Ein Spielplatz für alle | Eine einmalige Vorstellung: Film über rituelle Gewalt | Unbezahlte Werbung: Tierillustrationen aus Münster

Portrait Redakteurin Anna Niere
Mit Anna Niere

Guten Tag,

mitten in Hiltrup liegt der Spielplatz an der alten Kirche, Münsters erster inklusiver Spielplatz. Der Spielplatz an der Alten Kirche ist ein Ort, an dem Kinder mit Behinderung nicht ausgeschlossen sind, weil Stufen oder Rampen fehlen und weil es Schaukeln gibt, auf denen auch sie schaukeln können.

Irgendwann sollen alle Spielplätze so aussehen. Das Land Nordrhein-Westfalen verpflichtet Städte und Gemeinden dazu, Spielplätze so zu bauen, dass auch Menschen mit Behinderungen sie nutzen können. Das fordern auch die Vereinten Nationen. Münster will nun den nächsten Schritt in diese Richtung machen.

Die Stadtverwaltung hat vorgeschlagen, noch mehr solcher Spielplätze zu bauen. In der Politik gibt es den Wunsch schon länger. In den vergangenen vier Jahren kamen aus den Bezirksvertretungen mehrere Anträge mit dem Wunsch, Spielplätze so umzubauen, dass sie inklusiv sind. Zuletzt haben Grüne, SPD und Volt in einem Antrag gefordert, die Spielplätze nicht nur für alle zugänglich zu machen, sondern sie auch vor Hitze zu schützen. Das war vor einem Jahr.

Getan hat sich trotzdem lange kaum etwas. Warum? Laut Stadtverwaltung fehlt im Grünflächenamt Personal, um das Thema konsequent anzugehen, schrieben die Westfälischen Nachrichten im vergangenen August.

Dabei zeigen Zahlen, wie dringend es ist: Laut einer Studie von „Aktion Mensch“ und dem Forschungsinstitut für Inklusion durch Bewegung und Sport von 2023 ist etwas mehr als jeder vierte Spielplatz in Nordrhein-Westfalen (28 Prozent) inklusiv, in ganz Deutschland ist es nur ungefähr jeder fünfte (21 Prozent).

Und hier geht es nicht um Spielplätze, auf denen es gar keine Hindernisse gibt, sondern lediglich um solche, die mindestens ein inklusives Spielgerät haben. Und: Weniger als 0,2 Prozent der Spielplätze in Deutschland, also einer von 500, haben ein Leitsystem für sehbehinderte Kinder. Oft fehlen sogar Kleinigkeiten wie mehrere Haltegriffe in verschiedenen Höhen.

Norm statt Bauchgefühl

Die Verwaltung will gegen den Mangel jetzt systematisch vorgehen – mit Hilfe einer neuen Norm mit dem komplizierten Namen DIN/TS 18034-2.

Hinter dieser Chiffre verbirgt sich ein Bewertungssystem für inklusive Spielplätze – eine Art Checkliste, mit der sich prüfen lässt: Ist dieser Spielplatz für möglichst viele Kinder zugänglich, spannend und nutzbar?

Die Stadt hat das System in einem Workshop getestet – am Beispiel des zukünftigen Spielplatzes an der Burgstraße im Südviertel. Früher war hier die Josefschule.

Ziel ist, nicht mehr einfach nur ein Spielgerät für Kinder mit Rollstuhl aufzustellen und das als „inklusiv“ zu deklarieren. Vielmehr sollen Spielplätze so gestaltet werden, dass möglichst viele Sinne angesprochen werden – hören, tasten, balancieren, rollen, klettern, beobachten. Nicht jeder kann alles, aber: Für jede:n soll etwas dabei sein.

Inklusive Spielplätze bedeuten für die Stadtverwaltung mehr Aufwand und mehr Kosten.

Statt einfachem Sand will die Stadt in Zukunft Böden verwenden, die besser für alle Kinder geeignet sind – zum Beispiel weiche Gummibeläge oder kleine Holzstücke, die Stürze abfedern.

Die Spielgeräte sollen abwechslungsreicher sein – mit leichten und schweren Möglichkeiten, spannenden Eindrücken für die Sinne und Wegen, die alle Kinder nutzen können. Mehr also als die üblichen Standardgeräte.

