Gastbeitrag von Joachim Harder | Musik-Campus gescheitert. Und jetzt?

Portrait von Gastautor Joachim Harder
Mit Joachim Harder

Guten Tag,

am Ende fand das heiße Eisen Musik-Campus nicht einmal mehr seinen Weg auf die Tagesordnung des Stadtrats. Oberbürgermeister Markus Lewe vermied im September 2024 durch Absetzung des Themas einen Änderungsantrag der Ratskoalition, der das endgültige Aus für sein Herzensprojekt bedeutet hätte.

Stattdessen fand der gewiefte Taktiker Ende November wieder einmal einen Ausweg aus der Sackgasse. Mit einem „Strategiewechsel“ sollte an die Stelle des gescheiterten Musik-Campus nun das „Urbane Musikquartier“ treten.

Was war passiert? Der Musik-Campus war ein Gemeinschaftsprojekt von Stadt und Universität. Nun musste die Universität nach neun Jahren intensiver Planung die Reißleine ziehen. Sie hat kein Geld für ihren Campusbeitrag: eine neue Musikhochschule mit Baukosten von ca. 115 Millionen Euro sowie eine Anteilfinanzierung von 20 Millionen Euro am Herzstück „Kulturbau“, also dem Konzert- und Kongresssaal.

Bei der gerade erst in 2024 von der Landesregierung vorgegebenen Masterplanung für den Hochschulbau in NRW ist nicht abzusehen, wann eine neue Musikhochschule in Münster überhaupt „dran“ wäre. Darauf wollte zunächst die Ratskoalition und jetzt auch der Oberbürgermeister nicht mehr länger warten.

Bereits im November 2023 hatte der Rat beschlossen, sich prioritär um die städtischen Belange des Projekts zu kümmern: eine neue Westfälische Schule für Musik, einen Probenraum für das Sinfonieorchester und Räume für die freien Musikakteure.

Am Standort Hittorfstraße (Coesfelder Kreuz) wurde allerdings festgehalten, um sich zumindest die Option für eine Musikhochschule – vielleicht sogar irgendwann den Kulturbau- in direkter Nachbarschaft zu bewahren. So weit, so klar.

Doch keine Hybridversion?

Nun aber schleicht sich mit dem „Strategiewechsel“ unauffällig ein neuer Begriff ins Konzept für das „Urbane Musikquartier“. Ein „Aufführungsort“ soll dort geschaffen werden. Was so bescheiden daherkommt, lässt eigentlich nur eine Interpretation zu: ein Konzertsaal soll gebaut werden! „Juchhu“ jubeln alle Musikakteure und das münstersche Publikum. „Das ist doch genau das, was wir wollen!“

Kulturbegeisterte Beobachter:innen reiben sich allerdings verwundert die Augen: Gerade noch war der Kulturbau wegen fehlender Mittel von der musikalischen Speisekarte gestrichen worden. Und jetzt taucht er unter anderem Namen wieder auf? Denn ein „Aufführungsort“ für ein Sinfonieorchester kann nichts anderes sein als ein Konzertsaal mit einer großen Bühne und entsprechendem Zuschauerraum.

Mit mindestens 800 Plätzen wie im Theater und einer exzellenten Akustik, denn daran genau fehlt es an der Neubrückenstraße. Auch die erforderliche Infrastruktur plus Personal eines solchen Gebäudes muss bereitgestellt werden (Stimmzimmer, Lagerräume, Garderoben, Foyer, Restauration).

Die Errichtung eines rein städtischen Konzertsaals hätte allerdings Folgen für den ehemaligen Partner: Denn der Rektor hatte sich vor allem für den Campus stark gemacht, weil er den Kulturbau in der Hybridversion für internationale Kongresse mit 1.400 Plätzen nutzen wollte, um mit diesem Merkmal im nationalen Uniranking zur Exzellenzuniversität aufsteigen zu können. Mit dem Bau eines reinen Konzertsaals wäre diese Doppelnutzung obsolet.

Der Herr der Luftschlösser

Eines hatten wir beim Musik-Campus gelernt: Er wäre sehr, sehr teuer geworden. Und wir ahnen: Auch ein „Aufführungsort“ würde Geld kosten. Geld, das bereits beim Kulturbau nicht reichte.

