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Die RUMS-Kolumne von Michael Jung | Boomer Boomtown Münster
Guten Tag,
wenn Sie schon länger in Münster leben, dann wissen Sie: Man kann es drehen und wenden wie man will, Münster ist immer fantastisch. Das war schon in der Corona-Pandemie so: Wenn die Infektionszahlen hier niedriger waren als woanders, dann lag das daran, dass Menschen in Münster sich einfach achtsamer schützten, wenn die Infektionszahlen durch die Decke schossen, dann lag es daran, dass hier einfach mehr und sorgfältiger getestet wurde als anderswo. Wo Münster ist, da ist es einfach immer toll, und da wundert es nicht, dass immer mehr Menschen an diesem fantastischen Ort leben wollen.
Dieser Tage geht eine Vorlage durch die kommunalpolitischen Gremien, die trockene Statistik beinhaltet, aber gleichwohl für die Stadt eine zentrale Planungsgröße darstellt: Die kleinräumige Bevölkerungsprognose ist da. In dieser Vorlage liefert die Stadtverwaltung eine Prognose, wie sich Münsters Wohnbevölkerung in den nächsten zehn Jahren entwickeln wird.
Sie ahnen es schon: Das hat Potential für Großes, und so ist es auch dieses Mal. Anders nämlich als IT NRW, das solche Prognosen für die Landesregierung für alle Kommunen anstellt, kommt die Stadtverwaltung zu großartigen Zahlen: „Münster wächst weiter“; heißt es in der zugehörigen städtischen Pressemitteilung, und in der Tat glaubt die Stadtverwaltung, dass Münster 2033 nicht bei etwa 321.000 Menschen stagniert wie IT NRW, sondern auf rund 333.000 Menschen anwächst. Da knallen die Sektkorken. Münster wächst weiter!
Die Stadtverwaltung führt das Wachstum der Stadt vor allem auf die neuen Wohngebiete zurück, die aktuell entstehen (Kasernenflächen) oder neu entstehen sollen (zum Beispiel Hafen), die Prognose stützt sich also auf die planerischen Vorhaben der Verwaltung. Die können bekanntlich auch mal etwas länger dauern, wie man an den Kasernen sehen kann, die vor zehn Jahren in der kleinräumigen Bevölkerungsprognose schon für 2017 als umgesetzt galten.
Durch Insolvenzen verzögert sich gerade immer noch mehr – aber darüber möchte ich Ihnen gar nicht mehr schreiben. Vielmehr möchte ich mit Ihnen die Zahlen der Verwaltung ernst nehmen und Ihnen aufzeigen, was sich für Entwicklungen hinter den Zahlen verbergen, und dann werden Sie sehen: In Münster werden keine Zeiten für Sekt kommen, sondern für Champagner in gediegenem Ambiente. Wie meistens in Münster.
Zunächst einmal kann man feststellen, dass sich die Bevölkerungszuwächse nach Ansicht der Verwaltung sehr unterschiedlich auf die Altersgruppen verteilen: Während 2033 bei den unter Dreijährigen deutliche Zuwächse zu erwarten sind (7,8 Prozent), sinkt der Anteil älterer Kinder bis zu zehn Jahren in der Stadt. Deutlichen Zugewinnen bei den sehr jungen Erwachsenen (bis zu 12,5 Prozent) stehen deutliche Verluste bei den 45- bis 65-Jährigen gegenüber. Das wird aber alles kompensiert durch die dramatischen Zuwächse in der Gruppe der 65- bis 80-Jährigen, die so stark anwachsen wie keine andere Gruppe (plus 35 Prozent).
Auch bezogen auf die Stadtteile wird es sehr unterschiedlich: Während es in der Innenstadt und vor allem nördlich, östlich und südlich um den Tangentenring eher stagnierende bis sinkende Bevölkerungsanteile gibt, wird es in den erwarteten Neubaugebieten am Hafen, in Gremmendorf, in Hiltrup und Amelsbüren deutlich voller. Auch die langjährige Tendenz zum Wachstum im Westen (mit Roxel als markanter Ausnahme) soll sich auch dank der Konversion weiter fortsetzen. So weit, so plausibel. Doch schauen wir einmal etwas kritischer auf die Zahlen und deren Interpretation.
