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Die Kolumne von Christoph Hein | Die Menschen hinter den Lieferketten
Guten Tag,
Esprit in der Stubengasse schließt, SØR am Roggenmarkt verabschiedet sich aus Münster. Die Modebranche ist in Aufruhr. Nicht nur Galeria Kaufhof, sondern auch der Düsseldorfer Modehändler Peek & Cloppenburg, der Hersteller Gerry Weber und der deutsche Ableger der auch in Münster ansässigen Modemarke Scotch & Soda haben Insolvenz angemeldet.
All diese Händler und Hersteller hängen an Ländern, in denen die Mode gefertigt wird, die wir tragen. Die aber wackeln. Der Umsturz in Bangladesch, das so viel Kleidung für uns fertigt wie China, ist ein Weckruf. Den Unruhen in Südasien ging die Absetzung von Vietnams Präsident Vo Van Thuong voraus, nach nur einem Jahr Amtszeit.
Dass im Juli der Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Nguyen Phu Trong gestorben ist, schafft weitere Unsicherheit. Er stand für die Öffnung des Landes, für die internationale Industrie. Aus Vietnam kommen inzwischen nicht nur Milliarden von Turnschuhen oder Goretex-Jacken, sondern auch Chips und Samsung-Handys.
Nun aber hören wir einmal mehr, dass es gärt in Ländern, von denen wir nicht viel mehr wissen, als auf dem Etikett im T-Shirt oder der Lasche des Schuhs steht. Mittelständler, die im Ausland fertigen lassen, erfahren erneut, dass Alternativen zum politisch schwierigen China viel schwerer zu finden sind, als es den Anschein hat.
Thailand kommt nicht zur Ruhe
Es knirscht und knarrt in Asiens Lieferländern. In den vergangenen Jahren brach Sri Lanka unter einer ausbeuterischen Führungsfamilie, einer selbst geschaffenen Abhängigkeit von China und gravierenden politischen Fehlentscheidungen zusammen. Die Menschen litten, es gab keine ausländische Medizin, keinen Diesel mehr zu kaufen, die Touristen blieben aufgrund der Bilder vom Aufruhr in der Hauptstadt Colombo weg.
In nur einer Woche traf ich in Colombo neun Familien, deren Kinder sich um eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung in Kanada oder Australien bemühten. Der Kampf gegen die Ausbeutung auf der einen Seite und der Zusammenbruch von Ländern auf der anderen, das ist nichts Abstraktes: Es lässt Menschen sterben, es zerschlägt Familien, es hindert Kinder an einer gesunden Entwicklung und Ausbildung – und wirkt so über Generationen.
Nur Tage nach der Vertreibung der Regierung unter Sheikh Hasina aus Dhaka erwischt es auch wieder Thailand. Eines der liebsten Urlaubsländer der Deutschen kommt nicht zur Ruhe – die Machtkämpfe zwischen Militär, Milliardären, Monarch in Bangkok auf der einen Seite und Studenten, Arbeitern auf der anderen werden zwischendurch höchstens ein paar Monate lang überdeckt.
Nun drängte das Verfassungsgericht in der Königsstadt Bangkok Ministerpräsident Srettha Thavisin nach nicht mal einem Jahr aus dem Amt: Er verstieß gegen die Gesetze, weil er einen wegen Korruption Verurteilten zum Minister machte. Im Amt folgt ihm nun die Milliardärstocher Paetongtarn Shinawatra. Ihr Vater war schon Ministerpräsident. Kurz: Das Establishment in Bangkok lässt nicht locker.
Ob es nun wieder zu Auseinandersetzungen auf der Straße kommt, ob am Ende gar das in den vergangenen Jahren zurückhaltend gewordene Militär eingreift, ist offen.
Es wäre der 16. Putsch seit 1947. Natürlich ist ein solches Umfeld keines, das Investoren sich wünschen. Schon seit Monaten fließt Geld aus Thailands Märkten ab. Das mag abstrakt klingen, führt aber unter dem Strich zu weniger Arbeitsplätzen und geringeren Lohnsteigerungen. Die Menschen leiden.
Das tun sie auch in Bangladesch. Auf Hunderte Tote, die der Umsturz forderte, folgen nun Monate der Unsicherheit. Auf dem Papier klang der Neuanfang gut: Nachdem die Demonstranten, vorwiegend Studierende, die über die Jahre immer autokratischer auftretende Ministerpräsidentin Sheikh Hasina aus dem Amt verjagt hatten, wurde der 84-jährige Muhammad Yunus mit der Führung des Landes betraut.
Er gilt der Welt als Gutmensch, der die Grameen Bank als „Bank der Armen“ gegründet hatte. Mit der Ausgabe von Mikrokrediten vorwiegend an arme Frauen ermächtigte er sie, in den Wirtschaftskreislauf vorzudringen.
Auch dieser Konflikt in einem Land, dessen Export zu fast 80 Prozent aus Textilien besteht, betrifft mittelbar den Westen. Zum einen besitzt der Umsturz das Risiko, eine wichtige, aber zerstrittene, Zukunftsregion ins Wanken zu bringen.
