Die RUMS-Kolumne von Michael Jung | Die Sache mit der sozialen Ausgewogenheit

Porträt von Michael Jung
Mit Michael Jung

Guten Tag,

wenn es draußen Herbst wird, die Bäume ihre Blätter fallen lassen und manch einer schon an wärmere Jacken denkt, dann ist es im Rathaus auch die schönste Jahreszeit: Haushaltsberatungen. Und kurz vor einem Wahljahr noch einmal die Zeit, politische Akzente zu setzen. In den letzten Jahren hieß das für die Beteiligten meist: Wo kann noch etwas verteilt werden, wo kann in Münster noch etwas Geld für Schwarzes und Überflüssiges, Grünes und Nachhaltiges oder Rotes und Soziales ausgegeben werden.

Nur die Älteren erinnern sich noch, dass das auch mal anders war. Vor langer Zeit, zuletzt 2012, ging es auch mal um die Frage, wo man was sparen musste. Aber das war noch, bevor Mario Draghi die Zinsen nach unten drückte und viel Geld da war. Nun plötzlich, zwei Jahre nach der Zinswende der EZB, kommt ein Gespenst aus alten Zeiten ins Rathaus zurück: Die Haushaltskonsolidierung, und hinter ihr grinst schon der Gottseibeiuns der Kommunalpolitik, die Haushaltssicherung, ums Eck.

Münster droht der Verlust der haushaltspolitischen Selbstständigkeit, wenn die bilanzielle Ausgleichsrücklage aufgebraucht ist und mehr als fünf Prozent des Eigenkapitals pro Jahr verbraucht werden. Das wäre ein fiskalpolitischer Einschnitt für die Stadt Münster, weil dann die Kommunalaufsicht erhebliche Durchgriffsmöglichkeiten bekäme – allerdings auch etwas Normalität, weil außer Düsseldorf und Münster fast alle Großstädte in NRW das seit Jahren gar nicht mehr anders kennen.

Es wird also dieses Jahr nicht sehr beschaulich und vor allem ungewohnt ungemütlich werden im Rathaus, vor allem weil die allermeisten Ratsmitglieder, nämlich alle, die nach 2012 in den Rat eingezogen sind, keinerlei Erfahrungswissen beim Thema Haushaltskonsolidierung haben.

Da trifft es sich gut, dass die Verwaltung schon vorgearbeitet hat. Die von den Grünen ins Amt gebrachte Christine Zeller hat ein Sparpaket geschnürt, und bei der Vorstellung des Haushaltsplanentwurfs hat sie gemeinsam mit dem Oberbürgermeister auch gleich ordentlich Druck auf den Kessel gebracht.

Ein dickes Ei im Nest

In bester Kanzlerinnentradition erklärte sie ihr Paket mal gleich für alternativlos, und den Haushalt hat sie, vor allem in der Planung, fein säuberlich auf Kante genäht. Nur gut drei Millionen Puffer zum Haushaltssicherungskonzept bestehen in 2026, nur eine Million in 2027 laut ihrer Planung. Selbst das gelingt nur mit Buchungstricks.

So konnten die Ratsmitglieder schon in der letzten Sitzung zur Kenntnis nehmen, dass für den Medienentwicklungsplan – also die IT-Ausstattung der Schulen – die Investitionsmittel für 2026 einfach zusammengestrichen wurden. Auch viele andere Investitionsvorhaben fehlen noch in der Planung. So wird der Druck hoch: Es muss gespart werden. Das Paket der Kämmerin dürfte also eine nicht sehr willkommene Bescherung sein. Sein Inhalt allerdings muss überraschen.

Wenn ein, sagen wir, auf christdemokratischem Ticket gewählter Kämmerer der grün-rot geprägten Ratsmehrheit für das Wahljahr ein richtig dickes Ei ins Nest hätte legen wollen, das Paket hätte genauso ausgesehen. 

Umso mehr muss es überraschen, dass ausgerechnet die grün vorgeschlagene Amtsinhaberin dieses Paket vorlegt. Es hat nämlich eindeutige Schwerpunkte, und die liegen ausgerechnet im Kinder-, Jugend- und Schulbereich, also jenem Politikfeld, das in Sonntagsreden immer gern als Zukunft gepriesen wird.

Nicht nur die vom Volumen her größten Einzelvorschläge kommen aus diesem Bereich, es ist auch ein großflächiger Kahlschlag in allen Arbeitsfeldern: Für einige Aufregung sorgte schon die Idee, die Regelung, nach der nur für ein Kind Elternbeiträge in Kita und Offenem Ganztag fällig werden, aufzugeben (über fünf Millionen Euro, also ein Viertel des gesamten Sparpakets), daneben soll zugelangt werden über höhere Elternbeiträge für Betreuungsangebote, aber auch Leistungen sollen gekürzt werden: Weniger Schulsozialarbeit, die Schulen sollen weniger Geld für ihre Schuletats bekommen, die Volkshochschule für ihre Angebote ebenso, viele Angebote und Leistungen für Kinder sollen wegfallen.