So lässt sich erkennen: Ein Geburtenzuwachs soll sich erst am Ende des Prognosezeitraums abzeichnen, vorher ist mit stagnierenden bzw. sogar sinkenden Kinderzahlen zu rechnen. Und dazu passt: Auch bei deren Elterngeneration – also denen, die heute Anfang 30 sind – sind Rückgänge zu erwarten. Dahinter verbirgt sich eine ebenso einfache wie deutliche Ansage, die die Verwaltung in ihrer Vorlage nicht explizit benennt: Jetzt und in der nahen Zukunft verlassen junge Familien unsere Stadt, und um es noch genauer zu sagen: Spätestens nach dem ersten Kind schauen sich viele nach einer Bleibe außerhalb der Stadtgrenzen um.
Nach Ansicht der Verwaltung könnte sich dieser Trend Anfang der 2030er-Jahre etwas abmildern – man wird sehen, ob es so kommen wird. Dafür ziehen die Kids dann wieder in die Stadt, wenn sie zum Studium kommen (und gehen wieder, wenn sie mit der Hochschule fertig sind).
Diese Trends sind klar. Umso dramatischer fällt aber eine andere Entwicklung ins Auge: Die starken Zuwächse bei den über 65-Jährigen resultieren nicht nur aus dem demographischen Wandel, sondern verdanken sich auch dem massiven Zuzug. Wenn die Kinder aus dem Haus sind, zieht man gerne wieder nach Münster. Die Boomer kommen, und sie kommen in großer Zahl.
Erlauben Sie mir auf dieser Grundlage mal einen Blick in die Glaskugel – Münster, wie schön wird es in zehn Jahren sein! Ich möchte fünf Aspekte herausstellen – und das bewusst zugespitzt.
1. Die Facharztversorgung bleibt fantastisch
Die Bevölkerungsprognose lässt erwarten, dass die Dichte an Facharztpraxen und Ärztehäusern deutlich zunehmen wird und die Versorgung die beste zwischen Hamburg und Düsseldorf sein wird. Eine große und wachsende Zahl gut versorgter Senior:innen mit Privatversicherung oder einer hohen Zahlungsbereitschaft für individuelle Gesundheitsleistungen wird dafür sorgen, dass Münster auch weiter ein Eldorado für Facharztpraxen bleiben wird.
Die klassische Einzelpraxis dagegen wird zunehmend verschwinden, denn es wird (neben anderen Gründen) auch schwieriger werden, noch nicht-akademisch ausgebildetes Praxispersonal zu finden, weil solches Personal kaum noch in Münster wohnt. Aus demselben Grund könnte es auch Schwierigkeiten und Engpässe im Pflegebereich geben – aber dank der vielleicht in 50 Jahren entstehenden Münsterland-S-Bahn wird es Hoffnung geben, dass das dafür benötigte Personal aus dem Umland perspektivisch einpendeln kann, um die Versorgung gutsituierter Senior:innen aus Münster zu übernehmen.
2. Das Kita- und Schulproblem verliert an Bedeutung
Die 2024 noch so massiven Probleme bei der Kinderbetreuung werden sich deutlich relativieren, auch der Schulausbau wird in der politischen Prioritätensetzung nach hinten rücken können. Dadurch, dass viele Familien, insbesondere solche aus nichtakademischen Berufen, wegen massiv steigender Mieten längst ins Umland oder in andere Städte gezogen sind, braucht es einfach gar nicht mehr so viele Kita- und Schulplätze wie man früher dachte. Das bedeutet zum Glück auch, dass die heikle Personalkrise sich relativiert.
Der Kinderlärm wird sich auf einige Stadtteile im Westen und Süden beziehungsweise Südosten der Stadt konzentrieren, während die Innenstadt und die Wohnquartiere drumherum immer mehr von Singles oder Paaren bewohnt werden. In die größeren Wohnungen in diesen Quartieren ziehen Studi-WGs. Die Mieten steigen hier nachfragegesteuert immer deutlicher an, und so bedeutet der Generationswechsel in diesen innenstadtnahen Stadtquartieren auch: Es bleibt altersgemischt mit Senior:innen und Studis, aber sozial homogen: Jüngere und ältere Akademiker:innen belegen diese innenstadtnahen Wohnquartiere, und so können sich die Gutverdienenden und die mit den gut verdienenden Eltern an kurzen Wegen zu Studium und Freizeitaktivitäten erfreuen. Kinder und Familien findet man hier immer weniger.
3. Hochpreisiger Wohnraum bleibt in Münster weiter erste Wahl
Der langjährige Trend zu steigenden Immobilienpreisen bildet sich im kommenden Jahrzehnt in deutlich steigenden Mieten ab. Wer einst für 7000 € pro Quadratmeter gekauft hat, der möchte jetzt auch die Kapitalrendite sehen. Das ist kein Problem für die gut versorgten Senior:innen, die jetzt zuziehen. Sie mieten oder kaufen selbst zu hohen Preisen.
