Gastbeitrag von Yannic Werremeier | Ideen für einen besseren Busverkehr

Porträt von Yannik Werremeier
Mit Yannic Werremeier

Guten Tag,

meine Tochter möchte in den Zoo. Und sie will mit dem Bus fahren. Also stehen wir jetzt an der Haltestelle und warten. Eigentlich hätte der Bus schon vor ein paar Minuten hier sein sollen. Ich bin in den letzten Jahren selten Bus gefahren, und als wir schließlich über den Prinzipalmarkt rumpeln, fällt mir wieder ein, warum. Das Schaukeln auf dem Kopfsteinpflaster, das ständige Stop-and-Go – nach kurzer Zeit ist mir schlecht. Busfahren ist vor allem etwas für Menschen mit viel Zeit und einem robusten Magen.

Gleichzeitig gilt: Ohne Busse und Bahnen ist weder eine Verkehrswende noch mehr Klima- und Umweltschutz oder mehr Platz auf den Straßen vorstellbar. Trotzdem ist der Anteil der Menschen in Münster, die ihre täglichen Wege mit dem Bus zurücklegen, leicht gesunken – von zehn Prozent im Jahr 2019 auf acht Prozent im Jahr 2022. Dafür waren 2022 mehr Menschen zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs als noch drei Jahre zuvor.

Zu langsame Linienbusse

Ein zentrales Problem der Stadtbusse ist ihre Geschwindigkeit. Laut Verkehrsclub Deutschland (VCD) liegt sie in Münster im Schnitt bei gerade einmal 15 bis 17 Kilometern pro Stunde. Damit ist der Bus schlicht zu langsam, um eine echte Alternative zum Auto oder zum Rad zu sein. Das hat zwei Gründe: Zum einen die Infrastruktur. Verstopfte Straßen, fehlende Busspuren und Ampeln bremsen den Bus aus (RUMS-Brief). Die Gegenmittel wären vergleichsweise simpel: mehr Busspuren und Vorrang an den Ampeln. Dazu später mehr.

Verstopfte Straßen und rote Ampeln bremsen auch den Autoverkehr, trotzdem ist das Auto in der Regel schneller. Und damit sind wir beim zweiten Grund. Der Stadtbus steckt in einem klassischen Zielkonflikt. Was ihn am meisten ausbremst, sind die Fahrgäste selbst – mit ihrem Wunsch, überall ein- und auszusteigen. Dazu kommt der Versuch, Haltestellen möglichst gleichmäßig im Stadtgebiet zu verteilen. So fährt der Bus Schleifen durch Wohngebiete und macht Umwege zu wichtigen Knotenpunkten wie dem Bült oder dem Bahnhof.

In Münster liegen die Haltestellen oft nur wenige hundert Meter auseinander. Für alle, die dort ein- oder aussteigen wollen, ist das bequem. Für alle anderen bedeutet es: ständiges Anhalten, geringere Geschwindigkeit, lange Fahrzeit. Die naheliegende Lösung wäre, den Abstand der Haltestellen zu vergrößern. Aber das wirft die nächste Frage auf: Wer nutzt eigentlich den Bus? Denn klar ist auch: Mehr Abstand heißt längere Fußwege – und die sind nicht für alle machbar oder attraktiv.

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Ein Blick in die Statistik liefert die Antwort: Busse nutzen vor allem Menschen, die entweder noch keinen Führerschein haben oder sich das Autofahren im Stadtverkehr nicht mehr zutrauen. Mit anderen Worten: Jugendliche und ältere Menschen steigen häufiger in den Bus als andere Altersgruppen. Könnten Jugendliche schon Auto fahren, sähe die Statistik vermutlich ganz anders aus. Und mit der Vision autonomer Autos dürfte auch ein Teil der älteren Fahrgäste auf den Bus verzichten.

Damit ist klar: Am jetzigen Angebot muss sich dringend etwas ändern, wenn der Bus auch künftig attraktiv bleiben und neue Nutzergruppen gewinnen soll. Wir wollen uns zwei Nutzergruppen genauer anschauen und ein paar ambitionierte Ideen entwickeln, um den Busverkehr langfristig zukunftsfähig zu machen.

