Die Kolumne von Michael Jung | Segeln am Kap der guten Hoffnung

Porträt von Michael Jung
Mit Michael Jung

Guten Tag,

in diesen Tagen berät der Rat der Stadt über den Haushalt für das kommende Jahr, und das ist eine gute Gelegenheit, einen Blick auf die Lage der städtischen Finanzen zu werfen. Wie steht Münster in der Krise da und wohin geht die Reise? Ich denke, es ist eine Reise zum Kap der guten Hoffnung – und das sind die Gründe.

Die grüne Kämmerin Christine Zeller hat einen Haushaltsentwurf vorgelegt, mit dem sie sich als eine echte Optimistin erweist. Trotz vieler Krisen im Land sieht der Haushalt nämlich besser aus als im Vorjahr. Damals hatte die Kämmerin für das Jahr 2023 noch ein Defizit von 66 Millionen Euro vorgesehen, jetzt rechnet sie noch mit 48 Millionen. Und auch in den Folgejahren sieht es besser aus: 2024 sind es nur noch 46 statt 52, 2025 24 statt 52 Millionen.

Der Haken an der Sache ist aber: Schon im Jahr 2024 muss die „Ausgleichsrücklage“ in Anspruch genommen werden. Das klingt für Laien noch nicht beunruhigend, aber die Wahrheit ist, dass eine solche „Ausgleichsrücklage“ rein fiktiv ist. In Wahrheit handelt es sich um den Verzehr von Eigenkapital – und wenn dieser Verzehr zweimal in Folge mehr als fünf Prozent beträgt im Jahr, steht Münster in der Haushaltssicherung. Dann übernimmt die Bezirksregierung die Regie und die Stadt verliert zentrale finanzpolitische Handlungsspielräume.

Trotz der scheinbar guten Entwicklung ist also klar, dass es eng bleibt. Dabei hat die Kämmerin allerdings ein robustes Vertrauen in die wirtschaftliche Entwicklung: So liegt den Planungen ein stetiges Plus bei den Gewerbesteuern zugrunde, der wichtigsten Einnahmequelle der Stadt. Schon 2023 sollen die Einnahmen wieder auf dem Allzeithoch von 2021 bei rund 350 Millionen liegen und danach jedes Jahr um 10 Millionen steigen und damit jedes Jahr ein neues Allzeithoch erreichen, und das alles bei konstant gehaltenen Steuersätzen.

Die letzte Optimistin im Land

Die Kämmerin erwartet also einen stetigen Gewinnzuwachs bei den Unternehmen in Münster. Dieser Boom schlägt sich nach Meinung der Kämmerin auch in den Taschen der Münsteraner:innen nieder, denn der Gemeindeanteil an der Lohn- und Einkommenssteuer soll jedes Jahr um sieben Prozent wachsen, so rechnet jedenfalls der Haushaltsplan.

Reduziert hat die Kämmerin dagegen die Erwartungen an das Land NRW: Während die Stadt im kommenden Jahr 54 Millionen an Schlüsselzuweisungen erwartet (nach 1,1 Millionen dieses Jahr), sind das in den Folgejahren nur noch 15 Millionen jährlich.

In ihrer Haushaltsrede hat die Kämmerin daher ein Klagelied gesungen darüber, das in Münster aber seit Jahren immer wieder angestimmt wird von wechselnden Tenören, je nachdem, wer gerade in Düsseldorf regiert oder opponiert. Die Landeszuweisungen bleiben nämlich ein ziemlich unsteter Faktor. Schaut man genau auf die Zahlen, dann sieht man schnell: Es sind in 2023 vor allem die höheren Landeszuweisungen, die den Haushalt retten. Und die Kämmerin hat viele Belastungen in 2022 gebucht, einen Haushalt, der ohnehin von den Krisen geprägt ist.

Während das Land sowohl in der Corona- als auch in der Ukraine-Krise den Kommunen die Möglichkeit gegeben hatte, ihre krisenbedingten Belastungen zu bündeln und über 50 Jahre abzuschreiben (mithin also die Einmalbelastungen in die Zukunft zu verschieben), hat die Stadt davon bei Corona Gebrauch gemacht – so zahlen wir die nächsten 50 Jahre diese Belastungen ab (1,1 Millionen pro Jahr).

