen und Menschen, die im Speckgürtel von Münster wohnen. Sie haben noch genügend abstandsregelkonforme Freiflächen um sich herum. Können ein- und ausatmen, ohne schief angeschaut zu werden.

Apropos Atmen. Eine hoffnungsvolle Nachricht erreicht uns aus der münsterschen Wirtschaft:
Die Hengst-Filterwerke starten nach Ostern mit der Produktion von bis zu 10.000 Atemmasken täglich. Eine Zulassung als OP-Maske nach EN 14643 sei bereits in Vorbereitung, sagt Jens Röttgering, Inhaber des Unternehmens. Und: „Die ersten 25.000 Masken spenden wir an Pflegepersonal in Münster.“

… und Corona.

Die Zahl der gemeldeten Corona-Fälle im Stadtgebiet ist auf 552 gestiegen. Davon sind 270 Patientinnen und Patienten wieder gesundet. Bislang sind zwei mit dem Coronavirus infizierte Menschen in Münster gestorben (Stand: 3. April, 15 Uhr). Damit gelten 265 Personen im Stadtgebiet als infiziert.
Momentan behandeln die Krankenhäuser 74 Corona-Patienten, davon 27 auf Intensivstationen. 17 müssen beatmet werden. Auf den Intensivstationen der Stadt sind noch 82 Betten frei.

Im bundesweiten Vergleich des Tagesspiegels, in dem die Anzahl der bestätigten Coronavirus-Infektionen nach Landkreisen und Bundesländern je 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern verglichen werden, liegt Münster auf Rang 29.

Am Freitag nahm der kommunale Ordnungsdienst in Münster 159 Kontrollen vor: Dabei wurden 19 Verstöße gegen das Kontakt-Verbot festgestellt.

In aller Kürze

+++ Das neue DRK-Tagungshotel an der Sperlichstraße sollte eigentlich am vergangenen Mittwoch eröffnet werden. Das wird es jetzt auch, aber nicht als Hotel. Im Bedarfsfall können hier Covid-19-Infizierte einziehen, die nicht besonders schwer erkrankt sind, sich aber zu Hause nicht versorgen können. 72 Plätze stehen bereit. Pflege- und Behandlung übernähmen dann Ehrenamtliche, schreiben die Westfälischen Nachrichten. +++

+++Die Bahnhofsmission ist umgezogen. Die Wohnungslosen haben nun im Pfarrer-Eltrop-Heim, Wolbecker Straße 121 (Herz Jesu Kirche), eine Anlaufstelle. Zwischen 10 und 16 Uhr bekommen sie dort dank Caritas Münster, der Pfarrgemeinde St. Mauritz und der Stadt Münster ein Mittagessen, warme Getränke und Menschen, die ihnen zuhören. +++

+++ Die Stadtwerke haben ihre Auskunfts-Telefonnummer verändert und mit der Ortsvorwahl versehen. Dadurch entfallen die höheren Kosten für die frühere 0180-Vorwahl. Die neue Hotline für Münster: (0251) 694 1515. Die digitale Fahrplanauskunft ist weiterhin hier zu finden. +++

+++ Solo-Selbstständige, Freiberuflerinnen, Freiberufler, Gründerinnen und Gründer sowie kleine und mittlere Unternehmen, die von der Corona-Krise betroffen sind, können seit dem vergangenen Freitag (27. März) finanzielle Unterstützung vom Land und Bund beantragen. Insgesamt sind laut Bezirksregierung in der ersten Woche 42.562 Anträge für den Regierungsbezirk Münster eingegangen. Das sind gut elf Prozent der insgesamt 380.338 Anträge in NRW. In Münster sind es bisher 5.887, mehr Infos finden Sie hier. +++

+++ In unserem letzten Brief haben wir auf die Krise der Medien verwiesen, denen im Moment die Werbeeinnahmen einbrechen. Das betrifft nun auch die Tageszeitung Westfälische Nachrichten, deren Redakteurinnen und Redakteure zum Teil Kurzarbeit machen müssen, berichtet die Journalisten-Gewerkschaft Deutsche Journalisten-Union. +++

Drinnenbleib-Tipps

Gute Karten. Statt Postkarten aus dem ausgefallenen Osterurlaub zu schreiben, könnten Sie herzliche Grüße ans UKM schicken. Dort möchten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin und der Besuchsdienst des Demenzsensiblen Krankenhauses den jungen und älteren Patientinnen und Patienten gerne eine Osterüberraschung bereiten. Denn auch über die Feiertage gilt weitestgehend Besuchsverbot. Schön gestaltete (gerne von Kindern) oder liebevoll beschriebene Karten können Sie bis zum 9. April an folgende Adresse schicken: Universitätsklinikum Münster, Julia Blümel, Ebene 18 West, Albert-Schweitzer-Campus 1, 48149 Münster. Das Porto für eine Postkarte beträgt übrigens 60 Cent.

Turner auf dem Tablet. Holen Sie sich doch einfach mal einen echten Turner ins Wohnzimmer. Das geht, denn die Ausstellung „Turner. Horror and Delight“ ist jetzt online verfügbar. Die digitale Tour wurde vom LWL-Museum in Kooperation mit dem Kunstmuseum Luzern aufbereitet. Hingucken, anschauen, staunen, lernen!

„Wenn wir träumen, betreten wir eine Welt, die ganz und gar uns gehört“, sagt Professor Dumbledore in „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“. Er sagt auch: „Vor uns liegen dunkle, schwere Zeiten, Harry. Schon bald müssen wir uns entscheiden zwischen dem richtigen Weg und dem leichten.“ Also gleich zwei Gründe, sich noch einmal die gesamte Harry-Potter-Saga (z.B. auf Amazon Prime) anzuschauen und Lehren für die Corona-Zeit daraus zu ziehen. Außerdem haben gerade zwei Kaplane aus Münster und Damme einen Harry-Potter-Podcast aufgenommen. Sie nennen sich „Taufbolde“. Kostenfrei zu finden bei Deezer, Google Play, iTunes, podcast.de und Spotify.

Schönes Wochenende und bleiben Sie gesund

Ihre Katrin Jäger

PS

Noch nie ist ein „Hurra, wir haben Ferien“ so leise ausgefallen. Stornierte Reisen, abgesagte Flüge, gecancelte Besuche, geplante Ausflüge, die nicht stattfinden werden – was machen Sie in den nächsten Osterwochen alles nicht? Und was machen Sie stattdessen? Schreiben Sie uns gerne.

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