Nahverkehr auf Bestellung

Zur ersten Gruppe gehören Menschen, die wegen ihres Alters, körperlicher Einschränkungen oder schlicht wegen viel Gepäck im besten Fall direkt an der Haustür oder an der nächsten Straßenecke abgeholt werden – und dorthin, wo sie hinwollen: zum Ziel selbst oder zumindest zur nächsten Bus- oder Bahnhaltestelle gebracht werden. Typische Beispiele: die ältere Frau auf dem Weg zum Arzt, die Familie mit kleinen Kindern, die mit der Bahn in den Urlaub fahren will, oder der Rollstuhlfahrer, der in die Innenstadt möchte.

Für sie braucht es Kleinbusse, die man bestellen kann, die ohne festen Fahrplan oder feste Route unterwegs sind – und bei denen der Fahrer beim Ein- und Aussteigen hilft. Im Prinzip funktioniert das wie ein Taxi, nur dass unterwegs auch noch andere Fahrgäste zusteigen können. Ein solches Angebot gab es in Münster schon einmal: den Loop-Bus der Stadtwerke, der allerdings aus Kostengründen wieder eingestellt wurde.

Würde man ein solches Angebot auf die ganze Stadt und vielleicht sogar ins Umland ausweiten, könnte der Nahverkehr auf Bestellung die klassischen Taxis und ähnliche Dienste ersetzen. Wartende Wagen mit laufendem Motor oder Fahrten, bei denen nur ein einziger Fahrgast befördert wird, gehören dann der Vergangenheit an. Das wäre gut fürs Klima und würde den Autoverkehr insgesamt verringern. Gleichzeitig ließen sich Taxiunternehmen und -fahrer in das System integrieren – ein Weg, um dem wachsenden Mangel an Busfahrern etwas entgegenzusetzen.

Mit dem Rad zum Bus

Die zweite Gruppe sind Menschen, die grundsätzlich gut zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sind – für die der Weg aber manchmal zu weit ist oder das Wetter eine gemütliche Radtour unmöglich macht. Dazu zählen vor allem Berufspendler und Alleinreisende mit leichtem Gepäck. Für sie braucht es schnelle Verbindungen, die längere Distanzen ohne viele Zwischenstopps zurücklegen. Gemeint sind Verbindungen zwischen Außen- und Innenstadtteilen sowie zwischen Münster und den Umlandgemeinden. Die passende Lösung heißt Münsterland-S-Bahn, Metrobus oder Schnellbus und ÖPNV-Hochleistungsachsen – allerdings etwas anders, als es bisher geplant ist.

Der erste Schritt wäre, die Zahl der Haltestellen deutlich zu reduzieren. Ein Beispiel: Die Linie 9 fährt vom Bült in der Altstadt zur Marktallee in Hiltrup, über die Hammer Straße. Für die knapp acht Kilometer braucht der Bus rund 30 Minuten – und passiert dabei 18 Haltestellen. Im ungünstigsten Fall heißt das: 18 Mal bremsen, anfahren, Türen öffnen und schließen, Fahrgäste ein- und aussteigen lassen. Mit dem Auto dauert die gleiche Strecke bei ähnlicher Verkehrslage nur etwa 20 Minuten. Der Abstand zwischen den Haltestellen liegt hier bei rund 450 Metern. Würde man ihn auf knapp zwei Kilometer erhöhen, blieben nur noch vier Haltestellen.

Ein Kilometer bis zur nächsten Haltestelle kann sich ganz schön ziehen. An dieser Stelle kommen andere Verkehrsmittel ins Spiel: E-Scooter und Leihfahrräder. Bushaltestellen könnten um feste Stationen ergänzt werden – mit integrierten Ladeanschlüssen für Scooter und Räder. Das Stichwort dazu heißt: Mobilitätsstationen. Alternativ könnte man auch das eigene Rad kostenlos im Bus mitnehmen.

