Gastbeitrag von Yannic Werremeier | Der Zauber der Einbahnstraße

Porträt von Yannik Werremeier
Mit Yannic Werremeier

Ein Hinweis vorab: Eigentlich sollte heute der Kultur-Brief erscheinen. Der muss leider wegen Krankheit ausfallen. Stattdessen erscheint heute ein Gastbeitrag.

Guten Tag,

vor mir Bremslichter, Stau auf der Hammer Straße. Es ist mal wieder zu voll. Auch auf den Radwegen in Münster ist das oft so, vor allem morgens, wenn alle zur Arbeit, zur Schule oder zur Uni fahren. Platzmangel auf den Radwegen, Straßen und Gehwegen ist ein Problem, mit dem viele Großstädte zu kämpfen haben. Lösungsansätze gibt es viele.

Städte wie London haben eine City-Maut eingeführt, um das Autofahren zu verteuern und damit die Zahl derer, die sich das Autofahren noch leisten können, zu reduzieren.

Anderswo setzt man auf autofreie Straßen, Stadtteile, Innenstädte. Oder man versucht, durch Bus- und Umweltspuren, Velorouten und Radschnellwege die Menschen zum Umsteigen zu bewegen.

Ein oft diskutiertes und angewandtes Mittel sind Tempo-30-Zonen und -Straßen – damit auch Radfahrerinnen und Radfahrer die Wege sicher und gern mitnutzen.

Außerdem gilt: Bei geringeren Geschwindigkeiten passen mehr Fahrzeuge auf die gleiche Fläche, weil die nötigen Sicherheitsabstände schrumpfen. Und nicht zuletzt: Es wird leiser auf den Straßen.

Doch ganz ohne Auto geht es nicht. Sogar jene, die ohne eigenes Auto auskommen, profitieren am Ende doch davon, dass es Autos gibt.

Manchmal gibt es schlicht keine Alternative zum Auto. Einen Supermarkt per Fahrrad zu beliefern, ist kaum machbar. Rettungskräfte und Polizei können nicht mit dem Bus zum Einsatzort fahren, und die Müllabfuhr mit der Schubkarre würde ewig dauern, die Abfallgebühren wären deutlich höher.

Weniger Stillstand, weniger Stau

Der Platzbedarf für den Autoverkehr lässt sich allerdings deutlich verringern, ohne dass im Notfall der Rettungswagen nicht mehr bis vor die Haustür kommt. Ein Modell, das in den vergangenen Jahren wenig Aufmerksamkeit bekommen hat, aber im Kleinen erstaunlich gut funktioniert, ist die Einbahnstraße.

Beliebt ist sie vor allem in historisch gewachsenen Altstädten oder Wohnquartieren mit enger Bebauung. Auch in Münster gibt es viele Beispiele in innerstädtischen Wohnvierteln wie dem Kreuz- oder Südviertel. Denkbar wäre die Einbahnstraße auch für Hauptverkehrsstraßen, zum Beispiel die Hammer Straße.

Hauptverkehrsstraßen sind oft nicht nur wichtige Routen für den Autoverkehr – hier verlaufen auch Buslinien und teilweise Velorouten.

Hinzu kommen Geschäfte, Supermärkte, Cafés und Kneipen. Gerade deshalb wäre es sinnvoll, die Zahl der Fahrstreifen zu reduzieren und den Gehwegen mehr Platz zu geben. Einbahnstraßen können dabei nicht nur Raum schaffen, sondern auch den Verkehrsfluss verbessern. Denn die eigentlichen Nadelöhre auf vielen Hauptstraßen in Münster sind die Kreuzungen und Kreisverkehre.

Eine durchschnittliche Ampelkreuzung mit separater Linksabbiegespur hat vier Phasen – mit Busspuren und zusätzlichen Rechtsabbiegephasen für Autos, die den Radverkehr schützen sollen, werden daraus schnell sechs bis acht. Das bedeutet: weniger Grünzeit für Einzelne.

Einbahnstraßen reduzieren diese Komplexität. Ohne Gegenverkehr entfallen Linksabbieger – und damit Ampelphasen. Das Ergebnis: längere Grünzeiten, weniger Stillstand, weniger Stau.

Auch an Kreuzungen ohne Ampeln fließt der Autoverkehr besser, wenn kein Gegenverkehr das Linksabbiegen blockiert. Genau deshalb ist das Linksabbiegen auf stark befahrenen Straßen oft verboten.

Ein geschützter Radweg

Ein ähnliches Problem gibt es auch beim Rechtsabbiegen – wenn auf dem Radweg viel los ist, wird es auch hier eng. Der große Vorteil bei der Umwandlung in eine Einbahnstraße liegt in der Fläche, die dadurch frei wird.

