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Maskenmüde | Wie schützen wir die Kinder? | Hamsterkauf
Guten Tag,
Münster war die erste Großstadt in Nordrhein-Westfalen, die am 20. April die Maskenpflicht einführte. Eine Woche später zog die Landesregierung mit einer allgemeinen Maskenpflicht nach. Diese gilt noch immer. Trotz aller Lockerungen, die gestern überraschend angekündigt worden sind und ab Montag gelten.
Die Gesichtsmaske bleibt also das unübersehbare, unbequeme Symbol dieser Corona-Zeit. Sie nervt, wir schwitzen darunter, sie beraubt uns unseres Lächelns – und sie führt uns immer wieder vor Augen, wie sehr wir diesem unsichtbaren Virus ausgeliefert, wie verletzlich wir sind. Also tragen wir sie im Bus, in den Geschäften, beim Arzt.
Die Nase frei, die Nerven blank
In einigen größeren Städten Deutschlands scheint sich inzwischen aber eine gewisse Maskenmüdigkeit einzuschleichen. Das Problem: Die, die von ihr befallen sind, werden nicht etwa ruhig oder schläfrig. Im Gegenteil: Sie bestehen oft sehr aggressiv und lautstark darauf, die Pflicht nicht einzuhalten. So berichtet die Berliner Tageszeitung Der Tagesspiegel (€) von verschiedenen unschönen Begegnungen zwischen Maskenverweigerern und den Menschen, die sie auf die Pflicht, sie zu tragen, hinwiesen. Eine Bäckerei-Verkäuferin in Berlin wurde gar bedroht: Nach Feierabend werde sie sehen, was sie davon hat.
Eine kleine Umfrage in meinem Bekanntenkreis in Berlin ergab ein gemischtes Bild. Eine Freundin schrieb, dass man sich dort im Großen und Ganzen an die Maskenpflicht halte. Ein Bekannter hingegen beobachtete anderes: „Nase frei über der Maske ist in. In allen Läden.“
Aus Hamburg berichtete mir eine Freundin von einer Szene im Gemüsegeschäft. Ein Kunde von etwa 70 Jahren im rosafarbenen Polohemd trug keine Maske. Verkäuferin: „Sie müssen eine Maske aufsetzen.“
Kunde: „Ja, habe ich vergessen. Ich habe aber eine dabei.“
Verkäuferin: „Dann setzen Sie sie bitte auf, sonst bringt es nichts.“
Kunde: „Wenn ich wollte, könnte ich für alle Hamburger Masken kaufen, und den ganzen Bums hier gleich mit.“
Auch in Düsseldorf sehe man wesentlich mehr Menschen ohne Masken als in Münster, berichtet mir unser Reporter Sebastian Stachorra, der dort gerade zu Besuch war. Im Restaurant würden außerdem nicht die Kundendaten erfasst, gleiches wurde mir auch von Leserin Karin aus Hamburg gemeldet.
Fest steht: Die Akzeptanz der deutschen Bevölkerung für die Corona-Maßnahmen bröckelt, viele sind genervt. Die Stimmung schwankt irgendwo zwischen pflichtvergessen und pflichtbesessen.
Streberstadt Münster?
Münster scheint eine Ausnahme zu bilden. Freundinnen und Freunde beobachten zwar, dass häufig der Abstand nicht eingehalten wird, teilen aber meine Einschätzung, dass sich hier fast alle an die Maskenpflicht halten. Auch ein Anruf bei den Stadtwerken bestätigt den Eindruck. In öffentlichen Verkehrsmitteln herrscht Tragepflicht. Pressesprecher Florian Adler: „Zwar kann man bei 150 Bussen, die zeitgleich unterwegs sind, nicht alles im Blick haben, aber die Münsteranerinnen und Münsteraner halten sich offensichtlich sehr gut daran.“
Nun könnten wir also das Loblied auf den disziplinierten Münsteraner oder die pflichtbewusste Münsteranerin singen und uns an unserer Strebsamkeit und Vernunft erfreuen, wenn uns der Bonner Virologe Hendrik Streeck nicht ein paar Töne in Moll untergejubelt hätte.
Der sprach nämlich mit der Neuen Osnabrücker Zeitung nicht nur über die Heinsberg-Studie und den aus seiner Sicht zu frühen Lockdown, sondern auch über die Maskenpflicht.