In der Ukraine-Krise dagegen hat dieselbe Kämmerin es vorgezogen, die Belastungen direkt in 2022 zu buchen – und damit einen negativen Einmaleffekt in Kauf genommen, der aber die mittelfristige Planung für die Folgejahre schont. Sie macht es so, wie es gerade opportun erscheint. Und noch etwas ist auffällig beim Haushalt: Die Kämmerin hat Luft aus dem Haushalt gelassen. Die vielen Spardosen, die es in einzelnen Ämtern und Dezernaten gab, sind reduziert worden. Das Jahresergebnis liegt jetzt näher den Planungen. Das Positive daran ist: Der Haushalt ist näher an der Wirklichkeit. Das Kritische daran: Wenn die Wirklichkeit nicht gut wird, ist die Krise auch näher.

Dazu hat die Kämmerin Dezernatsbudgets eingeführt. Das ist nur folgerichtig, wenn man sich die verwaltungsinterne Entwicklung ansieht. Die Dezernate werden jetzt im Haushalt so abgebildet, als handele es sich um Ministerien. Das ist fein für die Parteifarbenlehre, und es ist die logische Konsequenz aus dem Vakuum an der Stadtspitze.

In seinem Dezernat macht ohnehin jeder, was er will, und das bildet der Haushalt jetzt auch förmlich ab. Alles in allem könnte man also sagen: Es ist eng, aber es klappt noch so gerade. Doch in diesem Haushalt hat der Optimismus der Kämmerin so manches Risiko an den Rand gedrängt. Ich möchte mit ihnen die größten Risiken einmal durchgehen.

Das erste Risiko: Die Steuern und die Rezession

Die Kämmerin geht von einem stetigen Einnahmewachstum bei den Steuern aus. Das ist bemerkenswert – auch angesichts einer Steuerschätzung, die diesen Optimismus auf den ersten Blick zu decken scheint. Die Wirklichkeit sieht aber schon jetzt anders aus als die Planungen der Kämmerin: Der Bundestag hat ein Jahressteuergesetz beschlossen, das für das kommende Jahr eine deutliche Verschiebung der Steuersätze vorsieht und damit der Inflation Rechnung getragen: Die „kalte Progression“ soll vollständig ausgeglichen werden.

Wächst also die Wirtschaft nicht, so wird es keine zusätzlichen Einnahmen geben. Eine Wachstumsrate von sieben Prozent bei den Gemeindeanteilen an den Lohn- und Einkommenssteuern nicht nur im nächsten, sondern über alle folgenden Jahre unterstellt also ein solides Wirtschaftswachstum und kräftige Lohnerhöhungen. Das ist interessant, weil diese Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst sich auch auf der Ausgabeseite abbilden müssten, dazu später mehr. Oder man unterstellt ein stetiges Bevölkerungswachstum in Münster – das aber ist in den vergangenen Jahren wegen fehlender Wohnungen schon in Stagnation übergegangen.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Da ist sehr viel Optimismus eingepreist, sowohl was die wirtschaftliche Entwicklung als auch was die Lohnentwicklung angeht. Selbst das Argument der nominal durch Inflation steigenden Einnahmen trägt nicht, weil die Bundesgesetzgebung nicht in diese Richtung weist.

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Ähnlich sieht es bei der wichtigsten kommunalen Steuer aus, der Gewerbesteuer. Auch hier wird eine stetige Rekordjagd unterstellt. Nun kann man sicherlich annehmen, dass inflationäre Effekte kurzfristig das Einnahmeniveau steigen lassen können, doch die Risiken sind auch hier unübersehbar.

Man muss über diese Steuern wissen, dass alle Unternehmen mit Betriebsgewinn sie zahlen müssen, dass Münster durch seine Wirtschaftsstruktur faktisch aber von etwa einem Dutzend Unternehmen abhängt, die rund 90 Prozent der Gewerbesteuer erbringen. Zwar gilt das Steuergeheimnis, aber es ist kein Geheimnis, dass die meisten dieser Unternehmen im Finanz- und Versicherungssektor aktiv sind. Gerade hier drohen aber in den kommenden Jahren einige Unwuchten durch die geldpolitische Wende der Europäischen Zentralbank.