Pakistan, im Westen Indiens, steht immer wieder vor einem weiteren Abgrund. Bangladesch, in Indiens Osten, galt bislang als verlässlicher Partner. Kommt die Wirtschaft des Landes der mehr als 170 Millionen Menschen ins Wanken, spüren das europäische Textilhersteller wie H&M oder Kik, aber auch deutsche Verbraucher – rund ein Fünftel aller eingeführten Textilien hier stammen aus Bangladesch.
Yunus ist keine falsche Wahl für eine Übergangsregierung, weil die Menschen dem Nobelpreisträger vertrauen. Er setzte ein Gremium von Fachleuten zur Führung des Landes ein, unter ihnen den früheren Notenbankchef Salehuddin Ahmed. Die Riege der Technokraten könnte helfen, die Anforderungen ausländischer Geldgeber zu erfüllen. Das tut not: Schon jetzt kosteten die Auseinandersetzungen den Exportstaat rund 10 Milliarden Dollar. Geld, von dem die Armen dringend ihren Anteil brauchen.
Natürlich warnen Ratingagenturen wie Standard & Poor’s vor „wachsenden Abstiegsrisiken“ im Land. Das klingt verklausuliert. Es bedeutet nichts anderes, als eine drohende Kapitalflucht und höhere Kosten für Kredite für Firmen und den Staat als Ganzes. Die steigenden Zinsen aber können ganze Länder rasch ins Wanken bringen. Zumal wenn sie Hand in Hand gehen mit fallenden Devisenkursen. Denn Öl, Medikamente, Weizen aber eben auch Kredite werden meist in Dollar gehandelt. Eine schwache Heimatwährung macht sie über Nacht unbezahlbar.
Im Mittelpunkt stehen menschliche Tragödien. Auch sie sind weltumspannend. So ziehen Millionen von Gastarbeitern aus Bangladesch nach Singapur oder in die Golfstaaten, um ihren Familien in der Heimat zu helfen. Sie wollen nun, in den Zeiten des Umbruchs, nach Hause. Arbeitgeber in Singapur aber weigern sich, sie ziehen zu lassen, weil sie dann ihrerseits ihre Aufträge nicht abarbeiten könnten.
Bangladeschs Textilarbeiter kämpfen seit Jahrzehnten für höhere Löhne. Richtig ist, dass ihre Einkommen, auch weil sie oft an Frauen fließen, dem Land insgesamt einen in sehr vielen Sektoren höheren Sozialstandard gebracht haben als sogar im benachbarten, so selbstbewussten Indien.
Es geht um Allianzen
Richtig aber ist eben auch, dass die Löhne kaum den täglichen Bedarf decken. Auch weil Lohnerhöhungen sie billiger kommen als ein Imageschaden in den westlichen Absatzmärkten, drängten Auftraggeber wie H&M sogar immer wieder darauf, den Mindestlohn in Bangladesch anzuheben.
Von Yunus werden die Menschen genau das erwarten. Ob seine Regierung aber die Mittel findet, ob die mächtigen Herstellerfamilien in Bangladesch einen Anstieg zulassen, ob ausländische Einkäufer ihn akzeptieren und letztlich, ob die Käufer auf der Ludgeristraße in Münster ihn mitbezahlen, steht in den Sternen.
Für Unternehmer, Manager und Einkäufer sind die Wirren in Bangladesch, in Vietnam und Thailand ein weiterer Weckruf, einem fragilen Frieden in autokratischen Regimen nicht zu sehr und zu lange zu vertrauen. Rechtzeitig Alternativen aufzubauen lautet das Gebot, auch jenseits der China-Problematik.
Auf der Ebene der hohen Politik stellt sich die Frage, ob der amerikanisch geprägte Internationale Währungsfonds (IWF) oder eher Chinas Staatsbanken einzelne Länder stützen werden, wenn sie im Chaos versinken. Da geht es um Allianzen, um Stimmen bei den Vereinten Nationen, um Einflusssphären auf Jahrzehnte.
All das muss niemanden stören, wenn er im Ausverkauf auf dem Prinzipalmarkt oder der Salzstraße ein Schnäppchen macht. Doch sind Bluse oder Jeans in Fabriken in Asien oder Afrika durch Maschinen und Hände gegangen, die direkt vom Machtpoker betroffen sind.
Ihr Christoph Hein
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Christoph Hein
… ist in Köln geboren und in Münster aufgewachsen. Er hat an der Uni Münster studiert, hier promoviert und während seines Studiums für die Westfälischen Nachrichten und den WDR gearbeitet. Im Jahr 1998 fing er bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung an, zunächst als Korrespondent in Stuttgart. Ein Jahr später ging er als Korrespondent zunächst für Südostasien und China, ab 2008 für den Süden Asiens einschließlich des Pazifikraums nach Singapur. Dort wurde auch seine Tochter geboren, die inzwischen in Münster studiert. Nach einem Vierteljahrhundert im indo-pazifischen Raum gerade zurückgekehrt, lebt er nun wieder in Münster und baut für die F.A.Z. einen Newsletter zur Weltwirtschaft auf. Christoph Hein hat zahlreiche Bücher publiziert, zuletzt mit „Australien 1872“ einen Bildband über einen deutschen Goldsucher auf dem fünften Kontinent.
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