Außerdem braucht es tastbare Wege für Kinder mit Sehbehinderung, Haltegriffe in verschiedenen Höhen und ruhige, schattige Ecken – am besten unter Bäumen oder festen Überdachungen statt unter Sonnensegeln, die schnell kaputtgehen.

Die Stadt rechnet damit, dass solche Spielplätze rund die Hälfte mehr kosten als herkömmliche. Auch die Pflege wird teurer. Ob dasGeld dafür reicht, ist noch unklar. Wenn nicht, könnten einige wenig genutzte Spielplätze geschlossen werden – so steht es im Beschluss. Welche das wären, würde man später entscheiden.

In fünf Wochen, am 2. Juli, entscheidet der Rat über das neue Konzept. Es ist also noch Zeit. Daher kurz ein Blick nach Hamburg. Dort gibt es direkt in der Innenstadt einen komplett inklusiven Spielplatz, auf dem jedes Gerät den Ansprüchen genügt. Es gibt unter anderem einen rutschfesten Boden, klare Farbgebung oder Sitzstützen für Kinder, die sich nicht alleine halten können. Mehr dazu lesen Sie hier. (ani)

Machen Sie mit!

Grafik mit dem Titel "Deine Stimme, Deine Themen", auf der ein Megafon, eine Wahlurne und ein Notizzettel zu sehen sind, auf dem etwas notiert wird

Im September ist Kommunalwahl. Was sind Ihre Themen und Ihre Fragen? Wir sammeln sie und sprechen darüber mit den Politiker:innen.

Das Projekt „Deine Stimme, deine Themen“ ist eine Kooperation zwischen RUMS und dem Netzwerk CORRECTIV.Lokal, das Recherchen und Dialog im Lokaljournalismus fördert.

Kurz und Klein

+++ Nachdem wir uns am Freitag mit der Ratspolitik in Münster beschäftigt haben, schauen wir heute nach Berlin in den Bundestag. Vergangene Woche haben die Ausschüsse ihre Arbeit aufgenommen. Damit stehen auch die Mitglieder fest und somit auch die Antwort auf die Frage, was die fünf Bundestagsabgeordneten aus Münster in den nächsten vier Jahren beruflich machen werden. Sylvia Rietenberg, die Gewinnerin des Direktmandats, wird die Grünen als ordentliches Mitglied in den Ausschüssen für Arbeit und Soziales sowie für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen vertreten. Außerdem übernimmt sie einen Stellvertreterposten im Gesundheitsausschuss. CDU-Politiker Stefan Nacke sitzt ebenfalls im Arbeitsausschuss und ist Stellvertreter im neugeschaffenen Ausschuss für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die ehemalige Bundesministerin Svenja Schulze von der SPD hat ihren gewünschten Platz im Haushaltsausschuss bekommen und wird (passend zu ihren Ex-Ministerämtern) stellvertretendes Mitglied im Umwelt- sowie im neuen Forschungsausschuss. Kathrin Gebel, die für die Linke in den Bundestag eingezogen ist, ist ordentliches Mitglied im Familienausschuss und stellvertretendes im Gesundheitsausschuss. Der einzige Außenpolitiker aus Münster ist Ulrich Thoden von der Linken. Er vertritt seine Fraktion im Verteidigungsausschuss und hat einen Stellvertretersitz im Haushaltsausschuss bekommen. (sfo)

+++ Schon wieder gute Nachrichten von der Hammer Straße: Die neue Westtribüne im Preußenstadion wird früher fertig als gedacht. Schon zum Saisonstart 2025/26 der Zweiten Bundesliga soll sie genutzt werden – vier Monate früher als geplant, wie die Stadt mitteilt. Aber nicht zu früh gefreut, eine Einschränkung gibt’s noch: Die Toiletten und Kioske sind dann noch nicht einsatzbereit. Dafür fängt der Rückbau der Osttribüne auch schon früher an. Ab Montag soll es auf der Ostseite mit dem Abriss losgehen. (ani)