Dieser Raum lässt sich für zusätzliche Fahrspuren, Parkplätze oder Bus- und Umweltspuren nutzen. Am sinnvollsten ist es aber, ihn für Radwege zu verwenden – aus gleich mehreren Gründen, die nicht nur Radfahrenden zugutekommen.

Zuvor aber noch einmal zurück zur Frage, wie man sicherstellen kann, dass Feuerwehr und Polizei im Ernstfall schnell zum Einsatzort kommen – ohne sich mit Blaulicht gegen die Fahrtrichtung durch volle Einbahnstraßen kämpfen zu müssen.

Sie möchten dieses Thema mit anderen Leser:innen diskutieren oder uns Hinweise geben

Nutzen Sie einfach unsere Kommentarfunktion unterhalb dieses Textes. Wenn Sie diese Kolumne gerade als E-Mail lesen, klicken Sie auf den folgenden Link, um den Text auf unserer Website aufzurufen:

diese Kolumne kommentieren

Die Antwort lässt sich gut am Beispiel der Hammer Straße zeigen. Aktuell besteht sie aus Gehwegen, einem Radweg, je einem Fahrstreifen pro Richtung und zwei Parkstreifen.

Wird die Hammer Straße zur Einbahnstraße, kann man einen der beiden Fahrstreifen samt angrenzendem Parkstreifen neu nutzen. Aus dieser Fläche entsteht ein geschützter Radweg; das Fachwort ist: „Protected Bike Lane“.

Der baulich abgetrennte Radweg wäre vier bis viereinhalb Meter breit und würde in beide Richtungen befahrbar sein.

Grundsätzlich raten Regelwerke von Zweirichtungsradwegen an Straßen mit vielen Einmündungen und Zufahrten – wie der Hammer Straße – eher ab. Die Unfallgefahr ist dort besonders hoch, weil Autofahrende meist nur den Verkehr aus einer Richtung erwarten.

Vorteile liegen auf der Hand

Radfahrende aus der Gegenrichtung stellen einen zusätzlichen Verkehrsstrom dar, der das Ein- und Ausfahren erschwert. Wird die Straße jedoch zur Einbahnstraße, entfällt der Autoverkehr aus der Gegenrichtung. Das vereinfacht die Situation deutlich.

An den Zweirichtungsradverkehr kann man sich außerdem gewöhnen, vor allem wenn es künftig an vielen Hauptstraßen entsprechende Radwege gibt und an den Zufahrten gut sichtbar auf die besondere Situation hingewiesen wird. Außerorts ist ein gemeinsamer Geh- und Radweg in beide Richtungen längst Standard.

Die Vorteile für die Radfahrenden liegen auf der Hand. Ausreichend Platz, um bequem nebeneinander zu fahren oder zu überholen, kein ständiges Umfahren von Bäumen, Buswartehäuschen, Verkehrsschildern oder Werbetafeln, klare Trennung von Geh- und Radweg, glatter Asphalt und kein ständiges Auf und Ab an Einmündungen wie beim Bordsteinradweg.

Anonymer Briefkasten

Anonymer Briefkasten

Haben Sie eine Information für uns, von der Sie denken, sie sollte öffentlich werden? Und möchten Sie, dass sich nicht zurückverfolgen lässt, woher die Information stammt? Dann nutzen Sie unseren anonymen Briefkasten. Sie können uns über diesen Weg auch anonym Fotos oder Dokumente schicken.

zum anonymen Briefkasten

Vorteile ergeben sich auch für Winterdienst, Straßenreinigung, Feuerwehr und Polizei. Auf den breiten, geraden Radfahrstreifen können große Kehrmaschinen und Streufahrzeuge eingesetzt werden, was die Arbeit einfacher, schneller und kostengünstiger macht.

Rettungskräfte können den Radfahrstreifen als schnellen Weg zum Unfallort nutzen. Vier Meter Breite bieten ausreichend Platz zum Überholen, und im Notfall ist es mit dem Fahrrad deutlich einfacher, Feuerwehr und Polizei Platz zu machen, als mit einem Lastwagen an einer verstopften Ampelkreuzung.

Doch wie lässt sich die Idee der Einbahnstraßen konkret umsetzen? Es ist deutlich schwieriger, eine Hauptverkehrsstraße wie die Hammer Straße zur Einbahnstraße zu machen als kleine Straßen in einem begrenzten Quartier wie dem Kreuzviertel.

Die Struktur ist typisch

Bei Hauptachsen muss man das ganze Stadtgebiet im Blick haben. Zeichnet man auf einem Stadtplan nur die Hauptverkehrsstraßen ein, erinnert das Ergebnis schnell an ein überdimensionales Spinnennetz: Straßen, die sternförmig von innen nach außen führen, dazwischen ringförmige Verbindungen rund ums Zentrum.