Streeck sagt: „Am Anfang der Pandemie wurde ja dezidiert gewarnt vor Masken. Die Gründe dafür gelten immer noch, auch wenn sie merkwürdigerweise keine Rolle mehr zu spielen scheinen.“ Dann wird er konkreter: „Die Leute knüllen die Masken in die Hosentasche, fassen sie ständig an und schnallen sie sich zwei Wochen lang immer wieder vor den Mund, wahrscheinlich ungewaschen. Das ist ein wunderbarer Nährboden für Bakterien und Pilze.“ (Ich fühle mich jedenfalls ertappt und werde mir gleich noch einmal diese Säuberungstipps anschauen und umsetzen.)
Doch trotz dieser berechtigten Kritik wegen des oft unsachgemäßen Tragens der Masken wird der flächendeckend getragene Mund-Nase-Schutz – auch von Wissenschaftlern – als einer der möglichen Gründe gesehen, warum sich das Virus nicht so stark verbreitet hat wie befürchtet.
Was wieder einmal zu einer alten Wahrheit führt: Es ist nie leicht, das Richtige zu tun.
Nichts sehen, nichts verstehen
Besonders schwer ist das übrigens für die Menschen, die nicht nur das Lächeln ihrer Mitmenschen hinter der Maske vermissen, sondern die in ihrem Alltag darauf angewiesen sind, die Lippenbewegungen ihres Gegenübers zu sehen und die Mimik richtig zu deuten. In Münster leben 200 Gehörlose und etwa 40.000 Schwerhörige.
Für sie kommt die Maskenpflicht einer Sprachbarriere gleich. Ute Tillmann von der Parisozial Münsterland kennt dieses Problem aus eigener Erfahrung. So kommunizierte selbst das Personal einer HNO-Heilkundepraxis, die viel mit hörgeschädigten Patientinnen und Patienten zu tun hat, „mit dem Kopf auf den Terminkalender gerichtet, zwischen uns eine Plexiglasscheibe“. Hier hätte auch ein normal Hörender seine Schwierigkeiten.
Doch wie können wir trotz Maske und Hörbehinderung gut miteinander kommunizieren und Missverständnisse vermeiden? Ute Tillmann hat dazu einige Ideen:
- Kreativität und ein grundsätzliches Verständnis sind die Voraussetzung
- mit Händen und Füßen reden
- die Spracherkennung auf dem Smartphone nutzen
- zu Papier und Stift greifen
- wenn der Abstand gewahrt werden kann, auch einmal die Maske abnehmen
- Masken mit Sichtfenster besorgen (zum Beispiel über die Beratungsstelle für hörbehinderte Menschen)
Missbrauchsfall: Die Verantwortung liegt bei uns allen
In einem Interview mit den Westfälischen Nachrichten (€) sagte Münsters Polizeipräsident Rainer Furth über die unbegreiflichen Dimensionen des Missbrauchsfalls in Münster: „Damit wird man nie fertig.“
Der Satz bezieht sich auf die riesigen Datenmengen (500 Terabyte), die beim Hauptverdächtigen gefunden wurden und die nun ausgewertet werden. Dabei werden wahrscheinlich weitere Opfer und Täter ermittelt, bei denen neue Beweise sichergestellt werden, die ausgewertet werden müssen. Ein endloser Kreislauf beginnt. Furth hat also Recht: „Damit wird man nie fertig.“
Dieser Satz passt aber auch, wenn man die unlösbare Aufgabe unserer Gesellschaft umschreiben möchte, solche Verbrechen zu erkennen, zu verhindern und die Kinder davor zu bewahren. Auch damit wird man wohl leider nie fertig.
Oberbürgermeister Markus Lewe forderte die Münsteranerinnen und Münsteraner direkt nach Bekanntwerden der Taten auf, wachsam zu sein. „Sprechen Sie Auffälligkeiten offen an und melden Sie Ihren Verdacht lieber zu früh als zu spät bei den Behörden.“ Natürlich. Das ist gut und richtig. Aber wann ist ein Verdacht angemessen und berechtigt? Woran merke ich, dass etwas nicht stimmt? Das zehnjährige Opfer spielte mit anderen Kindern auf dem Spielplatz. Deren Eltern können es nicht begreifen. Sie kannten den Täter, sie kannten das Opfer. Wenn sie nichts bemerkt haben, wie dann ich? Wie dann Sie?
Unser Reporter Sebastian Stachorra hat über diese Unsicherheit mit Ewa Bäumer gesprochen. Sie ist die pädagogische Leiterin der Beratungsstelle des Kinderschutzbundes Münster.
Was sind typische Anzeichen dafür, dass es einem Kind nicht gut geht?
