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Die RUMS-Kolumne von Christoph Hein | Kein Friede zu Ostern
Guten Tag,
rechts das Kürassierdenkmal, links dahinter der Kanonengraben. Dazwischen schreiben einmal mehr die Osterglocken das gelbe „Münster für Frieden“ an den Hang. Der Blumenwunsch steht im harten Gegensatz zur Wirklichkeit: Der Taurus, ein drohender Atomschlag, der Streit um ein Einfrieren des Krieges, letztlich auch die Reaktionen auf den Anschlag auf die Konzerthalle in Moskau – der Krieg in der Ukraine und seine Folgen bewegt auch zwei Jahre nach Putins Angriff die Menschen in Deutschland. Das hat sich auch durch das Massaker, das die Hamas an Juden verübt hat, und das Leid der Menschen im Gaza-Streifen nicht geändert. Es ist ein zweiter, kaum lösbarer Konflikt hinzugekommen.
Im Vergleich zu diesen Dramen vor unserer Haustür erscheint Asien plötzlich wie ein Ruhepol; angesichts der Gräuel – nur einige Tausend Kilometer entfernt – gleiten die Auseinandersetzungen tief im Fernen Osten in den Hintergrund.
Dabei glimmen auch in Asien gleich mehrere Lunten. Drei Konflikte bestimmen die Region, während Christen in aller Welt die Osterglocken läuten. In Myanmar liefert sich das Militär weiter einen brutalen Kampf mit dem eigenen Volk. Das einst rohstoffreichste Land Südostasiens ist ausgebeutet und abgewirtschaftet, die Junta schlachtet die Menschen ab, die Volksheldin Aung San Suu Kyi schmachtet im Hausarrest.
Migranten drängen nach Thailand, die staatenlosen Rohingya fristen ihr Dasein in menschenunwürdigen Lagern in Bangladesch. Immer noch wagen sich Flüchtlinge in ihrer Verzweiflung in heruntergekommenen Kähnen auf See in ihrem Kampf ums Überleben mit sehr ungewissem Ausgang. Die Junta will unterdessen eine allgemeine Wehrpflicht einführen.
Weil der von den burmesischen Generälen mit Unterstützung Chinas, Russlands und Nordkoreas geführte Krieg gegen das eigene Land aber räumlich begrenzt bleibt, weil Ordnungsmächte derzeit andere Interessen haben, zeichnet sich seit dem Putsch vor nun gut drei Jahren keine Lösung ab.
Der gefährlichste Konflikt droht in Taiwan
Die gibt es auch nicht für den schwelenden Konflikt zwischen dem Norden und dem Süden Koreas. Anders als das Leid in Myanmar aber hat diese Jahrzehnte währende Auseinandersetzung das Potenzial, einen Krieg unter Beteiligung der Großmächte hervorzurufen. Der selbsternannte nordkoreanische Führer Kim Jong-un hält Militärübungen ab (bei denen er auch selbst Panzer fährt), testet Mehrfachraketenwerfer und lässt angeblich Hyperschallraketen entwickeln, die die fünffache Schallgeschwindigkeit erreichen sollen.
Allein die Manöver mit Zielen im offenen Meer sind brandgefährlich; sie könnten als Angriff fehlinterpretiert werden, eine Rakete könnte über Japan abstürzen. Zeitgleich liefert das Regime Granaten im Tausch auch für Nahrungsmittel nach Russland und stützt damit das Verbrecherregime Putins. Der südkoreanische Nachrichtendienst schätzt, dass schon mehr als eine Million Geschosse verschifft worden seien.
Damit trägt Kim dazu bei, den Krieg in Europa weiter anzufeuern. Und er bindet Kräfte der westlichen Demokratien – durch eine weitere Aufrüstung, den damit verbundenen Verbrauch von Rohstoffen und die Geldentwertung. Ob sich sein Verhalten änderte, wenn die Amerikaner sich erneut einen Präsidenten Donald Trump wählten, ist völlig offen. Zweimal hatte sich Trump mit Kim getroffen – im Sommer 2018 in Singapur, um das Eis zu brechen. Im Februar des Folgejahres verließen die beiden Staatschefs die vietnamesische Hauptstadt Hanoi ohne Ergebnis.
Der gefährlichste Konflikt aber wächst über Taiwan heran. Im jährlichen Bericht der „Bedrohungsszenarien“ warnt der amerikanische Geheimdienst: „Im Jahr 2024, nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Taiwan, wird Peking weiterhin militärischen und wirtschaftlichen Druck ausüben, öffentliche Botschaften verbreiten und Einfluss nehmen, während es die langfristige wirtschaftliche und soziale Integration über die Taiwanstraße hinweg fördert, um Taiwan zur Einigung zu bewegen.
Taiwan ist ein wichtiger potenzieller Krisenherd für die Konfrontation zwischen China und den Vereinigten Staaten, da Peking behauptet, die Vereinigten Staaten nutzten Taiwan, um Chinas Aufstieg zu untergraben.“
Druck und Gegendruck
Im „Strategic Review“ der australischen Regierung heißt es: „Chinas militärische Aufrüstung ist derzeit die größte und ehrgeizigste, die ein Land seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs durchgeführt hat.“ Seinen Verteidigungshaushalt steigert Peking in diesem Jahr um 7 Prozent. Es ist der höchste Zuwachs in fünf Jahren.
