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Die Kolumne von Juliane Ritter | Die Zeit der leeren Versprechen
Guten Tag,
ich habe in dieser Woche einige Schlagzeilen entdeckt. Vor zwei Jahren freute ich mich über jede Berichterstattung, dachte mir, Corona würde endlich ein Licht auf unsere Bredouille scheinen. Doch mittlerweile ärgern mich Schlagzeilen wie diese immer wieder: „Karl Lauterbach spricht mit Pflegekräften und macht deutliche Ansage.“
Karl Lauterbach hat am Donnerstag Beschäftigte des Uniklinikums Köln besucht. Dort traf er auf Vorstände, die Pflegedirektion und wenige Pflegekräfte, die man vorab ausgesucht hatte.
Man sprach über bessere Bezahlung, Karriereentwicklungen und mehr Ausbildungsplätze. Das heißeste aller Themen kam, wenn überhaupt, eher am Rande vor: die alltäglichen, teils gefährdenden Arbeitsbedingungen.
Ich habe im Anschluss mit anwesenden Kolleg:innen gesprochen. Pflegenden sollten in der Veranstaltung das Wort bekommen. Doch sie berichteten hinterher, die Beiträge des Klinikvorstands hätten sehr viel Raum eingenommen. Fünf der 20 Pflegenden durften etwas sagen. Der Austausch sei insgesamt freundlich gewesen, so sagten meine Kolleg:innen es mir. Doch sie vermissten konkrete Pläne. Sie sprachen von Honig, den man den Leuten ums Maul geschmiert habe. Die Konversation sei geschickt um die wirklich interessanten Baustellen herum manövriert worden.
Keine Sofortlösung parat
Wie sollen Mitarbeiter entlastet werden, die immer wieder mehr Patienten betreuen müssen, als es die gesetzliche Untergrenzen-Regelung erlaubt? Wie könnte man die Patientenversorgung anders verbessern und Personal nicht weiter überlasten, wenn Vorstände einfach keine Betten sperren? Der Minister hatte keine Sofortlösung parat. Aber er machte ein Angebot. Die Pflegekräfte könnten zusammen mit ihrem Vorstand ein Eckpunktepapier erstellen. Das werde er dann mitnehmen.
Schlagzeilen wie diese verbergen zu oft, dass hinter all diesen Versprechen oft nur heiße Luft steckt. Der Eindruck unter der Leserschaft und der Bevölkerung, die im Alltag mit Krankenhäusern wenig zu tun haben, ist jedoch ein anderer: „Endlich nimmt es jemand in die Hand – so wird sich etwas ändern.“
Doch in den vergangenen Monaten ist bei uns nichts angekommen. Noch immer betreue ich mehr Patient:innen, als ich leisten kann. Noch immer werden meine Kolleg:innen und ich kaum gehört, wenn wir Hilferufe absetzen, weil Personal wegen Krankheit fehlt – wie in diesen Wochen, in denen mehr Kolleg:innen zeitgleich krank sind, als ich es je erlebt habe. Wir müssten doch „die Wirtschaftlichkeit bedenken“, heißt es dann, oder „in anderen Bereichen sei die Personaldecke noch dünner, das ist nun mal so“.
Eine andere Schlagzeile lautete: „Eine Milliarde Euro für besonderen Einsatz“.
Karl Lauterbach kündigt wieder einmal einen Bonus an, der an den Stellen greifen soll‚ „wo Herausragendes geleistet wurde“.
„Herzensarbeit“
Meine Kollegin lachte müde, als sie davon hörte. Sie hat, wie die meisten meiner Kolleg:innen, noch keinen Cent gesehen, der ihr medial als Covid-Bonus versprochen wurde. Doch heraus stach für mich der Begriff „besonderen Einsatz“.
Immer wieder werden mein Berufsstand und meine Kolleg:innen der Altenpflege heroisiert, indem man uns „Held:innen“ nennt und unsere Arbeit als „besonderen Einsatz“, „Herzensarbeit“ oder „herausragend“ bezeichnet.
Diese Heroisierung impliziert, dass wir das alles machen, um Gutes zu tun – dass man unsere Arbeitskraft für den Dank alleine nehmen kann.
Nach diesem Gesetzesentwurf, scheint dem Gesundheitsminister die Arbeit am Intensivbett fünf Mal mehr Wert zu sein als die Arbeit mit teilweise über 40 alten Menschen in einem von Corona betroffenem Pflegeheim.
Es soll unterschiedlich hohe Bonus-Zahlungen geben. Intensivpflegekräfte sollen 2.500 Euro bekommen, Altenpflegekräfte 550 Euro. Andere Berufsgruppen sind nicht berücksichtigt. Die Ärztin und der Physiotherapeut, die Pflegekraft auf der Schlaganfallstation, der Servicemitarbeiter und die Kollegin in der Wäscherei gehen wieder einmal leer aus. Abgesehen davon bezweifle ich, dass das bereitgestellte Geld ausreicht, um die medial angepriesenen Summen zu finanzieren.
Der Tag null
Vor allem aber: Ein Bonus hält mich nicht im Job. Ein Bonus bewahrt nicht vor dem Burn-out, und ein Bonus kann mir meine Gesundheit und Freizeit nicht zurückgeben. Ein Bonus, der versprochen aber nicht gezahlt wird, macht uns nur sauer.
Die Pflegenden aus der Uniklinik in Köln machen sich, statt auf Versprechen zu warten, gemeinsam mit den Beschäftigten der sechs Unikliniken in Nordrhein-Westfalen auf den Weg. Das Ziel ist ein Tarifvertrag, der uns entlastet.
Wir haben Lösungen für die schlechten Arbeitsbedingungen im Krankenhaus, und wir werden dafür kämpfen. Am 12. und 13. April vernetzen sich in Oberhausen erstmals tausende Beschäftigte aus Nordrhein-Westfalen.
Wir bereiten uns vor und warten – darauf, dass unser Ultimatum den Tag null erreicht. Und darauf, dass Arbeitgeber sich zu ernsthaften Verhandlungen bereit erklären, denn zurzeit zeigen sie keine Verhandlungsbereitschaft. Am 1. Mai ist die Zeit der leeren Versprechen vorbei.
Herzliche Grüße
Ihre Juliane Ritter
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Juliane Ritter (Name geändert)
… arbeitet als Pflegekraft in einem Krankenhaus in Münster. Sie schreibt in dieser Kolumne darüber, warum sie ihren Beruf liebt. Und darüber, wo es hakt und was in der Pflege besser laufen müsste – grundsätzlich und in Münster. Juliane Ritter ist nicht ihr richtiger Name. Sie schreibt unter einem Pseudonym, damit sie frei über Schwierigkeiten und Missstände erzählen kann.
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