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Die RUMS-Kolumne von Michael Jung | Schulpolitik: Chronik einer Hängepartie

Guten Tag,
der Rat hat in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause die Verwaltung beauftragt, bis zum Herbst einen Plan vorzulegen, wie die Schulzentren in Wolbeck und Hiltrup erweitert werden sollen. Das ist ohne Zweifel notwendig wegen massiv steigender Schüler:innenzahlen – es ist die Folge neuer Baugebiete und der Umstellung der Gymnasien auf G9.
Das Problem liegt darin, dass der Rat schon vor genau vier Jahren, nämlich im Sommer 2020, den Ausbau des Schulzentrums in Wolbeck beschlossen hat. Sie ahnen, was in der Zwischenzeit passiert ist. Genau, nichts. Und damit sind wir mittendrin.
Problem 1: Der Entscheidungsstau führt zu Problemen
Es war im Jahr 2017, als ein Mann von heiterer rheinischer Gemütsart die Landtagswahl etwas überraschend gewann und alsbald eine „Leitentscheidung“ verkündete, die Folgen für die Kommunen hatte: In Nordrhein-Westfalen sollte das Gymnasium wieder auf einen neunjährigen Lehrgang umgestellt werden.
Das bedeutete, dass es im Jahr 2026 keinen Abiturjahrgang geben würde, aber zugleich war klar: Ab diesem Jahr wird es voll an den Gymnasien. Denn anders als vor der G8-Episode gibt es in Münster inzwischen mehr Übermittagsangebote, mehr Differenzierung und mehr Kinder. Es gibt daher zu wenig Räume, die bestehenden Schulen müssen erweitert werden.
Für den zuständigen Schuldezernenten und Stadtdirektor Thomas Paal war seit dem Sommer 2017 also klar: Bis 2026 musste er Lösungen für dieses Problem entwickeln und umgesetzt haben. Das waren neun Jahre Zeit, und man sollte denken, bei elf städtischen Gymnasien eine klar definierte, terminierte und machbare Aufgabe. Bedarfe ermitteln, Lösungen entwickeln, Finanzierungswege finden, bauliche Umsetzung.
Inzwischen sind sieben Jahre vergangen, und die Uhr tickt laut. Paal wird diese Aufgabe nicht fristgerecht erledigt haben, viele Schulen werden nicht rechtzeitig fertig sein, für andere (wie das Schlaungymnasium) ist völlig offen, wie es weitergeht. Er wird an der Aufgabe gescheitert sein.
Natürlich wird das wieder an allen möglichen ungünstigen Faktoren und an der Kompliziertheit der Welt insgesamt liegen, nur nicht an ihm. Aber Paal hat sich zunächst in sogenannten „Machbarkeitsstudien“ verzettelt, die viel Geld gekostet haben, von denen sich inzwischen aber im Einzelfall zeigt: Wenn es an die Umsetzung geht, läuft es doch auch mal ganz anders.
Und da in Münster immer alles mit allem zusammenhängt, stockt der Motor bisweilen auch komplett, wie man am Beispiel des Schulzentrums in Wolbeck sehen kann. Da wurde kurz vor der Kommunalwahl 2020 ein Baubeschluss (keine Vorstudie, sondern wirklich ein Baubeschluss) durch den Rat geschickt – die Absicht dahinter war, den Südosten für die Kommunalwahl ruhig zu stellen.
Der Bedarf war offensichtlich: Schon vor der G9-Umstellung herrschte im Schulzentrum akute Platznot. Seit fast zwanzig Jahren stehen „Container“ als Behelfslösungen auf dem Schulgelände, und dann entstehen neue Baugebiete und neue Grundschulen in der Nachbarschaft. Die Jahrgänge werden immer größer.
So gesehen war der Baubeschluss eher zu knapp bemessen als zu großzügig. Aber es geschah dann nichts, denn schließlich wird auch noch über eine neue weiterführende Schule auf der Grenze zwischen Gremmendorf und Angelmodde nachgedacht; ein Grundstück an der Heidestraße hat die Stadt schon gekauft.
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Ob es nun ein Gymnasium wird oder eine Gesamtschule, das ist offen. Aber weil Gremmendorf auch im Südosten liegt, hieß das für die Schulverwaltung: erst mal nichts machen. Und nach vier Jahren brachte sie nun auch eine Vorlage in den Rat, in der genau das stand: erst mal abwarten, was in Gremmendorf wird, solange soll nichts in Wolbeck und in Hiltrup passieren.
Ein solcher Beschluss wäre sehr praktisch gewesen: Paal hätte eine politisch abgesicherte Ausrede fürs weitere Nichtstun gehabt an zwei großen Schulzentren, während parallel die Zahl der Grundschüler:innen drastisch wächst, die vor Ort zur weiterführenden Schule übergehen.
Alles in allem ein Offenbarungseid der Schulverwaltung, der seinesgleichen sucht: Der eigene Entscheidungsstau zu Gremmendorf und der seit vier Jahren nicht eingeholte Konsens mit den Nachbargemeinden zur Erweiterung müssen zur Begründung dienen, warum bestehende Schulen eine seit Jahren überfällige Erweiterung vorläufig nicht erhalten sollen.
