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Ruprecht Polenz’ Kolumne | Was Denkmäler mit Rassismus zu tun haben
Einen schönen Sonntag wünsche ich Ihnen.
#BlackLivesMatter. Auch in Münster gab es nach der Ermordung von Floyd George eine Demonstration gegen rassistisch motivierte Polizeigewalt. Weltweit sind dagegen viele hunderttausend Menschen auf die Straße gegangen. Es ist nicht nur das Entsetzen über den brutalen Mord, zu dessen Zeugen wir alle durch das Video geworden sind. Ein Fass ist übergelaufen, randvoll gefüllt mit Diskriminierungserfahrungen, die Menschen mit dunkler Hautfarbe seit Jahrhunderten machen mussten und jeden Tag wieder erleiden – auch bei uns in Deutschland.
Deshalb macht der Zorn auch nicht Halt vor Denkmälern, die als Symbol für rassistische Diskriminierungen gesehen werden: Das Kolumbus-Denkmal in Boston geköpft, eine Colston-Statue in Bristol vom Sockel geholt und ins Hafenbecken geworfen, das berühmte Churchill-Denkmal in London im Bretterverschlag, um es vor aufgesprühten Rassismus-Vorwürfen zu schützen.
Erleben wir eine blindwütige Bilderstürmerei, wie schon öfter in der Geschichte? Hatten nicht auch die Täufer in Münster in den 1530er Jahren die Statuen von Heiligen in den Kirchen zertrümmert? Die Schrecken des Täuferreichs zeigen, wohin diese Raserei führen kann.
Vergangenheit wird zur Gegenwart
Aber so einfach sollten wir es uns nicht machen. Die Zeit der Sklaverei in den USA wirkt nach und prägt die amerikanische Gesellschaft bis heute. Die Zeit des europäischen Kolonialismus hat ebenfalls diese Nachwirkungen – auf die Menschen in Afrika und auf unser Denken über Menschen mit dunklerer Hautfarbe.
Deshalb wird die Vergangenheit zur Gegenwart, werden Denkmäler danach befragt, was sie mit Rassismus zu tun haben, damals wie heute.
Kolumbus war eben nicht nur der kühne Entdecker. Mit ihm verbindet sich auch die Vertreibung und Ermordung der fälschlich als Indianer bezeichneten amerikanischen Ureinwohner. Der Brite Edward Colston war eben nicht nur Wohltäter für seine Stadt, sondern hatte das Geld für seine milden Gaben mit Sklavenhandel verdient. Und Churchill war nicht nur ein unbeugsamer Kämpfer gegen den deutschen Nationalsozialismus, sondern auch ein großer Verfechter des Empires, der selbst in mehreren Kolonialkriegen gekämpft hatte und als Politiker für ein hartes Vorgehen gegen koloniale Aufstände eingetreten war.
In Deutschland sind es vor allem die Bismarck-Denkmäler, denen der Zorn gilt. Otto von Bismarck war nicht nur Kanzler und Reichsgründer, sondern auch Gastgeber der Berliner Kongo-Konferenz, auf der 1885 die Grenzen der afrikanischen Kolonien festgeschrieben wurden, unter deren willkürlicher Ziehung der Kontinent bis heute leidet.
Eine neue Formulierung für das Grundgesetz
Denkmäler sollen Persönlichkeiten für ihre Verdienste ehren. Aber was, wenn diese Persönlichkeiten auch einen Anteil an dieser unrühmlichen und schrecklichen Vergangenheit hatten? Könnten solche Denkmäler dann sogar unserem Bemühen entgegenstehen, den Auftrag von Artikel 3 Abs. 2 des Grundgesetzes zu erfüllen? Danach darf niemand wegen seiner „Rasse“ bevorzugt oder benachteiligt werden.
Auch auf diese Verfassungsvorschrift selbst wird jetzt ein anderer Blick geworfen. Schließlich gibt es keine Menschenrassen. Wie soll jemand wegen etwas nicht bevorzugt oder benachteiligt werden, das es gar nicht gibt?
Die Vorstellung von verschiedenen Menschenrassen, von denen manche höher als andere gestellt seien, sei ein „rein gedankliches Konstrukt“, sagte Martin Fischer, der Direktor des Instituts für Zoologie und Evolutionsforschung der Uni Jena gegenüber dem ZDF.
Im menschlichen Genom gebe es bei 3,2 Milliarden Basenpaaren keinen einzigen Unterschied, der zum Beispiel Afrikaner von Nicht-Afrikanern unterscheide. Genetisch seien Europäer näher mit Menschen in Ostafrika verwandt als letztere mit anderen Afrikanern.
Die Mütter und Väter des Grundgesetzes wollten sich vom Rassenwahn des Nationalsozialismus abgrenzen und für ein diskriminierungsfreies Miteinander einsetzen. Deshalb haben sie das Schlüsselwort des Nationalsozialismus genommen und verfügt, dass in Zukunft die „Rasse“ keinerlei Rolle mehr spielen dürfe.
Das sollte aber nicht länger durch den Gebrauch eines Begriffs geschehen, der in die Irre führt, weil es keine Menschenrassen gibt.Niemand darf durch „rassistische Zuschreibungen“ bevorzugt oder benachteiligt werden – diese Formulierung trifft die Intentionen des Grundgesetzes heute besser. Wir sollten es entsprechend ändern.