Der Stadtrat hatte im November 2023 beschlossen, keinen einzigen Euro aus der Stadtkasse für den Kulturbau zu bewilligen. Die erforderlichen 85 Millionen sollten aus drei Quellen kommen:

  • 20 Millionen aus Eigenmitteln der Universität
  • 12 Millionen von privaten und bisher anonymen Spender:innen (auf deren Zusagen Oberbürgermeister Lewe sich beruft)
  • 20 Millionen vom bundesweiten „KulturInvest”-Förderprogramm

Blieben in dieser Rechnung bereits 33 Millionen ungedeckt, waren selbst die angeführten Beträge nichts mehr als eine Spekulation und wären auch auf die Finanzierung des „Urbanen Musikquartiers“ nicht übertragbar:

  • Die Universität hat kein Interesse und zudem keine rechtliche Grundlage, einen kommunalen Konzertsaal zu fördern. Außerdem steckt sie mit einem aktuellen Haushaltsloch von 25 Millionen Euro in großen Finanznöten.
  • Ob die anonymen Spenden auch für das deutlich abgespeckte Projekt bereitstünden, ist zumindest zweifelhaft.
  • Mit den Bundesmitteln des Programms „KulturInvest” werden gezielt ausschließlich Projekte von nationaler Bedeutung finanziert. Ein kommunaler Konzertsaal würde dieses Kriterium sicher nicht erfüllen. Das müsste ehrlicherweise auch der SPD-Kandidat für das Amt des Oberbürgermeisters, Stephan Brinktrine, einräumen, der die neue Volte von Lewe öffentlich begrüßt hat und eine Mitfinanzierung durch „KulturInvest” weiterhin für möglich hält.

Beim Kassensturz bleiben also nur die vom Rat eingeplanten 70 Millionen Euro übrig, bestimmt für die neue Musikschule, Räume für die freie Szene und einen Orchesterprobenraum. Ist es schon fraglich, ob diese vor Jahren ermittelte Kostenschätzung aktuell überhaupt noch Bestand hätte, stünde die Finanzierung eines zusätzlichen Aufführungsortes völlig in den Sternen.

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Der Oberbürgermeister hat sich dazu auch nicht geäußert. Aber vielleicht genügt ihm ja, wenn nach dem Platzen des einen Luftschlosses das neu aufgepustete die heiße Luft wenigstens noch bis zum Ende seiner Amtszeit halten kann. Wird sich die Ratskoalition erneut auf ein so windiges Geschäft einlassen?

Der Mut, nach dem jahrelangen Hin und Her per Änderungsantrag endlich zu einer Entscheidung über den Musik-Campus zu kommen, hat sie sehr schnell wieder verlassen. Der Antrag ist einfach versandet. Aber auch wenn die Karten jetzt neu gemischt erscheinen: Der schwarze Peter, den niemand haben will, ist wieder dabei.

Und eine weitere Frage stellt sich: Wie ist der „Aufführungsort“ eigentlich in die Neuplanung geraten? Irgendwer muss auf diese Idee gekommen sein, denn sie war in den aktualisierten Plänen für den abgespeckten Musik-Campus nicht enthalten. Sollte es etwa Generalmusikdirektor Golo Berg gelungen sein, den Verantwortlichen klarzumachen, dass ein isolierter Probenraum, zwei Kilometer vom Theater Münster entfernt, ohne einen geeigneten „Aufführungsort“ in direkter Nachbarschaft ein ziemlicher Mumpitz ist?

Musikerinnen und Musiker sollen mit ihren Instrumenten zum Probenort pendeln, um am Ende doch wieder im für Sinfoniekonzerte ungeliebten Theater spielen zu müssen? Allein die jeweilige Umstellung auf die wechselnde Akustik belastet eine musikalische Produktion; vor allem, wenn der Probenraum besser klingt als der Konzertort.

Coesfelder Kreuz? Urban?

Am überraschendsten bei Lewes „Strategiewechsel“ -und nicht frei von Komik- ist allerdings das neue Etikett „Urbanes Musikquartier“. Eingerahmt von einer Kaserne, dem Coesfelder Kreuz, Wohnbebauung und einem riesigen Gelände mit reinen Unigebäuden für Forschung und Lehre, ohne Restaurants, Kneipen, ohne Geschäfte, Cafés oder Kinos, liegt das Grundstück für das „urbane“ Musikquartier.

Wird ein Stadtviertel denn urban schon dadurch, dass man es so bezeichnet? Der Oberbürgermeister kennt seine Stadt genau und weiß, dass diese Namensgebung ein wohlklingender Etikettenschwindel ist. Und die Ratskoalition? Ist sie auch bei dieser Mogelpackung wieder dabei?

Ein Konzertort, der Publikum anlocken will, ist tatsächlich auf ein urbanes Umfeld angewiesen. Nicht nur Kulturveranstalter und Stadtplanerinnen würden dies sofort bestätigen.

