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Marina Weisbands Kolumne | Männer müssen mitdenken
Liebe Leser*innen,
auf dem Spielplatz im Hafenviertel sehe ich nachmittags wieder enorm viele Väter mit ihren Kindern. Das ist schön. Das war in den vergangenen Monaten nicht immer so. Wenn ich mit meiner Tochter während der Zeit, die sie eigentlich in der Kita verbracht hätte, am Hafen, im Park oder im Wald unterwegs war, traf ich vor allem andere Mütter. In der Corona-Zeit haben viele von uns in heterosexuellen Partnerschaften unfreiwillig wieder alte Rollen eingenommen.
Das hat verschiedene Gründe. Einer ist, dass Frauen im Durchschnitt immer noch etwa 20 Prozent weniger verdienen als Männer. Wenn jemand zu Hause bleiben muss, macht das der Elternteil, der weniger verdient.Ganz einfach.
Ein weiterer Grund ist, dass die Rollen tief in uns verankert sind. Wir haben sie von unseren Eltern gelernt. Obwohl wir Mütter es rational anders wissen, haben viele von uns das Gefühl, dass wir für die Kinder etwas mehr verantwortlich sind als die Väter. Und das betrifft nicht nur die Erwartungen an uns selbst.
Als mein Kind geboren wurde, war für meinen Mann und mich völlig klar, dass wir die Care-Arbeit zu gleichen Teilen übernehmen. Ich war überrascht davon, dass wir das nicht gegeneinander, sondern gegen unser Umfeld durchsetzen mussten. In der Krabbelgruppe mussten Texte von Dokumenten geändert werden, weil mein Mann und ich abwechselnd kamen – dort war immer von der Mutter die Rede. Zu Unternehmungen mit Freunden wurde häufiger mein Mann eingeladen – ich hatte ja das Kind. Das war sicher nicht böse gemeint. Das passiert einfach, wenn Rollenbilder tief sitzen und man darüber nicht nachdenkt. Natürlich hatte mein Mann auch ein Kind. Aber viele scheinen zu denken: Sie ist die Mutter, sie hat die Verantwortung.
So ist es oft auch bei der Arbeit. Wenn Männer wegen der Kinder nicht kommen können, heißt es: Kann Ihre Frau sich nicht darum kümmern?Mir ist diese Frage andersherum noch nie gestellt worden.
In vielen Familien ergibt es sich auch scheinbar zufällig so, dass die Frau eher Zeit für das Kind hat. Ich habe schon immer im Homeoffice gearbeitet. In der Corona-Zeit hockte mein Mann in Meetings. Ich rannte zu Hause dem Kind hinterher. Und es ist der Flexibilität meines Jobs zu verdanken, dass ich mich abends um neun hinsetzen konnte, um mit meiner Arbeit weiterzumachen.
Wenn ich in der Corona-Zeit tagsüber im Wäldchen spazieren gegangen bin und dort vor allem Mütter mit ihren Kindern sah, dachte ich oft: Gleichberechtigung ist eine große Errungenschaft, aber die Oberfläche ist sehr brüchig. Im Krisenmodus fallen wir wieder in unsere alten Rollen zurück. Und wenn wir falsche Anreize setzen, zementieren wir die Situation.
Abwarten wird uns nicht helfen
Ein klassischer Fall ist die bayerische Betreuungsprämie, die auch als Herdprämie verschrien ist. Sie gibt Frauen den Anreiz, nicht arbeiten zu gehen. Verzichten sie darauf, begeben sie sich in eine Abhängigkeit von ihren Männern. Und das leben sie ihren Kindern vor. Es ist ein Kreislauf.
Speziell Corona kann verheerende Auswirkungen auf Eltern und ihre Karrieren haben. Das betrifft Väter, aber vor allem Mütter, die regulär anderthalb mal so viel Zeit mit Kind und Haushalt verbringen. Das kann gerade Frauen systematisch in ihrer Arbeit zurückwerfen. Natürlich sind sie nicht so konzentriert, wenn zu Hause noch ein Kind neben ihnen her hüpft. Sie haben weniger Zeit. Sie können nicht so viele Aufgaben übernehmen. Teilweise sind Kollegen dann sauer, weil sie diesen Teil der Arbeit selbst machen müssen. Für die Frauen hat das möglicherweiseAuswirkungen auf Beförderungen, auf Karrierechancen. Deshalb ist es bei unterstützenden Corona-Geldern, Zuschüssen oder anderen Förderungen, wichtig, dass sie gezielt Ungerechtigkeiten vorbeugen.
Gender-Budgeting kann dabei helfen. Das bedeutet: Wir schauen bei jeder Entscheidung darauf, welche Folgen sie für die Geschlechtergerechtigkeit hat. Wer hat Vorteile? Wer hat Nachteile? Wenn uns das gelingt, wird nicht auf einmal alles gerecht. Aber vielleicht gelingt es uns, die Ungerechtigkeit auf diese Weise etwas abzumildern.
Nichts tun wird die Gleichberechtigung übrigens nicht herstellen. Sie ist nicht durch Abwarten entstanden und sie wird durch Abwarten nicht verbessert. Es gibt viele Menschen, die die Gleichberechtigung der Frau verhindern wollen, die diese Ungleichheit wollen, die diese Aufgabenteilung so beibehalten möchten.
