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Gastbeitrag von Yannic Werremeier | Münsters Promenadenmischung
Guten Tag,
die Promenade ist eine der bekanntesten Fahrradstraßen und eine der wichtigsten Radverbindungen in Münster. Sie ist Naherholungsgebiet, Spazier- und Joggingstrecke für Menschen in der Mittagspause, nach der Arbeit und am Wochenende. Sie ist Lebensraum für Tiere und Pflanzen. Und bald wird sie im neuen Radwegenetz der Stadt auch noch ein zentraler Knotenpunkt sein, über den man von der einen Veloroute auf die andere gelangt.
Die Promenade wird dann neben dem Ludgerikreisel ein zweiter, noch etwas größerer Kreisverkehr sein, auf dem noch mehr Fahrräder unterwegs sein werden als heute. Aber lässt sich das alles vereinbaren? Kann die Promenade gleichzeitig Verkehrsweg, Erholungsort und Lebensraum sein? Und falls nicht: Was soll sie dann sein – oder werden?
Vielleicht schauen wir dazu zuallererst zurück auf das, was die Promenade früher einmal gewesen ist.
Im 13. Jahrhundert war der Wall um die Altstadt einfach ein Verteidigungsring, der aus Wassergräben, aufgeschütteter Erde, mehreren Bastionen, Toren und Türmen bestand. Die Überreste davon sind der Buddenturm, der Zwinger und der Wasserbär an der Kleimannstraße. Straßennamen wie Neutor oder Hörstertor erinnern auch heute noch an die Zugänge. Die Promenade sollte möglichst effizient verhindern, dass Menschen in die Stadt kamen.
Andere Städte machten es anders
Ende des 18. Jahrhundert war dieser Ring überflüssig geworden. Im Jahr 1764 regte der fürstbischöfliche Minister Franz von Fürstenberg an, den Befestigungswall zurückzubauen. Auf der Innenseite baute man Häuser, Privatgärten und das Schloss. Außen legte man nach den Plänen des Baumeisters Johann Conrad Schlaun eine Lindenallee an, also das, was wir heute die Promenade nennen.
Der Ort entwickelte sich langsam. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts kamen weitere Grünanlagen, Beete, Denkmäler und Plätze zum Ausruhen hinzu. So entstand eine Parkanlage, in der die Menschen spazieren gingen und flanierten. Das ist bis heute so geblieben.
Zwischen 1986 und 1990 erneuerte die Stadt die Promenade, um die historische Grünanlage zu erhalten und zu einem Hauptverbindungsweg rund um die Altstadt auszubauen. Am Ende sah alles so aus, wie wir es heute kennen.
Diese Entwicklung war nicht selbstverständlich. Andere Städte gingen anders mit ihren ehemaligen Schutzwällen um.
In Göttingen legte man ebenfalls auf dem ehemaligen Stadtwall einen von Bäumen gesäumten Fußweg an. Hier mit dem Rad zu fahren, wäre möglich. Aber vorgesehen ist es nicht, gern gesehen ist es wahrscheinlich auch nicht.
In Lemgo kann man mit dem Rad auf dem Ring um die Altstadt fahren. Seit zehn Jahren muss man dabei hin und wieder absteigen. Seitdem haben Autos an den Kreuzungen wieder Vorfahrt.
In Köln führt ebenfalls ein Grüngürtel auf der Fläche der früheren Befestigungsanlage um die Stadt. Doch hier wird der Ring unterbrochen von Bahnschienen, Straßen und manchmal von Häusern. Einen Ring, der durchgängig um die Altstadt führt, gibt es nicht mehr. Außerdem ist der Gürtel mit einer Länge von gut sieben Kilometern so weitläufig, dass man mit dem Rad auf dem direkten Weg oft schneller ist.
Städte gingen also unterschiedlich um mit den Möglichkeiten den Freiraum zu nutzen, den die nicht mehr benötigten Stadtbefestigungen hinterlassen haben. In Münster befand sich seit der Schleifung der Stadtmauer ein grüner Ring um die Altstadt. Erst für Menschen, die zu Fuß unterwegs sind, später kamen die auf Fahrrädern hinzu.
Ein internationaler Verkehrsknotenpunkt
Das Gebiet rund um die Promenade ist zu einem innerstädtischen Park geworden, der die Altstadt umrahmt, ein sehr nahes Naherholungsgebiet. Am Wochenende trifft man hier viele Menschen, die die historische Grünanlage zum Spazieren gehen nutzen. Im Sommer werden die Rasenflächen entlang der Allee zur beliebten Liegefläche, zum Grillplatz oder zur Aktionsfläche für Outdoorspiele wie Slacklines, Kubb-Spiele oder Spikeball.
