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Die RUMS-Kolumne von Michael Jung | De Bockwindmüel
Guten Tag,
es war ein umtriebiger Mann, den der Verkehrsverein Münster da für die Tourismuswerbung verpflichtet hatte. Schon bei der Westfälischen Landeseisenbahn war er aufgefallen als jemand, der etwas von Marketing verstand. Es war allerdings nicht die Zeit, englische Begriffe zu verwenden. Und so war der Neue bald nicht nur der Mann vom Verkehrsverein, sondern auch der Propagandaleiter des Münsterschen Karnevals.
Und er hatte Ideen, eine davon: Angesichts des trotz allen damaligen Blut-und-Boden-Geschwurbels erkennbaren Bedeutungsverlusts der Landwirtschaft etwas zu retten von dem, was man für besonders authentisch hielt. Wie wäre es also, eine echte Bockwindmühle prominent in der Stadt zu platzieren?
Das passte gut in die Zeit, waren doch Heimat, Scholle, Bauerntum und Blut und Boden gerade schwer in Mode, allerdings hatte der Oberbürgermeister andere Ideen als der Verkehrsverein, wo die Mühle hin sollte. Er legte fest, dass der einzige Standort die Promenadenkreuzung an der Kreuzschanze sein könne.
Der Leiter des Verkehrsvereins aber wollte von Anfang an einen anderen Standort: Der wenige Jahre zuvor fertiggestellte Aasee schien viel attraktiver. Dort aber wollten Oberbürgermeister und Gauleiter ein Gauforum entstehen sehen, das direkt an die Weseler Straße/Stadtgraben-Parade- und Aufmarschachse anschließen und der alten Innenstadt ein Gegengewicht gegenüberstellen sollte.
Da schien eine Bockwindmühle erstmal nicht zu passen, allerdings gab es 1938 dann einen Kompromiss. Die Mühle, eigens geschenkt von einem echten deutschen Bauern und Volksgenossen, kam doch an den Aasee, und zwar an sein damaliges Ende.
So ergab sich auch ein stadtplanerisch interessantes Ensemble: Das geplante neue Gauforum als Ausdruck der Macht des Regimes an der Südseite des Aasees, und im Nordwesten, im Übergang zu den ländlicheren Zonen die Bockwindmühle als Symbol für Heimat, Scholle und was sonst noch zum Ton dieser Jahre gehörte. Es blieb eine Fußnote. Das Gauforum wurde nie fertig, die Bockwindmühle verbrannte im Bombenkrieg.
Heimat, Westfalen und Landwirtschaft
Damit hätte die Geschichte enden können, tat es aber nicht. Denn der Initiator kam zurück und stand bald wieder in alter Funktion an der Spitze des Verkehrsvereins. Und was damals eine gute Idee gewesen war, schien nach dem Krieg immer noch eine gute Idee.
So kam es, dass bald wieder eine Bockwindmühle an den Aasee kam, und dabei blieb es nicht. Im Laufe der Jahre entstand ein ganzes Ensemble von landwirtschaftlichen Gebäuden drumherum, ein Freilichtmuseum am Aasee, der Mühlenhof. Aus dem Verkehrsverein entstand die Initiative für einen Trägerverein, der einen passenden plattdeutschen Namen bekam, „De Bockwindmüel“, und der übernahm formell den Betrieb des Museums.
Das Gelände gehört(e) der Stadt, aber alle inhaltlichen und konzeptionellen Fragen entschied der Verein, in dem sich bald alle trafen, denen Heimat, Westfalen und Landwirtschaft wichtig waren, und im Laufe der Zeit zeigte sich: Auch wenn es inzwischen mehr Parteien gab als zu der Zeit, als man einst losgelegt hatte, spiegelte sich das in der Zusammensetzung des Vereins nicht ganz so stark wieder, maßgeblich war eine Partei, aber es war inzwischen immerhin eine demokratische.