Schaut man sich demgegenüber die vorgesehenen Konsolidierungsmaßnahmen in anderen Bereichen an, dann fällt auf: Während im Dezernat für Schule, Jugend und Sport die wesentlichen Konsolidierungsbeiträge erbracht werden sollen und garantiert die meisten Konflikte aufziehen werden, sind es in Zellers eigenem Dezernat eher Veränderungen im laufenden Geschäft, die vorgeschlagen werden und bei denen die Frage auftaucht, warum dergleichen erst jetzt umgesetzt werden soll (zum Beispiel: unbezahlten Forderungen der Stadt konsequenter nachgehen).

Die Folge der Dezernatsbudgets

Im Dezernat für Planen ist der Hauptposten eine pauschale Kürzung um 700.000 Euro bei Mobilität und Tiefbau. Im Personalbereich werden für drei Millionen unbesetzte Stellen aus dem Haushalt herausgerechnet. Im Sozialen und der Kultur kommt es zu einigen Kürzungen, von denen die Teilleistungsstreichungen beim Münster-Pass und bei der Flüchtlingsarbeit wohl am härtesten ins Kontor schlagen werden.

Demgegenüber werden bei Umwelt und Klimaschutz vor allem die Bürger:innen stärker belastet, indem die Abwassergebühren steigen sollen, ansonsten bleibt es bei wenigen Kürzungen von zuletzt aufgenommenen Förderungen von Projekten. Alles in allem ist damit klar: Dem Kinder- und Jugendbereich drohen die härtesten Einschnitte.

Das ist vor allem die Folge eines von Zeller vorgeschlagenen und vom Rat durchgewinkten Konzepts von Dezernatsbudgets. Seither wird der städtische Haushalt betrachtet wie der Bundeshaushalt, nämlich als ein System quasi ministerieller Einzelpläne, die untereinander wenig verbunden sind. Das ist natürlich die logische Konsequenz einer Verwaltungsspitze, die sich um hübsche Bilder und schöne Auftritte kümmert, aber wenig ums Tagesgeschäft.

Da macht jedes Dezernat, was es will und an der Spitze fühlt man sich als Stadtminister. Die Wirklichkeit aber sieht anders aus. Ein kommunaler Haushalt steht unter der Gesamtverantwortung des Oberbürgermeisters, und „Ministerien“ gibt es keine. Insofern besteht auch keinerlei Zwang, Dezernatsbudgets zu bilden.

In der Folge bündeln sich in wenigen Bereichen die Einsparungen. Zum einen natürlich da, wo der „Ministerdezernent” die schwächste Figur ist, und das ist zweifellos gerade bei Schule, Jugend und Kindern der Fall. Zum anderen da, wo die meisten kommunal frei verfügbaren Mittel verausgabt werden: Der Sozialetat ist zwar sehr groß, aber das meiste davon sind pflichtige Leistungen, für die die Stadt nur die Auftragsverwaltung des Bundes ausübt (Bürgergeld, Jobcenter). Da ist wenig regelbar durch Ratsbeschluss.

So hat das von Zeller vorgelegte Sparpaket schwere politische Schlagseite. Es kürzt vor allem da im Leistungsbereich, wo es am meisten um die Zukunft geht. Und es blendet zentrale andere Bereiche, mit Ausnahme der städtischen Parkhausfirma WBI, die gesamten städtischen Beteiligungen völlig aus der Haushaltskonsolidierung aus. Das ist eine erhebliche Unwucht.

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Immerhin funktionieren die politischen Reflexe. Kaum war das Paket verschickt, wurden schon die ersten Haltelinien aufgezeigt. Keine Veränderungen bei den Elternbeiträgen, tönte es von Schwarz wie Rot in seltener Einigkeit. Das Problem dabei: Die Elternbeiträgesind mit insgesamt rund sechs Millionen der größte Einzelposten des Konsolidierungspaketes. Der feste Wille, dort nicht zu kürzen, löst das Problem noch nicht, denn das Geld muss dann woanders gefunden werden, will man die Haushaltssicherung vermeiden.

Davon war bisher weit weniger zu hören, und deswegen sind solche Bekundungen erst mal nur Vorwahlkampfgetöse. Man sieht aber schon, dass da auf die ehrenamtliche Politik viel und ungewohnte Arbeit zukommen wird. Die politische Unwucht des Zeller-Paketes wird es nicht nur an dieser Stelle erforderlich machen, ehrenamtlich politische Alternativen zu entwickeln zu dem, was eine hauptamtliche Verwaltung vorgelegt hat – eine Kärrnerarbeit, die wenig Ruhm und Anerkennung verspricht: Denn es ist keineswegs gesagt, dass eine politische Kürzungsalternative weniger Ärger verursacht als die vermiedene.