Hinzu kommen Veranstaltungen wie die Grünflächenunterhaltung und Flohmärkte. Im Winter, wenn Schnee liegt, sieht man Kinder, die vergnügt mit ihren Schlitten die Hügel an der Aegidii- oder Gartenstraße herunter sausen. Und der 4,5 Kilometer lange Weg, der über die Promenade führt, ist nicht nur für Münster von Bedeutung. Er ist eingebunden ins regionale, nationale und internationale Radverkehrsnetz.
Der internationale Radfernweg Eurovelo 3, der Europa von Norden nach Süden durchquert und Städte wie Oslo und Hamburg mit Paris und Bordeaux verbindet, führt auch durch Münster – über die Promenade. Der Eurovelo 2 (beziehungsweise Europaradweg R1), der von Westen nach Osten verläuft, von Dublin über London, Amsterdam und Berlin nach Warschau, kommt von der anderen Seite und durchquert die Innenstadt ebenfalls über die Promenade.
Wenn man so will, ist die Promenade ein internationaler Verkehrsknotenpunkt. Aber das ist nicht alles. Das Gebiet hat noch eine weitere wichtige Funktion. Doch sie gerät mit dem zunehmenden Verkehr immer mehr in Bedrängnis – und hin und wieder in Vergessenheit. Die Promenade ist ein Lebensraum für Tiere und Pflanzen. In ihrer Umgebung leben Fledermäuse, die auf der „Roten Liste“ der bedrohten Tierarten stehen, und das Alter einiger Bäume hier wird auf über 200 Jahre geschätzt.
Im Abschlussbericht zu den Verkehrsversuchen vor zwei Jahren schreibt die Stadt Münster von einem Spannungsfeld, in dem die Promenade sich mit ihren unterschiedlichen Funktionen bewegt.
Diese Spannung entsteht, weil sich in einer Stadt mit immer mehr Menschen und immer mehr Verkehr alles immer mehr in die Quere kommt. Und auch innerhalb des Verkehrs ergibt sich ein Spannungsfeld. Das hat der Verkehrsversuch an der Promenade gezeigt. Räumt man einer Gruppe einen Vorteil ein, ergibt sich für eine andere Gruppe ein Nachteil.
Das führt zur nächsten Frage: Was könnte man machen, um diesem Feld die Spannung etwas zu nehmen?
Unterführung, Schilder, Kreisverkehr
Regulieren kann man sie vor allem dort, wo die Wege sich kreuzen. Dort ist auch das Konfliktpotential zwischen den Menschen auf dem Rad, zu Fuß und im Auto am größten. Auf der Promenade passiert das an elf Stellen. An sechs davon müssen die Fahrräder warten, weil andere Vorfahrt haben, an vier stehen Ampeln, an einer geht es erst bergab und dann wieder bergauf. Das ist die Unterführung am Mauritztor.
Für Autos ist es dort am bequemsten. Für Menschen auf dem Rad heißt es hier: kräftig in die Pedale treten. Eine Unterführung ist die sicherste Lösung, sie nimmt aber sehr viel Platz in Anspruch.
Vor einer der vier Ampeln, kurz vor der Hörsterstraße, hilft inzwischen ein technisches Hilfsmittel, die Wartezeit abzuschätzen und nicht anhalten zu müssen: der sogenannte Leezenflow. Wenn dieses Instrument funktioniert und verstanden wird, ist es praktisch. Ein Nachteil ist: Ampeln und Technik zu pflegen, kostet Geld.
Die einfachste und billigste Lösung sind Schilder, die zeigen, wer zuerst fahren darf. Sie sind an sechs Querungen zu finden. Hier muss der Radverkehr warten. Hätte er Vorfahrt, müssten die Autos stehen bleiben. Beides würde dazu führen, dass Menschen die unübersichtliche Situation so lösen, wie es ihnen am günstigsten erscheint, unter Umständen, ohne dabei die Regeln zu beachten (siehe Abschlussbericht).
Und dann gäbe es noch eine weitere Möglichkeit. Sie hätte einen Nebeneffekt, der einige Konflikte zwischen den unterschiedlichen Funktionen und Nutzungsarten der Promenade etwas abmildern würde. Das wäre der Kreisverkehr. Bisher gibt es davon auf der Promenade noch keinen.