Mit Kiepenkerlen wurde Marketing gemacht (Propaganda sagte man jetzt nicht mehr), und der Initiator erwies sich als rühriger Meister des Fachs. Bis ins hohe Alter lenkte er den Mühlenhof und etablierte ihn, offiziell als Freilichtmuseum. Aber er war zugleich auch Veranstaltungsort und Ausflugsziel.
Bis in die 1990er-Jahre funktionierte das Konzept auch leidlich, vor allem durch viel ehrenamtliches Engagement und ein Publikum, das sich allerdings sehr lange stark aus der Gründungsgeneration rekrutierte.
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Die Zeiten änderten sich, bald gab es auch mehr und andere Parteien, die in Münster Einfluss gewannen, aber der Mühlenhof blieb lange, was er gewesen war. Inzwischen hatte die Stadtentwicklung im Westen stark Fahrt aufgenommen, und die Stadt hatte den Zoo, der Landschaftsverband das Naturkundemuseum in die Nachbarschaft des Mühlenhofs verlegt.
Zu konzeptionellen Änderungen oder neuen Überlegungen zum Mühlenhof gab das aber erstmal keinen Anlass. Man wirkte nebeneinander, nicht miteinander. In den 1990er und 2000er Jahren wurde aber immer deutlicher – und nicht nur am Mühlenhof, sondern in vielen Heimatstuben und Heimatmuseen der Region: Die alten Konzepte trugen nicht mehr.
Museen müssen mit deutlich vielfältigeren Freizeitangeboten konkurrieren als früher, sie müssen sich in einem ganz anderen Wettbewerb behaupten. Das hat Folgen für die Einrichtungen und ihre Trägerstrukturen: Einrichtungen müssen Events anbieten, konzeptionell mithalten können, digital, spannend und interessant sein, wenn Leute kommen und Zeit und Geld mitbringen sollen.
Klar ist auch: Das ist mit ehrenamtlichen Strukturen so nicht mehr zu leisten. Professionalisierung ist unumgänglich, Investitionen sind nötig. Deswegen sind viele kleine Museen seit den 1990ern in die Krise geraten, und die großen bauen aus: Der Landschaftsverband zum Beispiel hat nicht nur sein Museum am Domplatz, sondern auch seine Freilichtmuseen in Hagen und Detmold erweitert und modernisiert. Wer Freilichtmuseen mag, bekommt dort auf großer Fläche modernes Museum geboten. Eine weitere Konkurrenz für den Mühlenhof.
Andere kleine Museen haben deswegen seit vielen Jahren bereits Hilfe und Rat beim Landschaftsverband gesucht, der mit seinem Museumsamt sogar eine eigene Struktur unterhält, um in der Fläche des Landes Museen zu erhalten und zu modernisieren und Städte und Gemeinden dabei zu unterstützen.
Modernisierung war die Bedingung
Das wäre ein Anknüpfungspunkt gewesen. Der Mühlenhof und sein Trägerverein hatten aber erstmal andere Sorgen. Ein über längere Zeit sehr öffentlich und gerichtlich ausgefochtener Streit zwischen dem damaligen „Vörnste Baas“ – dem Vereinsvorsitzenden – und einem langjährig Beschäftigten sorgte für viel Rauschen im Blätterwald.
Die Entlassung des Mitarbeiters führte zu heftigen Verwerfungen und großen, öffentlich begleiteten Treffen des Trägervereins, bei denen sich die beiden Lager um die Protagonisten wenig schenkten.
Dadurch, dass der damalige Vörnste Baas auch gleichzeitig noch Ratsmitglied war, waberte der Streit auch ins Rathaus herüber, denn es zeigte sich auch immer deutlicher: Der Mühlenhof brauchte dringend Geld. Nach Lage der Dinge konnte das nur von der Stadt kommen. Nur so konnten die früher ehrenamtlichen Strukturen etwas modernisiert werden.
Am Ende war diese Modernisierung auch die Bedingung dafür, dass Geld floss. Eine Professionalisierung war das Ziel, kurzfristig sollte eine hauptamtliche Geschäftsführung etabliert werden, und das ging nur mit Geld von der Stadt. Der Trägerverein, nun unter neuer Führung eines aufstrebenden CDU-Manns ohne Ratsmandat, aber mit großen Ambitionen, sollte nun diese hauptamtliche Geschäftsführung anstellen, und unter deren Ägide sollte eine Modernisierung des Konzepts stattfinden.