Flankiert wird der Waffenbau von Cyberattacken von Australien bis Großbritannien: Der stellvertretende britische Ministerpräsident, Oliver Dowden, berichtete zu Wochenbeginn von chinesischen Digitalangriffen auf Parlamentarier und die Wahlkommission. „Zusammengenommen kommt das Vereinigte Königreich zu dem Schluss, dass diese Handlungen ein klares und dauerhaftes Verhaltensmuster zeigen, das feindliche Intentionen Chinas signalisiert“, sagte Dowden.
Mit Blick auf Taiwan spekulieren Sicherheitsanalysten darüber, wann Peking „kriegsbereit“ sei. „Alles deutet darauf hin, dass die Volksarmee Präsident Xi Jinpings Anweisung einhält, 2027 bereit zu sein für die Invasion Taiwans“, erklärte Admiral John Aquilino vor wenigen Tagen. Er führt die indo-pazifischen Streitkräfte der Amerikaner. Allerdings schob Aquilino nach, dass Peking zugleich hoffe, Taiwan „friedlich“ einzugliedern.
Längst geht es um Druck und Gegendruck. Die wachsende Sorge vor der Stärke Chinas hat Folgen auf allen Ebenen: Japan etwa pumpt 270 Milliarden Dollar in seine Aufrüstung. Es schmiedet Partnerschaften, so wie Australien sich etwa im Pazifik ein diplomatisches Wettrennen mit Peking um die Gunst eines jeden Inselstaates leistet – denn jeder von ihnen verfügt über eine nützliche Stimme bei den Vereinten Nationen. China und sein Vordringen im Südchinesischen Meer wird auch Gegenstand eines Gipfels, zu dem Präsident Joe Biden den philippinischen Präsidenten Ferdinand Marcos Jr. und Japans Ministerpräsident Fumio Kishida in der Osterwoche nach Washington bittet.
Tokio bekennt sich zur Sicherheitspartnerschaft Quad mit den USA, Australien und Indien. Sie ist nur eines von vielen Beispielen für diplomatische Winkelzüge – denn Indien nutzt Russland weiterhin als seinen größten Waffenlieferanten und kauft dessen preiswertes Öl. Und während die Demokratien Antworten suchen, entsendet Peking ein Forschungsschiff vor die Küste Sri Lankas und der Malediven, um den Seeboden zu kartographieren – auf der Suche nach Rohstoffen und Fahrwegen für seine Unterseeboote im Indischen Ozean.
Die Rüstungsspirale dreht sich unterdessen weiter, die Aktien der Hersteller steigen in den Himmel. Auf beiden Seiten des Stillen Ozeans hat sie dramatische Folgen, lange, bevor die Waffen zum Einsatz kommen. Die Hochrüstung raubt Ressourcen, die angesichts der Wirtschaftskrise und der wieder wachsenden Armut dringend an anderen Stellen gebraucht würden. Sie zwingt zum teuren Umbau der Lieferketten, etwa der Verringerung der Abhängigkeit von Taiwan als Lieferland für Computerchips.
Die Dauerbedrohung verändert das Klima
Die bisherigen Lieferländer müssen dadurch Produktionslücken füllen. Über Jahre verführen die Bedrohungsszenarien Menschen zur Akzeptanz „starker Führer“, die einen etwaigen „heißen Konflikt“ durchstehen könnten. Die gefühlte oder wahrhaftige Dauerbedrohung verändert aber auch das zwischenstaatliche Klima und verringert die Ablehnung von Krieg als politischem Mittel in den jeweiligen Bevölkerungen. Und sie verleitet zu einer stärkeren Überwachung, die teuer ist und Freiheit raubt.
Schließlich führt sie zwangsläufig auch zu einem graduellen Einsatz von Waffen bei Tests und Manövern. Gerade sie wiederum erhöhen das Kriegsrisiko, weil es immer zu Zusammenstößen, technischen Pannen oder Überreaktionen kommen kann.
Das alles wird auf der Promenade von den Osterglocken überstrahlt. Und vielleicht ist das Fest ja wirklich ein Augenblick zum Luftholen. Den Deutschen ist er gewährt, Menschen in anderen Ländern nicht.
Herzliche Grüße
Ihr Christoph Hein
Christoph Hein
… ist in Köln geboren und in Münster aufgewachsen. Er hat an der Uni Münster studiert, hier promoviert und während seines Studiums für die Westfälischen Nachrichten und den WDR gearbeitet. Im Jahr 1998 fing er bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung an, zunächst als Korrespondent in Stuttgart. Ein Jahr später ging er als Korrespondent zunächst für Südostasien und China, ab 2008 für den Süden Asiens einschließlich des Pazifikraums nach Singapur. Dort wurde auch seine Tochter geboren, die inzwischen in Münster studiert. Nach einem Vierteljahrhundert im indo-pazifischen Raum gerade zurückgekehrt, lebt er nun wieder in Münster und baut für die F.A.Z. einen Newsletter zur Weltwirtschaft auf. Christoph Hein hat zahlreiche Bücher publiziert, zuletzt mit „Australien 1872“ einen Bildband über einen deutschen Goldsucher auf dem fünften Kontinent.
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