+++ Oberbürgermeister Markus Lewe hat die Bezirksvertretung Südost gestern gebeten, nicht über die Umbenennung der kolonial belasteten Straßen Woermannweg und Lüderitzweg abzustimmen, wie die Westfälischen Nachrichten berichteten. Eine entsprechende Vorlage werde die Stadtverwaltung vor der Kommunalwahl nicht einbringen, schreibt Lewe demnach in seinem Brief an die Vertreter:innen. Sein Grund: Die Debatte sei emotional, eine Entscheidung derzeit „nicht opportun“. Das sorgt für Unmut in der Bezirksvertretung. Bezirksbürgermeister Peter Bensmann (CDU), der für den kommenden Dienstag eine Entscheidung angekündigt hatte, zeigte sich „überrascht“ und „irritiert“. Die Münsteraner Grünen sprechen von einer „maximal irritierenden“ Kehrtwende. Ratsfrau und Bezirksvertreterin Christine Schulz fragt sich, warum ein zuständiges Gremium, das sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigt, nicht entscheiden dürfe. Der Verdacht der Grünen: Die CDU wolle das konflikthafte Thema aus dem Wahlkampf heraushalten. Erst vor gut drei Wochen hatte die Bezirksvertretung Mitte die Umbenennungen mehrerer Straßen beschlossen (RUMS-Brief) – nach einer Debatte, die deutlich aufgeladener war als jene um die beiden Wege im Südosten. (ani)

Korrekturhinweis: In einer früheren Version hatten wir Peter Bensmann aus Versehen der SPD zugeordnet. Das haben wir korrigiert.

+++ In der vergangenen Woche war an der Universität Münster erstmal großes Trauern angesagt, denn sie verliert einen ihrer beiden Exzellenzcluster – und damit ein großes Forschungsprojekt, in das sie jahrelang investiert hat. Nach ein paar Tagen Ruhe hat Thomas Heinze, Organisationssoziologe an der Uni Wuppertal, im Deutschlandfunk-Interview einen anderen Blick auf das Thema geworfen und die Excellenzstrategie in Frage gestellt. Der ganze Prozess bringe einen, seiner Meinung nach, unnötig bürokratischen Aufwand mit sich. Für ihn ist auch der Verlust in Münster ein Beispiel für die Schieflage der Exzellenzstrategie: Unis wie Münster stemmen riesige Projekte, obwohl sie strukturell eigentlich gar nicht dafür gemacht seien. Denn Forschung an Unis funktioniere dezentral – in kleinen, eigenverantwortlichen Gruppen, nicht als Großbetrieb mit 140 Beschäftigten, wie es in Münster der Fall war. Diese Form von Forschung, sagt Heinze, passt eher zu den Max-Planck- oder den Helmholtz-Instituten. Dort gibt’s mehr Personal, weniger Lehre und bessere Forschungsbedingungen. Eine interessante Sicht auf das große Brimborium um die Excellenzcluster. Das ganze Interview hören Sie hier. Um das Thema mit einer guten Nachricht für Münster zu beenden: Die interdisziplinäre Religionsforschung an der Uni wird weitergeführt. Ab 2026 läuft sie unter dem neuen Profilbereich „Religion and Society“, wie Cluster-Sprecher Michael Seewald im Interview bei Kirche und Leben sagte. (ani)

+++ Weil wir hier bei RUMS sehr serviceorientiert arbeiten, kommen hier obligatorischen Feiertagsinfos: Wegen Christi Himmelfahrt am Donnerstag kommt die Müllabfuhr einen Tag später als gewohnt. Auf die Abfuhr von Sperrmüll und Grünzeug müssen wir komplett verzichten, genauso auf die Straßenreinigung am Donnerstag. Auch die Recyclinghöfe machen Pause. Wer an den kommenden Feiertagen Bus fahren will, muss sich nach dem Sonntagsfahrplan richten, an den Brückentagen und am Pfingstdienstag gilt der Ferienfahrplan mit teils reduziertem Angebot. Nachtbusse fahren in den Nächten auf die Feiertage durch, außer in der Nacht auf Pfingstmontag – da enden sie um 2 Uhr. Gibt’s denn auch was Schönes? Das hier vielleicht: An Christi Himmelfahrt sind alle städtischen Freibäder in Münster geöffnet – Coburg und Stapelskotten ab 9 Uhr, Hiltrup ab 10 Uhr, jeweils bis 20 Uhr. Das Hallenbad Süd hat von 7 bis 14:30 Uhr geöffnet. (ani)

Eine einmalige Vorstellung

Über 200 Menschen haben im Cinema eine Dokumentation über organisierte rituelle Gewalt gesehen. Der Film soll etwas belegen, für das es keine Belege gibt – und scheitert. Sebastian Fobbe hat sich den Film angeschaut.