Zwar ermöglicht das steigende Zinsniveau bessere Erträge, auf der anderen Seite steht aber möglicherweise ein relevanter Abschreibungsbedarf auf Anlageinvestitionen und Kreditengagements. Rutscht die Finanz- und Versicherungsbranche eine Krise, bekommt der Haushalt der Stadt eine Katastrophe. Dafür reicht schon ein massiver Abschreibungsbedarf, wie er in den 2000er Jahren die Stadtfinanzen in eine Dauerkrise gestürzt hat. Die Kämmerin glaubt, dass alles gut ausgeht. Das muss aber nicht so kommen, die sehr hoch angesetzten Steuereinnahmen sind das erste große Risiko des Haushalts.

Das zweite Risiko: Die Landeszuweisungen

Eng damit zusammen hängt das zweite Risiko, die Landeszuweisungen. In diesem Jahr retten über 50 Millionen Euro vom Land den Haushalt aus dem größten Schlammassel. Im laufenden Jahr aber gab es nur 1,1 Millionen Zuweisungen. Diese enormen Schwankungen hängen mit der Steuerkraft zusammen, die die entscheidende Kennzahl für die Berechnung ist.

Zwar ist es eine Wissenschaft für sich, die schöne Begriffe wie die „Einwohnerveredlung“ geprägt hat, wie diese Zuweisungen zustande kommen, man kann aber festhalten: Je mehr eigene Steuerkraft eine Stadt hat, desto weniger erhält sie vom Land. So bekommt Düsseldorf (nächstes Jahr auch Leverkusen) nichts, Gelsenkirchen und Duisburg aber bekommen hunderte von Millionen. Es ist also kein gutes Zeichen, wenn man viel Geld vom Land bekommt.

Münster hat eine hohe Steuerkraft, und es pendelt immer knapp um die entscheidende Linie: Von null Euro Zuschuss kann es schnell einmal auf fünfzig Millionen hochgehen, aber eben auch wieder zurück. Das hängt davon ab, wie Münsters Steuerkraft sich in Relation zu der anderer Städte entwickelt.

Geht es der Finanzwirtschaft also besser als der Industrie, so erhält Münster eher nichts, ist es umgekehrt, so erhält Münster rund 50 Millionen. Schaut man sich die Struktur der aktuellen Krise an, liegt die Wahrscheinlichkeit für hohe Zuweisungen in den kommenden Jahren gering, zumal das Land auch noch gerade Geld umverteilt weg von den kreisfreien Städten hin zu den kreisangehörigen Gemeinden. Von hier wird keine Rettung für den Haushalt kommen, wenn es eng wird, da kann man sicher sein.

Das dritte Risiko: Die Personalkosten

Und damit wechseln wir bei der Risikobetrachtung einmal von der Einnahme- auf die Ausgabeseite des Haushalts, denn natürlich gibt es auch hier interessante Zahlen. Einer der wichtigsten Ausgabeposten für die Stadt ist das eigene Personal, das in Ämtern, Kitas, Theater und vielen Einrichtungen arbeitet.

Auch hier hat die Kämmerin eine Planung vorgelegt, die recht optimistisch daherkommt. Während sie nämlich auf der Einnahmeseite stabile und steigende Effekte durch inflationär höhere Nominalerträge annimmt, ist dies auf der Kostenseite gar nicht der Fall. Für das Jahr 2023 erwartet die Kämmerin eine Steigerung der Personalkosten von drei Prozent, für die Folgejahre von jeweils zwei Prozent.

Die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen sind schon angelaufen, und die Gewerkschaftsseite ist mit einer Forderung von 10,9 Prozent gestartet. Das wird natürlich nicht das Ergebnis sein, aber wenn wir nur einmal annehmen, dass die Gewerkschaften mit einem Ergebnis wie in der Metallindustrie herauskommen, dann bedeutet das für Münsters Haushalt für 2023 schnell knapp sieben Millionen und für 2024 zehn Millionen Ausgaben über dem Planansatz.

Dabei wird es aber nicht bleiben. Denn natürlich wird der Aufwand für Personalaufwendungen von Dritten auch erheblich steigen, das gilt vor allem für freien Träger in Kitas und im Sozialbereich, das gilt aber natürlich auch für die Landschaftsumlage des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe, bei der die Kämmerin auch optimistische Hoffnungswerte ansetzt, und natürlich auch für all die Rechnungen, die auf die Stadt zukommen im Bereich der eingekauften Dienstleistungen aus der Privatwirtschaft.