Wertvoll ist das Mitdenken
Wenn wir wollen, dass sich das ändert, müssen wir dafür kämpfen. Wir müssen reflektieren, viel reden und dafür sorgen, dass diese Dinge nicht als Pseudoprobleme von Feministinnen abgetan werden. Wichtig ist, dass wir über die Macht, die Struktur und die Rollenbilder im Kleinen sprechen, denn damit tun wir sehr viel für die Emanzipation im Großen.
Fangen wir mit kleinen positiven Beispielen an. Fangen wir damit an, dass wir gleichberechtigt erziehen und nicht nur gleich viel Zeit mit den Kindern verbringen. Wir müssen nicht nur die Aufgaben teilen, sondern auch die mentale Belastung, den Mental Load.
Mein Mann weiß, dass die Schuhe mit den Himbeeren inzwischen zu klein sind. Welche Impfungen anstehen. Wie das mit dem Toilettentraining läuft. Zu oft sind das Informationen, die hauptsächlich Frauen in ihren Köpfen mit sich herumtragen. Das ist eine Verantwortung. Und diese Verantwortung belastet. Sie hat ein Eigengewicht.
Daher hilft es nicht, wenn der Mann sagt: „Ich hätte dir doch geholfen. Warum hast du denn nichts gesagt?“ Dieser Satz ist deshalb wertlos, weil das Wertvolle nicht die Hilfe an sich ist. Ich möchte nicht, dass mein Mann die Schuhe einpackt. Ich möchte, dass er weiß: Die Schuhe müssen eingepackt werden. Das ist, was viel mehr entlastet. Das Im-Kopf-behalten dieser Dinge ist Teil der angelernten Mutter-Rolle.
Das geht auch mir so. Ich fühle mich schlecht, wenn ich mich nicht um mein Kind kümmere, oder wenn ich auf Dienstreise bin. Als meine Tochter drei Monate alt war, wurde ich nach Harvard eingeladen, um einen Vortrag zu halten. So eine Einladung schlägt man nicht aus. Ich war nur eine Nacht dort und bin am nächsten Morgen gleich wieder zurückgeflogen. Aber man kann sich nicht ausmalen, wie viele Heulkrämpfe ich hatte, bis ich wieder bei meinem Kind war. Männliche Kollegen mit kleinen Kindern sprechen ganz entspannt übers Reisen. Wenn der Papa mal nicht da ist, ist es nicht so schlimm. Schlimm ist, wenn die Mama nicht da ist.
Es ist ein Problem der Frauen, aber es betrifft nicht nur sie. Wenn der Mental Load ungleich verteilt ist, führt das auf Dauer zu Problemen – zu Beziehungsproblemen und schließlich zu Trennungen. Oft unbemerkt vom Partner. Sie hat irgendwann genug, weil sie denkt: Ich kann nicht mehr. Und er denkt: Aber wieso? Es war doch so schön.
Versuchen wir es mit Vertrauen
Wenn wir nichts ändern, leben wir all das unseren Kindern vor. Dann lernen auch sie diese Rollen. Dann werden auch sie die Probleme haben. Aber wie kommen wir heraus aus diesem Dilemma?
Ich würde vorschlagen: Wir versuchen es mit Vertrauen. Wir Frauen müssen den Männern vertrauen. Wir dürfen nicht immer glauben, dass irgendwas schiefgeht, wenn wir sie einfach machen lassen. Diese „witzigen” Vorstellungen darüber, wie verkehrt Väter Kinder anziehen und was für ein Chaos sie in der Wohnung hinterlassen, helfen uns wirklich nicht. Männer können das genauso gut, oder sie können es lernen. Die Männer müssen sich selbst vertrauen. Sie müssen diesen Teil der Verantwortung aber auch übernehmen wollen. Es muss für sie eine selbstverständliche Aufgabe werden.
Wir sind in der Gleichberechtigung weit gekommen seit der Zeit, in der Frauen kein Stimmrecht hatten, oder wie noch in den 70ern nicht ohne Erlaubnis ein Möbelstück kaufen durften. Aber es ist nicht magisch vorbei. Jahrhunderte von Erfahrung und Beobachtungslernen sitzen noch immer in unseren Köpfen und kommen hervor, wenn wir nicht aktiv daran arbeiten.
Eine Freundin von mir wollte selbst aus dieser Falle heraus. Sie hat ein Experiment gemacht: Was passiert, wenn ich den ganzen Mental Load, also einhundert Prozent von dem, was zu Hause laufen muss, für eine gewisse Zeit auf den Vater übertrage? Nicht in einer Weise, die später beibehalten werden soll, sondern nur vorübergehend, vielleicht für eine Woche. Das hat nicht alles gut gemacht, aber es hat beiden den Geist für die Realität und die Möglichkeiten geöffnet. Sie konnten plötzlich ganz anders darüber sprechen. Reflektieren und Sprechen befreit uns von den Fesseln der Vergangenheit.
Viele liebe Grüße
Marina Weisband
Marina Weisband
Marina Weisband ist Diplom-Psychologin und in der politischen Bildung aktiv. Beim Verein „politik-digital“ leitet sie ein Projekt zur politischen Bildung und zur Beteiligung von Schülern und Schülerinnen an den Regeln und Angelegenheiten ihrer Schulen („aula“). Außerdem ist sie Co-Vorsitzende des digitalpolitischen Vereins D64. Von Mai 2011 bis April 2012 war sie politische Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschland. Heute ist sie Mitglied der Grünen. Sie lebt in Münster.
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