Dafür fanden sich unter Beteiligung des LWL-Museumsamtes kluge Köpfe zur Beratung: Der damalige erfahrene Leiter eines LWL-Freilichtmuseums, der sein Haus fundamental modernisiert hatte, der relativ neue Leiter des LWL-Naturkundemuseums aus der Nachbarschaft, der sein etwas verschnarcht übernommenes Haus in kürzester Zeit zum meistbesuchten Museum der Region gemacht hatte, und eine Ethnologie-Professorin von der Uni sollten helfen, den Mühlenhof inhaltlich neu auszurichten.
Gleichzeitig sollte ein Arbeitskreis entstehen, der Anbindung an alle Ratsfraktionen hielt, und nicht wie in der Vergangenheit nur an eine. Auch dafür fanden sich aus dem politischen Raum Menschen, die bereit waren, den Mühlenhof zu unterstützen. Bald war auch eine erste Geschäftsführerin gefunden, und so hätte der Neustart des Mühlenhofs beginnen können.
Doch dann, es war kurz vor Corona, war es schon wieder vorbei. Die gerade eingestellte Geschäftsführerin war schnell wieder weg, offiziell aus persönlichen Gründen. Das hochkarätig besetzte Beratungsgremium für das neue Konzept ließ seine Arbeit daraufhin ruhen, und nun war schon wenige Wochen nach der Idee klar, dass keine eigenständige Geschäftsführung und keine erfahrenen Museumsleiter und Hochschulexpertinnen gebraucht würden.
Denn der Vörnste Baas wusste selbst am besten, wie es zu laufen hatte. Geld musste hereinkommen, und wenn das als Museum nicht möglich war, dann eben als Eventlocation. Und so wummerte bald nach Corona der Schlagerbass über den Aasee, und das Partylicht flackerte am Mühlenhof – ein „Partyinferno“ verkünden die Plakate auch dieser Tage wieder.
Der starke Mann selbst hatte derweil höhere Ziele im Auge, und nachdem er den Mühlenhof stärker Richtung Mallorca ausgerichtet hatte, versuchte er – 2020 leider nicht in den Rat gewählt – es stattdessen mit dem CDU-Kreisvorsitz. Vielleicht führten die Erfahrungen beim Mühlenhof dazu, dass die Bewerbung rasch medial ziemlich eskalierte.
Die CDU-Mitgliedschaft, vor die Wahl zwischen einer schwachen und einer schwierigen Lösung gestellt, entschied sich dann gegen den Mann vom Mühlenhof. Und so wird dann nächstes Jahr auch ein neuer Vörnste Baas gesucht beim Mühlenhof.
Ein neuer Geschäftsführer, der rasch eingestellt war, hielt immerhin vier Jahre durch – bis er unlängst zum Abschied verlauten ließ, er wolle sich beruflich stärker fachlichen Fragen widmen und nur noch ehrenamtlich mitwirken. Eine neue Geschäftsführung muss daher auch erstmal wieder gefunden werden – da dürfte eine seriöse Lösung nach der Vorgeschichte und mit dem aktuellen Profil wohl auch schwierig werden.
Aus dem politischen Arbeitskreis verabschiedete sich auch der eine oder andere, insbesondere die fachlich Versierten, andere kamen: Ein früheres Ratsmitglied mit Landtagserfahrung zum Beispiel, das nicht nur eine Partei schon vertreten und verlassen und beinahe auch schon eine eigene gegründet hätte, und jetzt in einem Alter ist, in dem ein lebenserfahrener Mann und Naturfreund natürlich auch von Freilichtmuseen was versteht.
Die Ansätze von 2019 sind in einem Fiasko geendet, der Mühlenhof hat derweil Zeit und weitere Reputation verloren. Fünf Jahre nach der letzten Krise und Forderung nach Geld von der Stadt ist die Lage nicht besser geworden.