Hier lauert also ein erhebliches inflationäres Risiko, und es dürfte angesichts von zehn Prozent Inflation zuletzt völlig illusorisch sein, Tarifabschlüsse zu erwarten, die im Bereich von zwei bis drei Prozent liegen. Genau das macht der ohnehin schon knapp gerechnete Haushalt aber.

Anders als bei den Einnahmen, wo man durch die Inflation höhere nominale Erträge erwartet, setzt man bei den zentralen Ausgabeposten auf Preisstabilität – oder besser: Auf durchsetzungsschwache Gewerkschaften. Das könnte anders kommen, und dann wird es eng.

Das vierte Risiko: Die Schulden

Die geldpolitische Wende der EZB wird ihre Spuren auch im städtischen Haushalt hinterlassen. Natürlich hat die Finanzverwaltung ein reichhaltiges Instrumentarium, um die in der Vergangenheit niedrigen Zinssätze auch länger abzusichern, und davon hat sie auch Gebrauch gemacht. Insofern schlägt sich das höhere Zinsniveau nicht sofort und mit voller Wucht im städtischen Haushalt nieder.

Das Problem liegt auch im Bereich der Neuverschuldung: Hier sieht der Haushaltsplan für die Jahre 2023 bis 2024 jeweils über 100 Millionen Euro Nettoneuverschuldung vor (2022: 65; 2023: 115,3; 2024: 103,2 Millionen), bevor in der Planung für 2025 und 2026 nur noch Werte von 32 bzw. 24 Millionen Euro vorgesehen sind.

Der Grund für diesen steilen Absturz der Zahlen ist einfach: Die Kämmerin hat auch auf politischen Druck hin die zahlreichen Luftbuchungen für geplante Baumaßnahmen am Sankt-Nimmerleinstag aus dem Haushalt gestrichen. Die Bauvorhaben sollen in Zukunft erst im Haushalt erscheinen, wenn sie auch durchgeplant sind und veranschlagt werden können. Das heißt aber auch: Da kommt sowohl bei den Investitionen als auch bei der Neuverschuldung noch kräftig was dazu.

Auf der anderen Seite zeigt sich laut Kämmerei „ein erheblicher Zeitversatz“ zwischen Planung und Bau, der dazu führt, dass die Schulden meistens in der Realität niedriger liegen als in der Planung: Münster baut halt am Ende doch weniger als es diskutiert, erinnern Sie sich an das Stadthaus IV. Es ist also schwer zu sagen, wie hoch die Neuverschuldung am Ende in der Realität sein wird.

Bei einem aktuellen Gesamtschuldenstand von 835 Millionen Euro ist nur eines sicher: Eine Reduzierung ist in den letzten Jahren nicht mehr gelungen, und es wird eher mehr, wenngleich das Tempo durch Münsters notorische Umsetzungsschwäche bei Bauvorhaben möglicherweise geringer als in den Planzahlen liegen wird.

Auf der anderen Seite dürften die massiv steigenden Baukosten wiederum treibend wirken. Ein Anstieg des Zinsniveaus wird sich langsam, aber deutlich widerspiegeln im Haushalt: Selbst wenn es der Kämmerei gelingt, durch finanzwirtschaftliche Maßnahmen hier einiges aufzufangen: Nur ein Prozent höhere Finanzierungskosten bedeuten eben auf diesem Schuldenniveau auch schon acht Millionen mehr pro Jahr.

Hier deutet sich ein weiteres erhebliches Risiko für den Haushalt an. Die Zeit der Sorglosigkeit bei den Schulden dürfte bald vorbei sein.

Das fünfte Risiko: Die Energiekrise

Das fünfte große Risiko ist die Energiekrise. Hier rechnet die Kämmerin mit jeweils 12 Millionen Mehrkosten bei den städtischen Betriebskosten und bei den Unterkunftskosten für die Bezieher:innen von Transferleistungen, außerdem hat sie bezogen auf diese Krise auch 14,4 Millionen Euro weniger Einnahmen bei den Gemeindeanteilen an der Einkommensteuer zugrunde gelegt, auch wenn die Zahlen immer noch sehr optimistisch sind.

Es ist offensichtlich, welche Risiken hier drohen: Zum einen natürlich ein länger anhaltendes erhöhtes Niveau der Energiepreise, dann verstetigen sich diese Belastungen. Es dürfte kaum einem vernünftigen Zweifel unterliegen, dass dieses Risiko eintreten wird. Das wird für kommende Haushaltsjahre weitere millionenschwere Belastungen bedeuten. Es fehlt aber auch noch eine weitere Folge: Auch die städtischen Beteiligungen werden von der Energiekrise nicht verschont.