So unterschiedlich die Kinder sind, so unterschiedlich sind auch die Anzeichen. Oft fällt die Leistung in der Schule ab. Manche werden traurig oder depressiv, andere werden aggressiv und drücken so ihre Ohnmacht aus. Einige Kinder re-inszenieren das, was sie erlebt haben, werden also anderen Kindern gegenüber gewalttäig. Und es gibt auch Kinder, die sehr unauffällig sind und quasi unsichtbar werden – die rutschen am ehesten durch.
Das klingt nicht sehr eindeutig.
Deswegen braucht es auch mehr Personal an Schulen: Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die eine vertrauensvolle Beziehung zu den Kindern aufbauen, mit ihnen sprechen und auch mit den Familien in Kontakt sind.
Woher wissen denn Fachkräfte, dass etwas nicht stimmt?
Man sieht einem Kind doch an, ob es ihm gut geht oder nicht. Zumindest würde ich mir wünschen, dass Erwachsene, die mit Kindern arbeiten, dafür ein Gefühl entwickeln und dann hinschauen. Dabei ist es auch erst einmal egal, welches Problem dahintersteckt. Sei es nun sexualisierte Gewalt, körperliche Gewalt oder einfach eine angespannte Situation zu Hause, etwa weil die Eltern sich trennen. Wir Erwachsene müssen aktiv auf Kinder zugehen und sie wahrnehmen. Die Verantwortung, sie zu schützen, liegt bei uns.
Worauf sollte ich im Alltag achten?
Wenn ich die Vermutung habe, dass etwas nicht stimmt, dann muss ich dem nachgehen. Wenn ich mir dabei unsicher bin, kann ich mit einer Fachberatungsstelle sprechen.
Wann sollte ich die Konfrontation mit Verdächtigen vermeiden?
Wenn Sie das Gefühl haben, es könnte sexualisierte Gewalt in einer Familie vorliegen, dann sollten Sie die mutmaßliche Tatperson nie direkt ansprechen. Denn sollten Sie mit Ihrem Verdacht Recht haben, wird sie versuchen, sich abzuschotten, dem Kind vielleicht drohen und noch mehr Druck ausüben, damit es das Geheimnis für sich behält.
Aber wann ist denn nun welche Reaktion richtig?
Das ist wirklich schwer einzuschätzen und braucht Fingerspitzengefühl. Aber wir sollten uns da ruhig auf unser Bauchgefühl verlassen. Wenn Ihnen etwas komisch vorkommt, dann holen Sie sich Rat beim Kinderschutzbund oder anderen Beratungsstellen. Erzählen Sie, was Sie gehört und gesehen haben. Die Expertinnen und Experten dort wissen das einzuschätzen und können Ihnen helfen.
Hier gibt es Hilfe:
Nur ein seltsames Gefühl oder ist da mehr? Wenn Sie einen Verdacht haben, können Sie sich bei folgenden Institutionen oder Vereinen melden.
- Kinderschutzbund Münster: Telefon 0251 47180.
- Die bundesweite Nummer für das Hilfetelefon sexueller Missbrauch lautet: 0800 2255530.
- Kinder können sich auch direkt bei der „Nummer gegen Kummer“ melden: 116111.
- Jugendliche ab 14 Jahren finden beim Verein Zartbitter in Münster Hilfe: Telefonnummer 0251 4140555.
Kein Täter werden:
Auch Menschen mit pädophilen Neigungen können Verantwortung übernehmen, indem sie sich Hilfe holen, bevor sie zum Täter werden.
Auf den Webseiten von „Kein Täter werden“ und „Bevor was passiert“ (Telefonnummer: 0800 7022240) können Sie sich anonym melden und beraten lassen.
Der Corona-Krisenstab der Stadt Münster hat sich aufgelöst. Das ist eine gute Nachricht, denn er ist im Moment nicht mehr nötig. Vier Mal in Folge stagnierte die Zahl der Infizierten. Nach rund 100 Tagen wird die Bearbeitung der Pandemie nun „in den normalen Bahnen des Verwaltungshandelns erfolgen“, heißt es in schönem Verwaltungsdeutsch. Wolfgang Heuer, der den Krisenstab 41 Sitzungen lang geleitet hat, sagt: „Wir hatten die Pandemie in Münster immer im Griff, haben dazugelernt und wissen, worauf es bei einer möglichen zweiten Welle ankommen wird.“
Und tatsächlich, die aktuellen Zahlen sind im Moment beruhigend gut: Die Gesamtzahl gemeldeter Corona-Fälle im Stadtgebiet verharrt bei 725. Davon sind 693 Patientinnen und Patienten wieder gesund. Somit gelten aktuell 19 Münsteranerinnen und Münsteraner als infiziert.