Münsters umstrittenes Gedenken an die Kolonialzeit
Auch in Münster gibt es ein Denkmal, das in die Kolonialzeit weist. Es ist das Traindenkmal am Ludgerikreisel an der Promenade. Es entstand nach dem Ersten Weltkrieg und erinnert an 855 gefallene Soldaten der Königlichen Trainabteilung Nr. 7. Soldaten dieser Einheit waren auch am Kolonialkrieg in Deutsch-Südwest Afrika beteiligt, und zwar in den Jahren von 1904 bis 1906. Nachträglich installierte Bronzeplatten erinnern an zwei Train-Soldaten, die bei der Niederschlagung von Aufständen der Hereros und der Namas gegen die deutsche Kolonialmacht ums Leben gekommen waren. Sie „starben den Heldentod für Kaiser und Reich in Deutsch-Südwestafrika“ heißt es darauf. Der Opfer in der einheimischen Bevölkerung wurde nicht gedacht. Black lives didn’t matter.
Das führte 100 Jahre später zu einer Aktion des Arbeitskreises Afrika. Der AKAFRIK stellte 1984 eine Mahntafel an dem Denkmal auf: Die Steintafel zeigte die Inschrift: „Wir gedenken der Opfer des Völkermords unter deutscher Kolonialherrschaft in Namibia.“ Allerdings konnte die dauerhafte Errichtung der Namibia-Mahntafel trotz mehrerer Anläufe nicht durchgesetzt werden. Im Rat gab es vor allem Widerstand gegen die Verwendung des Begriffs „Völkermord“.
Es sollte bis 2015 dauern, ehe sich die Bundesregierung zu dieser Bezeichnung für die Ermordung von 80.000 Herero und Nama durchringen konnte.
In Münster fanden die immer wieder geführten Diskussionen einen vorläufigen Abschluss mit einer städtischen Info-Tafel, die klein und ziemlich unscheinbar neben dem Denkmal am Rand der Grünfläche steht. Doch die Kritik hielt und hält an: Denn der Völkermord an den Herero und Nama wird auch auf der Info-Tafel nicht benannt. Der Text heißt:
Traindenkmal
Den Opfern zur Erinnerung – den Lebenden zur Mahnung
Diese Großstele wurde am 4. Juli 1925 vom Traditionsverein der ehemaligen Train-Abteilung Nr. 7 zum Gedenken an ihre gefallenen Kameraden errichtet. 1928 wurden zusätzlich zwei Gedenktafeln neben dem Kriegerdenkmal angebracht. Sie erinnern an drei gefallene Kameraden, die in den deutschen Kolonialkriegen in China und Deutsch-Südwestafrika gefallen sind.
Wir gedenken auch der zehntausenden Toten der unterdrückten Völker. Im heutigen Namibia wurden viele Hererofamilien in die Wüste gezwungen, wo sie elend zu Grunde gingen.
Von der Heldenverehrung zum Opfergedenken
Am Mittwoch wird sich der Rat wieder einmal mit dem Traindenkmal befassen. Er entscheidet über einen Verwaltungsvorschlag, wie künftig mit Kriegerdenkmalen im öffentlichen Raum der Promenade in der Stadt Münster umgegangen werden soll. Die „besondere erinnerungspolitische Bedeutung des Traindenkmals“ soll durch die Verlegung der Gedenktafel des Arbeitskreises Afrika (AKAFRIK) von 1984 zum Ausdruck gebracht werden, so die Verwaltung. Außerdem soll ein Vorschlag entwickeln werden, der das Traindenkmal zeitweise zu einem besonderen Ort des Diskurses über den Umgang mit Kriegerdenkmalen macht.
Den von manchen geforderten Abriss aller Kriegerdenkmäler in der Promenade soll es nicht geben.
Bleiben wir Demokraten und bleiben Sie gesund.
Ihr
Ruprecht Polenz
PS: 1984 und auch bei späteren Diskussionen um das Traindenkmal war ich Mitglied im Rat der Stadt Münster. Ich habe mich damals auch gegen die Tafel des AKAFRIK ausgesprochen. Das bedauere ich heute. Seit 2015 darf ich als Sonderbeauftragter der Bundesregierung mit Namibia über die Bewältigung der kolonialen Vergangenheit verhandeln. Es geht vor allem darum, wie wir heute mit den deutschen Verbrechen der Zeit von 1904 bis 1908 umgehen wollen. Es war ein Völkermord an Herero und Nama.
Ruprecht Polenz
Viele Jahre lang war Ruprecht Polenz Mitglied des Rats der Stadt Münster, zuletzt als CDU-Fraktionsvorsitzender. Im Jahr 1994 ging er als Bundestagsabgeordneter nach Berlin. Er war unter anderem CDU-Generalsekretär, zwischen 2005 und 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mitglied des ZDF-Fernsehrats, ab 2002 hatte er den Vorsitz. Der gebürtige Bautzener lebt seit seinem Jura-Studium in Münster. 2020 erhielt Polenz die Auszeichnung „Goldener Blogger“.
Die Kolumne
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