Das Geschäftsmodell der Stadtwerke ist ohnehin schon unter Druck, und die Frage möglicher Zahlungsausfälle auf der Kund:innenseite, höhere Beschaffungskosten und weitere indirekte Folgen für den Unternehmensgewinn werden sich erst auf mittlere Sicht zeigen.

Die konjunkturelle Eintrübung oder eine drohende Rezession werden aber in den Bilanzen vieler städtischer Beteiligungen ihre Bremswirkung hinterlassen. Welche Stabilisierungsfunktion die abgeschlossenen Managementkontrakte mit ihren festgelegten Zahlungen an oder Zuschüssen aus dem Haushalt dann haben werden, wird man sehen. Auch hier droht der städtischen Bilanz wenn nicht im nächsten Jahr, so doch auf mittlere Sicht ein erhebliches Risiko.

Fazit: Die Zeit der Sorglosigkeit ist vorbei

In den letzten Jahren hat die Stadt auch im Haushalt massiv von der Geldpolitik der EZB profitiert. Die letzte Konsolidierungsrunde fiel in das Jahr der „Whatever it takes“-Rede des damaligen EZB-Chefs Mario Draghi. Seither lebte Münster in der besten aller Welten: Niedrigste Refinanzierungskosten, sprudelnde Steuereinnahmen, maßvoll steigende Personalkosten.

Genutzt haben wechselnde politische Mehrheiten und der Oberbürgermeister das für einen massiven Ausbau der konsumtiven Leistungen, nicht aber für Investitionen. Allein das direkt bei der Stadt beschäftigte Personal wuchs in acht Jahren von 2014 bis 2022 um ein Drittel an. Auch Zuschüsse und Transferleistungen an Dritte stiegen deutlich. Das wird die Stadt jetzt bald einholen, denn genau diese Ausgaben werden dynamisch wachsen.

Die jetzt eilig aufgesetzten Maßnahmen zur energetischen Ertüchtigung der Gebäude standen viel zu lange zurück: In Münster ist schon immer lieber über schicke Neubauten, die dann doch nicht kamen, diskutiert worden als über die Sanierung des Bestands. Denken Sie an Stadthäuser, Musikhallen, Stadien. Und der Neubau von Schulen nimmt die Stadt immer mehr in Beschlag als die Sanierung und Erweiterung der bestehenden.

Hier wird es jetzt eng: Wo im Haushalt noch Spielräume für all das sein soll, was die letzten Jahre vollmundig versprochen wurde, wird sich zeigen. Das notorische Umsetzungsdefizit ist auch eine Folge völlig fehlender politischer Prioritäten. Da niemand sich den Schuh anziehen mag, Projekte oder Ausgaben zu streichen, könnten die kommenden Jahre schwierig werden.

Es fängt bei der Kämmerin an. Der Haushalt, den sie vorgelegt hat, ist ein notdürftig um die krassesten Luftbuchungen bereinigter Etat. Ein Gesamtkunstwerk, das deutlich den Prämissen grüner Finanzpolitik der letzten Jahre nachgebaut ist: Wir setzen die Einnahmen einfach hoch an, nehmen von Konsolidierungsschritten Abstand und hoffen, dass es gut gehen wird. So forderten es die Grünen schon von den Vorgängern Zellers, jetzt ist es Realität. Ob es gut gehen wird, werden wir bald sehen. Im Zweifel wird man auf Rettung durch höhere Steuern und Gebühren setzen. Wenn Sie nächstes Jahr Hochzeitspläne haben, werden Sie es dann schon merken. Das könnte erst der Anfang sein.

Herzliche Grüße
Ihr Michael Jung

Porträt von Michael Jung

Michael Jung

… lebt schon immer in Münster. Er wurde 1976 hier geboren. Er hat an der Uni Münster Latein und Geschichte studiert und in Geschichte promoviert. Heute ist er Lehrer am Annette-Gymnasium in Münster. Michael Jung war viele Jahre in der Politik: Von 2013 bis 2020 war er Fraktionschef der SPD im Rat der Stadt. Im Jahr 2020 trat er für die SPD bei den Kommunalwahlen als Oberbürgermeisterkandidat an.

Die Kolumne

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