Am Donnerstagabend ging im großen Saal des Cinemas das Licht gegen 20 Uhr wieder an. Fast 140 Menschen waren zu der ausverkauften Aufführung von „Blinder Fleck“ gekommen. Weil das Interesse an dem neuen Film der Regisseurin Liz Wieskerstrauch in Münster so groß gewesen ist, buchte die Kinoleitung eine zweite Vorstellung für den vergangenen Freitag hinzu. So schauten insgesamt 204 Menschen einen Dokumentarfilm über ein Thema, das kaum kontroverser sein könnte.

Auf ihrer Website schreibt Liz Wieskerstrauch, ihre neueste Dokumentation zeige „das Ausmaß organisierter ritueller Gewalt in Deutschland“ auf und diskutiere die Frage, „warum die Ermittlungen bislang in keinem einzigen Fall zu einer Anklage, geschweige denn zu einer Verurteilung geführt haben“.

Rituelle Gewalt ist ein Thema, über das wir in der Vergangenheit immer wieder berichtet haben (etwa hier und hier). Der Begriff bezeichnet extreme Fälle von Missbrauch, die angeblich von geheimen Tätergruppen mit religiös oder ideologisch motiviertem Hintergrund verübt werden. Rituelle Gewalt deckt damit einen ausgesprochen weit gefassten Bereich an Fällen ab. Kritiker:innen sagen, der Begriff sei anschlussfähig für Verschwörungserzählungen, weil er unscharf definiert ist. Belegbare und bewiesene Fälle gibt es nicht.

Seit in den 1980er-Jahren die ersten Gerüchte über solche Machenschaften auftauchten, polarisiert die Debatte. Wenn es um rituelle Gewalt geht, reicht das Spektrum von „einer generellen Zurückweisung und Leugnung des Phänomens auf der einen bis zu abstrusen Verschwörungstheorien auf der anderen Seite“, heißt es etwa in der Studie zum Missbrauch im Bistum Münster.

Und der Glaube an eine große rituelle Verschwörung hat reale Konsequenzen: Vor zwei Jahren schloss das Bistum Münster eine Fachstelle, nachdem sich Klientinnen über schädigende Beratungsmethoden beschwert hatten. Die dort angestellte Psychotherapeutin soll ihnen vehement eingeredet haben, dass sie in die Fänge geheimer Täterkreise geraten seien (RUMS-Beitrag).

„Empathisch auf der Seite der Betroffenen“

Fakt ist jedoch: Kein einziger Fall von ritueller Gewalt ist bewiesen. Das räumte auch die Regisseurin Liz Wieskerstrauch am Donnerstagabend im Cinema ein. So kreist ihr Film „Blinder Fleck“ um den Widerspruch, dass die Doku ein unbelegtes Phänomen als weitverbreitete Tatsache darstellt.

Der einzigen Hinweis auf rituelle Gewalt in Deutschland sind die Erinnerungen von Betroffenen, die sagen, sie seien von Täternetzwerken misshandelt worden..Genau diesen Menschen möchte Liz Wieskerstrauch eine Stimme geben. Auf Anfrage teilt sie mit, als Journalistin sei sie um Aufklärung bemüht. Der taz sagte Wieskerstrauch zur Filmpremiere im April, sie stehe „empathisch auf der Seite der Betroffenen“.

Ins reguläre Kinoprogramm oder ins Fernsehen hat es „Blinder Fleck“ nicht geschafft. Stattdessen tourt die Regisseurin gerade durch Deutschland, um ihren neuen Doku-Film in 43 Programmkinos zu präsentieren.

Normalerweise arbeite sie für die ARD, das ZDF und Arte, sagte Wieskerstrauch am Donnerstag nach der Aufführung im Cinema. Doch mittlerweile sei es schwierig geworden, rituelle Gewalt als Thema in den Redaktionen unterzubringen. Die Kosten für den Film habe sie aus Spenden von Vereinen, Fachgesellschaften und Privatpersonen finanziert.

Emotionale Reise durch ein kontroverses Thema

Die Deutsche Film- und Medienbewertung hat „Blinder Fleck“ das Prädikat „besonders wertvoll“ verliehen. Die Jury lobte in ihrer Urteilsbegründung unter anderem Wieskerstrauchs akribische Recherche.

Doch insgesamt wirkt der Film weniger wie eine investigative Dokumentation, sondern vielmehr wie eine emotionale Reise durch ein Phänomen, in dem die Regisseurin einen ausgeblendeten Missstand in unserer Gesellschaft erkannt haben will.

