Gastbeitrag von Karla Fuhrmann | Kennen Sie Lublin?

Portrait Karla Fuhrmann (Gastbeitrag)
Mit Karla Fuhrmann

Guten Tag,

es wird Menschen in Münster geben, die nicht wissen, wo Lublin liegt – geschweige denn, dass es sich dabei um Münsters Partnerstadt handelt. Schade eigentlich, denn Städtepartnerschaften leben nicht allein von formalen Verbindungen oder gelegentlichen Besuchen von Schulklassen oder Delegierten. Sie brauchen echte Begegnungen, Austausch auf Augenhöhe und Aufmerksamkeit in der Stadtgesellschaft.

Ich habe mich gefragt, ob es nicht im Sinne einer Städtepartnerschaft wäre, Einwohner:innen der jeweiligen Städte zum gegenseitigen Austausch zu ermutigen. Das übernehme ich jetzt in einem ersten Versuch mit meinem Reisebericht aus Lublin. Vielleicht sucht ja noch jemand nach einer Städtetrip-Idee für den Sommer?

Ich hatte nämlich das Glück, Lublin selbst besuchen zu können. Die Stadt liegt im Osten Polens, nahe der Grenze zur Ukraine. Sie hat eine wunderschöne Altstadt, ist aber zugleich geprägt von typisch osteuropäischer Urbanität: Plattenbauten, Bushaltestellen mit Wellblechdächern, bunte Reklametafeln.

Die erste Gemeinsamkeit mit Münster: Auch Lublin ist eine Studentenstadt. Lebendig, grün und charmant. Das Wappentier Lublins ist eine Ziege. Diese findet man verteilt in der gesamten Altstadt in Form kleiner Statuen. Ein guter Anhaltspunkt, um die Stadt zu erkunden.

Nächste Gemeinsamkeit: Ähnlich wie in Münster die Türmerin, gibt es in Lublin einen Trompeter, der pünktlich um 12 Uhr vom Rathausbalkon das traditionelle „Lublin heynal“ spielt.

Kulturzentrum im Kloster

Wer die Außengebiete erkunden möchte, kann den Stadtwald bewandern, entlang des Flusses Bystryca spazieren, den Stausee Zemborzycki umrunden oder einfach in Münsteraner Manier die Gegend mit dem Fahrrad erkunden. Das Radwegenetz ist gut ausgebaut. Eine besondere Empfehlung möchte ich für den Laden „LubVintage“ aussprechen, welcher besonders schöne ältere Einrichtungsgegenstände verkauft. Sehr nah am Zentrum und definitiv einen Besuch wert. Doch nun zu den Dingen, die Lublin wirklich besonders machen.

Ein Besuch des Gemeindezentrums Baobab hinterließ einen bleibenden Eindruck bei mir. Benannt ist es nach einem afrikanischen Affenbrotbaum, der früher auf dem zentralen Platz der Stadt (Plac Litewski – Litauer Platz) stand und ein beliebter Treffpunkt war.

Das Rathaus von Lublin. Mittags um 12 Uhr spielt ein Trompeter auf dem Balkon das traditionelle „Lublin heynal“.
Das Rathaus von Lublin. Mittags um 12 Uhr spielt ein Trompeter auf dem Balkon das traditionelle „Lublin heynal“. Foto: Fuhrmann

Heute steht der Name Baobab symbolisch für ein offenes Miteinander und den Austausch in Lublin. Im Baobab sprach ich mit Mitarbeiter:innen der Stiftung Homo Faber, die sich für Menschenrechte, Diversität und Integration in Lublin einsetzen. Eines ihrer Projekte – die Integration Support Group – stellt Neuankömmlingen in Lublin eine Art Unterstützerkreis zur Seite: Menschen, die helfen, sich in der neuen Stadt zurechtzufinden, Kontakte zu knüpfen und wirklich anzukommen.

In Gesprächen mit Aktivist:innen im Baobab wurde mir außerdem bewusst, wie nah die dramatischen Ereignisse an der polnisch-belarussischen Grenze sind – und wie groß der Einsatz zivilgesellschaftlicher Gruppen vor Ort.

Ein weiterer Besuch führte mich in das Kulturzentrum von Lublin, untergebracht in einem ehemaligen Kloster mit einem wunderschönen Innenhof, der heute für Konzerte und Theateraufführungen genutzt wird. Dort erzählte mir der Leiter – selbst Mitglied der kleinen jüdischen Gemeinde Lublins – von den Veränderungen, die der russische Angriffskrieg mit sich brachte: Viele Künstler:innen aus Belarus und der Ukraine haben mittlerweile in Lublin eine neue künstlerische Heimat gefunden und prägen das Kulturleben maßgeblich mit.