Es sind schon Leute für weniger zurückgetreten. Der einzige Lichtblick ist, dass Paals Name bisher öffentlich nicht genannt worden ist bei der CDU-Suche nach einem Lewe-Nachfolger. Ansonsten müssten sich nicht nur die Schulen vor der Zukunft fürchten.
Problem 2: Die Politik duckt sich weg, wo sie kann
Angesichts dessen könnte man sich fragen, was eigentlich die Rathauspolitik macht. Diese hat im Konsens mit der Schulverwaltung die Frage der weiteren Schulentwicklungsplanung sowie des Schulausbaus in eigene Gremien verlagert, nämlich in einen „politischen Arbeitskreis“ und eine „Schulbaukommission“, die beide praktischerweise nichtöffentlich tagen.
Für die Verwaltung ist das angenehm, dann dringt vom Desaster weniger nach außen. Argumentativ schwache Ratsmitglieder werden durch die nichtöffentlich tagenden Arbeitskreise davon entlastet, öffentlich für Positionen einstehen zu müssen, die sie vertreten.
In der Sache ist das falsch. Der öffentlich tagende Schulausschuss wird damit aber zur belanglosen Plauderrunde, während die eigentlichen Strukturfragen hinter verschlossenen Türen debattiert werden. Das ist nicht nur undemokratisch, weil die Öffentlichkeit nicht nur der Entscheidung, sondern auch der Entscheidungsfindung und die Transparenz der Diskussion zentrale Wesenselemente der Demokratie sind, es ist auch rechtlich fragwürdig.
Es ist definiert, was nichtöffentlich zu sein hat: alles, was Persönlichkeitsrechte verletzen könnte zum Beispiel. Es ist klar, dass Schulentwicklungsplanung als Kernzone kommunaler Gestaltung nicht darunterfällt. Insofern ist das Gebaren der aktuellen Ratsmehrheit, für alles Mögliche (nicht nur Schulfragen) nichtöffentlich tagende „politische Arbeitskreise“ einzusetzen und damit die Entscheidungsfindung der öffentlichen Kontrolle und Diskussion zu entziehen, ein Bärendienst an der kommunalen Demokratie.
Die Ergebnisse sind dann paradox: Natürlich hatte Paal seine Vorlage, in der stand, dass in Wolbeck und Hiltrup erst mal nichts passieren sollte, politisch in diesem nichtöffentlich tagenden Zirkel abgestimmt. Als sich dann vor Ort die Proteste erhoben, wollte aber niemand politisch für das Hinterzimmerergebnis verantwortlich sein.
Die CDU büxte aus und verkündete das Gegenteil, nämlich, dass nun endlich das Schlaungymnasium nach Gremmendorf verlagert und Wolbeck und Hiltrup erweitert werden sollten – natürlich in dem Wissen, dass ihr Antrag sowieso nicht beschlossen werden würde.
Die Rathauskoalition geriet dadurch unter Druck, änderte den CDU-Antrag, wollte nur Wolbeck und Hiltrup erweitern, aber das Schlaun nicht verlagern. Die Hinterzimmerergebnisse (und Paals Vertagungsidee) waren damit abgeräumt, es wurde in alle Richtungen diskutiert, aber die eigentlich nötige Grundsatzentscheidung, was für eine Schule in Gremmendorf entstehen soll, fiel eben gerade nicht.

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Die Ratsdebatte bot stattdessen Anschauungsmaterial, wie die Politik sich nach dem Scheitern ihrer Hinterzimmerergebnisse mit der Verwaltung aus der Schusslinie zu bringen suchte: Der Vorsitzende des Schulausschusses (von der CDU) und eine weitere Fraktionskollegin nahmen einfach nicht an der Debatte teil.
Zuvor hatte der Schulausschussvorsitzende kein Problem, im Vorfeld der Ratssitzung fleißig mitzumischen und die protestierenden Schulen zu besuchen und eine Pressemitteilung zum Thema zu verfassen, aber im Rat blieb er zur Sache stumm – ein absurdes Possenspiel, mit dem man den eigenen Dezernenten mit dem Hinterzimmerergebnis allein stehen ließ.
Der grüne Fraktionssprecher auf der anderen Seite will in der Debatte lieber nicht darüber entscheiden, ob eine Gesamtschule oder ein Gymnasium nach Gremmendorf kommt, das möchte er lieber – besondere Pointe nach dem Scheitern dieses Verfahrens in Wolbeck und Hiltrup – dem nichtöffentlich tagenden Arbeitskreis überlassen, der eine sachliche Empfehlung geben solle.
Eine Präferenz für eine Gesamtschule hat er natürlich, nur festlegen möchte er sich nicht mit einem Ratsbeschluss. Auch das ist eine Form der Verweigerung der Debatte. Die schulpolitische Richtungsentscheidung für das gegliederte Schulsystem oder eine integrative Schulform an dieser Stelle wird nicht hinter verschlossenen Türen zu treffen sein, sondern ist ihrem Wesen nach hochpolitisch.