Virtuelle Schienen und Kupplungen

Spätestens jetzt ist klar: Wenn auf einmal 30 Fahrgäste ihr eigenes Fahrrad mit in den Bus nehmen wollen, funktioniert das nicht. Es fehlt – mal wieder – am Platz. Also muss man über neue Fahrzeugkonzepte nachdenken. Statt immer größere Busse auf die Straßen zu schicken, könnte es sinnvoll sein, kleiner zu denken. Kleinere Fahrzeuge bedeuten weniger Fahrgäste, die gleichzeitig ein- und aussteigen. Das heißt: weniger Halten, kürzere Standzeiten, höhere Durchschnittsgeschwindigkeit. Damit trotzdem die gleiche Zahl an Menschen transportiert wird, müssten die Busse einfach häufiger fahren – was wiederum ein Vorteil wäre.

Allerdings führt mehr Angebot zu einem alten Problem, mit dem die Stadtwerke schon lange kämpfen: dem Fachkräftemangel. Und daran wird sich absehbar wenig ändern. Der Weg zum autonom fahrenden Bus scheint also unausweichlich. Am einfachsten ließe er sich auf die Schiene setzen – als Stadtbahn. Die hätte viele Vorteile: geringer Flächenverbrauch, leichte Automatisierung, weniger Versiegelung, kein Reifenabrieb und damit auch kein Mikroplastik. Zwei große Nachteile bleiben allerdings: die hohen Kosten und die geringe Flexibilität.

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Eine Alternative wären Busse, die über Sensoren in der Straße oder per GPS gesteuert werden. Fachleute sprechen dabei von der „virtuellen Schiene“. Der große Vorteil: Strecken lassen sich jederzeit ändern, ohne dass dafür aufwändig gebaut werden muss. Außerdem kann die Trasse mehrfach genutzt werden. Wer schon einmal mit dem Rad in einer Stadt mit Straßenbahn unterwegs war, weiß, wie gefährlich Schienen werden können. Ohne Schienen in der Fahrbahn ist Radfahren deutlich sicherer.

Wenn schon in einen normalen Stadtbus keine 30 Fahrräder passen, wie soll das erst bei kleineren Fahrzeugen funktionieren? Die Antwort sind kleine Fahrzeuge mit unterschiedlichen Aufbauten: eines für Fahrräder, eines mit Stehplätzen, eines mit Sitzplätzen oder mit Rampe. Je nach Linie und Fahrgastaufkommen können verschiedene Module zu einem Zug zusammengeschlossen werden – entweder mit einer echten oder mit einer virtuellen Kupplung. Das englische, ans Militär angelehnte Wort dafür lautet Platooning.

In Stuttgart gibt es bereits eine Straßenbahn mit Fahrradwaggon. Im Münsterland wiederum gibt es bereits Busse mit Anhängern für Fahrräder. Allerdings gibt es hier noch Luft nach oben – vor allem, wenn es darum geht, die Räder schneller und einfacher zu verladen.

Straßen für Busse

Ohne eigene Busspuren und Vorrang an den Ampeln ist der Linienbus kaum schneller als das Auto. Entscheidend ist deshalb eine Infrastruktur, die auf die Fahrzeuge zugeschnitten ist. Die heutigen Busse in Münster sind 2,55 Meter breit, entsprechend brauchen sie Fahrstreifen von rund 3,50 Metern. Wären künftige Busse schmaler und per GPS oder Sensoren exakt gesteuert – oder noch besser auf Schienen unterwegs – könnten auf einer heutigen Busspur Fahrzeuge in beide Richtungen fahren. Das wäre ein enormer Gewinn: Busspuren ließen sich viel leichter in beide Fahrtrichtungen einrichten.

Wie solche schmalen Fahrzeuge aussehen, kann man sich im Stadthaus 3 anschauen. Dort steht eine Straßenbahn aus dem Jahr 1926, die einst auf Münsters Straßen unterwegs war.