Diese Struktur ist typisch für Städte mit mittelalterlichen Stadtmauern – oft verlaufen die heutigen Ringe genau dort, wo früher die Stadtbefestigung stand.

Als Einbahnstraßen eignen sich vor allem Straßen, die entweder von außen ins Zentrum oder vom Zentrum nach außen führen. Eine Straße bringt den Verkehr hinein, eine andere wieder hinaus.

Die dazwischenliegenden Ringe verbinden diese Einbahnachsen und ermöglichen den Richtungswechsel. Im Süden wären das zum Beispiel Mecklenbecker, Weseler und Hammer Straße.

Im Osten bilden Wolbecker und Warendorfer Straße ein sinnvolles Paar, ergänzt durch den Albersloher Weg als zusätzliche Zu- oder Abfahrt.

Aus dem Norden gelangt man über die Grevener Straße in die Innenstadt und verlässt sie über Kanalstraße oder Hoher Heckenweg.

Im Westen stehen Steinfurter Straße, Einsteinstraße und erneut die Mecklenbecker Straße zur Verfügung.

Wichtig ist dabei: Die Ein- und Ausfahrtsstraßen sollten sich abwechseln, benachbarte Straßen sollen ein Paar bilden, eine Straße führt in die Stadt, die andere heraus – und idealerweise ist die Ausfahrt aus der Stadt einfacher als die Einfahrt. So lassen sich Staus besser vermeiden.

Kleiner Umweg ohne Einfluss

Für Menschen, die aus dem Umland nach Münster pendeln, würde sich wenig ändern. Schon vor der Stadtgrenze können sie sich auf die passende Einfahrtsstraße einordnen.

Liegt das Ziel an einer Ausfallstraße, ist ein Wechsel auf den Ring nötig – ein kleiner Umweg, der auf die Gesamtstrecke kaum Einfluss hat.

Der Rückweg ist meist sogar schneller, weil man sich bereits auf der richtigen Straße befindet. Deutlich größer sind die Veränderungen für Autofahrende, die nur innerhalb der Innenstadt unterwegs sind.

Viele Ziele lassen sich nicht mehr direkt ansteuern – es entstehen Umwege. Gerade für Kurzstrecken wird das Auto dadurch unattraktiver. Mit dem Fahrrad, dem E-Roller oder zu Fuß ist man dann meist schneller und direkter unterwegs.

Die Hoffnung: In Zukunft werden mehr dieser kurzen Wege nachhaltig zurückgelegt. Das schont das Klima, verringert den Autoverkehr – und schafft mehr Platz auf der Straße.

Herzliche Grüße

Ihr Yannic Werremeier

Porträt von Yannik Werremeier

Yannic Werremeier

… ist 1991 geboren, zum Studium nach Münster gekommen – und geblieben. An der Fachhochschule studierte er Bauingenieurwesen. Für die Stadt Münster war er als Verkehrsplaner tätig und arbeitete unter anderem an der Planung und Umsetzung der Velorouten. Derzeit ist er beim Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Westdeutsche Kanäle beschäftigt und betreut den Ausbau des Dortmund-Ems-Kanals in Münster. Er ist Vater von zwei Kindern und in Münster zu Fuß, mit dem Rad und dem Auto unterwegs.

Gastbeitrag

In unregelmäßigen Abständen veröffentlichen wir Gastbeiträge. Die Texte analysieren, bewerten und kommentieren aktuelle Themen und geben die persönliche Meinung der Autorin oder des Autors wieder, nicht die der Redaktion. Mitgliedschaften in Parteien oder Organisationen machen wir kenntlich. Sie haben eine andere Meinung oder finden einen Fehler? Schreiben Sie uns gern. Wir veröffentlichen Leserzuschriften und Korrekturen im RUMS-Brief.

Ihnen gefällt dieser Beitrag?

Wir haben Ihnen diesen Artikel kostenlos freigeschaltet. Doch das ist nur eine Ausnahme. Denn RUMS ist normalerweise kostenpflichtig (warum, lesen Sie hier).

Mit einem Abo bekommen Sie:

  • 2x pro Woche unsere Briefe per E-Mail, dazu sonntags eine Kolumne von wechselnden Autor:innen
  • vollen Zugriff auf alle Beiträge, Reportagen und Briefe auf der Website
  • Zeit, sich alles in Ruhe anzuschauen: Die ersten 6 Monate zahlen Sie nur einen Euro.

Wir freuen uns sehr, wenn wir Sie ab heute in der RUMS-Community begrüßen dürfen!

Bitte melden Sie sich an, um zu kommentieren.
Anmelden oder registrieren