Gastbeitrag von Jana Schroeder | Luftfilter auf den Müll – Absurdistan 4.0?

Portrait Gastbeitrag Jana Schroeder
Mit Jana Schroeder

Guten Tag,

Münster gilt zu Recht als eine der lebenswertesten und familienfreundlichsten Städte Deutschlands. Mit der jüngsten Ratsvorlage zu Luftfiltern fällt die Stadt jedoch überraschend negativ auf.

Die Stadt hatte die Geräte im Jahr 2021 vorbildlich und vorausschauend auf Betreiben einer Elterninitiative angeschafft. Sie sind aus kommunalen Mitteln finanziert. Jetzt sollen Hunderte dieser mobilen Luftfilter sprichwörtlich auf den Müll geworfen werden. Und das in einer Stadt, die Wissenschaft hochhält, und zu einer Zeit, in der wiederholt Rekord-Krankenstände durch die Krankenkassen verzeichnet werden. Zu einer Zeit, in der das Infektionsgeschehen allerorten weiterhin hoch ist, auch jetzt im Sommer. Wie konnte es dazu kommen?

Die Stadt hat die Geräte in der Pandemie gekauft, um die Gesundheit von Kindern, Familien und Lehrkräften zu schützen. Luftfilter reduzieren nachweislich das hohe Infektionsrisiko, das sich aus den in Schulen herrschenden Bedingungen ergibt. Dort halten sich viele Menschen auf engem Raum über viele Stunden auf (hier, hier und hier).

Die angeschafften Geräte sind recht laut. Das war schon kritisiert worden, bevor man sie kaufte. Trotzdem entschied man sich am Ende für genau diese Geräte, die von einem ortsansässigen Unternehmen hergestellt werden. Die Stadt kaufte sie und stellte sie in großer Stückzahl in die Schulen. Dazu beschaffte man leisere Geräte aus Landesmitteln.

Verantwortungspingpong

Die Akzeptanz der Luftfilter war bedauerlicherweise von Anfang an eher gering. Das lag an der Lautstärke und daran, dass man ihre Funktion und ihren Nutzen nicht ausreichend erklärte. Außerdem lag es an fehlendem Wissen darüber, wie wichtig saubere Raumluft ist und wie Luftfilter helfen können, das Risiko von Infektionen in Innenräumen zu senken.

Oft hörte man die anekdotische Evidenz: „Ich habe mich trotz Luftfilter infiziert, also bringen die nichts.“ Oder umgekehrt: „Ich habe mich auch ohne Luftfilter nicht infiziert, also braucht man die nicht.“ Viel Meinung wurde über die schon zum damaligen Zeitpunkt vorliegende objektive Studienlage gestellt und unkritisch medial orchestriert.

Statt durch Aufklärung dafür zu sorgen, dass die Luftfilter regelmäßig genutzt werden, und den Schulen deren Vorteile zu erklären, veranstaltete die Stadt Verantwortungspingpong und betonte immer wieder, sie könne die Schulen nicht anweisen, die Geräte zu nutzen. Dafür sei das Schulministerium als Dienstherr zuständig. Das Ministerium wiederum verwies auf die Stadt als zuständigen Schulträger.

Das Ergebnis war wenig überraschend: Letztlich entschieden nicht die Fakten darüber, ob und wie die Geräte genutzt wurden, sondern die persönliche Meinung der Schulleitungen und Lehrkräfte.

Mit den CO2-Ampeln, die angeschafft wurden, um die Luftqualität zu überwachen, war es ähnlich. Sie wurden von Anfang an selten benutzt, obwohl sie wenig Energie verbrauchen und weder laut noch groß sind. Dabei ist klar, dass ein hoher CO2-Gehalt in Räumen die Leistungsfähigkeit von Schülern und Lehrern verschlechtert und gesundheitsschädlich ist.

Der finale Todesstoß für die Luftfilter kam im November 2023, als der Stadtrat beschloss, ab 2024 kein Geld mehr für die Wartung bereitzustellen. Kreative Lösungen zur Finanzierung der Wartungskosten wie Crowdfunding, die Finanzierung durch Fördervereine oder die Wartung durch Privatpersonen erwog man offenbar nicht einmal. Dabei wäre in einer Stadt wie Münster vieles denkbar und möglich gewesen.

Werden Luftfilter tatsächlich nicht mehr gebraucht?

Die Erkenntnisse aus der Pandemie über Krankheiten, bei denen die Ansteckung über die Atemwege erfolgt, und die Werkzeuge zu ihrer Eindämmung scheinen auch vier Jahre nach Beginn der Pandemie bei den Verantwortlichen noch nicht wirklich angekommen zu sein.

Auch das Wissen, dass Kinder nach aktuellen Studien auch von Langzeitfolgen wie Long Covid betroffen sein können und nicht jeden Infekt „mitnehmen“ sollten, scheint nicht richtig angekommen zu sein. Es ist ein Irrtum zu denken, dass Kinder ständig krank sein müssen, um gesund zu bleiben.