Sollte es also irgendwann tatsächlich die Finanzmittel für einen neuen Konzertsaal in Münster geben: Warum dann das Gebäude nicht gleich ins Zentrum setzen? Dort gibt es tatsächlich ein urbanes Umfeld. Und kulturelle Belebung täte Münsters Innenstadt sicherlich gut (Galeria!).

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Bedenkt man zusätzlich, dass sich die für den Musik-Campus prognostizierten Synergieeffekte (Hauptargument für den Standort Coesfelder Kreuz) durch den Wegfall der Musikhochschule ohnehin weitgehend erledigt haben, ließe sich fragen, ob für eine neue städtische Musikschule das Coesfelder Kreuz mit seinem abschreckenden Parkhaus auf der anderen Seite des Rings -für transportierende Eltern eher ein Alptraum- überhaupt ein geeigneter Standort ist.

Das Areal um die derzeitige Schule an der Himmelreichallee ist atmosphärisch und logistisch ideal. Und da sollte es guten Architekt:innen nicht gelingen, die Ertüchtigung des historischen Gebäudes, um einen intelligenten Anbau ergänzt, als überlegene und vielleicht sogar kostengünstigere Alternative zum Neubau an der Hittorfstraße zu entwickeln? Auch die Freie Szene wäre dort bestens untergebracht. Das wäre mal ein Leuchtturmprojekt.

Die Hoffnung, das ebenfalls in Finanznöte geratene Land Nordrhein-Westfalen würde in absehbarer Zeit doch noch eine neue Musikhochschule an die Hittorfstraße setzen, ist irgendwo zwischen Traum und bewusster Realitätsverweigerung anzusiedeln und daher als seriöses Argument für diesen Standort eher untauglich.

Geht da noch was?

Ein weiteres Kapitel der Never-Ending-Story wird aufgeschlagen. Das vorige bestand aus neun Jahren der Illusionen und nicht erfüllten Versprechungen. Neun lange Jahre, in denen Münsters musikalische Institutionen und die freien Musikakteure vergeblich auf die Verbesserung ihrer Infrastruktur gewartet haben.

Und jetzt? Allein durch den Wegfall des Bausteins Musikhochschule werden sich die Bedarfe und Perspektiven der verbleibenden musikalischen Akteure massiv ändern.

Es ist daher höchste Zeit für eine zukunftstaugliche und bedarfsorientierte Neubewertung und Anpassung der Pläne sowie deren solide Finanzierung. Eine Fortsetzung der fruchtlosen und frustrierenden Hängepartie, die schon seit langem nur noch der Gesichtswahrung der politischen Protagonisten dient, wäre fatal.

Aber für einen solchen wirklichen Strategiewechsel braucht es Mut, Ehrlichkeit und Weitsicht beim Oberbürgermeister und der Ratskoalition. Sind diese Tugenden wenige Monate vor der Kommunalwahl zu erwarten?

Immerhin: Eine kluge und gut kommunizierte Neuausrichtung bei diesem Thema böte den konkurrierenden politischen Akteuren vielleicht die Möglichkeit, sich nach Jahren halbherzigen Lavierens im anstehenden Wahlkampf als zukunftsfähig und entscheidungsfreudig zu profilieren.

Herzliche Grüße

Joachim Harder

Portrait von Gastautor Joachim Harder

Joachim Harder

Joachim Harder lebt seit 1973 mit Unterbrechungen in Münster. Er hat als Dirigent und Lehrer an den münsterschen Musikinstitutionen (Theater, Musikhochschule, Musikschule) gearbeitet. Als jahrzehntelangem Leiter des Studentenorchesters ist ihm der musikalische Amateurbereich genauso vertraut wie die professionelle Freie Szene. Mit seinem Ensemble „Einklang – Philharmonie für Alle“ hat er in den letzten Jahren viele außergewöhnliche Räume in Münster zu klassischen Konzertsälen gemacht, denen man diese Qualität vorher nicht angesehen hatte. Das Leuchtturmprojekt „Musik-Campus“ hat Harder von Anbeginn kritisch begleitet. Er hält neue Räume für die Musik in Münster für dringend erforderlich, Konzept und Standort des Campus-Projekts aber für falsch. In Zusammenarbeit mit der Initiative stadtkultur Münster sind detaillierte Analysen der musikalischen Infrastruktur Münsters sowie die Entwicklung alternativer Lösungen entstanden und bei stadtkultur-ms.de abrufbar.

Die Kolumne

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