Er braucht zwar mehr Platz als eine normale Kreuzung oder eine Ampel, aber nicht so viel wie eine Brücke oder ein Tunnel. Dazu ist es etwas günstiger, einen Kreisverkehr in einem gutem Zustand zu halten. Er vereinfacht den Verkehr, denn er verringert die Konstellationen, die Unfälle überhaupt erst möglich machen.
Das kann man sehr gut verdeutlichen, indem man eine normale Kreuzung auf der Promenade mit einem Kreisverkehr vergleicht. Das hier ist die Kreuzung.
Wer mit dem Rad auf der Promenade unterwegs ist und eine Straße überqueren möchte, zum Beispiel die Kanalstraße, muss im Extremfall auf neun verschiedene Verkehrsströme achten, die in unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterwegs sind: auf den Fußverkehr in beide Richtungen auf beiden Seiten der Straße (vier Ströme), den Auto- und Radverkehr auf beiden Fahrbahnseiten (vier Ströme) und den Gegenverkehr auf der Promenade (ein Strom). Bis auf den Gegenverkehr haben alle davon Vorfahrt. Das birgt viele Gefahren und macht die Kreuzung unübersichtlich.
Die Situation für Autos und Fahrräder auf der Straße ist ähnlich kompliziert. Beide müssen auf die Fahrräder und den Fußverkehr achten, der die Straße überquert. Ein Kreisverkehr würde all das vereinfachen.
Wer mit dem Rad unterwegs ist, muss nur auf vier Verkehrsströme schauen: Menschen zu Fuß außerhalb des Kreisverkehrs (zwei Ströme), Autos und Fahrräder im Kreisverkehr (jeweils ein Strom).
Ein weiterer Nebeneffekt ist: Der Kreisverkehr drosselt die Geschwindigkeit automatisch. Es wird leichter, den Verkehr zu beobachten, und damit sicherer, durch den Kreisverkehr zu gelangen. Auch für Menschen, die zu Fuß unterwegs sind, wäre das ein Vorteil – im Vergleich zu einer beschilderten Kreuzung.
Ein Modellraum für die Verkehrsplanung
Um es zusammenzufassen: Der Verkehr wird langsamer und sicherer. Ein Grundprinzip im Straßenverkehr lautet: an unübersichtlichen Stelle besser die Geschwindigkeit reduzieren. Nicht ohne Grund fordern viele Verkehrsfachleute, Menschen, die in der Nähe wohnen, oder Menschen, die Straßen nutzen, das Tempolimit auf Autobahnen oder Tempo 30 in Innenstädten. Alles läuft etwas langsamer und damit kontrollierter ab und im Fall eines Unfalls sind die Schäden nicht so groß wie bei höheren Geschwindigkeiten.
Damit zurück zur Ausgangsfrage: Was soll aus der Promenade werden? Wenn das Fahrrad als Verkehrsmittel wichtiger wird, bekommt auch der grüne Ring um die Stadt als Verkehrsverbindung eine immer größere Bedeutung. Die Promenade wird dann vielleicht irgendwann mehr Fahrradautobahn als Erholungsort sein – aber muss das bedeuten, dass sie nur eines sein kann?
In modernen Städten nutzt man Orte für verschiedene Zwecke. Straßen sind oft mehr als nur eine Verbindung zwischen zwei Punkten. Die Promenade könnte ein modellhafter Raum werden, der eine Antwort auf eine Frage gibt, die sich in der Stadt- und Verkehrsplanung überall im Land stellt: Wie verbinde ich Aufenthaltsqualität und Verkehrsfunktion? An der Promenade könnte deutlich werden, was Städten in Zukunft gelingen muss, um lebenswert zu bleiben: Sie müssen sich auf veränderte Umstände einstellen und ihren Charakter doch irgendwie bewahren.
Herzliche Grüße
Ihr Yannic Werremeier
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Über den Autor
Yannic Werremeier ist zum Studium nach Münster gekommen und geblieben. Er ist Vater von bald zwei Kindern und als Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer in Münster unterwegs. An der Fachhochschule hat er Bauingenieurwesen studiert und als Verkehrsplaner für die Stadt Münster, unter anderem für die Planung und Umsetzung der Velorouten gearbeitet. Aktuell ist er beim Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Westdeutsche Kanäle angestellt und betreut als Teilprojektleiter den Ausbau des Dortmund-Ems-Kanals in der Stadtstrecke Münster.
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