Die Kolumne von Ruprecht Polenz | Was bringt das neue Rathaus-Bündnis?

Porträt von Ruprecht Polenz
Mit Ruprecht Polenz

Einen schönen Sonntag wünsche ich Ihnen.

Es war ein guter Anfang. Der neu gewählte Rat hat sich vergangenen Mittwoch konstituiert und erste Entscheidungen getroffen. Angela Stähler (CDU), Klaus Rosenau (GAL/Grüne) und Maria Winkel (SPD) wurden zu stellvertretenden Bürgermeister:innen gewählt. Die sich abzeichnende Koalition von GAL/Grüne und SPD/Volt war keine eigene Listenverbindung eingegangen, um selbst den 1.stellvertretenden Bürgermeister zu stellen. Stattdessen gab es einen gemeinsamen Listenvorschlag von CDU, GAL/Grüne und SPD/Volt, mit den Kandidat:innen in der Reihenfolge der Stärke der Fraktionen.

Das ist eigentlich guter, parlamentarischer Brauch, der aber in Münster 2014 in einer Kampfabstimmung missachtet worden war. Diesmal stimmten 61 der 67 Ratsmitglieder in geheimer Wahl für die gemeinsame Liste. Dass die CDU die allerseits anerkannte frühere Schulausschuss-Vorsitzende Angela Stähler nominiert hatte, mag es der künftigen Ratsmehrheit erleichtert haben, die CDU-Politikerin zur Ersten stellvertretenden Bürgermeisterin mitzuwählen.

Ob sich der Rat einen Gefallen damit getan hat, die Ausschüsse so groß zu machen, darf allerdings bezweifelt werden. Die Ausschussgröße ist nicht nur eine technische Frage, sondern hat sehr praktische Auswirkungen auf die politische Arbeit der gewählten Ratsmitglieder. Insgesamt muss der Rat 122 Gremien besetzen, davon circa 14 Ausschüsse.

Die Ausschüsse sollen 19 Mitglieder haben. Damit sitzen 30 Prozent des gesamten Rats in einem Ausschuss. Arbeitsteilung geht anders. Zum Vergleich: Beim Bundestag sind es sechs Prozent, im NRW-Landtag 14 Prozent aller Mitglieder, die jeweils in einem Ausschuss sind.

Drei Abende nicht zu Hause – das schreckt viele ab

Ratsmitglieder sind ehrenamtlich tätig. Schon jetzt führt die durchschnittliche Arbeitsbelastung eines Ratsmitglieds von circa 20 Stunden pro Woche dazu, dass viele Berufsgruppen nicht mehr im Rat vertreten sind. Drei Abende zwischen Montag und Donnerstag nicht zu Hause – das schreckt viele ab.

Bei einer Verkleinerung der Ausschüsse auf 15 Mitglieder hätten sich 100 Mandatsträger-Stunden im Monat einsparen lassen, hat der CDU-Fraktionsvorsitzende Stefan Weber vorgerechnet. Diese Zeit fehlt jetzt für die bürgerschaftliche Arbeit, die Gespräche mit Vereinen, Bürgerinitiativen oder Einrichtungen.

Vor dem Rat liegen schwierige Aufgaben, vielleicht vergleichbar mit der Nachkriegszeit, als die zerstörte Stadt wieder aufgebaut werden musste.

Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Krise werden die Stadt vor gewaltige Probleme stellen. Das betrifft nicht nur die städtischen Einnahmen und den Haushalt.

Münsters Lebensqualität liegt in den Begegnungen, die das Stadtleben ermöglicht: in den Cafés, Restaurants und Gaststätten, beim Einkaufsbummel, auf dem Wochenmarkt, beim Sport, im Theater oder im Kino, bei Ausstellungen und Vernissagen, in den Schulen und Hochschulen.

Das Corona-Virus hat nicht nur Atemwege infiziert, sondern auch auf unsere Gesellschaft zersetzend gewirkt. Physische Distanz und trotzdem soziale Nähe – das sagt sich leichter, als es sich monatelang durchhalten läßt. Es lässt sich nicht vorhersehen, wie sich das städtische Leben davon erholen wird, denn wir wissen noch nicht, ab wann ein Impfstoff uns wieder ein normales Leben ermöglicht.

Sicher ist, dass die wirtschaftlichen Schäden groß sind. Leerstände auf dem Prinzipalmarkt sind nur die Spitze des Eisbergs. Schon ohne die Corona-Krise stand der stationäre Einzelhandel, der Münster wesentlich prägt, unter wachsendem Druck des online-Handels. Corona hat diesen Druck weiter verstärkt, weil sich viele immer mehr an das Online-Einkaufen gewöhnen.

Wie geht es jetzt weiter?

Besonders hart trifft es Gaststätten, Cafés und Restaurants. Viele werden die Restriktionen und Schließungen am Ende wirtschaftlich nicht überleben. Leerstehende Geschäftsräume, dauerhaft geschlossene Restaurants. Man mag sich nicht ausmalen, was das für die Urbanität Münsters bedeuten würde.