13 Personen, die mit dem Coronavirus infiziert waren, sind gestorben.
Noch mehr Zahlen und eine detaillierte Corona-Chronik finden Sie hier.
Immer mehr Kirchgänger im Kreuzviertel. Die Menschen kommen aber nicht zum Gebet zusammen, sie essen und trinken gemeinsam – im Schatten der Kreuzkirche. Diese hat sich während der Corona-Zeit zum Hotspot für Draußen-Genießer entwickelt. Viele bringen Stühle und sogar Tische mit, um eigenes Essen oder die italienischen To-Go-Speisen von der Pizzeria La Taverna unter freiem Himmel zu genießen. Ein Tipp unseres Lesers und Meeresfrüchtefreundes Tim: Die Pizza „Scampi e Melanzane“ mit Rucola und Parmesan.
Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!
Traumschiffchen sticht in See. Die Crew des Treibgut-Festivals hat die „Ana Konda“ gechartert und schippert morgen Abend mit Musikern und einem Moderator über den Dortmund-Ems-Kanal. Jetzt könnten Sie sich natürlich ans Ufer hocken und versuchen, ein paar Takte des Live-Konzerts mitzubekommen, das dort auf dem Wasser stattfinden wird. Sie können sich aber auch die ganze Tour zwischen Stadthafen und Hiltrup in bester Klangqualität über die gängigen Streamingkanäle nach Hause oder aufs Smartphone holen. Hier finden Sie die Links. Für das Bordprogramm sorgen LIA und die Lemon Lights. DJ Rockmöller führt durch den Abend, der mit dem Ankerlichten um 19.30 Uhr startet und bis zum Sonnenuntergang gegen 21.30 Uhr dauert. Die von der Coronakrise gebeutelte Mannschaft freut sich übrigens über Spenden (PayPal, VFJU.muenster@gmail.com).
Nein, die Baumberge sind nicht die Toskana. Aber wenn man über die sanften Hügel des Höhenzuges westlich von Münster wandert und sich inmitten der wogenden Getreidefelder umschaut, und wenn sich dann noch die Silhouette des Billerbecker Doms eindrucksvoll für ein perfektes Instagram-Foto präsentiert, dann fühlt es sich ein kleines bisschen so an. Falls Sie also für einen Tag Urlaub machen wollen, dann ist die Vorsommerlandschaft zwischen Havixbeck und Billerbeck das Richtige für Sie. Starten Sie am Bahnhof Havixbeck und wandern Sie nach Billerbeck, oder machen Sie es genau anders herum. Ganz egal. Aber planen Sie ein paar Pausen ein (am Dom und am Longinusturm). Sie können Ihren Wagen übrigens zu Hause lassen. Denn zurück kommen Sie mit der Baumberge-Bahn. Hier finden Sie ein schönes Routenbeispiel für die zehn Kilometer lange Streckentour.
Am Sonntag schreibt Ihnen Carla Reemtsma wieder. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
Herzliche Grüße
Katrin Jäger
Mitarbeit: Sabine Rügenhagen und Sebastian Stachorra
PS
Können Sie sich noch an die Anfänge der Krise erinnern? Es war die Zeit der leeren Supermarktregale. Nudeln, Mehl, Hefe und Klopapier – Hamsterkäufe! Was haben wir uns darüber aufgeregt. Und ausgerechnet zu dieser Zeit hatte ich die Idee, meinen Söhnen eine Freude für die anstehenden Isolations-Wochen zu bereiten. Ich wollte ihnen einen „Rocky“-Nachfolger schenken. „Rocky“ war um Weihnachten herum gestorben, nach einem langen, erfüllten Hamsterleben. Ich wählte die Nummer des Raiffeisenmarktes, aus dem unser „Rocky“ einst kam. Doch meine Frage, ob es möglich wäre, dort während des Lockdowns einen Dsungarischen Zwerghamster zu kaufen, blieb mir im Halse stecken. Die Verkäuferin würde doch denken, ich triebe einen Scherz mit ihr. Also begann ich zu stammeln und fragte umständlich nach Nagetieren und ob sie in Corona-Zeiten überhaupt gehandelt würden. Die Antwort lautete: „Nein“. Für die nächste Woche habe ich mir jetzt vorgenommen, es noch einmal zu versuchen. Wenn es wieder erlaubt ist, wäre das dann tatsächlich mein erster Hamsterkauf während der Krise! Kein Scherz.
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