Desinformationen wie das „Immunschuld-Narrativ“ oder „Corona ist kein Problem mehr“ verfangen offenbar auch in einer Stadt, die als Wissenschaftsstadt gilt. Anders lässt es sich kaum erklären, dass nach und nach immer mehr Schulen die Geräte außer Betrieb genommen haben und nun auch die Abholung der Geräte unter Verweis darauf, dass diese „nicht mehr gebraucht“ würden, gefordert wird. Angebliche Nachteile der Geräte wie „zu laut” oder „zu groß” werden offenbar wichtiger genommen als die langfristigen Vorteile, die durch wissenschaftliche Studien belegt sind.

An dieser Stelle sei es gestattet zu fragen: Wurden die Schulpflegschaften als demokratisch legitimierte Vertretung der Elternschaft in die Entscheidungsfindung einbezogen? Wie weit reicht die Entscheidungshoheit von Schulleitungen in einer Angelegenheit, die die Gesundheit unserer Kinder und ihrer Familien fundamental betrifft? Werden Luftfilter wirklich „nicht mehr benötigt“? Oder können und dürfen sie wegen der fehlenden Wartung nicht mehr betrieben werden und sind deshalb für die Schulen nutzlos?

Die Verwaltung agiert als willfährige Erfüllungsgehilfin der Schulleitungen und geht darüber sogar noch hinaus, indem sie erwägt, die ungeliebten Geräte zu verschrotten. Laut der ursprünglichen Beschlussvorlage hat die Stadt viele Geräte bereits eingelagert und erfolglos versucht, sie zu verkaufen.

Die Stadt verweist darauf, dass die (wahrscheinlich zu niedrig bezifferten) Kosten für die Verschrottung deutlich geringer seien als die Kosten für die Lagerung. Sie behauptet, dass die Geräte sich „nicht bewährt und die in sie gesetzten Hoffnungen einer Reduzierung des Infektionsgeschehens nicht erfüllt hätten“. Dabei lässt die Stadt außen vor, dass die Geräte in den meisten Schulen schon seit längerer Zeit nicht mehr genutzt werden. Nicht eingeschaltete Luftfilter leisten logischerweise keinen Beitrag zum Infektionsschutz.

Eine Normalitätssimulation

Die Einschätzung der Verwaltung steht zudem in einem eklatanten Widerspruch zum wissenschaftlichen Erkenntnisstand, nach dem saubere Luft in Innenräumen der Schlüssel ist, um gesund zu bleiben.

Die Stadt als Schulträger ist zudem verpflichtet, ausreichenden Schutz vor Infektionen zu bieten, indem sie die hierfür nötige Ausstattung bereitstellt. Wenn die vorhandenen Luftfilter aus irgendeinem Grund als ungeeignet angesehen werden, muss man alternative Lösungen in Betracht ziehen, um die Luftqualität in den Räumen zu verbessern. Zum Beispiel kleinere und leisere Luftfilter, dezentrale raumlufttechnische Anlagen mit Wärmerückgewinnung oder kostengünstige Lösungen wie die Corsi-Rosenthal-Boxen.

Die nötige Kreativität und Expertise sind in der Stadtverwaltung offenbar nicht vorhanden. Als die Veröffentlichung der Ratsvorlage Wellen schlug, veranlasste das die Verwaltung nicht etwa, ihre Pläne zum Abbau der Luftfilter zu überdenken; sie erwog lediglich, als Alternative zur Verschrottung die Geräte an Dritte weiterzugeben, um Geld zu sparen. Das geht aus einer Ergänzung zur Beschlussvorlage hervor.

Das traurige Schicksal der Luftfilter steht symbolhaft für den aktuellen gesamtgesellschaftlichen Umgang mit der Pandemie. Es ist eine Normalitätssimulation. Statt Prävention als Lehre aus der Pandemie in den Fokus zu nehmen und erwiesenermaßen effiziente Werkzeuge gegen Infektionskrankheiten gezielt zu nutzen, ergreift man keinerlei Maßnahmen mehr. Das begünstigt Infektionen.

Dass die Weltgesundheitsorganisation aktuell dazu aufruft, das Infektionsrisiko durch das Ergreifen entsprechender Schutzmaßnahmen auch weiterhin zu reduzieren, ignoriert man – ebenso, dass das amerikanische Pendant des Robert-Koch-Instituts, die „Centers for Disease Control and Prevention“, die Verbesserung der Qualität von Raumluft in Schulen als zentrale Maßnahme empfiehlt, um Krankheiten zu vermeiden.

Letzteres veranlasste offenbar auch die Biden-Regierung zu einer millionenschweren Investition in die Verbesserung der Raumluft-Infrastruktur in Schulen, wie der amtierende amerikanische Präsident in einem Post des Kurznachrichtendienstes X vor einigen Tagen mitteilte.

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Krankenstände von Schüler:innen und Lehrkräften sind weiterhin auf einem hohen Niveau. Neben den zahlreichen Corona-Infektionen, die die Gesundheit langfristig schädigen können, kursieren auch viele andere Krankheiten wie hartnäckige Erkältungen, Grippe, Keuchhusten und Lungenentzündungen. Diese Krankheiten werden vor allem durch das Einatmen von infektiösen Aerosolen übertragen, die stundenlang in der Luft bleiben und sogar dann noch ansteckend sind, wenn die infektiöse Person den Raum bereits wieder verlassen hat.