Alle, die Menschen durch kulturelle oder gastronomische Angebote Begegnungen ermöglichen und die damit Geld verdienen, werden es schwer haben, wieder auf die Beine zu kommen. Kommunalpolitik wird vor der Aufgabe stehen, dabei zu helfen. Da ist viel Kreativität gefragt, denn für direkte Subventionen Privater fehlt sowohl die kommunale Befugnis als auch das Geld.

Wie geht es mit dem Preußen-Stadion weiter? Darüber wird der Rat wohl noch dieses Jahr entscheiden müssen. Was wird aus dem Musik-Campus? Bleibt die Stadt bei der Zusammenarbeit mit der Universität oder kündigt sie diese auf? Wie geht es mit dem Hafenmarkt weiter? Bleibt er als Bauruine liegen, oder findet der neue Rat eine Lösung, die der Investor auch umzusetzen bereit ist?

Wie geht es mit der digitalen Ertüchtigung der Schulen in Münster weiter? Die Corona-Krise hat die großen Defizite auch in Münster aufgezeigt. Digitale Möglichkeiten verbessern den Unterricht aber auch in normalen Zeiten. Die Stadt als Schulträgerin muss sich um eine bessere Ausstattung kümmern, um den Jugendlichen bessere Bildungschancen zu eröffnen.

Der Weg zur Klimaneutralität Münsters wird große Anstrengungen erfordern. Neben der Energieerzeugung wird es vor allem darum gehen, dass die 162.000 Wohnungen in Münster energetisch auf den neuesten Stand gebracht werden. Das ist zwar vor allem Sache der jeweiligen Eigentümer:innen. Aber städtische Programme müssen die Umstellungen flankieren.

Setzt das neue Bündnis auf eine breite Mehrheit?

Alle Parteien sind bei den Wahlen mit dem Ziel angetreten, die Zahl der Autofahrten in Münster, besonders in der Innenstadt, deutlich zu vermindern. Auch das geht nicht von heute auf morgen. Und auch das wird nicht konfliktfrei ablaufen. Die Diskussionen um die Einrichtung von Fahrradstraßen haben einen kleinen Vorgeschmack darauf gegeben.

Auch der Wohnungsbau steht bei allen Parteien ganz oben auf der Agenda. Der Wohnungsmarkt in Münster ist sehr angespannt. Die Bevölkerung wächst. Wohnungen fehlen. Wo sollen die neuen Baugebiete entstehen, und wie sollen sie bebaut werden? Wo ist Nachverdichtung möglich, um Flächen zu sparen? Und wie lassen sich die Nachbarn davon überzeugen?

Die Liste der Aufgaben, die vor dem neuen Rat liegen, ließe sich fortsetzen. Man darf gespannt sein, welche Antworten der jetzt auszuhandelnde Koalitionsvertrag von GAL/Grüne und SPD/Volt auf diese Fragen geben wird. Interessant dürfte auch sein, ob beide Fraktionen alle diese schwierigen Entscheidungen allein mit ihrer Ein-Stimmen-Mehrheit durchziehen wollen, oder ob sie sich darum bemühen werden, möglichst breite Mehrheiten im Rat dafür zu gewinnen. Letzteres dürfte freilich ohne Kompromissbereitschaft auf allen Seiten nicht gelingen.

Wir alle sollten den neu gewählten Ratsmitgliedern dankbar dafür sein, dass sie sich diesen Aufgaben stellen wollen und ihre Freizeit dafür aufwenden. Alles Gute und eine glückliche Hand .

Ihnen eine gute Woche, herzliche Grüße – und bleiben Sie gesund.

Ihr

Ruprecht Polenz

Porträt von Ruprecht Polenz

Ruprecht Polenz

Viele Jahre lang war Ruprecht Polenz Mitglied des Rats der Stadt Münster, zuletzt als CDU-Fraktionsvorsitzender. Im Jahr 1994 ging er als Bundestagsabgeordneter nach Berlin. Er war unter anderem CDU-Generalsekretär, zwischen 2005 und 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mitglied des ZDF-Fernsehrats, ab 2002 hatte er den Vorsitz. Der gebürtige Bautzener lebt seit seinem Jura-Studium in Münster. 2020 erhielt Polenz die Auszeichnung „Goldener Blogger“.

Die Kolumne

Immer sonntags schicken wir Ihnen eine Kolumne. Das sind Texte, in denen unsere acht Kolumnistinnen und Kolumnisten Themen analysieren, bewerten und kommentieren. Die Texte geben ihre eigene Meinung wieder, nicht die der Redaktion. Mitgliedschaften in politischen Parteien oder Organisationen machen wir transparent. Wenn Sie zu den Themen der Kolumnen andere Meinungen haben, schreiben Sie uns gern. Wenn Sie möchten, veröffentlichen wir Ihre Zuschrift im RUMS-Brief. Wenn Sie in unseren Texten Fehler finden, freuen wir uns über Hinweise. Die Korrekturen veröffentlichen wir ebenfalls im RUMS-Brief.

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