Brutale Gewalt ist in „Blinder Fleck“ immerhin nicht zu sehen. Stattdessen flimmern 85 Minuten lang sogenannte „Talking Heads“ auf der Leinwand. Diese Montagetechnik zeigt meist nur den Oberkörper von Personen, die Interviews geben.

Neben einigen Betroffenen, die von Missbrauch der grausamsten Art berichten, kommen auch Fachleute zu Wort, die Opfer therapieren, sie vor Gericht vertreten, Verbrechen ermitteln oder zu ritueller Gewalt forschen. In den meisten Szenen werden die Befragten unvermittelt eingeführt, stellen sich erst im weiteren Verlauf des Films mit Namen und Berufsbezeichnung vor. Auf eine Bauchbinde mit den relevanten Infos zur Person verzichtet die Regisseurin.

Der fehlende Kontext macht es schwierig, den Überblick über die Protagonist:innen zu behalten. Wer spricht ausgerechnet jetzt und warum? Ohnehin ist es schwer nachzuvollziehen, warum sich Filmemacherin Wieskerstrauch ausgerechnet bei einem emotional so aufgeladenen und kontroversen Thema wie rituelle Gewalt dafür entschieden hat, die Szenen für sich sprechen zu lassen, statt alles einzuordnen.

Das fängt schon zu Beginn des Films an, bei dem die Befragung eines kleinen Mädchens mit rotem Kleid und Stofftier im Arm inszeniert wird. Das Kind soll nach Besuchen bei seinem getrennt lebenden Vater über Schmerzen geklagt haben. Er soll das Mädchen in ein Hochhaus, manchmal auch einen Wald gebracht haben. Dort sollen schwarze Kapuzenmänner das Kind missbraucht haben.

Diese tragische Geschichte zieht sich wie ein roter Faden durch den Film, immer wieder kehrt „Blinder Fleck“ auf das Verhör zurück. Untypisch für eine Doku ist, dass die Befragung nicht als „nachgespielt“ gekennzeichnet wird. Erst am Ende löst der Film die Inszenierung auf.

Konkrete Anschuldigungen

Neue Beweise für die Existenz ritueller Täterkreise führt Liz Wieskerstrauch in „Blinder Fleck“ nicht an. Es gibt nur Aussagen von Betroffenen. Zum Beispiel über Technopartys in den Neunzigern, die in Sexorgien ausgeufert seien. Oder über Trainingslager, in denen kleine Mädchen für den Missbrauch abgerichtet worden sein sollen. Oder über einen Priester, der nach der Kommunion die Tötung eines anderen Kindes erzwungen haben soll.

Der Film nennt also konkrete Tatorte, Tatzeitpunkte, Straftaten und Anschuldigungen. Wie ist die Regisseurin in der Recherche mit den strafrechtlich relevanten Aussagen umgegangen?

Wieskerstrauch antwortet, die Hintergründe der im Film genannten Fälle seien ihr bekannt. Sie habe „stapelweise Akteneinsicht“ gehabt. „Oft ist zumindest ein Teil der Aussagen auch von anderen bestätigt und dokumentiert“, schreibt sie.

Wieskerstrauch habe zudem „mehrere Staatsanwaltschaften aus verschiedenen Bundesländern angefragt“, allerdings ohne Ergebnis. Das Problem sei, schreibt sie, dass rituelle Gewalt als Straftatbestand nicht geführt werde.

Dieses Argument hört man oft, wenn man zu ritueller Gewalt recherchiert: Die Verbrechen blieben unerkannt, weil im Strafgesetzbuch rituelle Gewalt nicht vorkomme. Die Psycholog:innen Susanna Niehaus und Andreas Krause halten diese Argumentation in einem Fachbeitrag für „insofern gar nicht nachvollziehbar, als dass in diesem Kontext regelmäßig behauptete Handlungen wie Vergewaltigung, Mord, Entführung etc. selbstverständlich strafbar wären, verfolgt würden und somit auch inklusive ihres Kontexts dokumentiert sein müssten“.

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Leise Skepsis

Was also an Beweismaterial bleibt, sind die Erinnerungen der Opfer. Skeptiker:innen halten diese aber nicht immer für belastbar. Sie sehen die Gefahr, dass die Erinnerungen beispielsweise in der Therapie durch suggestive Befragungsmethoden verändert werden. So könne es passieren, dass Menschen, denen wirklich Gewalt widerfahren ist, das Erlebte umdeuten und sich mit der Zeit als Opfer von rituellem Missbrauch sehen.