Kinder und Lehrkräfte tragen die in der Schule erworbenen Infektionen nach Hause, wo sich dann die Familienangehörigen anstecken. Familien sind dadurch im Alltag stark belastet und vor allem Menschen mit Vorerkrankungen sind gefährdet. Für Kinder, die an Long Covid leiden, gibt es kein sinnvolles Konzept für den Schulunterricht und oft auch keine Aussicht auf Heilung bei schweren Fällen. Die Verantwortung dafür wird allein den Eltern aufgebürdet.

Es würde sich auch wirtschaftlich betrachtet lohnen, die zahlreichen Infektionen durch „Primärprävention“, also durch vorbeugende Maßnahmen, zu reduzieren.

Der weiterhin hohe Krankenstand im Sommer wirkt sich nicht nur auf den Unterrichtsausfall in den Schulen aus, sondern hat auch viele andere Folgen. Diese sind in allen Lebensbereichen spürbar: überfüllte Sprechstunden in Arztpraxen, Pflegenotstand in Krankenhäusern und Pflegeheimen, eingeschränkte Betreuungszeiten in Kitas, Ausfälle im Bahn- und Busverkehr, Absage von Events sowie eingeschränkte Öffnungszeiten in der Verwaltung und Gastronomie.

Eltern, die wegen Unterrichtsausfall, kranken Kindern oder eigener Krankheit nicht zur Arbeit kommen, fehlen als Arbeitskräfte in den Unternehmen. Dadurch kommt es zu Arbeitsausfällen, die den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen gefährden. Infektionsschutz ist daher wichtig, um die Gesundheit zu schützen und die wirtschaftliche Stabilität unseres Landes zu sichern, wie auch die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Lufthygiene betont.

Angesichts dessen erscheint es wie eine Münsteraner Variante des Schildbürgerstreichs, die vorhandenen Luftfilter just zu Beginn des neuen Schuljahres aus den Schulen entfernen und verschrotten zu wollen, anstatt sie endlich zum Schutz der Gesundheit zu nutzen und das Infektionsrisiko zu reduzieren. Genauso könnte man erwägen, Sicherheitsgurte aus Autos auszubauen und das Rauchen in öffentlichen Innenräumen wieder zu erlauben.

Das Wegwerfen der Luftfilter wäre nicht nur schlecht für die Gesundheit und die Umwelt, es wäre auch eine große Verschwendung von Steuergeldern.

Als Eltern von Kindern in Münsteraner Schulen fordern wir daher von Verwaltung und Rat, die Pläne zur Entsorgung der Luftfilter auf Eis zu legen. Die Luftqualität in den Schulen muss nachhaltig verbessert werden. Entweder durch den Einsatz der vorhandenen Luftfilter, inklusive der nötigen Wartung – das wäre das Naheliegendste. Oder durch geeignete Alternativen. Die Gesundheit unserer Kinder und ihrer Familien sollte dies wert sein.

Herzliche Grüße

Ihre Jana Schroeder

PS

RUMS-Kolumnen und Gastbeiträge sind Briefe, die einzelne Personen Ihnen schreiben. Dieser Beitrag geht aber auf eine Initiative mehrerer Menschen zurück, die ihre Expertise eingebracht haben. Das sind: Luise Erpenbeck (Medizin-Professorin), Cornelia Beeking (Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin), Lydia Lüttich-Jaspers (Rechtsanwältin) sowie Nike Strobelt (Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin).

Portrait Gastbeitrag Jana Schroeder

Jana Schroeder

Dr. Jana Schroeder ist Fachärztin für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie und Infektiologin. Sie ist als Chefärztin im Institut für Krankenhaushygiene und Mikrobiologie in einem Klinikverbund im Münsterland tätig. Im Laufe der Coronapandemie hat sie sich insbesondere dafür eingesetzt, den Infektionsschutz und die soziale Teilhabe von Kindern gemeinsam zu denken und umzusetzen. Immer wieder macht sie sich für medizinische Aufklärung und seriöse Wissenschaftskommunikation stark.

Die RUMS-Kolumnen

Immer sonntags schicken wir Ihnen eine Kolumne. Das sind Texte, in denen unsere acht Kolumnistinnen und Kolumnisten Themen analysieren, bewerten und kommentieren. Die Texte geben ihre eigene Meinung wieder, nicht die der Redaktion. Mitgliedschaften in politischen Parteien oder Organisationen machen wir transparent. Wenn Sie zu den Themen der Kolumnen andere Meinungen haben, schreiben Sie uns gern. Wenn Sie möchten, veröffentlichen wir Ihre Zuschrift im RUMS-Brief. Wenn Sie in unseren Texten Fehler finden, freuen wir uns über Hinweise. Die Korrekturen veröffentlichen wir ebenfalls im RUMS-Brief.

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