Die Neubauquartiere werden rasch stark nachgefragt, und es sind vor allem Menschen der Boomergeneration, die hier zuschlagen und ihren Ruhestand in Münsters gediegenem Ambiente verbringen. Die Diskussionen werden darum kreisen, wie man sozialräumlich homogen bleiben kann – insbesondere allzu mehrgeschossiger Wohnungsbau steht im Verdacht, am Ende die falsche Klientel anzulocken. Und so sind Münsters neue Wohnungen schnell in Senior:innenhand. Aber Ruhe wird ein wichtiges Thema.
4. „Münster verwöhnt“ statt Hawerkamp
Sie konnten es in den Westfälischen Nachrichten neulich schon erleben, und so wird auch die Zukunft sein. Wenn irgendwo in der Stadt harte Rockklänge ertönen, stört das einfach die Ruhe. Das ist nicht schön. 2033 wird das zu einem Problem werden und zu Konflikten führen: Die zahlenmäßig größte Bevölkerungsgruppe mag zwar ein gewisses geschäftiges Treiben in der Stadt, aber laute Musik mag sie nicht im eigenen Quartier.
Deswegen darf das bitte auf den Hawerkamp oder andere Lokalitäten strikt begrenzt bleiben, und ansonsten sind andere Arten von Veranstaltungen gefragt: „Münster verwöhnt“, oder ein schönes Weinfest. Etwas, wo man in gediegenem Rahmen sein Geld ausgeben kann, unter sich bleibt und ein schönes Gespräch über die Studienerfolge der Kinder führen kann und dabei nicht gestört wird von Lärm. Die Stadt bleibt geteilt zwischen Zonen, in denen die Studis ein wenig Partylärm machen dürfen, und den Zonen, wo man in der teuren Immobilie aber bitte auch Anspruch auf Ruhe hat.
5. Politisch bleibt’s gediegen
Die Bevölkerungsentwicklung wird dazu führen, dass Parteien, deren Zielsetzungen größere Veränderungen ausschließen und das eigene Wohnumfeld nicht zu verändern versprechen, Erfolg haben werden. Es wird also in den 2030er Jahren stabile Wahlerfolge für die CDU einerseits und die Grünen andererseits geben – je nachdem, wie wichtig man welche globalen Themen nimmt, einig ist man sich aber: Wenn sich die Welt schon ändert, dann soll sich wenigstens vor Ort nichts ändern. Schlechte Karten werden Extremisten haben, aber bei den demokratischen Kräften auch die FDP.
Die von ihr umworbene Schicht der Entrepreneurs und Existenzgründer:innen wird man wohl nicht mehr antreffen in Münster, aber die Fachärzt:innen werden eine gewisse Resonanz sichern. Ganz schlechte Karten aber gibt es für die SPD. Deren Wähler:innen sind schon längst weggezogen oder verdrängt worden. Schon 2020 in der südlichen Innenstadt erkennbar, wird der Strukturwandel in der Demographie bis 2033 weiter vorangeschritten sein: Menschen, die von normalen Tariflöhnen leben und nicht von Vermögen, Erbe oder hohen Einkommen, werden immer seltener in der Stadt. Schlechte Karten für eine Partei wie die SPD, deren Marginalisierung sich fortsetzen wird.
Und so kann man sagen: 2033 wird es kein Sekt mehr tun, dann ist Champagner gefragt, um auf die Stadt anzustoßen. Es gibt nur ein kleines Aber: Die kleinräumigen Bevölkerungsprognosen haben sich in den letzten Jahren selten in der Realität bestätigt. Denn es gibt ja auch noch Politik – die könnte diese Entwicklungen noch beeinflussen. Und vielleicht könnte sie bis 2033 sogar dafür sorgen, dass in Münster etwas entsteht, was dieser Stadt am nötigsten fehlt: Bezahlbare Wohnungen.
Herzliche Grüße
Ihr Michael Jung
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Michael Jung
… lebt schon immer in Münster. Er wurde 1976 hier geboren. Er hat an der Uni Münster Latein und Geschichte studiert und in Geschichte promoviert. Heute ist er Lehrer am Annette-Gymnasium in Münster. Michael Jung war viele Jahre in der Politik: Von 2013 bis 2020 war er Fraktionschef der SPD im Rat der Stadt. Im Jahr 2020 trat er für die SPD bei den Kommunalwahlen als Oberbürgermeisterkandidat an.
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