Liz Wieskerstrauch schreibt, sie gehe in ihrem Film auf die „Gefahr von Suggestion in der Therapie“ und „mögliche Falscherinnerungen“ ein. Das stimmt. Vereinzelt äußern die befragten Protagonist:innen Zweifel – allerdings zitieren sie meist nur anderslautende Stimmen.

Eine vollwertige, skeptische Position, die rituelle Gewalt stärker hinterfragt, fehlt in „Blinder Fleck“ jedoch. Sie wird nicht gleichwertig neben den anderen dargelegt. Die Nachfrage, ob Liz Wieskerstrauch für die Recherche auch Menschen angefragt hat, die der Behauptung ritueller Gewalt skeptisch gegenüberstehen oder sich von Therapien geschädigt fühlen, lässt sie unbeantwortet.

Betont vage

Insgesamt erklärt der Film weniger als erwartet. „Blinder Fleck“ hinterlässt stattdessen viele große Fragezeichen. Die grundlegendste Lücke in dem Film ist: Es wird gar nicht richtig deutlich, was man unter ritueller Gewalt verstehen muss.

Im Film heißt es, sexuelle Gewalt sei immer ein wenig rituell, allein schon, wenn sie regelmäßig stattfindet. Die Ideologie der Täter (die übrigens nie konkret benannt werden) komme oft hinzu, um die Verbrechen zu rechtfertigen.

Aber was heißt das alles genau? Was folgt daraus?

Auf die Nachfrage, was Liz Wieskerstrauch selbst unter ritueller Gewalt versteht, schreibt sie, dass diese Ideologien „oft nur vorgeschoben“ und „als Deckmantel“ genutzt würden, um „Kinder noch mehr einzuschüchtern und zu verängstigen“.

Das erklärt aber immer noch nicht, was das Rituelle an der rituellen Gewalt sein soll. Der Begriff bleibt weiterhin diffus – wie unterscheidet sich rituelle Gewalt von organisiertem sexuellem Kindesmissbrauch?

Das Problem an dieser vagen Definition ist: In rituelle Gewalt lassen sich viele Grausamkeiten hineindenken. Vom Missbrauch in der Kirche über regelmäßige häusliche Gewalt bis hin zu brutalsten Videos mit Kindesmissbrauch, die im Darknet für viel Geld gehandelt werden.

Das alles sind furchtbare Verbrechen, die nachweislich existieren. Und keine Frage, man kann anprangern, dass der Staat zu wenig unternimmt, um Kinder und Frauen vor solchen Gewaltexzessen zu schützen.

Doch dadurch, dass nicht klar ist, was rituelle Gewalt eigentlich sein soll, ist der Begriff ein Container für gesellschaftliche Ängste und Missstände – und leider auch ein Einfallstor für Verschwörungsmythen.

In den vergangenen Jahren haben sich die meisten Fachgesellschaften zu dem Thema überwiegend kritisch positioniert. Die deutsche Gesellschaft für Psychologie bemängelt in einem Schreiben ans Bundesfamilienministerium beispielsweise gravierende Mängel in der wissenschaftlichen Forschung zu ritueller Gewalt. Auch die unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs distanziert sich inzwischen von dem Begriff.

Was passieren kann, wenn man blind glaubt, ohne stichhaltige Beweise einzufordern, konnte man unlängst in Braunschweig beobachten. Über Jahre hinweg erfand eine junge Frau Vorwürfe von Folter und Vergewaltigung, verbreitete mit einer Freundin Geschichten über satanische Messen, brutale Orgien und erzwungene Prostitution.

Alles tönte unglaublich, und doch glaubten ihr Anwält:innen und Gerichte. Die Eltern der Frau landeten im Gefängnis und kamen erst wieder frei, nachdem das Lügenkonstrukt kollabierte. Die Missbrauchsgeschichten erfand die Frau nicht aus Böswilligkeit, sondern weil sie an einer Persönlichkeitsstörung litt, die ihr Verhältnis zur Wahrheit beeinträchtigt hat.