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Bleibt noch die SPD, die die Debatte nutzte, um zu berichten, was sie früher schon alles mal zu den Schulfragen im Südosten gesagt hat, und auch das verweigert natürlich die entscheidende Zukunftsfrage. Das alles ist die Folge von Beschlusslagen, mit denen man allen alles recht zu machen sucht und die eigentliche Grundsatzentscheidung hinausschiebt.
Aus dem früheren, aber geltenden Beschluss leitet die CDU ab, das Schlaun werde nach Gremmendorf verlagert, während Grüne und SPD daraus folgern, doch eine Gesamtschule passender zu finden. Das wiederum ist das Werk eines Beigeordneten, der zum Thema Schlaun schon alles in Beschlussvorlagen geschrieben hat, was gerade gefiel: 2019 die Sanierung des Schlaun am Standort, 2022 dann eine mögliche Verlagerung – eine Linie ist nicht erkennbar.
Am Ende bleibt alles unklar, und die Grundsatzfrage schwebt auch nach der neuen bizarren Debattenrunde ungeklärt. Insgesamt herrscht so in der Rathauspolitik der Trend zur Verweigerung der öffentlichen Festlegung und klarer politischer Richtungsentscheidungen.
Der laute Protest aus Hiltrup und Wolbeck hätte aber schon heute lehren können: So wird das nicht funktionieren. Am Ende erwarten die Schulen, die Eltern und die Öffentlichkeit von der Politik eine klare Grundsatzentscheidung – und die nötigen Investitionen in die bestehenden Schulen ihrer Kinder.
Problem 3: Die Versäumnisse und Verzögerungen kosten viel Geld
Die Folgen des Entscheidungsstaus und der permanenten Vertagung, Verzögerung und Verschiebung sind für die Schulen nicht nur in pädagogischer Hinsicht schwierig, sondern auch für die Stadt. Denn natürlich sind die zusätzlichen Kinder und Jugendlichen trotzdem an den Schulen, und nur weil man im Rathaus die Dinge nicht entschieden bekommt, verschwindet das Problem nicht.
Fehlende Ausbaubeschlüsse und nicht rechtzeitig fertige Klassenräume bedeuten also provisorische Übergangslösungen. Es werden also „Container“ aufgestellt – oder vornehmer im Verwaltungsdeutsch: Fertigbauklassen.
Das steht jetzt an mehreren Schulen an, die nicht rechtzeitig 2026 ihre Erweiterung erhalten, und auch an den beiden Schulzentren wird das sehr wahrscheinlich die Lösung sein, da nach vierjährigem Nichtstun die Zeit kaum reichen wird für eine pünktliche Fertigstellung.
Jeder einzelne Container kostet in der Beschaffung sechsstellig, man kann auch leasen – auch das schlägt sich im städtischen Etat nieder. Der aktuelle Haushaltsplan der Stadt weist bis 2023 Kosten in Höhe von 2,4 Millionen Euro für Fertigbauklassen an Grundschulen und 6,8 Millionen für solche an weiterführenden Schulen aus.
Und das ist noch ganz ohne die Kosten, die jetzt noch anstehen für die verzögerten Erweiterungen. Es geht hier also nicht um Kleinigkeiten, sondern um Millionensummen, die natürlich hinterher bei den Investitionsbudgets für die dauerhaften Lösungen fehlen.
Die Planungsfehler, die Verzögerungen und der politische Entscheidungsstau gehen richtig ins Geld. Nicht nur steigende Baukosten, sondern vor allem auch die Kosten für temporäre Zwischenlösungen sorgen für ein veritables Haushaltsproblem.
Es bleibt nur die Hoffnung, dass vielleicht der wachsende fiskalpolitische Druck dazu führen wird, dass Schuldezernent und Schulpolitik endlich die Kurve bekommen und den Entscheidungsstau auflösen. Immerhin die Schulzentren in Hiltrup und Wolbeck dürfen hoffen. Die Haushaltsplanberatungen werden zeigen, was sie bekommen.
Noch spannender wird die Frage, ob nach alledem überhaupt noch bis zu hundert Millionen Euro da sind, um eine neue weiterführende Schule in Gremmendorf zu bauen.
Es wäre nicht ganz untypisch für Münsters politische Verhältnisse, wenn es erst mal zu gar keiner neuen Schule dort käme. Das Geld wird auf jeden Fall knapp – vielleicht gibt’s auch einen Baubeschluss, aber keinen Bau. In Wolbeck kennt man das schon.
Herzliche Grüße
Ihr Michael Jung

Michael Jung
… lebt schon immer in Münster. Er wurde 1976 hier geboren. Er hat an der Uni Münster Latein und Geschichte studiert und in Geschichte promoviert. Heute ist er Lehrer am Annette-Gymnasium in Münster. Michael Jung war viele Jahre in der Politik: Von 2013 bis 2020 war er Fraktionschef der SPD im Rat der Stadt. Im Jahr 2020 trat er für die SPD bei den Kommunalwahlen als Oberbürgermeisterkandidat an.
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