Und das Paket ist nicht das einzige dicke Ei, das die Kämmerin der Rathauskoalition ins Nest gelegt hat. Zugleich positionierte sie sich in der allseits mit Spannung erwarteten Grundsteuerfrage. Ab dem kommenden Jahr wird die Grundsteuer nach den neu erstellten Messbescheiden veranlagt, und angesichts massiv gestiegener Grundstückspreise heißt das für viele: Sie wird deutlich steigen.

Das Land hat nun – sehr spät, aber immerhin – die Möglichkeit eröffnet, die Grundsteuer unterschiedlich hoch in den Hebesätzen anzusetzen, nämlich nach Wohnnutzung und Gewerbe zu unterscheiden. Hintergrund dafür ist die sich abzeichnende Tendenz, dass bei einem einheitlichen Satz Wohnungen weit höher und Gewerbeflächen oft niedriger belastet würden als bisher. Da ließe sich mit unterschiedlichen Hebesätzen gegensteuern.

Das aber will die Kämmerin nicht – Vermeidung von Rechtsrisiken ist ihr Schlagwort dabei. Zur Vermeidung solcher Risiken nimmt sie auch hier eine dramatische soziale Schieflage in Kauf: Die Folge solchermaßen höher als nötig angesetzter Hebesätze für Wohngrundstücke wird die direkte massive Steigerung der Wohnnebenkosten sein – und zwar auch für Mietende, denn die Grundsteuer kann voll auf die Miete umgelegt werden.

Ohne Not vergibt die Kämmerin hier kommunalen Gestaltungsspielraum und nimmt in Kauf, dass Wohnen in Münster noch teurer wird als ohnehin schon. Auch hier wird zuletzt politisch entschieden werden müssen , und es bleibt wieder der ehrenamtlichen Politik überlassen, nach einer sozialeren Ausgestaltung zu suchen.

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Politisch wird man sich aber ehrlich machen müssen. Das betrifft vor allem die Investitionsseite des Haushalts. Man wird kaum Millionen im Leistungsbereich kürzen und gleichzeitig die schönsten Traumschlösser versprechen können. In den letzten Jahren hat sich gezeigt: Die Stadt kann mit ihren finanziellen und operativen Möglichkeiten pro Wahlperiode eine Großinvestition von rund 100 Millionen Euro stemmen (zuletzt die Gesamtschule im Osten Münsters).

In unterschiedlichen Konstellationen werden aber gerade gleich mehrere 100 Millionen Projekte versprochen: Ein neues Stadion an der Hammer Straße, eine neue weiterführende Schule auf der grünen Wiese in Gremmendorf, ein Stadthaus 4 und ein Musik-Campus. Es war eigentlich immer schon klar, dass das so nicht funktionieren wird.

Man darf gespannt sein, wer da mal ehrlich wird, dass für die nächste Wahlperiode schon feststeht, was davon geht: Nämlich im besten Fall das neue Stadion (schon beschlossen und vergeben) und das neue Stadthaus (zumindest im besten Fall haushaltsneutral durch Aufgabe von Anmietungen). Von welchem Geld noch eine neue Schule in Gremmendorf und ein Musik-Campus entstehen sollen, bleibt ein Rätsel. Die Antwort ist einfach: Sie werden so bald nicht entstehen, aber wer überbringt die traurige Nachricht?

Alles in allem wird deutlich: Stadtkämmerin Zeller sieht sich für den sozialen Ausgleich, bezahlbares Wohnen und Bildungsangebote in der Stadt eher nicht verantwortlich, sondern setzt ein technokratisches Dezernatsbudget-Modell um, das zu schweren Unwuchten führt. Aber bis Dezember ist ja noch Zeit, wenn der Haushalt verabschiedet werden soll. Und auch im Rat der Stadt gilt das Struck’sche Gesetz, das der frühere Bundespolitiker formuliert hat: Kein Gesetz und keine Vorlage gehen so aus dem Parlament heraus, wie die Regierung oder Verwaltung sie eingebracht haben.

Im konkreten Fall bedeutet das für die betroffenen Ehrenamtler: in stundenlanger Arbeit und endlosen Debatten Alternativen entwickeln. Oberbürgermeister und Kämmerin haben schon deutlich gemacht, dass sie wegen der Alternativlosigkeit ihres Konzepts dabei keine Hilfe sein wollen. Für die soziale Balance in der Stadt aber könnte die anstrengende Suche nach Alternativen selten wichtiger gewesen sein als jetzt.

Herzliche Grüße

Ihr Michael Jung

Porträt von Michael Jung

Michael Jung

… lebt schon immer in Münster. Er wurde 1976 hier geboren. Er hat an der Uni Münster Latein und Geschichte studiert und in Geschichte promoviert. Heute ist er Lehrer am Annette-Gymnasium in Münster. Michael Jung war viele Jahre in der Politik: Von 2013 bis 2020 war er Fraktionschef der SPD im Rat der Stadt. Im Jahr 2020 trat er für die SPD bei den Kommunalwahlen als Oberbürgermeisterkandidat an.

Die Kolumne

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