Heilige Dreifaltigkeit der Kartoffeln

Abends besuchte ich einen besonderen Ort: die Jeschiwa Chachmei Lublin, einst eine der bedeutendsten jüdischen Talmudschulen Europas, das „Oxford der jüdischen Welt“, wie man mir sagte. Heute befindet sich in dem historischen Gebäude ein Hotel, eine Synagoge und ein kleines Museum. Die jüdische Geschichte der Stadt reicht bis ins 14. Jahrhundert zurück – inzwischen ist die Gemeinde nur noch sehr klein.

Neben diesen vielen bewegenden Begegnungen durften natürlich auch kulinarische Eindrücke nicht fehlen. So etwa ein Besuch in einer typischen polnischen Kantine („Galeria Smaku“), wo ich die Heilige Dreifaltigkeit der Kartoffeln in Form von Butterkartoffeln, Leniwe Kluski (faule Klöße) und Ofenkartoffeln probierte, oder ein Abendessen in einem georgischen Restaurant („Jazzve“) mit köstlichen Pelmeni und einem besonders guten Früchtetee.

An Nachtleben hat Lublin einiges zu bieten. Viele Bars befinden sich in der Altstadt und auf einer der Hauptstraßen der Innenstadt. Das Angebot ist bunt durchmischt und eine besondere Erfahrung machte ich abseits des Trubels in einer Seitenstraße des Litauer Platzes.

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Inmitten eines Schneegestöbers (der Besuch war noch im Winter) fanden meine Freund:innen und ich eine Kellerkneipe, welche von außen mit einer bunten Lichterkette beleuchtet wurde.

Ein bisschen beäugt wurden wir schon bei unserem wortwörtlichen Hereinschneien, sahen wir doch etwas anders aus als das durchschnittliche Publikum der Kneipe. Im Hintergrund flackerte ein Kaminfeuer und aus einem weiteren Raum tönte lauter Metal-Gesang. Wir waren in einer Metal-Bar gelandet, welche an diesem Abend eine Karaokenacht veranstaltete.

Schnell ging es für uns an die Theke, wo die Wahl auf Bier mit Sirup fiel. Eine polnische Spezialität, die ich nur empfehlen kann. Mit jedem weiteren Bier wurde die Runde mutiger, bis sich irgendwann zwei von uns an die Mikrofone trauten, um einen der berühmtesten ungarischen Rock-Songs (Gyöngyhajú Iány) zu performen.

Öfter nach Osten schauen

In Deutschland ist die Coverversion der Scorpions, „White Dove“, wahrscheinlich bekannter. Ein Herr begleitete unsere Sänger:innen auf der E-Gitarre und die ganze Pinte sang (oder summte) begeistert mit.

Ungarisch ist immerhin nicht die einfachste Sprache. Im Anschluss sangen wir „Toxic“ von Britney Spears und ich möchte fast meinen, dass dieser Song mit noch mehr Begeisterung aufgenommen wurde als der Erste. (Für alle Interessierten: Die Kneipe heißt „PUB pod Ziemią“)

Das „Portal“ auf dem Litauer Platz. Durch das Auge kann man von hier live nach Vilnius in Litauen schauen.
Das „Portal“ auf dem Litauer Platz. Durch das Auge kann man von hier live nach Vilnius in Litauen schauen. Nur leider in diesem Moment nicht. Foto: Fuhrmann

Mitten auf dem Litauer Platz steht übrigens ein Portal, welches die litauische Stadt Vilnius mit Lublin verbindet. In Echtzeit sehen sich Menschen aus Lublin und Vilnius auf dem Bildschirm des Portals und können nonverbal miteinander agieren. Ziel des Projekts war es, „(…) die Welt ohne Grenzen und Vorurteile zu erfahren und miteinander über Hunderte von Kilometern in einen Dialog zu treten“.

Mein Fazit: Lublin hat viel zu bieten. Und unsere Städtepartnerschaft ist mehr als ein politisches Symbol. Sie ist eine Einladung, voneinander zu lernen, neue Perspektiven zu gewinnen und Brücken zu bauen – nicht zuletzt in Zeiten, in denen Europa enger zusammenrücken muss. Vielleicht sollten wir in Münster öfter mal nach Osten schauen (oder reisen). Es lohnt sich.

Herzliche Grüße

Ihre Karla Fuhrmann

Portrait Karla Fuhrmann (Gastbeitrag)

Karla Fuhrmann

… geboren in Münster, studiert Geschichte sowie Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Münster. Neben ihrer Tätigkeit als studentische Hilfskraft im Bereich Osteuropäische Geschichte arbeitet sie in der Gastronomie – beides mit viel Neugier für Menschen und Geschichten. In ihrer Bachelorarbeit beschäftigt sie sich mit Fußball in Ex-Jugoslawien – einem ihrer Lieblingsthemen, neben Sprachen, Südosteuropa und ihrer Heimatstadt Münster.

Gastbeitrag

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