Alternativ könnten solche schmaleren Busse auch auf breiten Radwegen fahren. Ein Vorgeschmack darauf lässt sich an der Warendorfer Straße beobachten. Dort hat die Stadt vor einigen Monaten eine Umweltspur für Busse und Fahrräder eingerichtet. Wenn sich der Autoverkehr dort staut, weichen die Busse einfach auf die Spur aus und fahren vorbei. Denkbar wäre, dass sie diese Umweltspur dauerhaft nutzen – und dank einer eigenen Ampelphase bequem an den wartenden Autos vorbeiziehen.

Ein angenehmer Nebeneffekt: Umweltspuren kommen auch dem Radverkehr zugute. Dafür müssen sie allerdings so breit sein, dass Busse und Radfahrer sich problemlos überholen können. Sonst ist der Bus nur so schnell wie der langsamste Radfahrer – und Radfahrer müssten an jeder Haltestelle hinter dem Bus warten.

Bleibt die Frage: Woher sollen die Flächen für Umweltspuren eigentlich kommen? In dicht bebauten Stadtgebieten führt kein Weg daran vorbei, Platz vom Autoverkehr abzuzweigen – etwa durch Einbahnstraßen, wie ich es in meinem letzten Gastbeitrag beschrieben habe.

Von Pendler zum Busfahrer

Und dann gibt es noch die Menschen, die zu Zeiten unterwegs sind, in denen kaum Busse fahren – etwa Krankenhauspersonal und andere Schichtarbeiter. Für sie könnte eine organisierte Mitfahrgelegenheit die Lösung sein. Die erste oder zweite Person auf einer Route bekommt einen Kleinbus gestellt und übernimmt die Aufgabe, auf dem Weg zur Arbeit weitere Sammelpunkte oder Haltestellen anzufahren. So steigen nach und nach andere ein, die ein ähnliches Ziel haben.

Die Route und die Abfahrtszeiten wären öffentlich einsehbar, Sitzplätze ließen sich vorher buchen. Auf dem Heimweg funktioniert das Ganze einfach umgekehrt. Besonders geeignet wäre das für Pendlerinnen und Pendler aus dem Umland. Die Routen ließen sich flexibel anpassen – und wären klimafreundlicher als ein halbvoller großer Überlandbus. Das Problem des Fahrermangels wäre gelöst, weil die Fahrgäste selbst am Steuer sitzen. Während der Arbeitszeit könnte der Kleinbus von anderen genutzt werden. Am einfachsten wäre es, diese Fahrzeuge in ein Carsharing-System einzubinden. Das würde nebenbei auch das Parkplatzproblem entschärfen.

Es gibt viele gute Ideen, um den ÖPNV zu verbessern – auch im Masterplan der Stadt finden sich zahlreiche Vorschläge. Die entscheidende Frage ist nur: Warum werden sie nicht umgesetzt? Warum wird der Nahverkehr nicht endlich als Ganzes gedacht und ausgebaut?

Wir sind inzwischen im Zoo angekommen. Mir ist immer noch übel, meine Tochter dagegen ist begeistert. Ob ich den Rückweg mit dem Bus durchhalte, weiß ich nicht. Vielleicht nehmen wir besser das Schiff über den Aasee. Viel langsamer wären wir damit auch nicht – und die Aussicht ist eindeutig schöner.

Herzliche Grüße

Ihr Yannic Werremeier

Porträt von Yannik Werremeier

Yannic Werremeier

… ist 1991 geboren, zum Studium nach Münster gekommen – und geblieben. An der Fachhochschule studierte er Bauingenieurwesen. Für die Stadt Münster war er als Verkehrsplaner tätig und arbeitete unter anderem an der Planung und Umsetzung der Velorouten. Derzeit ist er beim Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Westdeutsche Kanäle beschäftigt und betreut den Ausbau des Dortmund-Ems-Kanals in Münster. Er ist Vater von zwei Kindern und in Münster zu Fuß, mit dem Rad und dem Auto unterwegs.

Gastbeitrag

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