„Nur was man für möglich hält, erkennt man auch“

Als „Blinder Fleck“ am Donnerstagabend im Cinema endete, räumte das Kino allen Anwesenden noch eine gute Stunde ein, um über den Film zu diskutieren und Eindrücke auszutauschen. Als Expertinnen auf der Bühne standen die „Zartbitter“-Leiterin Astrid-Maria Kreyerhoff, die heilpraktische Traumatherapeutin Yansa Schlitzer, die auch als Expertin im Film auftauchte, und natürlich auch Regisseurin Liz Wieskerstrauch.

Zu Wort meldeten sich Mitarbeiter:innen von Jugendämtern, Beratungsstellen, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut:innen, eine WDR-Journalistin und eine Betroffene, die in „Blinder Fleck“ ihre Geschichte erzählte. Sie alle dankten Liz Wieskerstrauch für ihre Arbeit und ihren Mut, diesen Film gedreht zu haben.

Wieskerstrauch betonte, es gehe ihr nicht darum, eine Glaubensdebatte zu führen. Wenn es um die Frage gehe, ob man an rituelle Gewalt glaube oder nicht, dann gebe es nichts dazwischen. Sie wolle erreichen, dass die Menschen die Aussagen der Betroffenen für möglich halten. „Denn nur was man für möglich hält, erkennt man auch”, schreibt die Regisseurin nach der Vorstellung in einer E-Mail. Aber ist das nicht ein logischer Fehlschluss?

Was von dem Film offenbar bei vielen hängen blieb, verdeutlichte die erste Frage, die in der Debatte gestellt wurde: „Warum soll ich einem Kind sagen, es kann sich mir immer anvertrauen, egal, was passiert, wenn ich doch eigentlich weiß, dass es nichts bringen wird?“ Daraufhin Beifall im Kinosaal. (sfo)

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Korrekturen

+++ Im RUMS-Brief am Freitag schrieben wir irrtümlich, die Internationale Fraktion habe die Erhöhung der Parkgebühren verhindern wollen. Das stimmte nicht. Tatsächlich wollte sie den Aufsichtsrat zur Erhöhung verpflichten. Das haben wir korrigiert. Und wir haben am Ende zur Verdeutlichung einen Satz angefügt.

+++ In der Ein-Satz-Zentrale am Freitag schrieben wir, die Stadt plane, den Düesbergweg zur Fahrradstraße auszubauen und werde die Anwohner:innen mit bis zu 90 Prozent der Kosten beteiligen. Richtig ist: Es geht nur um einen Abschnitt der Straße und die Anlieger:innen. Wir haben das korrigiert.

Ein-Satz-Zentrale

+++ Wegen mehrerer Demonstrationen werden am Samstag alle Buslinien im Innenstadtbereich umgeleitet. (Stadtwerke Münster)

+++ Der NRW-Ruderverband hat sich bei den Opfern von Machtmissbrauch im Ruderverein Münster entschuldigt und ein neues Präventionskonzept eingeführt. (WDR)

+++ Die Caritas Münster warnt vor wachsender Unsicherheit für syrische Geflüchtete. (Caritas Münster)

+++ Die Thomas-Morus-Schule in Rumphorst hat jetzt eine modernere Mensa und eine neue Sporthalle. (Stadt Münster)

+++ Bei einer AfD-Versammlung in einem Restaurant im Osten Münsters am Samstag gab es eine spontane Gegendemo. (Westfälische Nachrichten)

+++ Die Stadt schließt im Juni die Umrüstung von 28 städtischen Sportanlagen auf energieeffizientes LED-Flutlicht ab. (Stadt Münster)

+++ Die Westfalen-Tankstelle an der Steinfurter Straße wurde als „Tankstelle des Jahres“ in der Kategorie Innovation ausgezeichnet. (Westfalen AG)

+++ Die Rathaus-CDU fordert nach einer Konferenz zur Kindergesundheit, dass der Kita-Besuch in Münster verpflichtend wird. (CDU Münster)

+++ Bei der Kommunalwahl im Herbst tritt zum ersten Mal die Partei der Humanisten in Münster an. (Partei der Humanisten Nordrhein-Westfalen)

Unbezahlte Werbung

Die Münsteraner Künstlerin Lena Baldus hat sich auf Tierillustrationen spezialisiert. Seit einigen Wochen verkauft sie ihre Designartikel nicht nur online und auf Märkten, sondern auch im frisch eröffneten Ladenlokal. Dort gibt es schöne Dinge für alle Gelegenheiten: Postkarten, Socken, Tassen, T-Shirts, Poster, Untersetzer und vieles mehr. Zum Stöbern vorbeikommen können Sie von mittwochs bis samstags. Unter der Woche hat Lenas Laden an der Wolbecker Straße 18 jeweils von 12 bis 18:30 Uhr geöffnet, am Samstag von 11 bis 18 Uhr.

Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!

Drinnen und Draußen

Katja Angenent hat heute für Sie in den Kalender geschaut. Das sind ihre Empfehlungen:

+++ Was ist eigentlich Kunst? Um diese Frage streiten sich drei langjährige Freunde in der Komödie von Yasmina Reza, die heute um 19:30 Uhr im Kulturbahnhof Hiltrup zu sehen ist. Wenn Ihnen das zu kurzfristig sein sollte, haben Sie morgen noch die Gelegenheit, das Stück zu sehen.

+++ Wenn Sie Lust haben, am Feiertag in entspannter Atmosphäre durch gebrauchte Kleidung zu stöbern, kommen Sie doch am Donnerstag ins Bennohaus. Der Indoor-Flohmarkt „Klamottenkult“ läuft von 10 bis 16 Uhr und der Eintritt ist frei.

+++ In der Musikhochschule erwartet Sie am Donnerstag um 15 Uhr mehr als ein schöner Frühlingsnachmittag: Gleich acht Jahreszeiten präsentiert das Kammerensemble Münster, wenn Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ auf die vom Tango geprägten „Cuatro Estaciones Porteñas“ von Astor Piazzolla treffen. Der Eintritt ist frei.

+++ Und noch ein Musiktipp für den Feiertag: In ihrem Heimatland füllt die niederländische Musikerin Eefje de Visser ganze Stadien. Für ihren melancholischen Nederpop mit warmen Synthesizern hat die 39-Jährige bereits viele Preise entgegengenommen. Am Donnerstag steht sie im Café des Skater’s Palace auf der Bühne. Das Konzert beginnt um 20 Uhr und kostet 27,15 Euro. Für einen musikalischen Vorgeschmack empfehlen wir die Singles „Vlammen“ und „Maak het stil“ sowie ihren Auftritt auf dem Reeperbahnfestival 2020.

+++ Im Pumpenhaus zeigt das Rimini-Protokoll mit Futur4 eine Lebensgeschichte auf besondere Art und Weise, nämlich mit Hilfe eines eigens dafür entwickelten Chatbots. Dabei werden die großen Fragen des Lebens angesprochen: Was macht die individuelle Erinnerung aus? Was bleibt, wenn jemand stirbt? Zu sehen ist das Stück am Freitag und Samstag jeweils um 20 Uhr. Karten kosten 30 Euro.

Am Freitag schreibt Ihnen Sebastian Fobbe. Ich wünsche Ihnen eine gute Woche!

Herzliche Grüße
Anna Niere

Mitarbeit: Sebastian Fobbe (sfo), Ralf Heimann (rhe), Jan Große Nobis (jgn), Katja Angenent (kat) – das bedeutet: Die einzelnen Texte im RUMS-Brief sind von der Person geschrieben, deren Kürzel am Ende steht.
Lektorat: Susanne Bauer

PS

Was in der Medienlandschaft um uns herum alles so los ist, beobachten wir von RUMS auch immer wieder. Heute schauen wir nach Osnabrück, von dort kommen beunruhigende Nachrichten, die auch für Münster relevant sind: Seit einiger Zeit steht die Neue Osnabrücker Zeitung in der Kritik, sich aus der konservativen immer weiter in die rechte Ecke zu bewegen. Die Kritik an der NOZ richtet sich konkret gegen Kommentare aus der Chefredaktion und Kooperationen, die rechte Narrative normalisieren, verschwörungsoffene Medien unterstützt und demokratische Proteste delegitimiert. Für diese Kolumne zum Beispiel hat Chefredakteur Burkhard Ewert eine Rüge vom Presserat bekommen. Im März berichtete die taz über die Trendwende bei der NOZ, jetzt gibt es auch einen Podcast des WDR über die Zeitung. Für Münster nicht ganz uninteressant, denn die NOZ beliefert die Zeitungsgruppe Münsterland, zu der die Westfälischen Nachrichten gehören. Kurzer Transparenzhinweis: Ich habe mein Volontariat bei der Neuen Osnabrücker Zeitung gemacht. (ani)

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