Konsequenterweise hat der Rat nun erst einmal ein fachliches Gutachten in Auftrag gegeben, wie es weitergehen kann. Klar ist: Wenn es zu Ende gehen sollte, hat die Stadt das Problem, denn das ganze Areal gehört ihr und daher kann sie dem Problem nicht ausweichen, das in den letzten fünf Jahren noch größer geworden ist. Das war schon 2019 das Hauptargument, dem Mühlenhof Geld zu geben, weil es sonst noch teurer geworden wäre. Welche Lösungen sind denkbar?
Drei mögliche Lösungen
Zum einen – die unwahrscheinlichste Lösung – die Liquidation des Mühlenhofs. Dafür spricht das Fehlen tragfähiger musealer Konzepte und einer wirtschaftlichen Zukunftsperspektive und die völlig dysfunktionalen Strukturen mit einem Trägerverein von zwar 750 Mitgliedern, der aber nichts mehr tragen kann, wie sich erwiesen hat.
Gegen den radikalen Schnitt spricht die Frage, was dann mit den Gebäuden und der Mühle passieren soll. Dies fiele der Stadt auf die Füße – und eine überzeugende Antwort ist nicht in Sicht. Als reiner zusätzlich zu bewirtschaftender Veranstaltungsort wird der Mühlenhof wohl neben Halle und Rathaus kaum gebraucht. Diese Lösung scheidet also wohl aus.
Die zweite Lösung, die wahrscheinlichste und münstertypischste: Es gibt ein bisschen mehr Geld, und es wird weiter gewurstelt mit ein paar Seniorenkaffeefahrten, ein bisschen Drechseln in der alten Schreinerei und gelegentlichen Partyinfernos und Betriebsfeiern, damit die Kasse stimmt.
Dann kann der Trägerverein weitermachen, und keiner hat Schmerzen, außer denen, die Steuern zahlen. Spätestens wenn das Seniorenpublikum endgültig ausbleibt, kommt die Grundsatzfrage wieder auf die Tagesordnung, aber erst in fünf oder sieben Jahren, und das wird dann einen neuen Rat beschäftigen.
Und die dritte Lösung wäre, aber sehr unwahrscheinlich, endlich einmal neue Konzepte zu entwickeln, die alte Zöpfe abschneiden und Neues wagen. Man müsste sich endlich lösen von veralteter Folklore, die eine heile Welt preist, die es niemals gab, und stattdessen den Aasee und seine Anrainer in den Blick nehmen.
Der Mühlenhof hat nur dann eine inhaltliche Zukunft als kultureller Ort der Bildung, wenn er im Ensemble mit Zoo und LWL-Museum konzipiert wird. Das würde bedeuten, dass man sich vom heimatkundlichen Fach ein Stück lösen müsste, und zu Biologie und Klima- und Artenschutz wechseln müsste.
Der Mühlenhof hätte durchaus eine Zukunft als Lernort für Natur im Stadtraum, für Nachhaltigkeit, Klima- und Artenschutz, als Kooperationsraum mit Zoo und LWL-Museum. Dafür aber müsste man sich ganz neu aufstellen, auch in den Strukturen.
Die Stadt müsste konzeptionelle Regieverantwortung übernehmen, auch das würde Geld kosten, aber es würde vielleicht zukunftsgerichteter investiert sein als die letzten Jahre. Es braucht einen Neustart, wenn der Mühlenhof noch eine Zukunft haben soll.
Herzliche Grüße
Ihr Michael Jung
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Michael Jung
… lebt schon immer in Münster. Er wurde 1976 hier geboren. Er hat an der Uni Münster Latein und Geschichte studiert und in Geschichte promoviert. Heute ist er Lehrer am Annette-Gymnasium in Münster. Michael Jung war viele Jahre in der Politik: Von 2013 bis 2020 war er Fraktionschef der SPD im Rat der Stadt. Im Jahr 2020 trat er für die SPD bei den Kommunalwahlen als Oberbürgermeisterkandidat an.
Die Kolumne
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